BT-Drucksache 18/2557

Deutschlands Nichtteilnahme am zweiten Gipfel der Vereinten Nationen gegen nichtübertragbare Krankheiten

Vom 10. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2557
18. Wahlperiode 10.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Maisch, Harald Ebner, Kai Gehring, Bärbel Höhn,
Steffi Lemke, Ulle Schauws, Dr. Harald Terpe und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Deutschlands Nichtteilnahme am zweiten Gipfel der Vereinten Nationen
gegen nichtübertragbare Krankheiten

Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich welt-
weit etwa 38 Millionen Menschen durch nichtübertragbare Krankheiten
(NCDs), wie Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, chronische Lungenentzün-
dung und Krebs. Das sind rund 60 Prozent aller Todesfälle. Altersbedingt nimmt
dieser Anteil stetig zu. Die steigende Lebenserwartung, die rasante Urbanisie-
rung und die Globalisierung eines ungesunden Lebensstils sind Hauptursachen
für die Zunahme chronischer Erkrankungen. Somit sind die NCDs zu einer
wahrhaftig globalen Herausforderung geworden, die ein gemeinsames globales
Handeln erforderlich machen (vgl. Kickbusch: Gutachten: Globale Gesund-
heitspolitik 2012).
Um diesem Trend entgegenzuwirken, hat die Generalversammlung der Verein-
ten Nationen (UN) im September 2011 einen ersten gesundheitspolitischen
Gipfel zum Thema „Nichtübertragbare Krankheiten“ einberufen, um sich mit
der Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten auf globaler,
nationaler und regionaler Ebene zu befassen bzw. auszutauschen.
Nichtübertragbare Krankheiten stellen nicht nur für die Gesundheitspolitik ein
Problem dar, sondern sind auch aus wirtschafts- und entwicklungspolitischer
Sicht von Bedeutung. Einer Zunahme von nichtübertragbaren Krankheiten steht
die Gesellschaft aber nicht machtlos gegenüber. Zur Bewältigung der nichtüber-
tragbaren Krankheiten wird ein umfassender Ansatz benötigt, der die Gesund-
heitsförderung und Krankheitsprävention für die gesamte Bevölkerung unter-
stützt, aktiv auf stark gefährdete Gruppen bzw. Personen abzielt, die Versorgung
der Bevölkerung mit wirksamen Behandlungs- und Pflegeangeboten maximiert
und der bei der Bekämpfung von Ungleichheiten im Gesundheitsbereich syste-
matisch Konzepte und Maßnahmen miteinander verknüpft. Ein derartiger
Ansatz erfordert integrierte und sektorenübergreifende Maßnahmen zur Be-
kämpfung von Risikofaktoren und ihren zugrunde liegenden Determinanten
sowie damit verknüpfte Anstrengungen zur Stärkung der Gesundheitssysteme in
Bezug auf wirksamere Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen.
Ergebnis des UN-Gipfels war die Unterzeichnung der „Political Declaration of
the High-level Meeting of The General Assembly on the Prevention and Control
of Non-communicable Diseases“ sowie der im darauffolgendem Jahr unter-
zeichnete „WHO Global Action Plan for the Prevention and Conctrol of NCDs
2013–2020“ zur Umsetzung der politischen Deklaration in messbare nationale
Zielgrößen und Messindikatoren. Darin verpflichtete sich die Bundesrepublik

