BT-Drucksache 18/2492

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes - Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt

Vom 9. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2492
18. Wahlperiode 09.09.2014
Gesetzentwurf

und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes –
Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt

A. Problem
Die rassistische bzw. vorurteilsmotivierte Gewalt gegen Menschen in Deutschland
bewegt sich auf einem inakzeptabel hohem Niveau. Im Jahr 2013 zählten die Opfer-
beratungsstellen in Ostdeutschland und Berlin (nur hier sind diese Einrichtungen flä-
chendeckend vertreten) 737 rechts motivierte Angriffe mit 1 086 direkt Betroffenen.
Mehr als die Hälfte dieser Angriffe war rassistisch motiviert, das war ein Anstieg
um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr (opferperspektive.de, „737 Fälle politisch
rechts motivierter Gewalt“, 10. April 2014). Für Westdeutschland sind die Zahlen
mangels einer unabhängigen Erfassung nicht bestimmbar, zudem dürfte die Dunkel-
ziffer, d. h. die Zahl der bundesweit nicht erfassten Fälle, immens sein.
Bei den Opfern rassistischer Gewalttaten handelt es sich meist um nicht deutsche
Staatsangehörige, viele von ihnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Asylsuchende
und Geduldete sind aufgrund der rassistischen Ideologie in besonderer Weise rech-
ten Angriffen ausgesetzt. Infolge der verpflichtenden Unterbringung in gesonderten
Massenunterkünften stellen sie auch ein prädestiniertes „Ziel“ für solche Angriffe
dar. Seit 2012 steigt die Zahl der von Nazis organisierten Angriffe auf solche Unter-
künfte kontinuierlich an, allein im ersten Quartal 2014 gab es 20 rechtsextreme Pro-
testkundgebungen vor Flüchtlingsunterkünften, mehr als im Jahr 2013 (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 18/1593).
Eine gesetzliche Regelung zur Gewährung eines sicheren Aufenthaltsstatus für Op-
fer rechter Gewalt mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit ist aus mehreren Gründen
erforderlich. Zum einen ist es unerträglich, wenn deren Aufenthaltsrecht in Gefahr
gerät, weil sie infolge der Gewalttat ihre Beschäftigung oder Einkommensgrundlage
verlieren, etwa wegen psychischer oder physischer Verletzungen und Beeinträchti-
gungen der Erwerbsfähigkeit. Denn für die Erteilung oder Verlängerung eines Auf-
enthaltstitels ist in der Regel der Nachweis ausreichenden Einkommens eine grund-
legende Voraussetzung. Zum anderen muss bereits der Anschein eines – und sei es
unfreiwilligen – Zusammenwirkens zwischen rechten Gewalttätern und dem Staat
vermieden werden. Werden aber Opfer rechter Gewalt zur Ausreise aufgefordert
oder gar abgeschoben, können sich die Täter zumindest subjektiv bestätigt oder un-
terstützt fühlen, da dies ihren rassistischen Zielen entspricht. Eines sicheren Aufent-
haltsstatus bedarf es auch, damit die Opfer, wenn sie dies wollen, den Wohnort
wechseln können, um nicht mehr Gefahr zu laufen, den Tätern erneut zu begegnen.
Geduldete und Asylsuchende unterliegen der Residenzpflicht und damit erheblichen
Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Schließlich ist die aufenthaltsrechtliche

Drucksache 18/2492 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Sicherheit eine wichtige Bedingung für das Gelingen einer psychotherapeutischen
Behandlung der oftmals schwer traumatisierten Opfer rechter Gewalt.

B. Lösung
Ausländische Opfer rassistischer oder vorurteilsmotivierter Gewalt erhalten ein un-
bedingtes Bleiberecht.
Dies ist ein deutliches Signal des deutschen Gesetzgebers, dass die Gesellschaft sich
dem Anliegen der rechten Täterinnen und Täter entgegenstellt, die Menschen aus-
ländischer Staatsangehörigkeit durch Gewaltanwendung einschüchtern und aus dem
Land vertreiben wollen. Der deutsche Staat stellt sich damit solidarisch schützend
und helfend vor Migrantinnen und Migranten, die Opfer rechter Gewalt oder massiv
bedroht wurden.
Den Betroffenen wird nach ihrer traumatischen Gewalterfahrung Sicherheit und
Schutz angeboten und signalisiert, dass sie nicht allein gelassen werden. So wird
auch eine Verantwortung für einen mangelnden effektiven Schutz vor rassistischer
Gewalt und für die gesellschaftlichen, politischen und staatlichen Versäumnisse in
Bezug auf die Bekämpfung von Rassismus und rechter Gewalt in der Bundesrepu-
blik Deutschland übernommen.

