BT-Drucksache 18/2678

Verbot der Organisation Islamischer Staat

Vom 25. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2678
18. Wahlperiode 25.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Andrej Hunko, Niema Movassat, Frank Tempel und
der Fraktion DIE LINKE.

Verbot der Organisation Islamischer Staat

Am 12. September 2014 verkündete der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas
de Maizière, ein Verbot nach dem Vereinsgesetz gegen die Terrororganisation
„Islamischer Staat“ (IS, vormals ISIS oder ISIG), die in Teilen des Irak und
Syriens ein Kalifat ausgerufen hat und dort schwerste Verbrechen vor allem ge-
gen Angehörige religiöser Minderheiten sowie generell gegen Frauen begeht.
Der IS sei für unzählige Anschläge und Massaker verantwortlich, für Verbre-
chen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, heißt es im Verbots-
bescheid. Zudem wolle der IS „die verfassungsmäßige Ordnung auch auf dem
Territorium der Bundesrepublik Deutschland beseitigen“ (www.morgenpost.de/
politik/article132217128/Deutsches-IS-Verbot-Kaempfer-aus-Berlin-bald-vor-
Gericht.html). Das Verbot umfasse jegliche Beteiligung an der Organisation,
etwa über soziale Medien oder bei Demonstrationen, sowie die Anwerbung von
Geldern und Kämpfern sowie die öffentliche Verwendung von Kennzeichen des
IS. Noch im August 2014 hatte die Bundesregierung auf eine diesbezügliche
Parlamentarische Anfrage ein noch nicht verfügtes IS-Verbot mit dem Argument
gerechtfertigt, ihr seien keine Strukturen des IS in Deutschland bekannt.
„Grundsätzlich werden Vereinsverbote erlassen, wenn im Inland hinreichende
Strukturen gerichtsfest belegt werden können und zudem der strukturbezogene
Ansatz des Verbots ein qualitatives Mehr gegenüber der individuellen Strafver-
folgung erwarten lässt“, hieß es in der Antwort der Bundesregierung auf die
Schriftliche Frage 24 auf Bundestagsdrucksache 18/2352. Laut Verbotsverfü-
gung bestanden auch zum Verbotszeitpunkt noch keine solchen Strukturen, doch
„ein signifikantes Potenzial von Unterstützern und Sympathisanten“ des IS sei
auch in Deutschland aktiv (www.morgenpost.de/politik/article132217128/
Deutsches-IS-Verbot-Kaempfer-aus-Berlin-bald-vor-Gericht.html).
In einem der „BILD“ vorliegenden, internen Papier beklagen deutsche Sicher-
heitsbehörden ein „vermehrtes Aufkommen von Personen“ im Zusammenhang
mit dem Gaza-Konflikt in der letzten Zeit, die „optisch und verbal ihre Sympa-
thie mit ISIS äußerten“. In dem Papier warnen Sicherheitsbehörden vor einer
„konkreten tödlichen Gefahr“ durch IS-Anschläge in Deutschland. Zudem heißt
es darin: „Eine Neutralisierung von ISIS mit militärischen Mitteln ist kurz- bis
mittelfristig nicht zu erwarten.“ (www.bild.de/politik/ausland/isis/isis-angst-in-
deutschland-37713556.bild.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Aufgrund welcher Überlegungen und gegebenenfalls neuer Erkenntnisse

oder Gefährdungslagen wurde das Verbot des IS zum 12. September 2014
von der Bundesregierung erlassen?

Drucksache 18/2678 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
a) Konnten nach Ansicht der Bundesregierung gegenüber der Erkenntnislage
im August 2014 zum Verbotszeitpunkt „im Inland hinreichende Struktu-
ren [des IS] gerichtsfest belegt werden“?
Wenn ja, welcher Art sind diese Strukturen?

b) Inwieweit ist im Falle des IS nach Ansicht der Bundesregierung ein „qua-
litatives Mehr gegenüber der individuellen Strafverfolgung“ zu erwarten?

