BT-Drucksache 18/2328

Konsequenzen aus dem Dogan-Urteil des Europäischen Gerichtshofs

Vom 8. August 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2328
18. Wahlperiode 08.08.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE.

Konsequenzen aus dem Dogan-Urteil des Europäischen Gerichtshofs

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 10. Juli 2014 in der Rechtssache
Dogan (C-138/13) entschieden, dass die seit dem Jahr 2007 geltende Regelung
der Sprachnachweise im Ausland als Bedingung des Ehegattennachzugs eine
verbotene Verschlechterung nach dem EWG-Türkei-Assoziationsrecht darstellt.
Der EuGH betonte in diesem Urteil, dass „die Familienzusammenführung ein
unerlässliches Mittel zur Ermöglichung des Familienlebens türkischer Erwerbs-
tätiger ist, die dem Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten angehören, und sowohl zur
Verbesserung der Qualität ihres Aufenthalts als auch zu ihrer Integration in
diesen Staat beiträgt“ (Rn. 34). Negativ wirke sich hingegen aus, „wenn die
Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die Familienzusammenführung er-
schweren oder unmöglich machen und sich der türkische Staatsangehörige
deshalb unter Umständen zu einer Entscheidung zwischen seiner Tätigkeit in
dem betreffenden Mitgliedstaat und seinem Familienleben in der Türkei ge-
zwungen sehen kann“ (Rn. 35).
Auf diese Rechtsfolge aus dem Assoziationsrecht hat die Fraktion DIE LINKE.
die Bundesregierung seit Jahren – vergeblich – hingewiesen (vgl. nur die An-
träge auf den Bundestagsdrucksachen 17/1577 vom 4. Mai 2010 und 17/8610
vom 8. Februar 2012 sowie die von der Bundesregierung in ihrer Vorbemerkung
auf Bundestagsdrucksache 17/9719 beispielhaft benannten zwölf Kleinen An-
fragen der Fraktion DIE LINKE. zum Assoziationsrecht und die Große Anfrage
zur Umsetzung der Verschlechterungsverbote auf Bundestagsdrucksache 17/
12071). Im Mai 2011 hatte die Bundesregierung in ihrer Vorbemerkung auf
Bundestagsdrucksache 17/5884 erklärt, sie wolle zur Auslegung des assozia-
tionsrechtlichen Verschlechterungsverbots nicht „in einen juristischen Fachdis-
put eintreten“ – in der Folge wurden die Rechte der Betroffenen über Jahre hin-
weg in Tausenden Fällen verletzt und es wurde unzulässig in ihr Recht auf
Familienzusammenleben eingegriffen.
Nach ersten Meldungen ist fraglich, ob die Bundesregierung das Dogan-Urteil
wirksam umsetzen wird. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesmi-
nister des Innern Dr. Günter Krings erklärte in einer Mitteilung vom 10. Juli
2014, das Urteil werde „zur Kenntnis“ genommen. Im Übrigen fühle man sich
in der Rechtsauffassung zur Vereinbarkeit der Sprachnachweise mit EU-Recht
„bestätigt“ – was überrascht, da in dem Urteil diese Frage gar nicht geprüft
wurde und der EuGH-Generalanwalt Paolo Mengozzi in seinem Gutachten vom
30. April 2014 in selbiger Rechtssache vielmehr auch einen Verstoß gegen die
EU-Familienzusammenführungsrichtlinie festgestellt hatte. Nach einer Mel-
dung des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ vom 14. Juli 2014 plant das

Drucksache 18/2328 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bundesministerium des Innern (BMI) nach Aussagen des Parlamentarischen
Staatssekretärs Dr. Günter Krings, das Dogan-Urteil in der Weise umzusetzen,
dass von Sprachnachweisen im Ausland beim Nachzug zu türkischen Staatsan-
gehörigen „nur zugunsten eng definierter Härtefälle“ abgesehen werden soll.
Nicht jeder Analphabet sei aber ein Härtefall. Dies wäre nach Ansicht der Fra-
gesteller eine Nichtumsetzung des Urteils, dessen Leitsatz unzweideutig die
Einführung von Sprachnachweisen als Bedingung des Ehegattennachzugs als
einen Verstoß gegen die Stillhalteklausel verbietet und auch keine Öffnungs-
klausel für etwaige Abweichungen enthält. Eine unzureichende Umsetzung des
Urteils wäre auch vor dem Hintergrund untragbar, dass der EuGH bereits in
Dutzenden Fällen die Einhaltung des Assoziationsrechts anmahnen musste und
dabei das Vorbringen der Bundesregierung für eine restriktive Auslegung des
Assoziationsrechts nahezu regelmäßig immer wieder erneut zurückgewiesen
wurde, z. B. in den wichtigen Urteilen in den Rechtssachen Dogan, Dülger,
Dereci, Toprak, Soysal, Abatay, Birden, C-92/07 und Demirel.
Anders als der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern
nannte die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration Aydan Özoguz das EuGH-Urteil in einer Presse-
erklärung vom 10. Juli 2014 „eine gute Nachricht“ für die Betroffenen. Die Auf-
fassung des Gerichts sei angesichts der gleichlautenden Praxis und Rechts-
anwendung in den Niederlanden und in Österreich auch keine Überraschung,
möglicherweise würden Regelungen für andere Herkunftsländer als die Türkei
ebenfalls noch gekippt. Für die Integration der Einwanderer „wird der Wegfall
des Zwangstests keine negative Auswirkung haben“, erklärte die Staatsministe-
rin. Der Spracherwerb in den Integrationskursen werde weiter gefördert, die
deutsche Sprache könne vor oder nach der Einreise erworben werden.
Zwar hat der EuGH die Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit der EU-
Familienzusammenführungs-Richtlinie noch nicht geprüft, aber vieles spricht
dafür, dass auch diesbezüglich das deutsche Recht gegen EU-Vorgaben verstößt,
da sowohl die Europäische Kommission (vgl. Bundestagsdrucksache 18/937)
als auch der EuGH-Generalanwalt (s. o.) von einer unverhältnismäßigen Be-
schränkung des Rechts auf Familienzusammenleben ausgehen. Ohnehin stellt
sich mehr denn je die Frage der Gleichbehandlung: Beim Nachzug zu hier leben-
den Unionsangehörigen sowie zu Staatsangehörigen der Länder USA, Kanada,
Australien, Israel, Republik Korea, Japan und Neuseeland wird bisher schon von
Sprachnachweisen abgesehen, nun auch beim Nachzug zu türkischen Staats-
angehörigen. Demgegenüber werden z. B. deutsche Staatsangehörige benach-
teiligt („Inländerdiskriminierung“), deren drittstaatsangehörige Ehegatten wei-
terhin Deutschkenntnisse vor einer Einreise nachweisen müssen.
Die Erklärung des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl (CSU) in Reaktion auf das
Urteil des EuGH, „Deutschland müsse alles tun, um den Nachzug etwa von An-
alphabeten zu verhindern“ (Deutschlandfunk, 10. Juli 2014), macht deutlich,
dass das Ziel einer angeblichen Bekämpfung von Zwangsverheiratungen ohne-
hin nur vorgeschoben ist; tatsächlich geht es um eine „nicht zu akzeptierende“
„soziale Selektion“, wie es der Deutsche Gewerkschaftsbund im Gesetz-
gebungsverfahren formulierte (vgl. Ausschussdrucksache 16(4)209, S. 20). Die
Regelung belastet vor allem Menschen mit geringerem Bildungsstand (beson-
ders Analphabeten), geringem Einkommen, einer ländlichen Herkunft, aber
auch ältere, lernschwächere Menschen.
Dies wird auch von der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
herausgegebenen „BAMF-Heiratsstudie 2013“ (Forschungsbericht 22) bestä-
tigt. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass es einen empirisch erwiesenen
„Zusammenhang zwischen formaler Bildung und erfolgreichem Zweitsprachen-
erwerb“ gibt (S. 142). Eine geringe oder fehlende Bildungserfahrung könne den
Zweitsprachenerwerb „erheblich behindern“, auch die linguistische Nähe