C. Alternativen
Keine.

D. Kosten
Keine Angaben möglich.
Eine Kostenberechnung dergestalt, dass der Aufenthalt eines Menschen mit auslän-
discher Staatsangehörigkeit in Deutschland in damit vermeintlich zusammenhän-
gende Kosten umgerechnet würde, widerspräche dem Grundanliegen dieses Geset-
zes. Denn die Denkweise und Reduktion von Nichtdeutschen auf ihre angeblichen
Kosten für die „deutsche Gesellschaft“ gehört zum Grundstock rechten und rassisti-
schen Gedankenguts und widerspricht dem Grundsatz der Menschenwürde.
Im Übrigen tragen die Verfestigung des Aufenthaltsstatus, ein diskriminierungs-
freier Zugang zum Arbeitsmarkt und entsprechende Vermittlungsangebote dazu bei,
dass die Betroffenen erfolgreich eine Beschäftigung finden und unabhängig von
staatlichen Hilfsleistungen leben können. Im Falle einer Hilfsbedürftigkeit sind Leis-
tungen zur Sicherstellung des menschenwürdigen Existenzminimums sowohl nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. Zwölften Buch Sozialgesetz-
buch (SGB XII) als auch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in vergleichbarer
Höhe vorgesehen.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2492
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes –

Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das
zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In § 5 Absatz 3 Satz 1 wird die Angabe „und 4b“ durch die Angabe „bis 4c“ ersetzt.
2. Nach § 25 Absatz 4b wird folgender Absatz 4c eingefügt:

„(4c) Einer ausländischen Person, die während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet Opfer einer ras-
sistischen oder vorurteilsmotivierten Gewalttat oder von entsprechend motivierten Gewaltandrohungen
oder Nachstellungen geworden ist, soll eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 11 Absatz 1 erteilt
werden, auch wenn sie vollziehbar ausreisepflichtig ist.“

3. § 26 wird wie folgt geändert:
a) Dem Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

„Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4c wird für drei Jahre erteilt.“
b) Dem Absatz 3 wird folgender Satz angefügt:

„Einer Person, die seit drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4c besitzt, wird eine
Niederlassungserlaubnis erteilt.“

4. Dem § 59 wird folgender Absatz 9 angefügt:
„(9) Liegen der Ausländerbehörde Anhaltspunkte dafür vor, dass die Voraussetzungen für ein Blei-

berecht für Opfer rechter Gewalt nach § 25 Absatz 4c vorliegen könnten, ist die betroffene Person auf
diese Möglichkeit und auf entsprechende unabhängige Beratungsstellen in verständlicher Weise und in
einer Sprache, die sie versteht, hinzuweisen und zu beraten. Aufenthaltsbeendende oder dies vorbereitende
Maßnahmen sind für die Dauer einer mindestens dreimonatigen Bedenkzeit ab der Beratung nach Satz 1
unzulässig.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 9. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Drucksache 18/2492 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

