BT-Drucksache 18/2276

Die Gruppierung Islamischer Staat im Irak und Großsyrien und Maßnahmen der Bundesregierung gegen djihadistische Syrien-Rückkehrer

Vom 30. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2276
18. Wahlperiode 30.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Andrej Hunko und der Fraktion DIE LINKE.

Die Gruppierung Islamischer Staat im Irak und Großsyrien und Maßnahmen
der Bundesregierung gegen djihadistische Syrien-Rückkehrer

Im Juni 2014 eroberten djihadistische Kämpfer der Gruppierung „Islamischer
Staat im Irak und Großsyrien“ (ISIG, auch Islamischer Staat im Irak und Syrien
– ISIS – bzw. Islamischer Staat im Irak und der Levante – ISIL – sowie nach
Umbenennung Ende Juni 2014 Islamischer Staat – IS) die irakische Millionen-
stadt Mosul sowie große Teile der sunnitischen Siedlungsgebiete des Landes.
Dabei konnten sich die sunnitischen Kämpfer auf einen weitverbreiteten Unmut
der sunnitischen Bevölkerung mit der sektiererischen und ihr gegenüber diskri-
minierenden Politik der schiitisch dominierten Regierung von Ministerpräsident
Hasan al-Maliki stützen. Am 29. Juni 2014 rief ISIG einen islamischen Staat auf
dem von ihren Kämpfern kontrollierten Territorium im Irak sowie Nordsyriens
aus. ISIG-Führer Abu Bakr al-Baghdadi ernannte sich zum Kalifen. Im Irak und
im syrischen Bürgerkrieg gehen zahlreiche Gräueltaten einschließlich Auto-
bomben- und Selbstmordanschläge auf zivile Ziele, Massaker an Andersgläu-
bigen, Entführungen und selbst Hinrichtungen von Kindern und Kreuzigungen
politischer Opponenten auf das Konto der Gruppierung. In den Reihen von ISIG
kämpfen neben Irakern und Syrern zahleiche Ausländer. So sollen sich von den
nach Angaben der Bundesregierung bislang in den syrischen Bürgerkrieg gezo-
genen 320 deutschen bzw. aus Deutschland stammenden Djihadisten ein Groß-
teil dem ISIG angeschlossen haben. Am 24. Mai 2014 erschoss der 29-jährige
Franzose M. N., der auf Seiten des ISIG in Syrien gekämpft hatte und über
Deutschland nach Belgien gereist war, vier Menschen am jüdischen Museum in
Brüssel. Der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizère, sah durch
diesen Anschlag die Möglichkeit eines Attentats durch Rückkehrer aus dem
syrischen Bürgerkrieg zur „tödlichen Realität“ geworden (www.taz.de/1/archiv/
digitaz/artikel/?ressort=a1&dig=2014%2F06%2F19%2Fa0099&cHash=eb5f
67176ba9954b42182aede1572b96).
Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes des Bundes für das Jahr
2013 warnte der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen vor einem
„besonderen Sicherheitsrisiko“ durch nach Deutschland zurückkehrende
Syrien-Kämpfer und erklärte, Deutschland sei nicht weit entfernt vom Terroris-
mus und weiterhin Ziel von Anschlagsplanungen (www.bild.de/politik/inland/
verfassungsschutz/bericht-innenminister-warnt-vor-dschihadisten-36437874.
bild.html).
Im Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2013 heißt es: „Strukturen
der ISIG in Deutschland sind nicht bekannt“ (S. 210). Gleichwohl wird zumin-
dest in Einzelfällen gegen mutmaßliche ISIG-Mitglieder in der Bundesrepublik
Deutschland ermittelt. So fand Ende März 2014 eine Polizeirazzia in Berlin,
Bonn und Frankfurt statt, bei der drei mutmaßliche ISIG-Anhänger verhaftet

Drucksache 18/2276 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
wurden. Zwei von ihnen sollen sich zuvor in Syrien aufgehalten und anschlie-
ßend die Organisation mit Geld und Sachmitteln unterstützt haben. Drei weitere
mutmaßliche ISIG-Anhänger, die zum Teil über Kampferfahrung in Syrien ver-
fügten, wurden im April 2014 verhaftet (www.taz.de/!140464/). Im Juni 2014
erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen einen 20-jährigen Deutschen aus
Frankfurt am Main, der sich in Syrien der ISIG angeschlossen haben soll, wegen
Vorbereitung einer „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“. Der junge Mann
soll sich eine Schusswaffe verschafft, eine Waffenausbildung durchlaufen und
sich an Kampfeinsätzen der ISIG beteiligt haben (www.fr-online.de/frankfurt/
salafisten-angeklagt-als-isis-kaempfer,1472798,27600914.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Feststellung im Verfassungsschutz-

bericht für das Jahr 2013, in Deutschland seien keine ISIG-Strukturen be-
kannt, angesichts der gegen mutmaßliche ISIG-Mitglieder durchgeführten
polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen und Anklageerhebungen durch die Ge-
neralbundesanwaltschaft?
a) Bedeutet diese Aussage, dass es in Deutschland keine ISIG-Strukturen

gibt oder dass der Verfassungsschutz sie bislang nur nicht ausfindig ma-
chen konnte?

