BT-Drucksache 18/2317

Strategische Agenda für die Europäische Union in Zeiten des Wandels

Vom 7. August 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2317
18. Wahlperiode 08.08.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke,
Inge Höger, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Dr. Sahra Wagenknecht und
der Fraktion DIE LINKE.

Strategische Agenda für die Europäische Union in Zeiten des Wandels

Im Juni 2014 hat der Europäische Rat unter Beteiligung der Bundesregierung
eine „strategische Agenda für die Union in Zeiten des Wandels“ beschlossen.
Diese soll die politischen Leitlinien für die Politik der Europäischen Union (EU)
der kommenden fünf Jahre vorgeben.
Gefordert werden in diesem Strategiepapier unter anderem eine schärfere Kon-
trolle von Migrationsbewegungen innerhalb der EU sowie über die EU-Außen-
grenzen hinweg, weitere wirtschaftspolitische Reformen in den EU-Mitglied-
staaten, eine höhere Arbeitsmobilität, effizientere Sozialsysteme, eine stärkere
Europäisierung der Justiz, europaweit koordinierte Maßnahmen der Bekämp-
fung von organisierter Kriminalität und Terrorismus, ein rascher Abschluss
internationaler Wirtschaftsabkommen wie das Transatlantische Freihandels-
abkommen (TTIP), mehr Unabhängigkeit bei der Energieversorgung, militä-
rische Aufrüstung und eine stärkere Bündelung militärischer Fähigkeiten auf
EU-Ebene.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Art „struktureller Reformen“ hält die Bundesregierung in den kom-

menden fünf Jahren in Deutschland sowie in der EU insgesamt für besonders
wichtig?
a) Welche politischen Maßnahmen hält die Bundesregierung in den kom-

menden fünf Jahren für prioritär, um Wachstum und Beschäftigung zu för-
dern?

b) Inwiefern hält die Bundesregierung eine Kurskorrektur gegenüber der
Troika-Politik mit ihren Folgen für die Wirtschaftsleistung der betroffenen
Länder für erforderlich?

c) Durch welche Merkmale des Stabilitäts- und Wachstumspaktes kommt die
Bundesregierung zu der Einschätzung, dass eine ausreichende Flexibilität
gegeben sei?

d) Welche Flexibilitätsmerkmale des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wur-
den von den EU-Mitgliedstaaten nach Auffassung der Bundesregierung
in der Vergangenheit zu wenig genutzt?

2. Was versteht die Bundesregierung unter einem „Klima des Unternehmer-
geistes“?
Welche politischen Maßnahmen hält sie für prioritär, um ein solches zu
erzeugen?

Drucksache 18/2317 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. Was ist nach Auffassung der Bundesregierung der „richtige Mix aus öffent-
lichen und privaten Investitionen“ bei „überfälligen Investitionen“ in den
Bereichen Bildung, Infrastruktur etc.?
a) Sieht die Bundesregierung im Falle eines weiteren Trends zu privaten

Investitionen in den genannten Bereichen die Gefahr einer Einschränkung
demokratischer Gestaltungsspielräume?

b) Ist es nach Auffassung der Bundesregierung sinnvoll, die Bereitstellung
von Bildungsangeboten von privaten Investitionen abhängig zu machen?

c) Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen zehn
Jahren in Deutschland und EU-weit die Relation von öffentlichen zu pri-
vaten Investitionen verändert?

4. Würde die Bundesregierung auch dann das Wirtschaftsabkommen TTIP wei-
ter unterstützen, wenn die derzeit von europäischen Nichtregierungsorgani-
sationen vorbereitete Europäische Bürgerinitiative, die eine Aufhebung des
Verhandlungsmandates fordert, erfolgreich ist?

5. Welche Maßnahmen für eine „stärkere wirtschaftspolitische Konvergenz des
Euro-Währungsgebietes“ werden derzeit diskutiert?
a) Welche Rolle spielt der zuletzt vertagte Pakt für Wettbewerbsfähigkeit in

diesem Zusammenhang?
b) Gab es auf EU-Ebene seit der Tagung des Europäischen Rates vom

Dezember 2013 Gespräche zum „Solidaritätsmechanismus“ im Rahmen
des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit, und inwiefern wurde dabei eine
Annäherung erzielt?

c) Wann soll der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit nach aktueller Planung wie-
der im Europäischen Rat thematisiert und wann soll er nach Vorstellung
der Bundesregierung auf EU-Ebene beschlossen werden?

d) Wo verlaufen nach Einschätzung der Bundesregierung die größten Kon-
fliktlinien bezüglich des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit?
Zwischen welchen Akteuren verlaufen diese?

6. Hält die Bundesregierung die Formulierung im Strategiepapier, nachdem die
EU-Bürger von der wirtschaftlichen Integration profitiert haben, jedoch die
Vorteile „nicht immer für alle unmittelbar spürbar“ seien, angesichts von
Massenarbeitslosigkeit, Armutsquoten von über 30 Prozent in einigen
Ländern, steigenden Obdachlosigkeits- und Suizidraten, einer Steigerung
von HIV-Infektionen und Malaria und immer niedrigeren Zustimmungs-
werten zur EU-Integration in diversen Umfragen für angebracht?
Wieso hat die Bundesregierung dieser Formulierung zugestimmt (bitte be-
gründen)?