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2328
zweier Sprachen spiele eine wichtige Rolle (S. 143, 165). Ein weiterer erschwe-
render Faktor sei „die mangelnde Verfügbarkeit entsprechender Sprachkurs-
angebote“ (S. 158). Ein Drittel der Betroffenen habe den Spracherwerb im Aus-
land als „starke oder sehr starke Belastung“ empfunden, weitere 25 Prozent
fanden dies teilweise belastend (S. 157). Bei den Bildungsbenachteiligten und
Personen ohne verfügbaren Sprachkurs sei die Belastung durch den Sprach-
erwerb signifikant höher (S. 159). „Die eigentlichen die Sprachkenntnis beein-
flussenden Variablen sind … soziodemographischer, bildungsbiographischer
oder sprachverwandtschaftlicher Natur“ (S. 166), heißt es in der Studie – nach
Ansicht der Bundesregierung hingegen soll sich in dem „erfolgreichen Nach-
weis einfacher Deutschkenntnisse“ angeblich die „Integrationsbereitschaft“ der
Ehegatten widerspiegeln können (Bundestagsdrucksache 16/10732, Frage 17).
Die Studie ergab zudem, dass bei der Frage, wie viele Betroffene den Integra-
tionskurs in Deutschland auf dem Niveau B1 abschließen, „kein signifikanter
Unterschied“ feststellbar war zwischen solchen Ehegatten, die bereits im Aus-
land den Nachweis einfacher Deutschkenntnisse erbringen mussten, und sol-
chen, bei denen dies nicht der Fall war (S. 166) – dieser Befund stellt die Ver-
hältnismäßigkeit, Geeignetheit und Erforderlichkeit der umstrittenen Regelung
sehr infrage.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung bislang aus dem Dogan-

Urteil des EuGH gezogen bzw. beabsichtigt sie zu ziehen, und welche
Stelle(n) bzw. welches Bundesministerium wird in welchem Zeitraum für
eine zeitnahe Umsetzung des Urteils in welcher Form und in welchem Um-
fang sorgen (bitte so ausführlich und detailliert wie möglich darlegen)?

2. Welche unterschiedlichen Interpretationen, Bewertungen und Schlussfolge-
rungen gibt es in Bezug auf die Umsetzung des Dogan-Urteils insbesondere
zwischen dem Innen-, Justizministerium, Auswärtigem Amt der Integrations-
beauftragten und dem Bundeskanzleramt (bitte differenziert darlegen), nach
welchen Regeln werden eventuelle Unstimmigkeiten entschieden, und wie
wird ungeachtet eventueller Unstimmigkeiten eine unmittelbare Umsetzung
und Beachtung des Dogan-Urteils in der Praxis gewährleistet?

3. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass für eine unmittelbare
Umsetzung des Dogan-Urteils das für die Visumerteilung zuständige Aus-
wärtige Amt federführend verantwortlich ist, und wenn nein, wie ist dies
damit vereinbar, dass beispielsweise auch die Grundsatzentscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2012 zu Sprachanforde-
rungen beim Familiennachzug zu deutschen Staatsangehörigen durch das
Auswärtige Amt mit Weisung vom 6. Dezember 2012 umgesetzt wurde (vgl.
Bundestagsdrucksache 18/937)?

4. In wie vielen Fällen haben sich bereits Betroffene in den türkischen Visastel-
len oder gegenüber anderen Behörden auf das Dogan-Urteil berufen und auf
einen Nachzug ohne Sprachnachweise gedrängt, und wie wurde bzw. wird
mit diesen Fällen derzeit umgegangen (bitte darlegen)?