2. Welche praktischen Auswirkungen zeigte das IS-Verbot bislang nach Kennt-
nis der Bundesregierung?

3. Inwieweit fanden nach Kenntnis der Bundesregierung aufgrund des IS-Ver-
bots Maßnahmen der Sicherheitsbehörden, wie polizeiliche Durchsuchungen,
Beschlagnahmungen von Vermögenswerten (wo und in welcher Höhe?), Ver-
einsschließungen etc., statt?

4. Was genau meint die Bundesregierung mit dem im Verbotsbescheid gegen
den IS genannten „signifikanten Potenzial von Unterstützern und Sympathi-
santen“ der Organisation in der Bundesrepublik Deutschland, und woran
macht sie diese Erkenntnis fest?

5. Auf wie groß schätzt die Bundesregierung auch ohne das Vorliegen konkreter
gesicherter Zahlen die Unterstützer- und Sympathisantenszene des IS in der
Bundesrepublik Deutschland ein?
a) Wie viele Personen in der Bundesrepublik Deutschland gehören nach Er-

kenntnis der Bundesregierung der IS-Unterstützerszene an, und in welcher
Form äußert sich diese Unterstützung?

b) Wie viele Personen in der Bundesrepublik Deutschland gehören nach Er-
kenntnis der Bundesregierung der IS-Sympathisantenszene an, und woran
macht sie solche Sympathien fest?

c) In welchen Bundesländern, Städten und Kommunen oder Stadtteilen be-
finden sich nach Kenntnis der Bundesregierung die regionalen Hochbur-
gen der IS-Unterstützer- und Sympathisantenszene in der Bundesrepublik
Deutschland?

d) Welche Moscheevereine und sonstige Vereinigungen in welchen Bundes-
ländern, Städten und Kommunen gehören nach Erkenntnis der Bundes-
regierung zur IS-Unterstützer- und Sympathisantenszene bzw. zeigen sich
offen für Prediger und Aktivitäten aus diesem Umfeld?

6. Woraus speist sich die in der Verbotsverfügung genannte Einschätzung der
Bundesregierung, wonach der IS „die verfassungsmäßige Ordnung auch auf
dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland beseitigen“ will?

7. Trifft es zu, dass in einem internen Papier der Sicherheitsbehörden zu IS-Ak-
tivitäten in Deutschland von einem „vermehrten Aufkommen von Personen“
die Rede ist, die im Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt „optisch und ver-
bal ihre Sympathie mit ISIS äußern“, und wenn ja, bei welchen Gelegenhei-
ten im Einzelnen, etwa auf Demonstrationen oder in sozialen Netzwerken,
wurden diese Sympathien deutlich, und wie reagierten nach Kenntnis der
Bundesregierung andere, an pro-palästinensischen Aufzügen oder Netzwer-
ken im Internet beteiligte Personen auf die IS-Sympathisanten?

8. Über welche Medien verfügte die IS-Unterstützer- und Sympathisantenszene
in Deutschland, bzw. welche Medien nutzt sie?
a) In welchem Maße werden von der IS-Unterstützer- und Sympathisanten-

szene in Deutschland soziale Netzwerke genutzt, wie viele in diesem
Sinne aktive Accounts bzw. Nutzer sind der Bundesregierung bekannt,
und welche Reichweite haben diese?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2678
b) Welche von der IS-Unterstützer- und Sympathisantenszene in Deutsch-
land genutzten Printmedien sind der Bundesregierung bekannt, und wel-
che Reichweite haben diese?

c) Welche von der IS-Unterstützer- und Sympathisantenszene in Deutsch-
land genutzten Onlinemedien sind der Bundesregierung bekannt, und
welche Reichweite haben diese?

d) Welche dieser Medien sind der Bundesregierung bekannt, die vom Aus-
land her auf die deutsche Unterstützerszene zielen?

e) Welche auf die IS-Unterstützer- und Sympathisantenszene in Deutsch-
land zielenden Fernsehsender (auch Internet-Kanäle) sind der Bundes-
regierung bekannt, welche Reichweite haben diese, und von wo und
durch wen werden diese betrieben?

f) Welche dieser Medien wurden nach dem IS-(Betätigungs-)Verbot einge-
stellt oder vom Netz genommen, und wo wurden einschlägige IS-Sym-
bole entfernt?