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Deutschland beispielweise, die vorzeitige Sterblichkeit durch nichtübertragbare
Krankheiten bis zum Jahr 2025 um 25 Prozent zu senken und die Zunahme von
Adipositas, Diabetes und Herzerkrankungen zu stoppen.
Drei Jahre nach dem ersten UN-Gipfel zu den nichtübertragbaren Krankheiten
erfolgte am 11./12. Juli 2014 der zweite UN-Gipfel, der zum Ziel hatte, den ver-
einbarten Prozess weiter voranzutreiben und die globalen Ziele zu konkretisie-
ren. Obwohl aktuelle Studien auch für Deutschland die Notwendigkeit des Han-
delns hinsichtlich der neuen Volkskrankheiten, wie Diabetes, Herz-Kreislauf-
erkrankungen, chronische Lungenentzündungen und Krebs, belegen, entsendete
die Bundesregierung keine Delegation zu diesem UN-Gipfel gegen nichtüber-
tragbare Krankheiten.
So berechnete eine aktuelle Studie des Rostocker Zentrums zur Erforschung des
Demografischen Wandels, dass bei gleichbleibender Entwicklung zum Beispiel
die Adipositasprävalenz bei den über 50-Jährigen bis zum Jahr 2030 um
80 Prozent steigen wird (www.kompetenznetzadipositas.de/index.php?eID=tx_
nawsecuredl&u=0&g=0&t=1409401098&hash=fa6392652330626276e6abbdca
4f9989d5e0b4d6&file=fileadmin/doc/Presse/PM_KNA_Juli_2014_final.pdf).
Auch weitere Berechnungen (www.kompetenznetzadipositas.de/index.php?
eID=tx_nawsecuredl&u=0&g=0&t=1409401098&hash=f34fc47d4e074e4332
e1e677f8373fd1221e138b&file=fileadmin/doc/Presse/PM_KNA_Juni_2014_
final.pdf) zur Verbreitung der Adipositas in der Europäischen Union (EU), wo-
nach die Zahl der Menschen (wie etwa bei Jugendlichen, Schwangeren und
älteren Menschen) in Deutschland mit Adipositas steigt und lediglich die Über-
gewichtsrate bei den Einschulungskindern stagniert, zeigen den großen Hand-
lungsbedarf. Zudem entstehen neben den individuellen Beeinträchtigungen der
Betroffenen bereits heute Folgekosten in Milliardenhöhe.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem UN-Gipfel „Nichtüber-

tragbare Krankheiten“ am 10./11. Juli 2014 für die Bekämpfung und Präven-
tion nichtübertragbarer Krankheiten auf globaler, nationaler und regionaler
Ebene bei?

2. Aus welchem Grund hat Deutschland keine Delegation aus dem Bundes-
ministerium für Gesundheit, dem Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft oder/und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung zu dem UN-Gipfel entsandt und hat sich
nach Information der Fragesteller lediglich durch den 3. Sekretär der Ständi-
gen Vertretung Deutschlands in New York vom Auswärtigen Amt vertreten
lassen?

3. Gilt eine Nichtteilnahme der zuständigen Fachministerien als „Nichtteil-
nahme Deutschlands“?

4. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, welche anderen Länder, die am
ersten Gipfel teilgenommen haben, beim zweiten Gipfel keine Delegation
entsandt haben?

5. Hat der bei der Konferenz anwesende 3. Sekretär der Ständigen Vertretung
Deutschlands bei der Beschlussfassung des Abschlussdokuments mitge-
wirkt, d. h. für die Annahme des Abschlussdokuments gestimmt?
Wenn ja, gilt dies als Zustimmung Deutschlands?

6. In welcher Zusammensetzung hat sich die Bundesregierung beim ersten UN-
Gipfel zur Prävention und Kontrolle nichtübertragbarer Krankheiten (NCDs)
2011 beteiligt (unter Nennung der Personenanzahl, der Ministerienzuge-
hörigkeit, der Funktionsbezeichnung und Referatszugehörigkeit im Bundes-
ministerium)?

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7. Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vor drei Jahren die Delega-
tion gebildet haben, immer noch in denselben Tätigkeitsbereichen beschäf-
tigt?

8. Aus welchem Grund nahmen diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht
an dem zweiten Gipfeltreffen (UN Review zu NCDs 2014) teil?