A. Allgemeiner Teil

Die rassistische bzw. vorurteilsmotivierte Gewalt gegen Menschen in Deutschland bewegt sich auf einem in-
akzeptabel hohem Niveau. Im Jahr 2013 zählten die Opferberatungsstellen in Ostdeutschland und Berlin (nur
hier sind diese Einrichtungen flächendeckend vertreten) 737 rechts motivierte Angriffe mit 1 086 direkt Be-
troffenen. Mehr als die Hälfte dieser Angriffe war rassistisch motiviert, das war ein Anstieg um 20 Prozent
gegenüber dem Vorjahr. Für Westdeutschland sind die Zahlen mangels einer unabhängigen Erfassung nicht
bestimmbar, zudem dürfte die Dunkelziffer, d. h. die Zahl der bundesweit nicht erfassten Fälle, immens sein.
Auch wenn es hierzu keine konkreten Zahlen gibt, handelt es sich bei den Opfern rassistischer Gewalttaten
meist um nicht deutsche Staatsangehörige, viele von ihnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Asylsuchende
und Geduldete sind aufgrund der rassistischen Ideologie in besonderer Weise rechten Angriffen ausgesetzt.
Infolge der verpflichtenden Unterbringung in gesonderten Massenunterkünften stellen sie auch ein prädesti-
niertes „Ziel“ für solche Angriffe dar. Seit 2012 steigt die Zahl der von Nazis organisierten Angriffe auf solche
Unterkünfte kontinuierlich an, allein im ersten Quartal 2014 gab es 20 rechtsextreme Protestkundgebungen vor
Flüchtlingsunterkünften, mehr als im Jahr 2013 (vgl. Bundestagsdrucksache 18/1593).
Opferberatungsstellen fordern seit langem ein sicheres Bleiberecht für die Opfer rassistischer Gewalt. Die gel-
tenden Regelungen des Aufenthaltsrechts sind für die Betroffenen mit großen Unsicherheiten verbunden, häu-
fig ist ihnen die Möglichkeit einer Aufenthaltserteilung aus humanitären Gründen auch gar nicht bekannt. So-
wohl für ein Härtefallersuchen nach §23a als auch für den Zugang zu einem Petitionsverfahren gelten in den
Bundesländern verschiedenste Ausschlussgründe. Zudem steht die Aufenthaltserteilung auf dieser oder anderer
Rechtsgrundlage im Ermessen der Behörden bzw. der obersten Landesbehörde. Dies bietet weder den Betroffe-
nen die erforderliche aufenthaltsrechtliche Sicherheit noch ist damit ein klares politisches Signal der Gesell-
schaft zum Schutz der Opfer rassistischer Gewalt verbunden.
Eine gesetzliche Regelung zur Gewährung eines sicheren Aufenthaltsstatus für Opfer rechter Gewalt ist aus
mehreren Gründen erforderlich. Zum einen ist es unerträglich, wenn ein Aufenthaltsrecht der Betroffenen in
Gefahr gerät, weil sie infolge einer rechten Gewalttat ihre Beschäftigung oder Einkommensgrundlage verlieren,
sei es wegen psychischer oder physischer Verletzungen und Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit, sei es,
weil sie aus Angst vor weiteren Angriffen den Aufenthalts-, Wohn- oder Beschäftigungsort wechseln. Denn
für die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ist in der Regel der Nachweis ausreichenden Ein-
kommens eine grundlegende Voraussetzung. Zum anderen muss bereits der Anschein einer – und sei es unfrei-
willigen – „Kumpanei“ zwischen rechten Gewalttätern und dem Staat vermieden werden. Werden aber Opfer
rechter Gewalt zur Ausreise aufgefordert oder gar abgeschoben, können sich die Täter zumindest subjektiv
bestätigt oder unterstützt fühlen, da dies den rassistischen Motiven ihrer Taten entspricht.
Wenn Staatsanwaltschaften es versäumen, einen Antrag zu stellen, dass die Opfer als Zeugen für das Strafver-
fahren benötigt werden, kann eine Abschiebung der Betroffenen sogar dazu führen, dass die Täter mangels
entsprechender Zeugenaussagen straffrei bleiben. Den Handlungsbedarf illustriert auch der Fall Mehmet Tur-
guts, der im Februar 2004 vom NSU in Rostock ermordet wurde. Er war mit der Identität seines Bruders nach
Deutschland eingereist, nachdem seine Asylanträge als Kurde aus der Türkei abgelehnt und er abgeschoben
worden war. Hätte Mehmet Turgut den rassistischen Mordanschlag überlebt, wäre er vermutlich abgeschoben
worden – wie im Übrigen auch sein Bruder Yunus Turgut, der nach seiner Zeugenvernehmung durch die Polizei
im Mordfall an seinem Bruder direkt in die Türkei abgeschoben wurde.
In den Schlussfolgerungen aller Fraktionen zum NSU-Untersuchungsausschuss aus der 17. Wahlperiode des
