BT-Drucksache 18/2247

Anerkennungspraxis des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bei Anträgen auf Kriegsdienstverweigerung von Soldatinnen und Soldaten

Vom 30. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2247
18. Wahlperiode 30.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Kunert, Jan Korte, Christine Buchholz, Annette Groth,
Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Stefan Liebich, Dr. Alexander S. Neu,
Petra Pau, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Anerkennungspraxis des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche
Aufgaben bei Anträgen auf Kriegsdienstverweigerung von Soldatinnen und
Soldaten

Unabhängig von der Aussetzung der Wehrpflicht bleibt das Recht für jede und
jeden bestehen, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen gemäß
Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) zu verweigern. Dieses Recht lässt
sich auch aus Artikel 18 (Gewissens-, Gedanken- und Religionsfreiheit) des
Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) ab-
leiten. Über die Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern,
entscheidet das Bundesamt für Familien und zivilgesellschaftliche Aufgaben
(BAFzA) auf Antrag. Der Antrag ist von der Antragstellerin oder dem Antrag-
steller schriftlich oder zur Niederschrift beim Kreiswehrersatzamt (Karriere-
center der Bundeswehr) zu stellen und wird nach erfolgter Eingangsbestätigung
an das BAFzA weitergeleitet.
Der Antrag muss die Berufung auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweige-
rung im Sinne des Artikels 4 Absatz 3 Satz 1 GG enthalten. Ein vollständiger
tabellarischer Lebenslauf und eine ausführliche persönliche Begründung für die
Gewissensentscheidung müssen dem Antrag beigefügt oder innerhalb eines
Monats beim BAFzA eingereicht werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat
mit Urteil vom 22. Februar 2012 (6 C 11/11) entschieden, dass auch Berufs- so-
wie Zeitsoldatinnen und -soldaten im Sanitätsdienst ein Kriegsdienstverweige-
rungsrecht zusteht.
Für viele Soldatinnen und Soldaten stellt der veränderte Auftrag der Bundes-
wehr, an einer wachsenden Zahl von Kampfeinsätzen im Ausland teilzunehmen,
den ausschlaggebenden Grund dar, den Kriegsdienst zu verweigern. Töten zu
müssen oder selbst getötet zu werden ist ein wahrscheinlicher gewordenes Ri-
siko und nicht mehr nur eine bloße hypothetische Möglichkeit. Hinzu kommen
persönliche Schlüsselerlebnisse, die sich aus den Einsatzrealitäten vor Ort er-
geben und dazu beitragen, dass sich die Einstellung von Soldatinnen und Solda-
ten zum Kriegseinsatz verändern kann (vgl. DIE WELT vom 6. Mai 2014).
Nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller ist die Anerkennungspraxis
des BAFzA durch ein restriktives Vorgehen gekennzeichnet. Dies gilt sowohl
für die in etlichen Fällen langen Bearbeitungszeiten, aber vor allem hinsichtlich
der rückläufigen Anerkennungsquoten. Presseberichten zufolge soll allein vom
ersten bis zum vierten Quartal 2013 die Anerkennungsquote von 83 Prozent auf
unter 40 Prozent gesunken sein (vgl. DIE WELT vom 6. Mai 2014). Angesichts
dessen stellt sich die Frage, inwieweit durch den wachsenden Rekrutierungs-

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bedarf der Bundeswehr an einsatzwilligen Soldatinnen und Soldaten das grund-
gesetzlich garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgehebelt wird.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin bzw.

Kriegsdienstverweigerer (KDV-Anträge) wurden seit Aussetzung der
Wehrpflicht von Soldatinnen und Soldaten gestellt (bitte möglichst nach
Monat, Jahr, Geschlecht und Dienstgradgruppen aufschlüsseln)?

2. Wie viele dieser KDV-Anträge wurden seit dem 12. März 2012 (vgl. Ant-
wort der Bundesregierung zu Frage 2 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/12632) von Sanitätssoldatinnen und
-soldaten gestellt (bitte nach Monat, Jahr, und Geschlecht aufschlüsseln)?

3. Wie viele der seit Aussetzung der Wehrpflicht gestellten KDV-Anträge wur-
den bis zum heutigen Zeitpunkt
a) anerkannt,
b) abgelehnt,
c) sind noch in Bearbeitung
(bitte möglichst nach Monat, Jahr, absolute Zahlen und Prozentangaben auf-
schlüsseln)?

