BT-Drucksache 18/2151

Geheimdienstliche Angriffe und Spionage bei deutschen Unternehmen

Vom 16. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2151
18. Wahlperiode 16.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Martina Renner,
Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE.

Geheimdienstliche Angriffe und Spionage bei deutschen Unternehmen

Vor circa einem Jahr gab der Mitarbeiter der National Security Agency (NSA)
Edward Snowden durch seine umfassenden Enthüllungen Einblicke in die Ab-
hör- und Spionagepraxis des US-Geheimdienstes. Dabei wurde deutlich, dass
neben der nahezu lückenlosen Massenüberwachung des Internets auch Spionage
zu politischen und wirtschaftlichen Zwecken betrieben wird. So wurden bei-
spielsweise die Mobiltelefone fast aller Staats- und Regierungschef weltweit
abgehört sowie ganze Netze infiltriert. Dabei gerieten u. a. China, Brasilien,
Mexiko, die Europäische Union und – mit der Abhörung des Mobiltelefons der
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel – auch die Bundesrepublik Deutschland in
den Fokus des US-Geheimdienstes. Daneben wurden auch Konzerne in etlichen
Staaten bespitzelt. Nach den Enthüllungen war schließlich davon auszugehen,
dass die USA nicht nur im Rahmen der Terrorismusabwehr gezielt Informa-
tionen abschöpfen und diese kategorisch sammeln, sondern auch spionieren, um
sich einen, insbesondere wirtschaftlichen, Vorteil zu verschaffen. Gegenüber
dem NDR bestätigte Edward Snowden in seinem ersten Fernsehinterview auf
Nachfrage dann offiziell, dass sich die USA auch Informationen beschaffen,
wenn diese nicht den Belangen der nationalen Sicherheit dienen. So nannte
Edward Snowden folgendes Beispiel: „Wenn es etwa bei Siemens Informa-
tionen gibt, die dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten nutzen, aber
nichts mit der nationalen Sicherheit zu tun haben, dann nehmen sie sich diese
Informationen trotzdem“ (DER TAGESSPIEGEL, 27. Januar 2014, „Wirt-
schaftsspionage – der lohnende Lauschangriff“).
Die Schäden, die durch Wirtschaftsspionage für Unternehmen in der Bundes-
republik Deutschland entstehen, belaufen sich nach Annahmen des Bundes-
ministers des Innern Dr. Thomas de Maizière jährlich auf rund 50 Mrd. Euro.
Tatsächlich ist die Dunkelziffer kaum abschätzbar, dürfte aber um ein vielfaches
höher sein (DER TAGESSPIEGEL, 27. Januar 2014, „Wirtschaftsspionage –
der lohnende Lauschangriff“). In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Frak-
tion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag zählt die Bundesregierung 216 Fälle
von Wirtschafts- und Industriespionage seit dem Jahr 2000 auf. Die meisten An-
griffe würden jedoch unentdeckt bleiben (vgl. Bundestagsdrucksache 18/159).
Das liege vor allem daran, dass sie überwiegend gar nicht registriert werden oder
aber, dass das betroffene Unternehmen eine Rufschädigung und damit einher-
gehende Umsatzeinbußen befürchtet und einen Angriff nicht meldet.
Wirtschaftsspionage geht per Definition von ausländischen Geheimdiensten aus
und fällt daher in die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes. Der Verfassungs-
schutz selbst geht offenbar nicht davon aus, dass durch die Spionage der NSA
und anderer „befreundeter Dienste“ eine Gefahr ausgeht. Im Verfassungsschutz-

Drucksache 18/2151 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
bericht 2013 ist lediglich davon die Rede, dass dies „in der Öffentlichkeit als
eine Gefährdung neuer Qualität wahrgenommen“ werde. Dennoch gehe der
Inlandsgeheimdienst „gewissenhaft jedem Anfangsverdacht von Spionage
nach“. Deshalb habe das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Sommer
2013 „eine Sonderauswertung zur Aufklärung der Vorwürfe eingerichtet, die
sich mit der Beschaffung und Analyse relevanter Informationen befasst“. Der
Präsident des BfV Dr. Hans-Georg Maaßen warnte jedoch in diesem Zusam-
menhang davor, „immer auf die Vereinigten Staaten zu schielen“ (Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 9. Mai 2014, „Firmen verlieren Geheimnisse durch Un-
achtsamkeit“). Nach Angaben der Tageszeitung „DIE WELT“ vermuten die
deutschen Sicherheitsbehörden, dass auch die Briten und Franzosen in der Bun-
desrepublik Deutschland spionieren: „Laut Spionageabwehr dienen viele Bot-
schaften am Sitz der Regierung als Abhörstationen“ (DIE WELT Online,
3. November 2013, „Berlin ist die europäische Hauptstadt der Agenten“). Ent-
gegen Edward Snowdens Behauptung gäbe es aber wohl keinerlei Hinweise da-
rauf, dass die NSA deutsche Unternehmen ausforschte. Ähnlich äußerte sich
schon der damalige Bundesminister des Innern Dr. Hans-Peter Friedrich im Juli
2013 im Rahmen seiner USA-Reise direkt nach Bekanntwerden von Edward
Snowdens Enthüllungen. Danach haben die Amerikaner „klipp und klar zugesi-
chert, dass ihre Geheimdienste keine Industriespionage betreiben“ (www.bmi.
bund.de/SharedDocs/Interviews/DE/2013/09/bm_tagesspiegel.html). Auch der
amtierende Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière sieht von den USA
keinerlei Gefahr ausgehen. Im Gegenteil: Obwohl mittlerweile Ermittlungen ge-
gen die NSA durch den Generalbundesanwalt aufgenommen wurden, werden
Zusammenarbeit und Kooperation zwischen dem Bundesministerium des In-
nern und dem Verfassungsschutz mit den amerikanischen Geheimdiensten wei-
terhin intensiviert und ausgeweitet (SPIEGEL ONLINE, 11. Juni 2014, „Verfas-
sungsschutz verstärkt Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten“).
Zeitgleich kündigt der Bundesinnenminister an, mögliche Abwehrmechanismen
gegen Spionageangriffe auszubauen (heise online, 8. Mai 2014, „NSA keine
Gefahr: Regierung warnt vor Wirtschaftsspionage“). Wie aus einer Kleinen
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. hervorgeht, fördert die Bundesregierung
beispielsweise im Rahmen des Forschungsprogrammes „Forschung für die
zivile Sicherheit II“ gezielt diejenigen Projekte, die Licht in das Dunkelfeld
der Wirtschaftsspionage bringen könnten (vgl. Bundestagsdrucksache 18/159).
Ebenso forderte der Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière die deut-
schen Unternehmen auf, „noch aktiver zu werden“, und kritisierte sie in ihrem
Umgang mit möglichen Spionageangriffen. Der Präsident des BfV Dr. Hans-
Georg Maaßen rügte insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen.
Diese handelten oft viel zu arglos und bei denen „mangele es an der Frage der
Sensibilität“ (heise online, 8. Mai 2014, „NSA keine Gefahr: Regierung warnt
vor Wirtschaftsspionage“).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie definiert die Bundesregierung „Wirtschaftsspionage“, und ist diese