Deutschen Bundestages heißt es unter der Überschrift „Eindruck staatlicher Gleichgültigkeit verstärkt Radika-
lisierung“: „Die frühen 1990er Jahre waren geprägt durch eine Welle rassistischer und neonazistischer Gewalt-
taten, insbesondere gegen Flüchtlinge und Migranten. Diese rassistisch motivierte Gewalt wurde in den neuen
Bundesländern vielfach im öffentlichen Raum, vor den Augen zahlreicher – oftmals sympathisierender – An-
wohner verübt, ohne dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden wirksam auf Seiten der Opfer
eingriffen und effektiv und erkennbar gegen die Täterinnen und Täter vorgingen. Potenzielle Nachahmer und
Sympathisanten der extremen Rechten konnten sich dadurch ermutigt und bestätigt fühlen“ (Bundestagsdruck-
sache 17/14600, S. 844). Ein unbedingtes Bleiberecht für die Opfer rassistischer Gewalt wirkt diesem „Ein-
druck staatlicher Gleichgültigkeit“ wirksam entgegen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2492
Die vorgeschlagene Regelung ist zugleich ein positives Signal, dass sich die Gesellschaft dem Anliegen der
rechten Täterinnen und Täter entgegenstellt, die Menschen ausländischer Staatsangehörigkeit durch Gewaltan-
wendung einschüchtern und aus dem Land vertreiben wollen. Der deutsche Staat stellt sich damit solidarisch
schützend und helfend vor Migrantinnen und Migranten, die Opfer rechter Gewalt oder massiv bedroht wurden.
Den Täterinnen und Tätern wird vor Augen geführt, dass nicht nur ihre Taten geächtet werden, sondern dass
sich ihre Zielsetzung durch ein sicheres Bleiberecht für die Opfer ins Gegenteil verkehrt. Sie können sich nicht
als Vollstrecker eines vermeintlichen gesellschaftlichen Mehrheitswillens zur Abschiebung von Menschen mit
ungesichertem Aufenthaltsrecht fühlen.
Den Betroffenen wird nach ihrer traumatischen Gewalterfahrung Sicherheit und Schutz angeboten und signa-
lisiert, dass sie nicht allein gelassen werden. Dies ist ein Signal der Solidarität, aber auch eine Form der „Ent-
schädigung“ für einen mangelnden effektiven Schutz vor rassistischer Gewalt und für die gesellschaftlichen,
politischen und staatlichen Versäumnisse in Bezug auf die Bekämpfung von Rassismus und rechter Gewalt in
der Bundesrepublik Deutschland. Das Bleiberecht ermöglicht den Opfern ein Leben in Würde und Gleichbe-
rechtigung mit einer gesicherten Zukunftsperspektive in Deutschland.
Die aufenthaltsrechtliche Sicherheit ist zugleich eine wichtige Bedingung für das Gelingen einer psychothera-
peutischen Behandlung der oftmals schwer traumatisierten Opfer rechter Gewalt. Droht den Betroffenen eine
Abschiebung, ist eine erfolgreiche Traumatherapie und psychische Stabilisierung nicht möglich. Soziale Isola-
tion, Angst- und Panikzustände, Depressionen und schwere psychosomatische Beschwerden sind häufige und
in der Regel behandlungsbedürftige Begleiterscheinungen rassistischer Übergriffe.
Ein sicheres Aufenthaltsrecht muss auch deshalb erteilt werden, damit die Opfer, wenn sie dies wollen, den
Wohnort wechseln können, um nicht mehr Gefahr zu laufen, den Tätern erneut auf der Straße oder in Wohnort-
nähe zu begegnen. Diesbezüglich ist eine enge und beschleunigte Zusammenarbeit der Ausländerbehörde mit
anderen zuständigen Behörden erforderlich, insbesondere mit den beteiligten Sozialhilfeträgern, um gegebe-
nenfalls einen schnellen Umzug zu ermöglichen. Geduldeten und Asylsuchenden ist ein Wohnortwechsel schon
wegen der erheblichen Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit (Residenzpflicht) nicht oder nur nach länge-
rem Verfahren im Rahmen des behördlichen Ermessens möglich. Erfolgte der Übergriff in örtlicher Nähe oder
direkt in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende oder Geduldete, ist der weitere verpflichtende Ver-
bleib in dieser Einrichtung unzumutbar.
Das vorliegende Gesetz beschränkt sich auf die Schaffung eines Bleiberechts für Opfer rechter Gewalt. Allge-
mein sind im Aufenthaltsrecht umfassende weitere Lockerungen erforderlich, insbesondere im humanitären
Bereich und besonders dringlich zum Beispiel hinsichtlich eines uneingeschränkten Aufenthaltsrechts für die
ausländischen Opfer des Menschenhandels.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Aufenthaltsgesetzes)