5. Wie begründet der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings seine
in der Pressemitteilung vom 10. Juli 2014 geäußerte Auffassung: „Grund-
sätzlich ist der Sprachnachweis für drittstaatsangehörige Ehegatten aber auch
nach dem Urteil des EuGH weiterhin mit dem Recht der EU vereinbar. Wir
sehen uns insoweit in unserer Ansicht bestätigt, dass der Sprachnachweis vor
Einreise mit fundamentalen Rechten – wie etwa dem Recht auf familiäres Zu-
sammenleben – vereinbar ist“, obwohl sich der EuGH mit dieser Frage aus-
drücklich nicht auseinandergesetzt hat bzw. nicht auseinandersetzen musste,
weil der Einzelfall bereits auf der Grundlage des EWG-Türkei-Assoziations-

Drucksache 18/2328 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
rechts und der zuerst gestellten Auslegungsfrage gelöst werden konnte (vgl.
Rn. 40 des Dogan-Urteils bitte ausführen)?
a) Ist die Aussage in dem Dogan-Urteil, wonach „die Familienzusammen-

führung ein unerlässliches Mittel zur Ermöglichung des Familienlebens
türkischer Erwerbstätiger ist … und sowohl zur Verbesserung der Qualität
ihres Aufenthalts als auch zu ihrer Integration in diesen Staat beiträgt“
(Rn. 34), nicht eher ein Indiz dafür, dass der EuGH – wie auch der Gene-
ralanwalt Paolo Mengozzi (vgl. dessen Stellungnahme vom 30. April
2014) – der Auffassung sein wird, dass die deutsche Regelung der Sprach-
nachweise im Ausland, die zu einer monate- bis jahrelangen Trennung von
Ehegatten führen kann, gegen EU-Recht verstößt (bitte ausführen)?

b) Wie ist die Aussage in der oben genannten Pressemitteilung des Parlamen-
tarischen Staatssekretärs Dr. Günter Krings zu verstehen, der EuGH lege
„den Anwendungsbereich“ der Verträge zwischen der EU und der Türkei
„sehr weit aus“, „aus Sicht des BMI waren diese dazu gedacht, bereits hier
lebende, in Beschäftigung stehende türkische Staatsangehörige besonders
zu begünstigen. Diese Verträge sollten aber nicht eine voraussetzungslose
Einreise türkischer Staatsangehöriger ermöglichen“ (bitte ausführen)?

6. Ist es zutreffend, dass das Bundesverfassungsgericht bei seiner Prüfung, ob
das vom Gesetzgeber gewählte Mittel (Sprachnachweis im Ausland) zur Er-
reichung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziele (Förderung der Integra-
tion, Bekämpfung von Zwangsverheiratungen) geeignet ist, nach nationalem
Recht lediglich geprüft hat, ob das gewählte Mittel „evident ungeeignet sein
könnte“ (Beschluss vom 25. März 2011, 2 BvR 1413/10, S. 3) und zudem er-
klärte, dass die bloße „Möglichkeit der Zweckerreichung“ diesbezüglich be-
reits genüge (a. a. O., S. 4), während nach der Rechtsprechung des EuGH im
EU-Recht diesbezüglich höhere Anforderungen und Maßstäbe gelten, da eine
Beschränkung der Freizügigkeit durch „zwingende Gründe des Allgemeinin-
teresses“ gerechtfertigt und eine diesbezügliche Maßnahme auch „geeignet“
sein muss, „die Erreichung des angestrebten legitimen Ziels zu erreichen, und
nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche“ hinausgehen darf (Do-
gan-Urteil, Rn. 37), wobei solche Ausnahmen mit Berufung auf Gründe der
öffentlichen Ordnung „eng auszulegen“ sind, ihr „Umfang nicht einseitig von
den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann“ und sowohl der „Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere
das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ zu wahren sind (Ur-
teil des EuGH vom 8. Dezember 2011 in der Rechtssache Ziebell, C-371/08,
Rn. 81 ff.), und ist es zutreffend, dass die dargelegten EU-rechtlichen Anfor-
derungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung höhere sind, als die nach deut-
schem Recht (bitte nachvollziehbar begründen)?

7. Inwieweit sind Ankündigungen des BMI (siehe Vorbemerkung, „DER
SPIEGEL“ vom 14. Juli 2014), das Dogan-Urteil in einer Weise umzusetzen,
dass von Sprachnachweisen im Ausland beim Nachzug zu türkischen Staats-
angehörigen „nur zugunsten eng definierter Härtefälle“ abgesehen werden
soll, wobei nicht jeder Analphabet ein Härtefall sei, mit den oben dargestell-
ten Anforderungen des EU-Rechts an einschränkende Regelungen in Bezug
auf deren Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren, und inwie-
weit werden diese Ankündigungen der Vorgabe aus dem genannten Ziebell-
Urteil gerecht, dass Beschränkungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung
für die Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft „unerlässlich“ (Leit-
satz des Urteils) sein müssen (bitte begründet darlegen)?

8. Inwieweit sind Ankündigungen des BMI (siehe Vorbemerkung, „DER
SPIEGEL“ vom 14. Juli 2014), das Dogan-Urteil in einer Weise umzusetzen,
dass von Sprachnachweisen im Ausland beim Nachzug zu türkischen Staats-
angehörigen „nur zugunsten eng definierter Härtefälle“ abgesehen wer-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2328
den soll, mit dem Leitsatz des Dogan-Urteils zu vereinbaren, wonach die
Einführung einer Regelung, die die Familienzusammenführung von Sprach-
nachweisen vor der Einreise abhängig macht, mit der Stillhalteklausel des
Artikels 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls des EWG-Türkei-Assoziazions-
abkommens unvereinbar ist, so dass entsprechend der Wirkungsweise von
Stillhalteklauseln in Bezug auf assoziationsberechtigte türkische Staats-
angehörige wieder die günstigere Rechtslage von vor August 2007, d. h.
ohne Einschränkung, gelten muss (bitte begründet darlegen)?

9. Falls sich das BMI bei seiner zitierten Ankündigung zur beschränkten Um-
setzung des Urteils in Form einer engen Härtefallregelung auf die Rand-
nummern 37 und 38 des Urteils berufen will, inwieweit hält die Bundes-
regierung es für zulässig, auf Sprachnachweise im Ausland als Vorausset-
zung des Nachzugs zu türkischen Staatsangehörigen zu bestehen, wenn im
Einzelfall gar kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Zwangsverheira-
tung besteht, da Beschränkungen nicht über das zur Erreichung von Zielen
im zwingenden Allgemeininteresse Notwendige hinaus gehen dürfen (bitte
begründen)?