Definition zwischen den Sicherheitsbehörden vereinheitlicht (wenn nein,
bitte die Unterschiede beschreiben)?

2. Wie viele Ermittlungsverfahren im Sinne dieser Definitionen wurden in den
letzten zehn Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gegen Vertreter wel-
cher Unternehmen, Dienste und Staaten durchgeführt (bitte nach Jahren auf-
führen), und wie viele davon führten zu Verurteilungen in welcher Höhe?

3. Welche vorgeschriebenen oder durch Absprachen festgelegten Meldewege
gibt es für Fälle von Wirtschaftsspionage, und wie entsteht die seit längerem
behauptete Schadenssumme von 50 Mrd. Euro durch diese?

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4. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den gegensätzli-
chen Aussagen von Edward Snowden und Vertretern der US-Geheimdienste
hinsichtlich möglicher Spionageangriffe auf deutsche Unternehmen?

5. Woher nimmt die Bundesregierung nach Bekanntwerden des NSA-Skan-
dals die Sicherheit, dass kein US-amerikanischer Geheimdienst deutsche
Unternehmen und Konzerne ausspäht?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Tätigkeiten privater
ausländischer Sicherheits- und Geheimdienste auf deutschem Boden insbe-
sondere im Bereich der Wirtschaftsspionage?

7. Welche Ergebnisse hat die „Sonderauswertung Technische Aufklärung
durch US-amerikanische, britische und französische Nachrichtendienste“
zur Überprüfung der Enthüllungen durch Edward Snowden in Bezug auf
Wirtschaftsspionage bis heute ergeben?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, in welchen anderen Staaten die NSA und
andere US-Dienste Wirtschaftsspionage betrieben haben bzw. betreiben?

9. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über private Sicherheits-
firmen und Geheimdienste, die als Dienstleister im Auftrag ausländischer
Geheimdienste oder Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland
Wirtschaftsspionage betreiben?

10. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung unter dem im Koalitions-
vertrag zwischen CDU, CSU und SPD festgelegten Stichwort „Wirtschafts-
schutz“, welche finanziellen Mittel plant sie dafür einzusetzen, und welche
Vorhaben sind derzeit in welchem Stand der Umsetzung?

11. Was rät die Bundesregierung insbesondere kleinen und mittelständischen
Unternehmen, um sich vor Spionageangriffen zu schützen, welche konkre-
ten Maßnahmen schlägt sie vor, und wie will sie sie dabei unterstützen?

12. Strebt die Bundesregierung dazu eine engere Zusammenarbeit zwischen
Unternehmen und Sicherheitsbehörden an?
Wenn ja, wie soll diese aussehen?

13. Welche Rolle spielt nach Kenntnis der Bundesregierung im Zusammenhang
mit Wirtschaftsspionage die „Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirt-
schaft (ASW)“, und in welcher Form und in welchen zeitlichen Abständen
tagen die in diesem Rahmen eingerichteten Gremien oder Arbeitsgruppen?

14. Welche weiteren Public-Private-Partnership-ähnlichen Kooperationen gibt
es unter Beteiligung von Bundesbehörden, und welche Aufgaben werden
von ihnen jeweils bearbeitet?

15. Inwieweit sind deutsche Behörden in die Abwehr von konkreten Spionage-
attacken gegen deutsche Unternehmen involviert, und wie viele solcher
Fälle hat es seit dem Jahr 2005 gegeben?

16. Welche Gefahr sieht die Bundesregierung von Innentäterinnen und Innen-
tätern ausgehend, und welche Maßnahmen schlägt sie Unternehmen dies-
bezüglich vor?

17. Wie will die Bundesregierung Unternehmen vor dem Öffentlichwerden ei-
nes Angriffes und damit einhergehenden Umsatzeinbußen schützen?

Berlin, den 16. Juli 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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