Zu Nummer 1 (§ 5)
Die Erteilung eines Aufenthaltsrechts für Opfer rechter Gewalt soll unabhängig von den allgemeinen Ertei-
lungsvoraussetzungen erfolgen, insbesondere werden keine Nachweise der eigenständigen Lebensunterhalts-
sicherung und kein gesicherter Identitätsnachweis verlangt, weil dies dem politischen und humanitären Anlie-
gen des Gesetzes widersprechen würde.

Zu Nummer 2 (§ 25)
Die Regelung sieht vor, dass ausländischen Personen, die während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet Opfer
einer rassistischen oder vorurteilsmotivierten Gewalttat oder von entsprechend motivierten Gewaltandrohun-
gen oder Nachstellungen geworden sind, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll.
Wann eine Gewalttat vorliegt, lässt sich durch analoge Anwendung vergleichbarer Vorschriften, etwa im Ge-
setz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz – GewSchG) be-
stimmen. Das GewSchG definiert in § 1, dass es um die widerrechtliche und vorsätzliche Verletzung des Kör-
pers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen Person geht. Entsprechendes gilt bei widerrechtlichen
Drohungen mit solchen Verletzungen oder einem widerrechtlichen und vorsätzlichen Eindringen in die Woh-

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nung oder das befriedete Besitztum einer anderen Person, auch bei unzumutbaren Belästigungen und Nachstel-
lungen oder Verfolgungen durch Fernkommunikationsmittel. Gewaltandrohungen und Nachstellungen können
auf Opfer gleichermaßen bedrohlich, einschüchternd und traumatisierend wirken. Solche vermeintlich nied-
rigschwelligeren Formen der Bedrohung und Einschüchterung kommen unter anderem deswegen nicht selten
vor, weil rassistische oder vorurteilsmotivierte Täterinnen und Täter sie wählen, um einer Bestrafung wegen
einer Gewalttat zu entgehen.
Eine rassistische oder auf Vorurteilen basierte Motivation liegt vor, wenn sich die Tat gegen eine Person allein
oder vorwiegend wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Her-
kunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder
ihres gesellschaftlichen Status richtet. Zur Feststellung einer rassistischen oder vorurteilsmotivierten Gewalttat
genügen in diesem Zusammenhang nachvollziehbare Angaben der Opfer, wobei deren Ängste und subjektive
Wahrnehmungen angemessen zu berücksichtigen sind und im Zweifelsfall für die Annahme einer entsprechen-
den Tatmotivation zu entscheiden ist. Wird eine vom Opfer dargelegte rassistische oder vorurteilsmotivierte
Tatmotivation aufgrund darzulegender, erheblicher Zweifel bestritten, sind vor einer ablehnenden Entschei-
dung ergänzende Einschätzungen unabhängiger Opferberatungsstellen oder vergleichbarer Einrichtungen ein-
zuholen und bei der Entscheidung maßgeblich zu berücksichtigen.
Erforderlich ist nicht, dass eine gerichtliche Verurteilung des Täters vorliegt, die eine solche Motivation als
bewiesen annimmt. Ebenso wenig ist erforderlich, dass Ermittlungsbehörden oder die Staatsanwaltschaft von
einer solchen Motivation ausgehen. Beweisschwierigkeiten oder unzureichende Ermittlungen sollen der Auf-
enthaltserteilung an Opfer rechter Gewalt nicht entgegenstehen – auch und gerade vor dem Hintergrund der
durch den NSU-Untersuchungsausschuss zu Tage geförderten völlig unzureichenden bzw. vielmehr sogar ih-
rerseits vorurteilsbeladenen Ermittlungen gegenüber Angehörigen der Opfer des NSU-Terrors. Immer wieder