10. Inwieweit ist die Anforderung von Sprachnachweisen im Ausland als Vor-
aussetzung des Ehegattennachzugs im Sinne des EU-Rechts geeignet, ver-
hältnismäßig und geht nicht über das zur Erreichung des Ziels der Bekämp-
fung von Zwangsverheiratungen Erforderliche hinaus, insbesondere ange-
sichts dessen, dass
a) es auch nach Auffassung der Bundesregierung im Regelfall des Ehegat-

tennachzugs nicht um Zwangsverheiratungen geht (vgl. Bundestags-
drucksache 16/7288, Frage 23),

b) auch nachziehende Ehemänner Sprachnachweise erbringen müssen, ob-
wohl Männer seltener von Zwangsverheiratungen betroffen sind als
Frauen,

c) die Regelung auch in Bezug auf Länder gilt, in denen das Problem von
Zwangsverheiratungen nicht relevant ist,

d) Sprachnachweise auch dann verlangt werden, wenn es im Einzelfall of-
fenkundig ist, dass keine Zwangsverheiratung vorliegt,

e) auch ältere Ehegatten Sprachnachweise erbringen müssen, obwohl diese
praktisch nicht von Zwangsverheiratungen betroffen sind,

f) viele Zwangsverheiratungen nach Information der Fragesteller im Inland
stattfinden oder Personen betreffen, die im Inland aufgewachsen sind
und perfekte oder gute Deutschkenntnisse und/oder ein Aufenthaltsrecht
haben, so dass das Mittel der Sprachnachweise im Ausland im Kampf ge-
gen Zwangsverheiratungen in all diesen Fällen nicht greift,

g) der Besuch eines Integrationskurses und der Erwerb von Deutschkennt-
nissen nach der Einreise ohnehin rechtlich zwingend ist und mit zahlrei-
chen Sanktionsmitteln durchgesetzt werden kann,

h) nach Auffassung der Fragesteller geeignetere Mittel zur Verfügung ste-
hen, die weniger in die Grundrechte eingreifen, etwa eine gezielte Bera-
tung und Hilfsangebote in geeigneten Fällen sowie die Stärkung der
Rechte von Betroffenen

(bitte alle Unterfragen getrennt beantworten und zudem eine Gesamt-
antwort auf die Frage geben)?

11. Inwieweit ist die Anforderung von Sprachnachweisen im Ausland als Vor-
aussetzung des Ehegattennachzugs im Sinne des EU-Rechts geeignet, ver-
hältnismäßig und geht nicht über das zur Erreichung des Ziels einer Förde-

Drucksache 18/2328 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
rung der Integration Erforderliche hinaus, insbesondere angesichts dessen,
dass
a) die Förderung der Integration (hier: Erwerb von Deutschkenntnissen)

nach Auffassung der Fragesteller mindestens ebenso gut, im Regelfall je-
doch viel besser und schneller im Inland erfolgen kann in einem hierfür
vorgesehenen Integrationskurs mit der Hilfe des jeweiligen Partners und/
oder von deutschsprachigen Bekannten und Verwandten und durch un-
mittelbare Anwendung des Erlernten im Alltag,

b) die Integration in Deutschland in den Fällen, in denen Betroffene die
Nachweise nicht oder nur schwer erbringen können, nach Auffassung der
Fragesteller geradezu verhindert wird, weil den Betroffenen die Einreise
nach Deutschland verwehrt wird,

c) die Betroffenen nach ihrer Einreise ohnehin einen Integrationskurs besu-
chen müssen, mit dem das höhere Sprachziel B1 angestrebt wird,

d) die Betroffenen trotz des Sprachnachweises im Ausland in Deutschland
mehrheitlich ohnehin wieder im ersten Modul eines Integrationskurses
einsteigen müssen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/10221, S. 206f), so
dass der Integrationskurs in Deutschland nicht etwa schneller durch-
laufen werden kann, sondern sich die Gesamtlernzeit wegen des zusätz-
lichen Spracherwerbs im Ausland und der Übergangszeit bis zur Neuauf-
nahme eines Sprachkurses in Deutschland im Gegenteil sogar deutlich
erhöht,

e) nach der „BAMF-Heiratsstudie 2013“ bei der Frage, wie viele Betrof-
fene den Integrationskurs in Deutschland auf dem Niveau B1 abschlie-
ßen konnten, „kein signifikanter Unterschied“ feststellbar ist zwischen
solchen Ehegatten, die bereits im Ausland den Nachweis einfacher
Deutschkenntnisse erbringen mussten, und solchen, bei denen dies nicht
der Fall war (S. 166),

f) eine um Monate oder gar Jahre verzögerte Einreise für die Betroffenen
aufgrund des Ehegattensplittings mit finanziellen Nachteilen verbunden
sein kann (neben allen weiteren mit dem Ehegattennachzug ohnehin ver-
bundenen Kosten), weil dieser Steuervorteil bis zum Ende eines Jahres
rückwirkend für das gesamte Jahr nur dann geltend gemacht werden
kann, wenn beide Ehegatten sich tatsächlich in Deutschland aufhalten
(§ 26 Absatz 1 Nummer 2 des Einkommemsteuergesetzes – EStG: keine
Zusammenveranlagung bei dauernd getrennt Lebenden möglich), wobei
der Splittingvorteil gerade beim Nachzug zu hier lebenden Drittstaats-
angehörigen in der Regel erheblich sein dürfte, da die Nachziehenden in
der Anfangszeit, auch wegen des notwendigen Spracherwerbs, im Regel-
fall über kein oder kaum Einkommen verfügen, während zugleich der
hier lebende Ehepartner über ein ausreichendes Einkommen verfügen
muss, das für die gesamte Familie, Unterkunft usw. ausreicht, damit der
Ehegattennachzug überhaupt erlaubt wird (vgl. § 5 Absatz1 Nummer 1
und § 29 Absatz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG),

g) auch nach eigener Aussage der Bundesregierung „Ehegatten mit nur ge-
ringem Bildungsstand und hohem Lebensalter … häufig eine längere
Sprachvorbereitung“ benötigen, ebenso bei „phonetischen Schwierigkei-
ten“ (Bundestagsdrucksache 16/11997, Frage 3),

h) das von der Bundesregierung mit Bezug auf Analphabetinnen und An-
alphabeten vorgebrachte Argument, der „grundrechtsgebundenen deut-
schen Hoheitsgewalt [seien] von ihr nicht beeinflussbare tatsächliche
Umstände, die die Erlangung einfacher Deutschkenntnisse in den Her-
kunftsländern erschweren können, nicht zurechenbar“ (vgl. Bundestags-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/2328
drucksache 16/9137, Antwort der Bundesregierung zu Frage 5f, auf die
auf Bundestagsdrucksache 16/10732 zur Beantwortung der Frage 16 ver-
wiesen wurde), bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach EU-Recht
nicht nach Auffassung der Fragesteller gelten kann, da die Kriterien der
Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit und des Nicht-über-das-zur-Errei-
chung-der-Ziele-Notwendige-hinausgehen-Dürfende nicht an eine Ver-
antwortlichkeit deutscher Hoheitsgewalt anknüpfen,

