BT-Drucksache 18/2465

Erreichbarkeit der deutschen Auslandsvertretungen für syrische Flüchtlinge und ihre Angehörigen

Vom 2. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2465
18. Wahlperiode 02.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Inge Höger, Andrej Hunko, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Erreichbarkeit der deutschen Auslandsvertretungen für syrische Flüchtlinge
und ihre Angehörigen

In der Ausgabe 34/2014 vom 18. August 2014 berichtet „DER SPIEGEL“
(„Schleppende Hilfe“, S. 21) vom Fall einer ezidischen Familie, die im Januar
2014 bereits eine Zusage für die Aufnahme bei Verwandten durch das Land
Nordrhein-Westfalen (Ausländerbehörde Bielefeld) erhalten hatten. Wie alle
anderen Bundesländer (mit Ausnahme Bayerns) hatte das Land Nordrhein-
Westfalen im vergangenen Herbst eine Aufnahmeanordnung erlassen, mit der
Verwandten ersten und zweiten Grades die Einreise zu Angehörigen nach
Deutschland ermöglicht wurde, wenn diese die Kosten des Aufenthalts überneh-
men. Die Familie musste im Laufe dieses Jahres aus dem Nordosten Syriens in
den Norden des Iraks fliehen und fand dort vorübergehend Aufnahme. Das Ge-
neralkonsulat in Erbil im Norden des Iraks lehnte es aber trotz der erteilten Auf-
nahmezusage ab, ein Visum zu erteilen, da ein Teil der Familie nicht über die
notwendigen Pässe verfügte. In einem solchen Fall kann eine deutsche Aus-
landsvertretung einen „Reiseausweis für Ausländer“ als Passersatz ausstellen,
wenn die Identität anders glaubhaft gemacht wird. Dieser Prozess hat sich im
konkreten Fall bis August dieses Jahres hingezogen, während die Familie im
Nordirak wiederholt vor den anrückenden Kämpfern der Organisation ISIS
(Islamischer Staat im Irak und in Syrien)/ISIG (Islamischer Staat im Irak und in
Großsyrien) bzw. „Islamischer Staat“ (IS) fliehen musste. Der lange behördliche
Verlauf der Ausstellung eines Reiseausweises hätte also mit beachtlicher Wahr-
scheinlichkeit dazu führen können, dass eine eigentlich schon gerettete Familie
durch IS-Milizen massakriert worden wäre. In einer Stellungnahme gegenüber
dem Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ gab das Auswärtige Amt an, erst
jetzt hätte das „Problem im Informationsfluss“ geklärt werden können, das die
Ausstellung der Ausweise verzögert habe. Einer gleichlautenden Mitteilung des
Auswärtigen Amts an die Fragestellerin und einen Unterstützer der Familie ist
kein Wort des Bedauerns zu entnehmen, weder für die akute Lebensgefahr, in
der die Familie sich befunden hat, noch für die immensen Kosten, die sich für
die Betroffenen aus der verzögerten Ausstellung der Reisedokumente ergaben
(Bestechungsgelder für die Reisen im Irak, Flugkosten usw.).
Aufgrund von Aussagen engagierter Anwälte gehen die Fragesteller davon aus,
dass dies kein Einzelfall sein dürfte. Wahrscheinlich gibt es weitere Fälle, in
denen Personen mit einer Aufnahmezusage eines Bundeslandes zunächst vor
den IS-Milizen aus Syrien in den Norden des Iraks und nach dem 10. Juni 2014
innerhalb des Iraks weiter in den äußersten Norden oder in den Nordosten Syriens
fliehen mussten. Die humanitäre Lage vor Ort ist katastrophal, die humanitäre
Hilfe auch der Bundesregierung konzentriert sich auf Erbil, während den äußers-

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ten Norden des Iraks und den Nordosten Syriens um die Stadt Al-Quamishli
kaum Hilfe erreicht.
Daneben gibt es eine Reihe von Fällen, in denen in Deutschland anerkannte
syrische Flüchtlinge oder Asylberechtigte versuchen, ihre Ehepartner und
Kinder im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland zu holen. Auch in
diesem Personenkreis gibt es eine große Gruppe, die aus Syrien bereits in den
Norden des Iraks geflohen ist, für die also einzig das Generalkonsulat in Erbil
erreichbar ist. Dieses erklärte sich aber nach Angaben von Anwälten regelmäßig
für nicht zuständig; die Antragsteller werden an die Botschaften in Istanbul
(Türkei) oder Amman (Jordanien) verwiesen. Diese Städte sind aber vom Nord-
irak aus nicht (mehr) erreichbar – entweder müssen IS-Gebiete passiert werden
(Richtung Jordanien) oder ein Transit ist aufgrund faktisch abgeriegelter Gren-
zen nicht möglich (Türkei). Zudem sind solche Reisen oft mit hohen Kosten für
Transportmittel, Schmuggler und Bestechungsgelder verbunden. Die Betroffe-
nen verfügen aber nach langer Flucht über diese notwendigen Ressourcen nicht
mehr.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung generell zu der beschriebenen

Problematik, dass Personen mit einer durch ein Bundesland erteilten Aufnah-
mezusage im Anschluss kein Visum erhalten haben oder es Probleme bei der
Visumerteilung gibt oder sie trotz Visum noch nicht in die Bundesrepublik
Deutschland einreisen konnten (bitte ausführen)?