9. Hat der 3. Sekretär der Ständigen Vertretung Deutschlands in New York
vom Auswärtigen Amt Anweisungen bzw. vor dem Gipfel von der Bundes-
regierung bzw. den Bundesministerien Anweisungen, Arbeitsaufträge etc.
erhalten?
a) Wenn ja, welche?
b) Wenn nein, warum nicht?
c) Trägt Deutschland das Abschlussdokument der UN NCD Review 2014

mit?
10. Aus welchem Grund hat sich die Bundesregierung nicht mit einem schrift-

lichen Statement an dem Gipfel beteiligt?
11. Welche konkreten Pläne hat die Bundesregierung seit dem Jahr 2011 entwi-

ckelt, um die vorzeitige Sterblichkeit durch nichtübertragbare Krankheiten
bis zum Jahr 2025 um 25 Prozent zu senken, zu der sich die Bundesregie-
rung auf dem ersten UN-Gipfel mit anderen Ländern verpflichtet hat?

12. Seit wann bzw. wann erstmals, in welchen zeitlichen Abfolgen, wie und
durch welche Institution bzw. Institutionen werden die neun Ziele und 25 In-
dikatoren gemessen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die das von
Deutschland im Jahr 2013 mitgezeichnete Globale Monitoring Framework
der WHO 2013 bis 2020 vorsieht, mandatiert durch die Politische Deklara-
tion des ersten UN-Gipfels zu NCDs?

13. Wie beabsichtigt die Bundesregierung konkret, das vereinbarte Ziel, „die
Zunahme von Adipositas und Diabetes zu stoppen“, zu verfolgen,
insbesondere vor dem Hintergrund, dass aktuelle Zahlen zur Verbreitung
der Adipositas und des Diabetes in der EU und auch in Deutschland
(www.kompetenznetz-adipositas.de/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=
0&g=0&t=1409401098&hash=fa6392652330626276e6abbdca4f9989d5e0
b4d6&file=fileadmin/doc/Presse/PM_KNA_Juli_2014_final.pdf) aufzeigen,
dass die Zahl der Menschen (wie etwa bei Jugendlichen, Schwangeren
und älteren Menschen) mit Adipositas steigt und lediglich die Über-
gewichtsrate bei den Einschulungskindern stagniert und auch die Zahl der
Diabeteserkrankungen weiter ansteigt?

14. Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus diesen Zahlen, die sich
in den letzten Jahren nicht, wie beabsichtigt, verbessert, sondern noch ein-
mal verschlechtert haben?

15. Welche Haltung hat die Bundesregierung hinsichtlich der Empfehlungen
der WHO im „Global Action Plan for the Prevention and Control of Non-
communicable Diseases 2013–2020“, nach denen zur Prävention nichtüber-
tragbarer Krankheiten insbesondere verhältnispräventive Maßnahmen und
Politikstrategien auf der Bevölkerungsebene gemäß Annex 3 implementiert
werden sollen (www.apps.who.int/iris/bitstream/10665/94384/1/
9789241506236_eng.pdf)?

16. Welche konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Inhalte
des zweiten UN-Gipfels (UN Review on NCDs 2014), und wie hat sie diese
erlangt?

17. Liegen bereits Protokolle des UN-Gipfels vor?
a) Wer hat sie verfasst bzw. wird sie verfassen?

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b) Werden diese Protokolle veröffentlicht?
c) Welches Bundesministerium (unter der Nennung der Abteilung und des

Referats) wird sich mit den Ergebnissen des zweiten UN-Gipfels be-
schäftigen?

18. Welche gesundheitsfördernden Maßnahmen sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung im Bereich der Bekämpfung von Diabetes bzw. Adipositas in
den teilnehmenden Ländern seit dem ersten Gipfel ergriffen worden (unter
Nennung der Länder und der konkreten Maßnahmen)?

19. Prüft die Bundesregierung Maßnahmen anderer Länder daraufhin, ob sie
auch in Deutschland wirkungsvoll umgesetzt werden könnten?
Wenn ja, zu welchem Schluss ist die Bundesregierung gekommen?

Berlin, den 8. September 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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