i) auch die Bundesregierung einräumen musste, dass Analphabetinnen und
Analphabeten eine Aneignung der geforderten Sprachkenntnisse nicht
im „Selbststudium“ möglich ist (vgl. Bundestagsdrucksache 16/11997,
Frage 8e),

j) die Durchfallquoten bei Deutschtests im Ausland in Höhe von etwa
einem Drittel (in einzelnen Ländern liegen sie deutlich höher; vgl. z. B.
Bundestagsdrucksache 17/14337, Tabellen zu den Fragen 27 und 28)
– wobei nicht erfasst wird, wie viele Versuche für das Bestehen des Tests
erforderlich waren – nach Auffassung der Fragesteller gerade kein Beleg
dafür sind, dass die Anforderungen generell leicht zu erfüllen wären und
deshalb keine länger andauernde Trennung der Ehepartner infolge des
Spracherwerbs entstehen würde

(bitte alle Unterfragen getrennt beantworten und zudem eine Gesamtant-
wort auf die Frage geben)?

12. Wie ist der genaue Stand des EU-Vertragsverletzungsverfahrens gegen die
Bundesrepublik Deutschland wegen der Regelung der Sprachanforderun-
gen beim Ehegattennachzug (Aufforderungsschreiben der Europäischen
Kommission vom 30. Mai 2013), und welche nächsten Schritte erwartet
oder plant die Bundesregierung, insbesondere nachdem auch der EuGH-Ge-
neralanwalt in seiner Stellungnahme im Dogan-Verfahren vom 30. April
2014 von einer Unvereinbarkeit der deutschen Regelung mit der EU-Fami-
lienzusammenführungsrichtlinie ausgegangen ist?

13. Welche Konsequenzen für die deutsche Rechtslage und Praxis der Sprachan-
forderungen im Ausland als Bedingung des Ehegattennachzugs zieht die
Bundesregierung aus den Leitlinien der Europäischen Kommission zur An-
wendung der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie vom 3. April 2014
(Abschnitt 4.5. „Integrationsmaßnahmen“, S. 17 ff.), in denen die Europä-
ische Kommission betont, dass
a) die im Ermessen der Mitgliedstaaten stehende Forderung nach Integra-

tionsmaßnahmen vor der Einreise die Familienzusammenführung nicht
begrenzen darf, sondern verhältnismäßig sein muss und das Ziel der
Richtlinie einer Förderung der Familienzusammenführung nicht aushöh-
len darf (S. 17),

b) Integrationsmaßnahmen im Kontext der Richtlinie etwas anderes seien
als Integrationskriterien und sie nicht zur „absoluten Bedingung erhoben
werden“ dürften, bevor eine Einreise gestattet wird (S. 18),

c) bei Prüfungen der Bereitschaft zur Integration die spezifische Situation
von Frauen berücksichtigt werden müsse, die häufig eine geringere
Schulbildung hätten, und zudem der Schwierigkeitsgrad einer Prüfung,
Teilnahmekosten, die Zugänglichkeit des Unterrichtsmaterials oder der
Zugang zur Prüfung keine Hindernisse darstellen dürften – in anderen
Worten Integrationsmaßnahmen keine „Leistungsverpflichtung“ darstel-
len dürften, die die Familienzusammenführung begrenzt, sondern „im
Gegenteil zum Erfolg der Familienzusammenführung beitragen“ müss-
ten (S. 18 f.),

Drucksache 18/2328 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
d) Integrationsmaßnahmen verhältnismäßig sein und im Einzelfall Ausnah-
men aufgrund der persönlichen Umstände der Betroffenen vorgesehen
werden müssten (etwa „kognitive Fähigkeiten, die schwierige Lage der
betreffenden Personen, kein Zugang zu Lehr- oder Prüfeinrichtungen“
usw.), wobei der eingeschränkte Zugang von Frauen und Mädchen in
Teilen der Welt besonders zu berücksichtigen sei (S. 19),

e) eine Einreise nicht nur deshalb verweigert werden dürfe, weil eine „Inte-
grationsprüfung nicht bestanden“ wurde (S. 19),

f) die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Erleichterung der
Integration bereitstellen und Sprach- und Integrationskurse in leicht zu-
gänglicher Weise kostenlos (oder zumindest „erschwinglich“) angeboten
werden und auf den individuellen Bedarf zugeschnitten sein sollten, wo-
bei die Europäische Kommission betont, dass diese Integrationsmaßnah-
men „häufig im Aufnahmeland wirksamer“ sind (S. 19)

(bitte zu allen Unterpunkten einzeln antworten und begründen [und zwar in
Auseinandersetzung mit dem Vorhalt, dass nach Ansicht der Fragesteller
das deutsche Recht und die deutsche Praxis diesen Vorgaben der Leitlinien
nicht entsprechen])?

14. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht des Bundesverwaltungs-
gerichts (Urteil vom 30. März 2010, BVerwG 1 C 8.09) und des Bundesver-
fassungsgerichts (Beschluss vom 25. März 2011, 2 BvR 1413/10), dass es
bei der Frage der Verhältnismäßigkeit des Spracherwerbs im Ausland beim
Zuzug zu hier lebenden Drittstaatsangehörigen zusätzlich darauf ankommt,
ob es dem bereits in Deutschland lebenden Ehegatten zuzumuten ist, die Ehe
im Ausland zu führen, und dass dies im konkreten Fall bejaht wurde, ob-
wohl der Ehemann seit zwölf Jahren im Bundesgebiet lebte und über eine
unbefristete Niederlassungserlaubnis sowie über ein Einkommen verfügte,
das den Nachzug mehrerer Familienmitglieder erlaubt hätte (wenn nein,
bitte darlegen)?
a) Ist es zutreffend, dass diese Vorgabe z. B. auch im Visumhandbuch des