9. Welche vom IS genutzten Symbole, Logos, Schriftzüge, Fahnen und Flag-
gen, Handzeichen, Grußformeln und dergleichen sind der Bundesregierung
im Einzelnen bekannt, welche davon fallen unter das vom Bundesministe-
rium des Innern erlassene IS-Betätigungsverbot, und welche bleiben aus
welchen Gründen (z. B. Gebrauch auch durch andere, nicht verbotene Or-
ganisationen oder aufgrund der Religionsfreiheit) legal?

10. Findet nach Kenntnis der Bundesregierung eine spezielle Information,
Schulung etc. der Polizeibehörden von Bund und Ländern zum Umgang mit
dem IS, etwa zur Identifizierung seiner Symbole, statt, und wenn ja, in wel-
cher Form?

11. Inwieweit und auf welchem Wege hat sich die Bundesregierung bemüht,
dem im Verbotsbescheid mit „unbekanntem Aufenthalt“ genannten Anfüh-
rer des IS, Ibrahim al-Badri as-Samarrai alias Abu Bakr al-Bagdadi, oder
einem dazu befugten Vertreter die Verbotsverfügung zu- oder zur Kenntnis
kommen zu lassen, inwieweit waren diese Bemühungen erfolgreich, und
welche Reaktionen vonseiten des IS-Chefs erfolgten darauf gegebenen-
falls?

12. Befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung deutsche bzw. aus
Deutschland stammende Geiseln in den Händen des IS in Syrien und dem
Irak, und wenn ja, um wie viele handelt es sich, wo und wann wurden diese
gekidnappt, und was weiß die Bundesregierung über ihren derzeitigen Auf-
enthalt, ihren Gesundheitszustand, über Forderungen der Entführer und
mögliche Versuche, ihre Freilassung zu erreichen?

13. Sieht die Bundesregierung aufgrund ihrer Beteiligung an gegen den IS ge-
richteten Maßnahmen, wie dem IS-Verbot in Deutschland und Waffenliefe-
rungen an gegen den IS kämpfende kurdische Peschmerga, eine gestiegene
Gefahr für deutsche Staatsangehörige im Nahen Osten, etwa aufgrund von
Geiselnahmen oder Anschlägen, oder von Terroranschlägen in Deutschland
oder deutsche Ziele im Ausland, und wenn ja, worauf begründen sich solche
Erkenntnisse der Bundesregierung, und liegen ihr konkrete diesbezügliche
Drohungen des IS vor?

14. Trifft es zu, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz das Risiko durch
Anschläge von IS-Kämpfern in Deutschland in einem internen Geheim-
papier als „konkrete tödliche Gefahr“ bezeichnet, und wenn ja, auf welche
Erkenntnisse stützt sich diese Einschätzung?

Drucksache 18/2678 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
15. Auf welchen Terrorlisten der Europäischen Union (EU) oder nach Kenntnis
der Bundesregierung der USA und Vereinten Nationen werden der IS oder
seine Vorläufer oder einzelne seiner Mitglieder, Anführer oder Finanziers
geführt?
a) Seit wann befinden sich der IS oder seine Vorläufer auf welchen Terror-

listen der EU, den USA und Vereinten Nationen?
b) Welche Maßnahmen im Einzelnen (Einfrieren von Konten, Ermittlungen

wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz, Einreisesperren
etc.) und mit welchem Erfolg wurden bislang aufgrund einer möglichen
Listung des IS oder seiner Vorläufer auf EU- und UN-Terrorlisten in der
Bundesrepublik Deutschland vollzogen?

