BT-Drucksache 18/2110

Mögliche Unterstützung der Bundesregierung für die geplante EU-Polizeimission in der Ukraine

Vom 9. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2110
18. Wahlperiode 09.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Petra Pau und
der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Unterstützung der Bundesregierung für die geplante EU-Polizeimission
in der Ukraine

Der Rat der Europäischen Union will eine Polizeimission in die Ukraine entsen-
den, die auf zunächst zwei Jahre angelegt ist. Die Mission soll aus rund 40 An-
gehörigen bestehen, die zunächst in Kiew, perspektivisch auch in anderen
Städten eingesetzt werden sollen. Als Aufgabengebiet wird ausdrücklich das
gesamte Territorium der Ukraine genannt (Council of the European Union
10454/1/14 REV 1, veröffentlicht auf www.statewatch.org/whatsnew.htm).
Die Mission soll die Kiewer Regierung darin unterstützen, die Kontrolle über
alle Landesteile und den gesamten Sicherheitsbereich wiederzuerlangen.
Um verlässliche, effektive und loyale Sicherheitsdienste zu schaffen, sei eine
„radikale Strukturreform“ der Sicherheitsbehörden notwendig. Die EU-Polizei-
mission soll die ukrainischen Sicherheitsbehörden „beraten und anweisen“. Da-
bei wird auf eine „enge Koordination“ mit dem Verteidigungssektor gesetzt, um
die „Einheitlichkeit der Bemühungen“ sicherzustellen.
Eine Vermischung militärischer und zivil-polizeilicher Aufgaben kennzeichnet
insbesondere die neugeschaffene Nationalgarde. Diese rekrutiert sich maß-
geblich aus früheren gewalttätigen Aktivisten auf dem Maidan, von denen ein
Großteil der rechtsextremen Szene zuzurechnen ist (vgl. z. B. „Maidan Square
activists urged to fight for Ukraine in the east“, the guardian, 13. Mai 2014). Ihre
Gründung, so heißt es in dem EU-Dokument, sei notwendig geworden, „um die-
jenigen, die auf dem Maidan gekämpft haben, irgendwie zu beschäftigen und die
Verbreitung von Gewalt zu verhindern, nachdem die Maidan-Kämpfe beendet
waren“. Die Nationalgarde wird derzeit vorrangig zur militärischen Bekämp-
fung der Rebellen im Osten des Landes eingesetzt (http://vv.gov.ua/). Sie be-
nötigt laut EU-Rat hochrangige Berater, die bei ihrer weiteren Entwicklung
assistieren sollten. Zur Beratung soll auch eine militärische Expertise gehören.
Die EU beklagt zwar, dass die bürgerlich-rechtsextreme Koalition in Kiew in
manchen Teilen des Landes die Kontrolle verloren hat, sie macht dafür aber ein-
seitig die „prorussischen“ Rebellen verantwortlich. Mit keinem Wort dagegen
wird in dem Dokument die Gewalt angesprochen, die von Rechtsextremen aus-
geht. Auch das Massaker am 2. Mai 2014 in Odessa, dem mindestens 46 Regie-
rungsgegner zum Opfer fielen, wird nicht erwähnt. Damit bestätigt die EU aus
Sicht der Fragesteller, dass sie keine unparteiische Kraft ist. Eine Aufrüstung des
ukrainischen Sicherheitsapparates mit Hilfe der EU ist daher aus Sicht der Fra-
gesteller vollkommen unangebracht. Denn die Kiewer Regierung, die laut
Dokument einen „rechtsstaatlichen“ Weg einschlägt, begeht Medienberichten
zufolge selbst zahlreiche Verbrechen, insbesondere bei der sogenannten Antiter-

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roroperation im Osten. Ein Bericht der Hohen Kommissarin der Vereinten Na-
tionen für Menschenrechte („Report on the human rights situation in Ukraine“)
vom 15. Juni 2014 zitiert Flüchtlinge aus dem Osten, die über Bombardierungen
von Regierungstruppen auf Kindergärten berichten und wirft der ukrainischen
Regierung mangelnde Kooperationsbereitschaft bei der Aufklärung des Massa-
kers in Odessa vor. Auch die wiederholten Absichten sowohl der Regierung als
auch des früheren Übergangspräsidenten Alexander Turtschinow, die Kommu-
nistische Partei der Ukraine (KPU) zu verbieten (vgl. z. B. „Turchinov seeks ban
of Communist Party for support of separatists“, KyivPost, 19. Mai 2014), deuten
aus Sicht der Fragesteller auf einen autoritären Kurs der gegenwärtigen ukraini-
schen Führung hin.
Die angekündigte Polizeimission stellt sich aus Sicht der Fragesteller nicht als
Beitrag zur Deeskalation dar, sondern als Unterstützung einer bürgerlich-rechts-
extremen Bürgerkriegspartei.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie positioniert sich die Bundesregierung zur geplanten EU-Polizeimission?
2. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung, deutsche Polizistinnen und

Polizisten an der Mission zu beteiligen, und wie fortgeschritten sind allfällige
Vorbereitungen hierzu?

3. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung weitere Formen der Unterstüt-
zung der Polizeimission?

4. Welche Überlegungen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bezüglich
des Einsatzes sogenannter Trainingsteams?
Sollen diese zusätzlich zu den rund 40 strategischen Beratern eingesetzt wer-
den oder sich aus diesen zusammensetzen?
Wenn diese zusätzlich eingesetzt werden,
a) wie viele Personen sollen ein Team bilden,
b) wie viele Teams sollen gebildet werden,
c) wie viele Personen sollen insgesamt in Trainingsteams eingesetzt werden,
d) welche Voraussetzungen sollen Bewerber für solche Trainingsteams mit-

bringen,
e) wer genau soll von diesen Teams trainiert werden, und wie soll sich das

Training gestalten?
5. Welche Schätzungen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung über die

voraussichtlichen Kosten der EU-Polizeimission?
6. Welchen Stand haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Verhandlungen

mit der ukrainischen Regierung über die Durchführung der Mission, und bis
wann ist mit ihrem Abschluss zu rechnen?

7. Wann kann nach Einschätzung der Bundesregierung die Mission beginnen,
und welche weiteren Voraussetzungen müssen zuvor erfüllt werden?
Welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen begegnet die Erfüllung
dieser Voraussetzungen nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit?

8. Welche Erwartungen setzt die Bundesregierung sowie ihrer Kenntnis nach
der Rat der EU in die künftige Entwicklung der ukrainischen Nationalgarde?

9. Inwieweit sind der Bundesregierung Berichte über Menschenrechtsverbre-
chen der Nationalgarde in Zusammenhang mit deren Vorgehen gegen Rebel-
len in der Ostukraine bekannt (bitte ggf. konkret benennen)?

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10. Inwieweit ist es nach Auffassung der Bundesregierung zielführend, die
Nationalgarde nicht aufzulösen, sondern vielmehr bei ihrer weiteren Ent-
wicklung zu „beraten“?
Welche Rolle spielt dabei die Überlegung, dass die Nationalgarde aus Mai-
dan-Aktivisten rekrutiert wurde, die nach Einschätzung des EU-Rates „ir-
gendwie“ beschäftigt werden mussten, um sie von weiteren, nicht staatlich
sanktionierten, Gewalttaten abzuhalten?

11. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Angehörige der Polizeimis-
sion die Nationalgarde in konkreten Einsätzen, auch solche gegen Rebellen
im Osten des Landes, begleiten oder sie in Zusammenhang mit solchen Ein-
sätzen beraten oder gar anweisen?
Falls nein, wie könnte eine solche Beratung oder Anweisung sich gestalten?
Falls die Bundesregierung diese Frage noch nicht beantworten kann, wird
sie sich innerhalb der EU dafür einsetzen, eine Beratung der Nationalgarde
in Zusammenhang mit solchen Einsätzen definitiv auszuschließen, und
wenn nein, warum nicht?

12. Soll die Nationalgarde nach Kenntnis der Bundesregierung eine militärische,
eine zivil-polizeiliche oder eine Einheit mit gemischten militärisch-polizei-
lichen Zuständigkeiten und Fähigkeiten sein, und falls sie keine rein zivil-
polizeiliche Einheit sein soll, wie begründet die Bundesregierung deren all-
fällige Unterstützung durch die EU und/oder die Bundesregierung selbst?

13. Welche Art von Maßnahmen zum Schutz der Polizeimission soll es geben?
Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Polizeimission von der
ukrainischen Armee oder der Nationalgarde geschützt wird?

14. Sieht die Bundesregierung die Europäische Union als „unparteiischen“ Ak-
teur im innerukrainischen Konflikt?

15. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung des EU-Rates, die de-
solate Sicherheitslage in der Ukraine stelle sich hauptsächlich im Kontroll-
verlust der Zentralregierung in der Ostukraine dar, wohingegen das
Massaker an Regierungsgegnern am 2. Mai 2014 in Odessa oder die Brand-
stiftungen an Büros der KPU oder Angriffe auf Repräsentanten linker
Kräfte mit keinem Wort erwähnt werden, und welche Schlussfolgerungen
und Konsequenzen zieht sie aus dieser Einseitigkeit in der Darstellung?

16. Welche Vorstellungen zur „Lustration“ der ukrainischen Sicherheitskräfte
gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung sowohl innerhalb der ukraini-
schen Regierung als auch des EU-Rates und bei ihr selbst?

17. Inwiefern hält die Bundesregierung es für notwendig, bei Beibehalten oder
gar Ausbau der Nationalgarde auch eine Überprüfung ihrer Anhänger auf
einen gewalttätigen und/oder rechtsextremen Hintergrund durchzuführen?
Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil von Anhängern
rechtsextremer Organisationen oder nicht organisierter Rechtsextremer in
der Nationalgarde?