Auswärtigen Amts („Nachweis einfacher Deutschkenntnisse beim Ehe-
gattennachzug“) enthalten ist, d. h. dass nicht nur der Spracherwerb im
Ausland unzumutbar sein muss, sondern dass zusätzlich auch die Her-
stellung der Ehe im Ausland unzumutbar sein muss und dies z. B. nur bei
Personen mit einem humanitären Schutzstatus angenommen wird (vgl.
Bundestagsdrucksache 17/5732, Frage 23; wenn nein, bitte darlegen)?

b) Wie ist diese einschränkende Bedingung (Verweis auf zumutbare Her-
stellung der Familieneinheit im Ausland, wenn der Spracherwerb im
Ausland unzumutbar ist) vereinbar mit der EU-Familienzusammenfüh-
rungsrichtlinie, die einen subjektiven Rechtsanspruch auf Einreise und
Nachzug unter den dort genannten Bedingungen vermittelt (vgl. Rn. 41
des Chakroun-Urteils des EuGH vom 4. März 2010, C-578/08), zumal
der EuGH im Chakroun-Urteil zugleich befunden hat, dass Handlungs-
spielräume der Mitgliedstaaten nicht in einer Weise genutzt werden dür-
fen, die das Richtlinienziel einer Begünstigung der Familienzusammen-
führung und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt, die
als Grundregel die Genehmigung der Familienzusammenführung vor-
sieht (Rn. 43 des Chakroun-Urteils; bitte ausführen)?

15. Wie erklärt es die Bundesregierung, dass sie im laufenden Vertragsverlet-
zungsverfahren wegen der Sprachanforderungen im Ausland gegenüber der
Europäischen Kommission nach Auffassung der Fragesteller den Eindruck
zu erwecken versucht hat, infolge der Rechtsprechung des BVerwG vom
30. März 2010 gebe es im Ergebnis bereits eine allgemeine Härtefallrege-
lung, wodurch jeder besonderen Konstellation Rechnung getragen werden

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/2328
könne, und dass aufgrund von Ausnahmevorschriften der Nachzug ermög-
licht werde, wenn sich ein Spracherwerb unverhältnismäßig verzögere oder
unmöglich sei (Mitteilung der Bundesregierung an die Europäische Kom-
mission vom 30. Juli 2013, S. 8, 13 f.)?

16. Stimmt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund der Auffassung zu,
dass die deutsche Rechtslage auch unter Berücksichtigung der höchstrich-
terlichen Rechtsprechung beim Ehegattennachzug zu Drittstaatsangehöri-
gen gerade keine allgemeine Härtefallregelung vorsieht, wie sie nach EU-
Recht erforderlich sein könnte, weil diesbezüglich sehr strenge Anforderun-
gen gelten und insbesondere die zusätzliche Bedingung gilt, dass auch die
Herstellung der Familieneinheit im Ausland unzumutbar sein muss, was
nach Auffassung der Fragesteller ebenfalls in nur wenigen Fällen angenom-
men wird, etwa beim Vorliegen eines Flüchtlingsstatus oder humanitären
Aufenthaltsrechts (wenn nein, bitte ausführlich begründen)?

17. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine allgemeine
Härtefallregelung bei den Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug
„die ganze Vorschrift leerlaufen“ lassen würde (so beispielhaft der Abge-
ordnete Reinhard Grindel, Plenarprotokoll 17/43, S. 4372 f), und inwieweit
will sie an der Regelung der Sprachnachweise im Ausland weiter festhalten,
wenn sie eine allgemeine Härtefallregelung einführen sollte bzw. müsste
(bitte begründen)?

18. Welche Schlussfolgerungen aus dem Dogan-Urteil zieht die Bundesregie-
rung für andere Regelungen des Aufenthaltsrechts, nachdem nunmehr end-
gültig geklärt ist, dass die Stillhalteklauseln des Assoziationsrechts auch auf
die Bestimmungen der ersten Einreise und auch dann zur Anwendung kom-
men, wenn die Betroffenen noch nicht in Deutschland gelebt haben, insbe-
sondere in Bezug darauf, dass
a) nach § 2 Absatz 2 Nummer 1 des Ausländergesetzes (AuslG) 1965 Kin-

der bis zum 16. Lebensjahr keine Aufenthaltserlaubnis und kein Visum
zur Einreise und zum Aufenthalt im Bundesgebiet benötigten – dieses
„Kinderprivileg“ wurde durch die Verordnung vom 11. Januar 1997 ab-
geschafft,

b) nach § 5 Absatz 1 AuslG 1965 auch nach der Einreise ein Aufenthalt er-
teilt werden konnte, jedenfalls wenn der Familiennachzug gesetzlich
vorgesehen war (§ 9 Absatz 2 der Verordnung zur Durchführung des
AuslG 1997), und bis zur Behördenentscheidung der Aufenthalt als er-
laubt galt (Fiktionswirkung nach § 21 Absatz 3 AuslG 1965)

(bitte getrennt beantworten und gegebenenfalls darstellen, wie die Rechts-
lage aus Sicht der Bundesregierung in der Vergangenheit jeweils war)?

19. Inwieweit bedauert es die Bundesregierung zumindest im Nachhinein, dass
sie nicht der Rechtsauffassung und Praxis der Niederlande und Österreichs
gefolgt ist, die seit 2011/2012 beim Ehegattennachzug zu türkischen Staats-
angehörigen infolge der Rechtsprechung des EuGH von Sprachnachweisen
absehen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/12071, Antwort der Bundesregie-
rung zu Frage 26), so dass infolge dessen die Rechte türkischer Staatsange-
höriger beim Ehegattennachzug verletzt wurden, wie durch das Dogan-
Urteil geklärt wurde, und inwieweit, und mit welcher Begründung will die
Bundesregierung auch weiterhin gegenebenfalls eine restriktivere Aus-
legung des Assoziationsrechts und der Rechtsprechung des EuGH hierzu
vornehmen als beispielsweise Österreich (www.migrationsrecht.net/erlass-
des-Oesterreichischen-innenministeriums-zu-den-auswirkungen-der-
stillhalteklausel-auf-das-nag.html?catid=120; bitte ausführen)?

