BT-Drucksache 18/2264

Empfehlungen zur Arzneimittelversorgung durch den Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen

Vom 31. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2264
18. Wahlperiode 31.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Elisabeth Scharfenberg,
Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner,
Katja Dörner, Kai Gehring, Ulle Schauws, Tabea Rößner, Doris Wagner,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Empfehlungen zur Arzneimittelversorgung durch den Sachverständigenrat
zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen

Das am 23. Juni 2014 übergebene Gutachten des Sachverständigenrates zur
Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen „Bedarfsgerechte Ver-
sorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungs-
bereiche“ enthält im Teil I „Bedarfsgerechte Versorgung in ausgewählten Leis-
tungsbereichen“ u. a. Analysen und Empfehlungen zur Arzneimittelversorgung.
Im internationalen Vergleich sei der deutsche Arzneimittelmarkt, statt durch
direkte Preisregulierungen auf der Herstellerebene, durch ein hochkomplexes
Geflecht von ca. 25 Regulierungsinstrumenten, die sich insbesondere an nieder-
gelassene Ärztinnen und Ärzte richten, geprägt. Dieses deutsche Regulierungs-
system würde stetig ergänzt. Die Instrumente würden sich „in kaum mehr über-
schaubarer Weise gegenseitig verstärken, abschwächen, überflüssig“ machen
und würden teilweise sogar ihre vom Gesetzgeber anvisierten Effekte aus-
schließen (Nummer 7 Kurzfassung Sachverständigenrat zur Begutachtung der
Entwicklung im Gesundheitswesen 2014).
Seit 25 Jahren sei die Strukturkomponente die dominante Einflussgröße des
Wachstums der GKV-Arzneimittelausgaben (GKV: gesetzliche Krankenversiche-
rung). Die Zahl der Verordnungen wäre weitgehend konstant, das Preisniveau
ginge in den letzten 20 Jahren zurück. „Bis zum Jahr 2006 wirkte der Interme-
dikamenteneffekt deutlich stärker ausgabensteigernd, während danach der Intra-
medikamenteneffekt (Wechsel zwischen Packungsgrößen und Wirkstärken) die
dominante Einflussgröße bildete. Vor dem Hintergrund der Entwicklung des
Arzneimittelmarktes kann es somit nicht um das ‚Ob‘, sondern nur um das ‚Wie‘
einer Frühbewertung des Zusatznutzens von Arzneimittelinnovationen gegen-
über der bestehenden zweckmäßigen Vergleichstherapie gehen.“ (Nummer 11).
Zum Thema Lieferengpässe bei Arzneimitteln wird festgestellt, dass es sich um
ein weltweites Problem handele und in beträchtlichem Maße chemotherapeuti-
sche Medikamente und Antibiotika betroffen wären. Über die in der Debatte
normalerweise genannten Ursachen (Engpässe bei der Produktion der Roh-
stoffe, Verlagerung der Wirkstoffproduktion auf wenige Standorte meist außer-
halb Europas) verweist der Sachverständigenrat u. a. auf: unterbliebene not-
wendige Investitionen in die teilweise veralteten Produktionsstätten, die Reduk-
tion des Sortiments mit der Folge einer geringeren Zahl von Alternativpräpara-
ten, Re- und Parallelimporte sowie die teilweise Entfernung niedrigpreisiger
Generika vom Markt (Nummer 12).

Drucksache 18/2264 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bei der Untersuchung der regionalen Unterschiede in der Arzneimittelver-
sorgung weist der Sachverständigenrat darauf hin, dass diese beträchtlich seien.
Es mangele in Deutschland an Studien zu den gesundheitlichen Folgen des re-
gional unterschiedlichen Verschreibungsverhaltens von Arzneimitteln. Als mög-
liche Instrumente zur Beeinflussung des Arzneimittelverordnungsverhaltens
diskutiert der Sachverständigenrat neben Ausgaben- und Richtgrößenvolumina
Leitsubstanz-, Verordnungshöchst-, Verordnungsmindest-, Analogpräparate-,
Generika-, und Aut-idem- oder Spezialpräparate-Quoten. Notwendig sei ein
zeitnahes praxisindividuelles Reporting im Rahmen eines Verordnungsspiegels
sowie strukturierte Qualitätszirkel. Zur Bereitstellung von Wissen für eine qua-
litativ hochwertige, evidenzbasierte und bedarfsgerechte Gesundheitsversor-
gung schlägt der Sachverständigenrat vor, ein unabhängiges deutsches Institut
für Gesundheitswissen zu etablieren, das Ärztinnen und Ärzten verständliche
Darstellungen relevanter Befunde in deutscher Sprache zur Verfügung stellt
(Nummer 18, 23 und 25).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Sachverständigenrates, dass

sich die zahlreichen im Arzneimittelbereich eingesetzten Instrumente im Zu-
sammenspiel
a) verstärken,
b) abschwächen,
c) überflüssig machen, oder
d) die anvisierten Effekte ausschließen?
Falls ja, welche Instrumente sortiert sie den unter a bis d aufgeführten Kate-
gorien zu?
Falls nein, wie begründet sie dies?
Welche Instrumente hält die Bundesregierung für besonders wirkungsvoll,
und warum?