2. Hat es in den vergangenen Wochen Änderungen in der Praxis des General-
konsulats in Erbil in Bezug auf die Verfahren und Zuständigkeiten für die
Visumerteilung gegeben, wann ist diese Änderung erfolgt, und was waren die
ausschlaggebenden Gründe für diese Änderungen?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung im Einzelnen zu Personen mit
einer Aufnahmezusage,
a) die bei einer Auslandsvertretung einen Visumantrag gestellt haben, aber

nicht über die notwendigen Pass- bzw. Reisepapiere verfügten (bitte nach
Auslandsvertretungen auflisten),

b) für die im weiteren Verfahren ein „Reiseausweis für Ausländer“ (oder
Staatenlose) als Passersatz ausgestellt werden konnte (bitte nach Auslands-
vertretungen auflisten; bitte auch angeben, wie viele „Reiseausweise für
Ausländer“ oder für Staatenlose insgesamt im vergangenen und in diesem
Jahr durch deutsche Auslandsvertretungen insgesamt ausgestellt wurden),

c) die bisher bei keiner Auslandsvertretung vorstellig geworden sind, um ein
Visumverfahren aufzunehmen, und was sind nach Ansicht der Bundes-
regierung die Gründe dafür?

4. Wie ist das behördeninterne Verfahren für die Ausstellung eines „Reiseaus-
weises für Ausländer“ in diesen Konstellationen geregelt, welche Behörden
sind für welche Verfahrensschritte zuständig, und welche Angaben kann die
Bundesregierung zur jeweiligen Dauer (Schätzwerte) der einzelnen Verfah-
rensschritte machen?

5. Welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Identität gelten für die
Ausstellung eines Passersatzpapieres durch eine deutsche Auslandsvertre-
tung?

6. Über welche Ermessensspielräume verfügen die zuständigen Behörden bei
der Ausstellung eines Passersatzpapieres in den Fällen, in denen Menschen
auf der Flucht nicht nur ihren Pass nicht mitnehmen, sondern auch keiner an-
deren Personenstandsurkunden habhaft werden konnten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2465
Wie ist der Umgang mit jener Gruppe von Menschen in bzw. aus Syrien, die
staatenlos sind und für die staatlicherseits nie Personenstandsurkunden aus-
gestellt wurden?

7. Schließt sich die Bundesregierung der Schlussfolgerung an, dass bei humani-
tären Aufnahmeprogrammen generell auf die Anforderung verzichtet werden
sollte, Passpapiere vorlegen zu müssen, auch vor dem Hintergrund, dass be-
sonders schutzbedürftige Gruppen (Staatenlose) anderenfalls strukturell von
einer Aufnahme ausgeschlossen würden?

8. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus Berichten, die den Initianten vorliegen, dass Schlepper an der irakisch-
türkischen Grenze den Flüchtlingen ihre Papiere abnehmen und diese deshalb
in vielen Fällen über keine Möglichkeit mehr verfügen, ihre Identität zwei-
felsfrei nachzuweisen?

9. Wie viele syrische Staatsangehörige und Personen mit gewöhnlichem oder
vormaligem Aufenthalt in Syrien haben in den vergangenen Jahren seit dem
Jahr 2011 (bitte auflisten) in deutschen Auslandsvertretungen (bitte differen-
zieren) einen Antrag auf Familiennachzug zu ihren Angehörigen in der Bun-
desrepublik Deutschland gestellt (bitte jeweils differenzieren: Nachzug von
Ehegatten, minderjährigen Kindern, sonstigen Familienangehörigen)?
a) In wie vielen Fällen wurde der Familiennachzug erlaubt (bitte nach Jah-

ren, Art des Nachzugs und Auslandsvertretungen auflisten)?
b) In wie vielen Fällen wurde der Familiennachzug abgelehnt (bitte nach Jah-

ren, Art des Nachzugs und Grund der Ablehnung und Auslandsvertretun-
gen auflisten)?

c) In wie vielen Fällen sollte der Familiennachzug zu Personen stattfinden,
die in Deutschland als Flüchtlinge oder Asylberechtigte anerkannt wur-
den, in wie vielen dieser Fälle wurde der Antrag innerhalb von drei Mona-
ten nach der unanfechtbaren Flüchtlingsanerkennung gestellt, und was
lässt sich zur Bearbeitungsdauer der Visumanträge und zum Ausgang der
Verfahren in diesen Konstellationen Genaueres sagen (bitte so differen-
ziert wie möglich ausführen)?