Drucksache 18/2328 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
20. Wie kam es (bitte im Detail die genauen Zeitabläufe und die konkret Betei-
ligten aufführen), dass die „Süddeutsche Zeitung“ exklusiv und vorab über
die so genannte „BAMF-Heiratsstudie 2013“ berichten konnte, obwohl der
ehemalige Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich in der 72. Sitzung
des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 25. April 2012 laut
Kurzprotokoll (S. 45) erklärt hatte, dass bei einer ähnlich verlaufenen ex-
klusiven Vorabberichterstattung durch die „BILD-Zeitung“ zur Studie „Le-
benswelten junger Muslime“ eine Ungleichbehandlung der Presse vorgele-
gen habe und sich das BMI dafür auch entschuldigen müsse?
Wieso wurde also erneut einer einzelnen Zeitung eine Exklusiv-Vorab-Be-
richterstattung zu einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Stu-
die ermöglicht, und falls die Studie der „Süddeutschen Zeitung“ nicht bzw.
nicht zum Zweck einer Berichterstattung vorab übermittelt wurde, wieso hat
dann der BAMF-Präsident Dr. Manfred Schmidt der „Süddeutschen Zei-
tung“ dennoch ein Zitat für die Vorabberichterstattung übermittelt und da-
mit die Ungleichbehandlung der Presse noch weiter verstärkt (bitte ausfüh-
ren)?

21. Geschah die exklusive Vorabberichterstattung durch die „Süddeutsche Zei-
tung“ in Kenntnis und mit Einverständnis des Präsidenten des BAMF, wie
wurde dies gegebenenfalls begründet, und welche weiteren Absprachen
zwischen der Zeitung und dem BAMF sind in diesem Zusammenhang er-
folgt?

22. Inwieweit kann die Bundesregierung den Verdacht zerstreuen, dass die ex-
klusive Vorabberichterstattung durch die „Süddeutsche Zeitung“ insbeson-
dere deshalb gewählt oder durch Bereitstellung eines Zitats des BAMF-
Präsidenten unterstützt wurde, um ein Detail der Studie (mögliche Zustim-
mung zu der Regelung der Sprachanforderungen im Ausland durch die Be-
troffenen) einseitig hervorzuheben und dadurch die mediale Rezeption und
Darstellung der umfassenden Studie für die Rechtfertigung der Regelung zu
nutzen (bitte darlegen)?

23. Hält die Bundesregierung die Interpretation, die Betroffenen würden die
Sprachtests im Ausland als Bedingung des Ehegattennachzugs befürworten,
für zulässig, da – abgesehen davon, dass Personen, die am Sprachtest schei-
terten, gar nicht befragt werden konnten – die Frage an die Studienteilneh-
menden (S. 372: „Seit August 2007 müssen im Rahmen des Ehegattennach-
zugs nach Deutschland einreisende Ehepartner/innen einfache Deutsch-
kenntnisse nachweisen. Halten Sie eine solche Regelung für sinnvoll?“)
nach Auffassung der Fragesteller nicht eindeutig danach differenzierte, ob
die Befragten einen solchen Sprachnachweis bereits im Ausland oder erst
im Inland für sinnvoll halten und auch keine weiteren Fragen folgten, ob sie
auch die mögliche Konsequenz einer verweigerten Familienzusammenfüh-
rung über Monate bzw. Jahre hinweg oder auch das Fehlen einer allgemei-
nen Härtefallregelung für sinnvoll erachten (bitte darlegen)?

24. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass es nach der
Studie (S. 152 f.) ein „entscheidendes Manko“ bei der Bewertung des Aus-
maßes der „Selektion“ durch die Sprachanforderungen im Ausland ist, dass
„die Prüfungsstatistik des Goethe-Instituts eine Fall- und keine Personen-
statistik ist“, d. h. dass eine unbekannte Zahl von Prüfungswiederholenden
in die Statistik bestandener Deutsch-Tests im Rahmen des Ehegattennach-
zugs einfließt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/2328
25. Inwieweit lässt sich das Ergebnis der Studie, dass in fast einem Viertel der
Fälle sich die Ehepaare bei der Eheschließung weniger als zwölf Monate
kannten (S. 266), nach Ansicht der Bundesregierung auch damit erklären,
dass die deutsche Visumspolitik solche schnellen Hochzeiten begünstigt,
weil Besuchsvisa zum Kennenlernen in Deutschland in der Praxis häufig
verweigert werden (vgl. bereits die Frage 17 auf Bundestagsdrucksache 17/
2550) mit der Begründung einer angeblich fehlenden „Rückkehrbereit-
schaft“ bzw. dass in diesen Fällen eigentlich ein Visum zur Eheschließung
und anschließendem Daueraufenthalt beantragt werden müsste (bitte aus-
führen)?

26. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass sich der Studie zufolge Ehegat-
ten aus der Türkei überwiegend gut in Deutschland einfinden und insbeson-
dere eine frühzeitige Berufsberatung und entsprechende Angebote zur
(Nach-) Qualifizierung und Vorbereitung für den Arbeitsmarkt sowie mehr
berufsbezogene Deutschkurse sinnvoll seien (S. 279, 298 ff.), und wie ist es
mit der Empfehlung der Studie umfassender Beratungen und Angebote
möglichst bald nach der Einreise (S. 301) zu vereinbaren, dass infolge feh-
lender Haushaltsmittel die Gelder für niedrigschwellige Frauenkurse mehr
als halbiert wurden und 120 geplante zusätzliche Beratungsstellen im Be-
reich der Migrationsberatung nicht geschaffen werden können (vgl. Bun-
destagsdrucksache 18/2038, Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs
Dr. Günter Krings auf die Schriftliche Frage 19)?

27. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis
der Studie, dass „nahezu alle Ehegatten aus dem Ausland“ nach erfolgter
Einreise versuchen, „ihre Deutschkenntnisse zu verbessern“ (S. 162) in Be-
zug auf die Frage der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit von Sprach-
nachweisen im Ausland (bitte darlegen)?