2. Plant die Bundesregierung eine grundlegende Überarbeitung der zur Steue-
rung der Arzneimittelausgaben eingesetzten Instrumente?
Falls ja, wann?
Falls nein, warum nicht?

Wirtschaftlichkeitsprüfung (Nummer 42)
3. a) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des Sachverständigen-

rates, eine Anpassung des Berechnungsverfahrens arztgruppenspezifischer
Richtgrößenvolumina zu prüfen?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die vorgeschlagene Zusammenstellung
einer homogenen und für eine Fachdisziplin repräsentativen Gruppe von
Praxen als Berechnungsgrundlage?

4. Will die Bundesregierung die empfohlene stärkere Steuerung durch qualitativ
medizinische Parameter, beispielsweise über Leitsubstanzen, aufgreifen?
Wenn ja, wie?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2264
Nutzenbewertung (Nummer 29, 32 sowie 43, 44)
5. a) Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik des Sachverständigenrates,

dass Orphan Drugs sowie Arzneimittel, die nur im stationären Sektor
eingesetzt werden, keiner Nutzenbewertung unterzogen werden?

b) Plant die Bundesregierung vorzuschlagen, diese fehlenden Bereiche im
Interesse einer evidenzbasierten Behandlung und zur Vermeidung von
potentiellen Schäden in die frühe Nutzenbewertung aufzunehmen?

6. a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Sachverständigenrates,
dass aus inhaltlicher Sicht erstrebenswert ist, eine institutionalisierte
systematische Nutzenbewertung von Arzneimitteln des Bestandsmarktes
durchzuführen?
Falls ja, welche gesetzlichen Regelungen plant sie hierfür vorzuschlagen?
Falls nein, warum nicht?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die immer wieder erhobene Forde-
rung, dass zumindest Arzneimittel, die als Vergleichstherapie in der
Nutzenbewertung herangezogen werden, selbst einer solchen unterzogen
werden?

7. a) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des Sachverständigen-
rates, Kosten-Nutzen-Analysen als zusätzliches Entscheidungskriterium
für die Preisfindung zuzulassen?

b) Welche Dimensionen der (Zusatz-)Kosten wären aus ihrer Sicht hierbei
angebracht?

c) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des Sachverständigen-
rates, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund-
heitswesen (IQWiG) methodische Vorgaben für die gesundheitsökono-
mische Analyse erarbeiten und dem G-BA vorschlagen soll, um im Sinne
der Pluralität zu ermöglichen, dass solche Kosten-Nutzen-Analysen auch
von anderen Institutionen und nicht ausschließlich vom IQWiG durch-
geführt werden können?

8. a) Welche möglichen Synergien einer vom Sachverständigenrat angeregten
harmonisierten europäischen Nutzenbewertung sieht die Bundesregie-
rung?

b) Prüft die Bundesregierung solche Möglichkeiten?
c) Welche Schritte sind aus ihrer Sicht hierbei voranzutreiben, welche plant

oder unternimmt sie?

Lieferengpässe (Nummer 45)
9. a) Welche der vom Sachverständigenrat genannten Gründe für Liefer-

engpässe im Arzneimittelbereich sind aus Sicht der Bundesregierung die
ausschlaggebenden?

b) Wo sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, und welche Maßnah-
men plant sie dem Deutschen Bundestag vorzuschlagen?

10. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des Sachverständigen-
rates, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte be-
stehende Liste zu aktuellen Lieferengpässen bei Humanarzneimitteln zu
einem verpflichtenden Melderegister zu erweitern, und plant sie hierzu eine
gesetzliche Regelung vorzuschlagen?