d) In wie vielen Fällen wurde ein Familiennachzug zu Personen beantragt, die
aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen in Deutsch-
land aufgenommen wurden (§ 22 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG),
die im Rahmen der humanitären Aufnahmeprogramme aufgenommen
wurden (§ 23 Absatz 2 AufenthG), die eine Aufenthaltserlaubnis nach
§ 23 Absatz 1 AufenthG besitzen, etwa infolge der Ländererlasse zum er-
weiterten Familiennachzug oder auch z. B. infolge einer Bleiberechtsrege-
lung, die eine Aufenthaltserlaubnis als EU-rechtlich subsidiär Geschützte
besitzen (§ 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative AufenthG) oder die eine
Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines nationalen Abschiebeverbots besitzen
(§ 25 Absatz 3 AufenthG), und wie wurden diese Anträge entschieden,
bzw. welche rechtlichen Vorgaben und konkretisierende Weisungsvorga-
ben bestehen jeweils diesbezüglich (bitte so differenziert wie möglich dar-
stellen)?

e) Wer entscheidet in den unter Frage 9d genannten Fällen, in denen der
Familiennachzug „nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen
oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland
erteilt werden“ darf (§ 29 Absatz 3 Satz 1 AufenthG), in letzter Instanz
über die Erteilung eines Visums, was ist der Bundesregierung dazu über
die Praxis der Ausländerbehörden der Länder bezüglich der Vorabzustim-
mung zur Erteilung eines Visums bekannt, und welche Weisungslage exis-
tiert dazu im Auswärtigen Amt?

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f) In wie vielen Fällen wurde ein Familiennachzug zu einer Person mit
einer in § 29 Absatz 3 Satz 3 AufenthG genannten Aufenthaltserlaubnis
beantragt, die dem Gesetzeswortlaut nach abzulehnen sind, und wie
wurde mit diesen Anträgen umgegangen?

10. Wie viele syrische Staatsangehörige und Personen mit gewöhnlichem oder
vormaligem Aufenthalt in Syrien haben in den Jahren 2011 bis heute (bitte
nach Jahren differenzieren) einen Visumantrag gestellt, und wie viele Visa
wurden zu welchem Zweck jeweils erteilt bzw. abgelehnt (bitte jeweils nach
Auslandsvertretungen und Zwecken bzw. Rechtsgrundlagen differenziert
angeben)?

11. Wie ist in diesem Jahr die Praxis des Generalkonsulats in Erbil bei der Be-
arbeitung von Visaanträgen im Rahmen des Familiennachzugs gewesen?

12. Hält das Auswärtige Amt weiter an der Praxis fest, Visaantragsteller beim
Familiennachzug von Erbil an die Botschaften in Istanbul oder Amman zu
verweisen, auch wenn diese auf dem Landweg faktisch nicht bzw. nur
unzumutbar erreichbar sind?

13. Gibt es Fälle, in denen Personen über das Generalkonsulat in Erbil aus drin-
genden humanitären Gründen nach § 22 AufenthG (Aufnahme aus dem
Ausland) eine Einreise- und Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde (bitte aus-
führen)?

14. Wie viele Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien wurden seit dem Jahr
2011 gestellt, über wie viele Asylanträge wurde inhaltlich entschieden, und
wie vielen Antragstellern wurde Asyl, Flüchtlingsschutz oder eine andere
Formen von Schutz gewährt (bitte jeweils nach Jahren, Schutzstatus und
ethnischer und Religionszugehörigkeit auflisten)?

15. In wie vielen Fällen wurde in diesem Zeitraum durch das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Flüchtlingseigenschaft wegen der
Ausschlussgründe in § 3 Absatz 2 des Asylverfahrensgesetzes abgelehnt?

16. Wie viele syrische Staatsangehörige leben derzeit in Deutschland (bitte
nach Aufenthaltstitel und Rechtsgrundlage sowie Bundesländern auflisten
und jeweils angeben, wie viele vor oder nach dem Jahr 2011 eingereist
sind)?

17. Welche Weisungslage existiert im BAMF in Bezug auf Eziden aus dem
Irak, insbesondere mit Blick darauf, dass Gerichte in mehreren Fällen von
Asyl(Folge-)Anträgen die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch
das BAMF angeordnet haben?
Ist geplant, die Weisungslage den aktuellen Entwicklungen anzupassen?

18. Welche Weisungslage existiert in Bezug auf Asylwiderrufsprüfverfahren im
Falle irakischer Flüchtlinge und Asylberechtigter, und ist hier nach Ansicht
der Bundesregierung eine Überarbeitung angezeigt?

Berlin, den 1. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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