28. Inwieweit ist es mit dem 5. Erwägungsgrund der EU-Familienzusammen-
führungsrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten die Richtlinie ohne Diskri-
minierung aufgrund des Geschlechts, der sozialen Herkunft, der Sprache,
des Vermögens oder des Alters durchführen sollen, vereinbar, dass die Re-
gelung einheitlicher Sprachnachweise im Ausland als Bedingung des Nach-
zugs nach Auffassung der Fragesteller eine solche Diskriminierung faktisch
zur Folge hat, wie auch die „BAMF-Heiratsstudie 2013“ bestätigt, da es
einen empirisch erwiesenen „Zusammenhang zwischen formaler Bildung
und erfolgreichem Zweitsprachenerwerb“ gibt (S. 142) und eine geringe
oder fehlende Bildungserfahrung (die bei Mädchen bzw. Frauen in vielen
Ländern der Welt häufiger zu konstatieren ist) den Zweitsprachenerwerb
„erheblich behindern“ könne, wobei auch die linguistische Nähe zweier
Sprachen eine wichtige Rolle spiele (S. 143, 165; bitte begründet ausführen,
auch unter Berücksichtigung anderer Diskriminierungsverbote bzw. Gleich-
behandlungsgebote im nationalen und internationalen Recht)?

29. Hält die Bundesregierung an ihrer Auffassung fest, in dem „erfolgreichen
Nachweis einfacher Deutschkenntnisse“ solle sich eine „Integrationsbereit-
schaft“ der Ehegatten widerspiegeln können (Bundestagsdrucksache 16/
10732, Frage 17), obwohl nach der BAMF-Studie „die eigentlichen die
Sprachkenntnis beeinflussenden Variablen … soziodemographischer, bil-
dungsbiographischer oder sprachverwandtschaftlicher Natur“ sind (S. 166;
bitte begründen)?

Drucksache 18/2328 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
30. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Erkenntnis
der Studie, dass bei der Frage, wie viele Betroffene den Integrationskurs in
Deutschland auf dem Niveau B1 abschließen, „kein signifikanter Unter-
schied“ feststellbar war zwischen solchen Ehegatten, die bereits im Ausland
den Nachweis einfacher Deutschkenntnisse erbringen mussten, und sol-
chen, bei denen dies nicht der Fall war (S. 166), insbesondere in Hinblick
auf die Geeignetheit, Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit der zusätzli-
chen Sprachanforderungen im Ausland in Hinblick auf das Ziel einer Inte-
grationsförderung (bitte ausführen)?

31. Wie waren die Zahlen der Erteilung von Visa bzw. Aufenthaltserlaubnissen
(bitte differenzieren) zum Ehegattennachzug im Allgemeinen bzw. in Bezug
auf türkische Staatsangehörige in den Jahren 2013 und 2014 (bitte jeweils
nach Quartalen und zusätzlich auch nach Geschlecht differenzieren)?

32. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass auch
der Leiter der Sprachabteilung des Istanbuler Goethe-Instituts, Wolf von
Siebert, erklärt, dass es „wirklich grundgesetzwidrig“ sei, wenn es „für An-
alphabeten oder für Leute, die zweimal durch die Prüfung fallen“, keine ver-
nünftige Härtefallregelung gebe (Frankfurter Rundschau vom 11. Juli 2014:
„Wenn nur die Sprachprüfung nicht wäre“)?

33. Ist eine Forderung, wie sie beispielhaft vom Abgeordneten Dr. Hans-Peter
Uhl (CSU) geäußert wurde, „Deutschland müsse alles tun, um den Nachzug
etwa von Analphabeten zu verhindern“ (Deutschlandfunk vom 10. Juli
2014), nach Ansicht der Bundesregierung mit den Artikeln 3 und 6 des
Grundgesetzes vereinbar (erbeten wird nicht eine Bewertung der zitierten
Äußerung, sondern eine Positionierung der Bundesregierung zu der Frage,
ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, insbesondere den Ehegattennachzug
von Analphabeten zu verhindern)?
Inwieweit bestätigen nach Ansicht der Bundesregierung solche Äußerungen
die Kritik an der Regelung, wonach es in Wahrheit nicht um eine Bekämp-
fung von Zwangsverheiratungen oder um eine bessere Integration, sondern
um eine soziale Selektion gehe (DGB-Stellungnahme zum Entwurf des
Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der
Europäischen Union, beschlossen vom Bundeskabinett am 28. März 2007:
www.dgb.de/themen/++co++dbd004cc-3c15-11df-7b76-00188b4dc422,
bitte ausführen)?

34. Erwägt die Bundesregierung, Rechtsmittel gegen das Urteil des EuGH ein-
zulegen, und welche Rechtsmittel kämen hier in Betracht?
a) Nimmt die Bundesregierung eine Pressemitteilung der Alternative für

Deutschland (AfD) vom 10. Juli 2014 zum Anlass, die AfD wegen ver-
fassungsfeindlicher Bestrebungen beobachten zu lassen, denn dort heißt
es: „Die AfD wird alles daran setzen, um die Umsetzung dieses Urteils
in Deutschland zu verhindern“ (bitte ausführen), und welche Schluss-
folgerungen und Konsequenzen zieht sie aus dieser Ankündigung?

b) Inwieweit entspricht die Forderung der AfD nach „verpflichtenden
Sprachkursen auf hohem Niveau für alle Einwanderer“ nach Ansicht der
Bundesregierung der geltenden Rechtslage (bitte ausführen)?

c) Inwieweit entspricht die Forderung der AfD in der oben genannten Pres-
semitteilung, „unentschuldigtes Fehlen, Stören oder verweigerte Mitar-
beit sollten durch empfindliche Kürzungen der Sozialhilfe sanktioniert
werden“, nach Ansicht der Bundesregierung bereits der geltenden
Rechtslage, und wie können solche Anforderungen bei Sprachkursen im
Ausland durchgesetzt werden (bitte ausführen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/2328
d) Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der AfD in der ge-
nannten Pressemitteilung, dass das „friedliche Miteinander in Deutsch-
land“ durch das EWG-Türkei-Assoziationsabkommen gefährdet sei
(bitte ausführen)?

e) Inwieweit teilt die Bundesregierung ebenso wie die AfD in der genann-
ten Pressemitteilung die Gefahr, dass es „automatisch zur Isolation und
zur Marginalisierung dieser Einwanderer“ führt, „wenn türkische Ehe-
gatten vom Sprachtest ausgenommen werden sollen“ (bitte ausführen)?

f) Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der AfD in der ge-
nannten Pressemitteilung, dass „sich der EuGH in innerdeutsche Zuwan-
derungspolitik einmischt“ und dies „ein Unding“ ist (bitte ausführen)?

Berlin, den 6. August 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.