4. In wie vielen Antragsfällen hat das BAFzA seither eine schriftliche und/
oder mündliche Anhörung durchgeführt (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

5. Nach welchen Kriterien und auf welchen konkreten Rechtsgrundlagen und
Dienstvorschriften werden seitens des BAFzA die von den Antragstelle-
rinnen und Antragstellern vorgebrachten Gründe für ihre Gewissensumkehr
und ein daraus resultierendes Kriegsdienstverweigerungsbedürfnis auf ihre
Glaubwürdigkeit überprüft?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die generellen Möglichkeiten, die Plau-
sibilität einer Gewissensumkehr bei Kriegsdienstverweigerinnen und
Kriegsdienstverweigern zuverlässig überprüfen zu können, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie ggf. hieraus für die behördliche Anerken-
nungspraxis?

7. Welche Gründe bzw. Motive für eine Kriegsdienstverweigerung werden
nach Kenntnis der Bundesregierung von den Antragstellerinnen und An-
tragstellern am häufigsten angeführt, und welche Bedeutung spielt hierbei
insbesondere eine eventuelle oder tatsächliche Teilnahme an einem Aus-
landseinsatz der Bundeswehr?

8. Wie viele Soldatinnen und Soldaten wurden seit Aussetzung der Wehr-
pflicht infolge ihrer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin bzw. Kriegs-
dienstverweigerer vorzeitig entlassen (bitte nach Monat, Jahr und Ge-
schlecht aufschlüsseln)?

9. Von wie vielen Soldatinnen und Soldaten wurden nach erfolgter vorzeitiger
Entlassung infolge einer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer Ausbil-
dungskosten zurückgefordert, und auf welche Höhe beliefen sich diese
Rückerstattungsforderungen (bitte nach Jahren und Summenspannen auflis-
ten)?

10. In wie vielen Fällen wurden seit Aussetzung der Wehrpflicht Soldatinnen
und Soldaten für den Bearbeitungszeitraum ihres KDV-Antrages auf eige-
nen Wunsch vom Dienst an der Waffe befreit, und in wie vielen Fällen
wurde ein solcher Antrag abgelehnt (bitte nach Monat, Jahr und Geschlecht
aufschlüsseln)?

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11. In wie vielen Fällen und für welchen Zeitraum wurden seit Aussetzung der
Wehrpflicht anerkannte Kriegsdienstverweigerinnen und Kriegsdienst-
verweigerer nach Erhalt eines positiven Bescheides des BAFzA nicht
unmittelbar aus dem Dienstverhältnis bei der Bundeswehr entlassen, und
welche Gründe waren hierfür nach Kenntnis der Bundesregierung verant-
wortlich?

12. In wie vielen Fällen wurde seit Aussetzung der Wehrpflicht nach Kenntnis
der Bundesregierung die empfohlene durchschnittliche Bearbeitungsdauer
von vier Wochen gemäß Erlass aus dem Jahr 2006 überschritten (vgl. Ant-
wort der Bundesregierung zu Frage 6 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/12632), und welche Gründe waren
hierfür nach Kenntnis der Bundesregierung verantwortlich (bitte nach
Monat und Jahr aufschlüsseln)?

13. Wie hoch beziffert die Bundesregierung den Personalbedarf in den Kreis-
wehrersatzämtern und im BAFzA, um die KDV-Anträge in den vorgesehen
Fristen zu bearbeiten, und welche Konsequenzen hat sie bislang daraus ge-
zogen?

14. Inwieweit werden nach Kenntnis der Bundesregierung in der Rekrutie-
rungspraxis der Bundeswehr potenzielle Bewerberinnen und Bewerber über
ihr Recht auf Kriegsdienstverweigerung informiert?

15. Welche konkreten Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen,
um die Entscheidungsverfahren bei KDV-Anträgen bezüglich der formellen
Anforderungen und inhaltlichen Anerkennungskriterien künftig zu verein-
fachen sowie die durchschnittliche Bearbeitungsdauer zu verkürzen (bitte
begründen)?

Berlin, den 30. Juli 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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