7. Wie ist nach Auffassung der Bundesregierung die Aussage zu interpretieren,
dass die Union „mehr Stärke nach außen“ zeigen muss?

8. Welche Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsmobilität hält die Bundes-
regierung für prioritär?
a) Sollte nach Auffassung der Bundesregierung verhindert werden, dass eine

Erhöhung der Arbeitsmobilität zum Verlust von Fachkräften und damit
einer Behinderung wirtschaftlicher Entwicklung in den südeuropäischen
Ländern führt, und wenn ja, wie?

b) Welche Auswirkungen auf die Löhne in Deutschland erwartet die Bundes-
regierung durch eine höhere Arbeitsmobilität und die gezielte Anwerbung
von Fachkräften und die damit einhergehende größere Konkurrenz um
attraktive Arbeitsplätze?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2317
9. Was sind nach Auffassung der Bundesregierung in Deutschland und EU-
weit die wichtigsten einzuleitenden politischen Entwicklungen, um die
Sozialsysteme „effizient, fair und zukunftsfähig“ zu machen?
a) Wodurch zeichnet sich nach Auffassung der Bundesregierung ein „zu-

kunftsfähiges Sozialsystem“ aus?
b) Durch welche Art von Veränderung sollte nach Auffassung der Bundes-

regierung die Effizienz der Sozialsysteme in der EU erhöht werden?
c) Wo gibt es nach Auffassung der Bundesregierung in den Sozialsystemen

der EU-Mitgliedstaaten die größten Probleme bezüglich Fairness?
10. Ist die in der EU-Strategie dargelegte Sorge um Abhängigkeiten im Bereich

der Energieversorgung eine unmittelbare Konsequenz der Auseinander-
setzungen in der Ukraine und der Konfrontation mit Russland?
a) Wie hoch ist der Anteil von aus Russland importierten Energieträgern in

Deutschland und nach Kenntnis der Bundesregierung in der EU ins-
gesamt?

b) Wie lange ist nach Einschätzung der Bundesregierung der Zeitraum, in
dem in Deutschland die Energieversorgung reibungslos funktioniert,
wenn die Lieferungen aus Russland gestoppt werden sollten?

c) Wie wird Fracking als Option zur Ausbeutung heimischer Energie-
quellen derzeit in der Bundesregierung und auf EU-Ebene diskutiert?

d) Welche durch Fracking förderbaren Vorkommen werden in der Ukraine
vermutet, und wurden dafür nach Kenntnis der Bundesregierung bereits
Förderlizenzen vergeben?

e) Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Planungen für die Errichtung
neuer Anlande-Kapazitäten für Flüssiggas in Deutschland?

f) Gibt es genug Transport- und Umschlagkapazitäten, um komplett aus-
fallende Ölimporte aus Russland durch Lieferungen aus Saudi-Arabien
zu ersetzen?

g) Sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Ölraffinerien ohne Um-
rüstungen dazu in der Lage, das Öl mit einer anderen Beschaffenheit aus
Saudi-Arabien zu verarbeiten, und wenn nicht, wie hoch ist der finan-
zielle und zeitliche Aufwand für die Umstellung?

11. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, EU-weit koordiniert stärker
gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus vorzugehen?
Worauf beruht diese Einschätzung?
a) In welchen Bereichen organisierter Kriminalität gab es in Deutschland

und EU-weit nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten Jahren
eine deutliche Zunahme?

b) Von welchen Gruppierungen geht nach Einschätzung der Bundesregie-
rung derzeit in der EU eine nennenswerte Gefahr terroristischer Akte
aus?

c) Welche Tendenzen der „Radikalisierung“ sieht die Bundesregierung der-
zeit in der EU?
Wie schätzt sie diese ein, und wie sollte ihrer Ansicht nach darauf
reagiert werden?

d) Inwiefern betrachtet die Bundesregierung die Proteste gegen die gegen-
wärtige EU-Krisenpolitik (Blockupy, 15M, Indignados etc.) als eine
Radikalisierung, auf die durch schärfere Gesetze und eine stärkere justi-
zielle Kooperation auf EU-Ebene reagiert werden sollte?

Drucksache 18/2317 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
12. Was versteht die Bundesregierung unter einem „besseren, moderneren
Management der Außengrenzen der Union“?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es geboten sei, die „militä-
rischen Fähigkeiten der Mitgliedsländer“ zu erhöhen und zu bündeln sowie
zu einer „stärkeren europäischen Verteidigungsindustrie“ zu kommen?
a) Welche Entwicklung der deutschen Rüstungsausgaben erwartet die

Bundesregierung in den kommenden Jahren?
b) In welchen Bereichen und durch welche Maßnahmen muss nach Auf-

fassung der Bundesregierung eine stärkere Bündelung der militärischen
Fähigkeiten der EU-Mitgliedstaaten erfolgen?

c) Gibt es auf EU-Ebene konkrete Pläne bezüglich der Bündelung militäri-
scher Fähigkeiten?

d) Inwiefern ist der Aufrüstungsdiskurs des Strategiepapiers eine Konse-
quenz der US-amerikanischen Forderung nach höheren Rüstungsetats in
der EU und der sich verschärfenden Konfrontation mit Russland?

Berlin, den 6. August 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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