b) Was versteht die Bundesregierung unter ISIG-Strukturen, bzw. ist sie der
Auffassung, einzelne mutmaßliche ISIG-Mitglieder in Deutschland bil-
deten noch keine „Struktur“?

2. Wie viele aus Deutschland in den syrischen Bürgerkrieg gezogene Djihadis-
ten und Djihadistinnen haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung dort
der Gruppierung ISIG angeschlossen (bitte auch angeben, wie viele von ih-
nen wieder zurückgekehrt oder in Syrien getötet worden)?

3. Welche Verbindungen zwischen der Salafistenszene in Deutschland und der
Gruppierung ISIG bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung?

4. Inwieweit sind der Bundesregierung öffentliche Rechtfertigungen oder Dis-
tanzierungen von salafistischen Vereinigungen von der Gruppierung ISIG
oder deren Taten bekanntgeworden?

5. Welche Reaktionen aus der djihadistischen, salafistischen und islamistischen
Szene in Deutschland erfolgten nach Kenntnis der Bundesregierung auf die
Ausrufung eines „Islamischen Staates“ durch die Gruppierung ISIG, der Teile
des Iraks und Syriens umfassen soll?

6. Wie erklärt sich die Bundesregierung die große Attraktivität, die die Gruppie-
rung ISIG vor anderen in Syrien aktiven djihadistischen Gruppierungen bei
kampfwilligen Djihadisten aus Europa findet?

7. Auf welche Weise werden nach Kenntnis der Bundesregierung in der Bun-
desrepublik Deutschland Kämpfer für die Gruppierung ISIG rekrutiert (z. B.
über das Internet, Ansprache im Bekanntenkreis oder in der Moschee etc.)

8. Welche Internetseiten, facebook-Accounts, Foren etc. von der Gruppierung
ISIG und ihren Unterstützern sind der Bundesregierung bekannt, und welche
davon richten sich direkt – etwa durch die verwendete Sprache – an Leserin-
nen und Leser in Deutschland bzw. Europa?

9. Welche konkreten Aufrufe von der Gruppierung ISIG oder einzelnen ISIG-
Anhängerinnen und Anhängern zu Gewalttaten in der Bundesrepublik
Deutschland oder gegen deutsche Ziele im Ausland sind der Bundesregie-
rung bekannt (bitte benennen, wann, wo, über welches Medium, von wem
und mit welchem Inhalt solche Aufrufe verbreitet wurden und für wie authen-
tisch die Bundesregierung solche Drohungen hält)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2276
10. Worauf gründet die bei Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das
Jahr 2013 getätigte Aussage des Präsidenten des Bundesamtes für Ver-
fassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, „Deutschland ist nicht weit entfernt
vom Terrorismus. Wir sind weiterhin Ziel von Anschlagsplanungen“
(www.bild.de/politik/inland/verfassungsschutz/bericht-innenminister-warnt-
vor-dschihadisten-36437874.bild.html)?
a) Welche konkreten Anschlagsplanungen von Islamisten gegen deutsche

Ziele bzw. Ziele in Deutschland sind der Bundesregierung in der Vergan-
genheit bekannt, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, davon zu spre-
chen, Deutschland sei „weiterhin“ – also in Fortsetzung bereits erfolgter
konkreter Anschlagsplanungen – Ziel solcher Planungen?

b) Welche konkreten aktuellen Anschlagsplanungen von Islamisten gegen
deutsche Ziele bzw. Ziele in Deutschland sind der Bundesregierung
bekannt, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, davon zu sprechen,
Deutschland sei „weiterhin“ – also auch in der Zukunft – Ziel solcher
Planungen?

11. Inwieweit sind der Bundesregierung Klagen von Sicherheitsbehörden
a) des Bundes oder
b) der Länder
bekanntgeworden, wonach diese bezüglich der Beobachtung von djihadisti-
schen Syrien-Rückkehrern an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen?
Werden nach Kenntnis der Bundesregierung zusätzliche personelle und
finanzielle Ressourcen zur Beobachtung von Syrien-Rückkehrern bzw. der
Ausbildung von geschulten Beamten von Polizeien und Geheimdiensten
von Bund und Ländern bereitgestellt?
Wenn ja, wann, wie viele und, für welche Behörden?