18. Wie rechtfertigt die Bundesregierung generell die Unterstützung des Sicher-
heitsapparates einer Regierung, der eine rechtsextreme Partei angehört, die
regelmäßig Paraden zu Ehren der Waffen-SS durchführt und sich positiv auf
faschistische Milizen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges bezieht, weil
diese gegen „Judenschweine und sonstiges Gesindel“ gekämpft hätten
(„ ,Judenschweine‘ bekämpfen? Aufruf oder Nacherzählung?“, daserste.
ndr.de, 17. März 2014) und die bis zur Eskalation der Maidan-Proteste
freundschaftliche Kontakte zur Nationaldemokratischen Partei Deutsch-

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lands (NPD) unterhalten hat, deren Mandatsträger mit körperlicher Gewalt
gegen aus ihrer Sicht missliebige Journalisten vorgehen?

19. Wofür genau benötigt die EU-Polizeimission eine militärische Expertise?
20. Welche „Fähigkeiten von Spezialisten“ sollen den ukrainischen Sicher-

heitsbehörden vermittelt werden?
21. Inwiefern deuten die Forderungen aus der ukrainischen Staats- und Regie-

rungsführung nach einem Verbot der KPU aus Sicht der Bundesregierung
darauf hin, dass die gegenwärtige Regierung tatsächlich darauf aus ist,
einen Rechtsstaat aufzubauen?
Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über konkrete Schritte, die sei-
tens der ukrainischen Behörden zur Einleitung eines solchen Verbotes
unternommen worden sind?

22. Welcher Art soll die „enge Koordination“ mit anderen Akteuren auf dem
Gebiet der Sicherheitssektorreform sein, und welche anderen Akteure sind
damit konkret gemeint?

23. Wie schätzt die Bundesregierung die Menschenrechtslage in Lwiw sowie in
der Westukraine ein, wo seit den Kommunalwahlen 2009/2010 die rechts-
extreme Swoboda-Partei dominiert, insbesondere für dezidiert linke Ak-
tivistinnen und Aktivisten sowie für Jüdinnen und Juden?
Welche Kenntnis hat sie über antisemitische Vorfälle seit den Wahlerfolgen
der Swoboda 2009/2010 (bitte ggf. vollständig auflisten)?

24. Welche ukrainischen Behörden genau profitieren von dem 355 Mio. Euro
umfassenden Projekt des im April 2014 aufgelegten „State Building Con-
tract“, und welche Maßnahmen sollen damit durchgeführt werden?

25. Welche ukrainischen Einrichtungen genau inklusive Nichtregierungsorga-
nisationen profitieren von dem 10 Mio. Euro umfassenden Programm zur
Unterstützung der Zivilgesellschaft, das ebenfalls im April 2014 aufgesetzt
wurde, und welche Maßnahmen sollen sie damit durchführen?

26. Wie genau stellt sich die Bundesregierung die Umstrukturierung der ukrai-
nischen Sicherheitsbehörden vor?

27. Wie schätzt die Bundesregierung das Risiko ein, dass sich in der ukraini-
schen Bevölkerung Unzufriedenheit und soziale Unruhen weiter aufladen
und die bestehenden Konflikte eskalieren?
Von welchen Faktoren hängt dies ihrer Einschätzung nach ab?

28. Inwiefern hat die Ukraine bisher spürbare Auswirkungen auf die Mission
der Europäischen Union zur Unterstützung von Moldawien und der Ukraine
bei der Überwachung der gemeinsamen Grenzen beider Staaten (EUBAM)
an der ukrainisch-moldawischen/transnistrischen Grenze?
Welche Veränderungen beispielsweise hinsichtlich des Reiseaufkommens
bzw. der Verhinderung von Einreisen aus Moldawien (Transnistrien) sind
der Bundesregierung von dort bekannt geworden?
Inwieweit sind Veränderungen bei der Durchführung der Mission in Vorbe-
reitung?

29. Welche anderen Beiträge zur Reform der ukrainischen Sicherheitsbehörden
unterstützt die Bundesregierung oder bereitet sie derzeit vor (im bi- oder
multilateralen Rahmen, bitte vollständig anführen und konkrete Maßnah-
men sowie Kosten benennen)?

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30. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über multi- oder bilaterale Bei-
träge anderer Staaten oder internationaler Organisationen zur Reform des
Sicherheitssektors in der Ukraine (bitte vollständig auflisten)?

31. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die der Partnerschaft zwi-
schen der ukrainischen Nationalgarde, der französischen Gendarmerie und
der rumänischen Gendarmerie (http://vv.gov.ua/) und die im Rahmen dieser
Partnerschaft betriebenen Projekte (bitte möglichst konkret benennen)?

Berlin, den 9. Juli 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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