Drucksache 18/2264 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
11. a) Wie bewertet sie den Vorschlag des Sachverständigenrates, dass unter
Mitwirkung der Fachgesellschaften eine Liste klinisch unentbehrlicher
Medikamente erstellt werden soll, um auf deren Basis eine Ausweitung
der Produktions- und Lagerkapazitäten pharmazeutischen Herstellern
gesetzlich vorzuschreiben?

b) Ist aus Sicht der Bundesregierung eine Definition klinisch unentbehr-
licher Medikamente möglich, und wie weit ist man bei der Erstellung
einer solchen Liste?

c) Plant die Bundesregierung die Ausweitung von Produktions- und Lager-
kapazitäten pharmazeutischer Hersteller für unentbehrliche Arznei-
mittel?
Falls ja, wann ist mit einem Gesetzentwurf zu rechnen?
Falls nein, warum nicht?

Verfügbarkeit evidenzbasierter Informationen (Nummer 46)
12. a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Sachverständigenrates,

dass für therapeutische Entscheidungen von Ärztinnen und Ärzten von
grundsätzlicher Bedeutung ist, dass entsprechende Informationen un-
abhängig von finanziellen Partikularinteressen zur Verfügung gestellt
werden?
Falls ja, wie, und wann plant die Bundesregierung die Förderung bzw.
Verpflichtung zu herstellerunabhängigen Arzneimittelfortbildungen vor-
zuschlagen?
Falls nein, warum nicht?

b) Unterstützt die Bundesregierung die Empfehlung des Sachverständigen-
rates für strukturierte ärztliche Pharmakotherapie-Qualitätszirkel?
Falls ja, wie, und wann plant die Bundesregierung die Förderung bzw.
Verpflichtung zu strukturierte Pharmakotherapie-Qualitätszirkel, und in
welcher Art und Weise sollten in Deutschland aus Sicht der Bundesregie-
rung die pharmakologischen Kompetenzen von Apothekerinnen und
Apotheker einbezogen werden?
Falls nein, warum nicht?

13. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Sachverständigenrates,
dass auch Studien ohne positive Ergebnisse regelmäßig veröffentlicht wer-
den müssen?
Falls ja, unterstützte sie die Forderung des Sachverständigenrates, dass alle
klinischen Studien in einem öffentlichen Register erfasst werden müssen,
und plant sie entsprechende gesetzliche Verpflichtungen zur Registrierung
und Ergebnisveröffentlichung vorzuschlagen?
Falls nein, warum nicht?

14. a) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des Sachverständigen-
rates, dass von einer glaubwürdigen, nachhaltig finanzierten Institution
unabhängige Informationen über Arzneimittel, Medizinprodukte und
therapeutische Verfahren bereitgestellt werden sollten?

b) Plant die Bundesregierung eine solche Institution?
Falls ja, welche Ideen und Vorschläge hat sie über die institutionelle
Anbindung sowie Finanzierung?
Falls nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2264
Multimedikation (Nummer 47 und 49)
15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Sachverständigenrates,

dass in ärztlichen Leitlinien das Thema Multimedikation besser berücksich-
tigt werden sollte?
Falls ja, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die entspre-
chende Bearbeitung der Leitlinien zu befördern bzw. zu unterstützen?

16. a) Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung des Sachverständigen-
rates nach der Weiterentwicklung und regelhaften Einführung eines
strukturierten Medikamentenabgleichs bei Mehrfachmedikation oder
Krankenhausentlassungen?

b) Liegen für eine regelhafte Einführung bereits ausreichende Erfahrungen
vor?
Falls nein, wann rechnet die Bundesregierung mit dem Vorliegen solcher
Informationen?

c) Gibt es von Seiten der Bundesregierung bereits Überlegungen, wie eine
solche Tätigkeit honoriert werden soll, oder geht die Bundesregierung
davon aus, dass solche Aufgaben in der bestehenden Honorierung von
Apothekerinnen und Apothekern ganz oder teilweise enthalten sind?

Arzneimitteldistribution (Nummer 49)
17. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Sachverständigenrates,

dass sich aus ordnungs- und versorgungspolitischer Sicht für eine effiziente
und effektive Arzneimitteldistribution eine Aufhebung des Fremd- und
Mehrbesitzverbotes begründen lässt?
Falls ja, wie steht dies im Verhältnis zum Koalitionsvertrag zwischen CDU,
CSU und SPD?
Falls nein, warum nicht?

18. a) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des Sachverständigen-
rates nach einer Reform der Apothekenhonorierung?

b) Welche Vor- und Nachteile wären aus Sicht der Bundesregierung mit den
vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen apothekenindividuellen Han-
delsspannen verbunden?

c) Teilt sie die Einschätzung des Sachverständigenrates, dass ein hierdurch
verstärkter Preiswettbewerb einen Anreiz zur Niederlassung in struktur-
schwachen ländlichen Regionen setzt?

Berlin, den 30. Juli 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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