12. Was sind die wesentlichen Eckpunkte der vom EU-Innenministerrat vom
5. Juni 2014 angenommenen Strategie für eine sogenannte Deradikalisie-
rungsstrategie bezüglich der djihadistischen Szene?

13. Teilt die Bundesregierung die geäußerte Vermutung, dass sich djihadistische
Syrien-Kämpfer unter den Mittelmeerflüchtlingen befinden könnten, und
wenn ja, was macht diese Annahme plausibel angesichts der Tatsache, dass
solche zu Anschlägen ausgebildete Kämpfer – insbesondere wenn es sich
um EU-Bürger handelt – anstelle des hochriskanten Weges über das Mittel-
meer auch einfacher nach Europa gelangen könnten?

14. Welche Möglichkeiten gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung, eine
Wiedereinreise von Syrien-Kämpfern mit
a) deutscher Staatsangehörigkeit oder
b) nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, die ein Aufenthaltsrecht in der Bun-

desrepublik Deutschland besitzen
in die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern?
Inwieweit und durch welche Stellen wird die Möglichkeit überprüft, deut-
schen Staatsbürgern, die aufgrund ihrer Teilnahme an den Kämpfen in Sy-
rien als „Gefährder“ gelten, eine Wiedereinreise in die Bundesrepublik
Deutschland zu verwehren?

15. Inwieweit gibt es bei Innenbehörden von Bund und – nach Kenntnis der
Bundesregierung – Ländern Überlegungen, sogenannten Gefährdern neben
dem Reisepass auch den Personalausweis zu entziehen, um eine damit mög-
liche Einreise über die Türkei nach Syrien zu verhindern?
a) Wer bzw. welche Behörde hat die Überprüfung einer derartigen Maß-

nahme angeregt?

Drucksache 18/2276 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
b) In welcher Form bzw. von welchen Stellen wird die Möglichkeit einer
solchen Maßnahme überprüft, und bis wann wird mit einem Ergebnis
dieser Prüfung gerechnet?

c) Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen nach Kenntnis der Bundes-
regierung zum Entzug des Personalausweises, und in welcher Form
könnten sich die Betroffenen dann ausweisen?

16. In welchen und wie vielen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges nach Syrien reisende Djiha-
distinnen und Djihadisten an der Ausreise aus Deutschland gehindert (bitte
Zeitpunkt und rechtliche Begründung der Ausreiseverweigerung benen-
nen)?

17. In welchen und wie vielen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in Deutschland wohnhafte djihadistische Syrien-Rückkehrer ohne
deutsche Staatsbürgerschaft an der Wiedereinreise gehindert (bitte Zeit-
punkt und rechtliche Begründung der Einreiseverweigerung benennen)?

18. Inwieweit bestehen bei der Bundesregierung Überlegungen, Personen die
die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben, diese wieder zu entziehen,
weil sie sich einer als terroristisch eingestuften Organisation angeschlossen
haben?

19. Worauf stützt sich die Aussage einer Sprecherin des Bundesministeriums der
Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) über eine „dem BMJV bekannt ge-
wordene hohe Zahl von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auf Grundlage
des § 89a Strafgesetzbuch, die unter anderem die Syrienfälle betreffen“
(www.welt.de/politik/deutschland/article129292041/CDU-will-deutsche-
Dschihadisten-ausbuergern.html) angesichts der Antwort der Bundesregie-
rung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., dass im Jahr 2013
gerade einmal zwei solcher Verfahren gegen sieben Beschuldigte eingeleitet
wurden (Bundestagsdrucksache 18/1295)?

20. Wie viele Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 89a „Vorbereitung einer
schweren staatsgefährdenden Gewalttat“, § 89b „Aufnahme von Beziehun-
gen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ und § 91
des Strafgesetzbuchs (StGB) „Anleitung zur Begehung einer schweren
staatsgefährdenden Gewalttat“ wurden bislang nach Kenntnis der Bundes-
regierung im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg und daran
beteiligten djihadistischen Gruppierungen gegen wie viele Personen ein-
geleitet (bitte nach Rechtsnorm, Zeitpunkt und Stand des Verfahrens auf-
schlüsseln und angeben, ob zugleich wegen der §§ 129a, 129b StGB gegen
die betroffenen Personen ermittelt oder Anklage erhoben wurde)?

Berlin, den 30. Juli 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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