kommt es vor, dass die rassistischen Motive von Überfällen durch die Polizei und/oder Staatsanwaltschaften
nicht angemessen berücksichtigt oder im Laufe der Ermittlungen sogar unterdrückt werden, etwa um den „Ruf“
einer auf Tourismus setzenden Stadt nicht zu schädigen (vgl. jüngst: FAZ vom 18. Juni 2014: „Die Idylle sollte
keine Kratzer bekommen“). Umgekehrt ist bei einer Entscheidung über das Aufenthaltsrecht nach § 25 Absatz
4c AufenthG von einer rassistischen oder vorurteilsmotivierten Motivlage auszugehen, wenn Gerichte, Staats-
anwaltschaften oder die Polizei hiervon ausgehen oder entsprechende Hinweise, z. B. von Beratungsstellen
oder in den Medien, vorliegen.
Durch die Ergänzung rassistischer um vorurteilsmotivierte Gewalttaten soll sichergestellt werden, dass Be-
troffene auch dann ein Aufenthaltsrecht beanspruchen können, wenn nicht rassistische Motive, sondern Vor-
urteile in Bezug auf ihre politische Einstellung, Religion oder Weltanschauung oder aufgrund ihres äußeren
Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status eine
maßgebliche oder nach Ansicht der Ermittlungsbehörden oder Gerichte ausschlaggebende Rolle für die Tat
spielten. Denn die ausländische Herkunft, Nationalität oder Hautfarbe des Opfers werden für rechte Täterinnen
und Täter auch dann – bewusst oder unbewusst – eine wichtige Rolle gespielt haben, wenn vordergründig
andere Motive ausschlaggebend gewesen sein mochten. Ob beispielsweise eine ausländische obdachlose Per-
son aus rassistischen oder anderen vorurteilsmotivierten Gründen angegriffen wurde, ist mitunter schwer zu
ermitteln und soll für die Erteilung eines Bleiberechts für die Opfer solch menschenfeindlicher Gewalttaten
nicht ausschlaggebend sein.
Das gesetzgeberisch angestrebte starke Signal eines unbedingten Bleiberechts für Opfer rechter Gewalt soll
nicht durch aufenthaltsrechtliche oder ordnungspolitische Überlegungen relativiert werden. Von den Versa-
gungsgründen des § 11 Absatz 1 wird deshalb – wie bei anderen Regelungen im humanitären Aufenthaltsrecht
auch – abgesehen.

Zu Nummer 3 (§ 26)
Hiermit wird geregelt, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4c für drei Jahre erteilt und danach
ohne weitere Bedingungen als Niederlassungserlaubnis verlängert wird. Dies soll den Betroffenen eine aufent-
haltsrechtliche Sicherheit bieten und entspricht dem gesetzgeberischen Ziel eines starken Signals und unbe-
dingten Bleiberechts für Opfer rechter Gewalt.

Zu Nummer 4 (§ 59)
Die Regelung dient der Klarstellung und soll sicherstellen, dass Opfer rechter Gewalt mit einen Regelanspruch
auf Aufenthaltserteilung nach § 25 Absatz 4c diesen Anspruch auch wahrnehmen können und nicht abgescho-

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ben werden. Ausländerbehörden müssen für diese Fallkonstellationen entsprechend sensibilisiert und weiter-
gebildet werden. Die Betroffenen sind in jedem Fall auch auf unabhängige Opferberatungsstellen oder andere
geeignete, unabhängige Beratungsstellen hinzuweisen, weil im Einzelfall aus unterschiedlichen Gründen – bei-
spielsweise aufgrund negativer Erfahrungen im Herkunftsland oder in der Bundesrepublik Deutschland – Vor-
behalte gegenüber den Auskünften oder Zweifel an der Unabhängigkeit staatlicher Stellen bestehen können.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung und damit schnellstmöglich in Kraft.

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