c) Inwieweit hat eine Listung möglicher Vorläufer des IS (wie ISIS oder
Al-Qaida im Irak) auf den Terrorlisten der EU und den Vereinten Natio-
nen weiterhin – insbesondere nach der Trennung des IS von Al-Qaida –
Gültigkeit in Bezug auf den IS?

d) Sollte sich der IS noch nicht auf der EU-Terrorliste befinden, aus wel-
chem Grund wurde so eine Listung bislang nicht vollzogen, und inwie-
weit gedenkt sich die Bundesregierung für eine zukünftige Listung ein-
zusetzen?

16. Wie viele aus Deutschland stammende Personen haben sich nach Kenntnis
der Bundesregierung seit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges dem IS
und seinen Vorläufer angeschlossen?
a) Inwieweit kann die Bundesregierung einen Anstieg der Beitritte zum IS

nach den großen territorialen Eroberungen der Gruppe im Irak und der
Ausrufung des Kalifats im Juni 2014 erkennen?

b) Wie viele von ihnen haben nach Kenntnis der Bundesregierung eine
Kampfausbildung erhalten?

c) Wie viele von ihnen haben nach Kenntnis der Bundesregierung sich an
Kampfeinsätzen beteiligt?

d) Wie viele von ihnen stehen nach Kenntnis der Bundesregierung im Ver-
dacht der Beteiligung an Kriegsverbrechen?

e) Wie viele starben nach Kenntnis der Bundesregierung bei Kampfhand-
lungen?

f) Wie viele von ihnen starben nach Kenntnis der Bundesregierung als
Selbstmordattentäter?

g) Wie viele von ihnen sind nach Kenntnis der Bundesregierung nach
Deutschland zurückgekehrt, und wie viele von diesen verfügen über
Kampferfahrung oder waren mutmaßlich an Kriegsverbrechen beteiligt?

h) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, dass Personen
aus Deutschland als Spezialisten, z. B. als Ärzte oder Ingenieure, ihre
Fähigkeiten gegen Bezahlung dem Kalifat zur Verfügung stellen?

i) Wie viele Frauen und ihre Kinder aus Deutschland sind ihren, dem IS an-
gehörenden Lebensgefährten nach Kenntnis der Bundesregierung in den
Nahen Osten gefolgt oder alleine dorthin gegangen, um sich dem Djihad
anzuschließen?

17. Inwieweit kann die Bundesregierung Berichte aus der türkischen Presse be-
stätigten, wonach türkische Behörden in den letzten zwei Jahren 830 Euro-
päer, die sich dem IS und seinen Vorläufern anschließen wollten, bei der
Ein- oder Durchreise durch die Türkei festgenommen und deportiert haben
(www.hurriyetdailynews.com/turkey-sends-back-830-european-jihadists-.
aspx?PageID=238&NID=71565&NewsCatID=510)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2678
18. Inwieweit hält die Bundesregierung eine strafrechtliche Verfolgung von
Mitgliedern des IS und der Al-Nusra-Front, die im Verdacht der Beteiligung
an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Irak und
Syrien stehen, nach dem Völkerstrafgesetzbuch für möglich und wün-
schenswert?

19. Welche Positionierungen von islamischen Verbänden in Deutschland gegen
den IS und seine Taten sind der Bundesregierung im Einzelnen bekannt?

20. Trifft es zu, dass in einem Geheimpapier der Bundesregierung „eine Neu-
tralisierung von ISIS mit militärischen Mitteln […] kurz- bis mittelfristig
nicht zu erwarten“ ist, und wenn ja, auf welche Erkenntnisse stützt sich
diese Einschätzung, und welche Maßnahmen müssten nach Ansicht der
Bundesregierung im Einzelnen und durch wen erfolgen, um die Terrororga-
nisation zu neutralisieren?

Berlin, den 24. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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