BT-Drucksache 18/199

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüssel

Vom 17. Dezember 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/199
18. Wahlperiode 17.12.2013

Entschließungsantrag
der geordneten Wol gang ehrcke e i Da delen Dr. Diether Deh
Andrej Hunko, Stefan Liebich, Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und
der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Europäische Rat am 19. und 20. Dezember 2013 ist auch ein EU-Rüstungs-
gipfel. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) soll in
Zukunft auf der Agenda der Staats- und Regierungschefs einen zentralen Raum
einnehmen. Der Europäische Rat rückt damit zum ersten Mal seit 2008 die Ge-
meinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik wieder in den Mittelpunkt sei-
ner Beratungen. Zur Vorbereitung haben die Kommission, die Hohe Vertreterin
der Europäischen Union für die Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsiden-
tin der Kommission sowie das Europäische Parlament Beiträge zu einer weiteren
Militarisierung der Europäischen Union, verbunden mit dem Ausbau der europäi-
schen Rüstungsindustrie und der GSVP, geleistet. Schneller und flexibler sollen
Militärmissionen durchgeführt werden können, militärische Fähigkeiten weiter
erhöht werden.
Am 25. November 2013 billigte der Rat eine Reihe von strategischen Zielsetzun-
gen und konkreten Rüstungsprojekten, die die Grundlage für die Schlussfolge-
rungen des Europäischen Rates bilden. Es geht zum einen um eine Erhöhung der
öffentlichen Wahrnehmung und Wirkung der GSVP und zum anderen um eine
Verbesserung der militärischen Interventionskapazitäten. Dazu verständigte man
sich auf eine Reihe von wichtigen Rüstungsprojekten, die von der Europäischen
Rüstungsagentur angestoßen worden waren, wie auf den Ausbau von Schlüssel-
fähigkeiten im Bereich der Rüstung für die neuen Kriege (Luftbetankung,
Kampfdrohnen, Satellitenkommunikation und Cyberkriegsfähigkeit). Dazu
kommen Vereinbarungen über eine schnellere Einsetzbarkeit von EU-
Kampfverbänden (EU-Battlegroups). Über den verstärkten Einsatz von Marktin-
strumenten sollen Konzentrations- und Monopolisierungsprozesse in der europäi-
schen Rüstungsindustrie befördert werden, um eine bessere internationale Wett-
bewerbsfähigkeit auch im Hinblick auf eine Ausweitung von Rüstungsexporten
in Nicht-NATO- und Nicht-EU-Länder zu erreichen. Dazu fordert die EU-
Kommission die Mitgliedstaaten auf, ihren vertraglichen Verpflichtungen nach-
zukommen und das bestehende Regelwerk der Richtlinie zur Beschaffung
(2009/81/EG) und der Richtlinie bzgl. der Verbringung von Verteidigungsgütern

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(2009/43/EG) umfassend anzuwenden. Außerdem schlägt sie u. a. vor, Hybrid-
normen und gemeinsame Zertifizierungen zu entwickeln, zivil-militärische Sy-
nergien effizienter zu nutzen und diese insbesondere im Bereich Rüstungsfor-
schung weiterzuentwickeln.
Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) und die Kommission wollen die Ent-
wicklungszusammenarbeit (EZ) der Europäischen Union (EU) noch stärker als
bisher militärischen und geostrategischen Interessen unterordnen. Sie schlagen
dem Europäischen Rat vor, entwicklungspolitische Expertise und finanzielle
Mittel der EZ systematisch in die Ausgestaltung von Missionen im Rahmen der
GSVP einzubringen. Dies bedeutet vor allem eine Einbettung der EZ in militäri-
sche und polizeiliche Operationen und damit eine Zweckentfremdung von EZ-
Mitteln.
Die Intensivierung der EU-NATO-Zusammenarbeit, um die Interventions- und
Kriegsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten zu verbessern, ist erklärtes Ziel des Eu-
ropäischen Rates. Dabei soll auch die Verbesserung der transatlantischen Rüs-
tungskooperation eine entscheidende Rolle spielen. Zudem geht es um institutio-
nelle Neuerungen des Vertrags von Lissabon im Hinblick auf eine Forcierung der
Militarisierung der EU, wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Artikel
46 Absatz 6 des Vertrags über die Europäische Union – EUV) oder die Übertra-
gung von GSVP-Instrumenten und militärischen Planungs- und Durchführungs-
stäben auf eine Gruppe von Mitgliedstaaten (Artikel 42 Absatz 5 und Artikel 44
Absatz 1 EUV), die künftig stärker zur Anwendung kommen sollen.
Die Energiepolitik der EU konzentriert sich noch immer vordergründig auf Pla-
nungen und Investitionen, mit denen fossile und nukleare Brennstoffe unge-
bremst genutzt werden können. Begründet wird dies mit dem Streben nach Ener-
gieversorgungssicherheit. Ressourcen wie Öl, Gas, Uran und auch Kohle stehen
jedoch nur begrenzt zur Verfügung. Die wenigen Regionen, in denen sie noch
vorhanden sind, werden zu umkämpften Gebieten. Der Kampf um die Kontrolle
über Ressourcen ist eine der Ursachen für militärische Auseinandersetzungen.
Kriege, Ausbeutung, existenzielle Armut und Leid prägen deshalb den Alltag für
viele Menschen. Die EU hält es nicht für nötig, eine strengere Regulierung des
Rohstoffhandels durchzusetzen, und schließt im Verbund mit der NATO eine
militärische Rohstoffsicherung nicht aus.
Die Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU ist von Inhumanität, Abschottung
und Menschenrechtsverletzungen geprägt. Migration wird als Bedrohung wahr-
genommen. Die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer sind auch eine Folge dieser
Politik. Sie soll jetzt sogar noch weiter durch eine GSVP-Mission im Mittelmeer
zur Flüchtlingsabwehr gestärkt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,

sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen,

1. dass der Europäische Rat im Dezember 2013 ein Abrüstungsgipfel wird.
Statt auf eine Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie mittels der
Schaffung eines EU-Rüstungsbinnenmarkts und einer Ausweitung von
Rüstungsexporten zu bauen, müssen die Voraussetzungen für Konversi-
onsprogramme und ein EU-weites Verbot von Rüstungsexporten ge-
schaffen werden. Die Entmilitarisierung der EU sollte künftig auf der
Agenda der EU-Gipfel Priorität erhalten;

2. dass zu hohe Defizite in öffentlichen Haushalten neben einer höheren
Besteuerung von Millionären auch durch eine konsequente Reduzierung
der Rüstungsausgaben abgebaut werden. Budgets öffentlicher Haushalte
sollen nicht für Rüstung, sondern für einen sozial-ökologischen Umbau
der Wirtschaft und der Gesellschaft genutzt werden;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/199

3. dass eine friedliche EU geschaffen wird, die sich auf das Gewaltverbot,
wie es in der UN-Charta formuliert ist, verpflichtet und im Rahmen eines
Neustarts der EU die Militarisierungsbestimmungen des Vertrags von
Lissabon, die den Aufbau kerneuropäischer militärischer Kapazitäten
ermöglichen, wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Artikel 46
Absatz 6 EUV) und die Übertragung von GSVP-Instrumenten und mili-
tärischen Planungs- und Durchführungsstäben auf eine Gruppe von Mit-
gliedstaaten (Artikel 42 Absatz 5 und Artikel 44 Absatz 1 EUV), wie
auch den Aufbau eines zivil-militärischen Europäischen Auswärtigen
Dienstes, gestrichen werden;

4. dass insbesondere keine EU-Rüstungsprojekte für Kriege auf den Weg
gebracht werden. Die Schaffung von Kapazitäten für Luftbetankung so-
wie die Anschaffung von Kampfdrohnen, Satellitenkommunikation und
Cyberkriegsfähigkeiten soll zurückgewiesen werden;

5. dass der Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestages auch im Hin-
blick auf multinationale Einheiten nicht angetastet wird und die EU-
Battlegroups und die Kapazitäten für militärische EU-Missionen aufge-
löst werden;

6. dass es nicht zur Aufgabe von Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wird,
ärmere Staaten in geostrategisch bedeutsamer Lage gemäß den Sicher-
heitsinteressen der EU zu „stabilisieren“, wie Kommission und EAD es
formulieren. Vielmehr soll die EZ darauf ausgerichtet sein, die Armut in
den Ländern des Südens zu bekämpfen. Sie soll zu einer gerechteren
Weltwirtschaftsordnung und mehr sozialer Gleichheit im globalen Maß-
stab beitragen und auf diese Weise eine friedliche Entwicklung der Ge-
sellschaften im Süden unterstützen. Es muss sichergestellt werden, dass
alle Beiträge aus dem Europäischen Entwicklungsfonds und dem EU-
Instrument für Entwicklungszusammenarbeit ausschließlich für zivile
Ziele ausgegeben werden. Die deutschen Beiträge zum Europäischen
Entwicklungsfonds sind mit einer Zivilklausel zu versehen, die die aus-
schließliche Verwendung der Mittel für zivile Ziele vorschreibt und jeg-
liche Vermischung mit militärischen oder polizeilichen Missionen unter-
sagt;

7. dass keine weiteren EU-Militärberatungsmissionen und keine Polizei-
ausbildung zur Unterstützung autoritärer Regime mehr stattfinden und
laufende Missionen gestoppt werden bzw. auslaufen;

8. dass die Mittel, die in der langfristigen EU-Finanzplanung 2014 bis 2020
für Rüstungsforschungszwecke eingeplant sind, insbesondere solche zur
Durchsetzung globaler Überwachung, für die Instrumente der EU-
Entwicklungshilfe umgewidmet werden und dass die finanzielle Unter-
stützung von militärischen und polizeilichen Missionen der GSVP aus
Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit sowie die Finanzierung der
Afrikanischen Friedensfazilität aus dem Europäischen Entwicklungs-
fonds beendet werden;

9. dass die Lösung der Flüchtlingsproblematik und der Migration nach Eu-
ropa von allen EU-Mitgliedstaaten gemeinsam angestrebt wird. Die Staa-
ten der Mittelmeerregion dürfen im Zuge eines solidarischen Europas
nicht alleingelassen werden. Menschen in Not müssen in Europa unge-
hindert Zuflucht finden können. Eine Abschottung wie durch GSVP-
Missionen, womöglich mit militärischen Mitteln, wird nicht weiter ver-
folgt;

10. dass einer Intensivierung der EU-NATO-Kooperation ein Riegel vorge-
schoben wird, auch um eine weitere Militarisierung der EU, etwa durch
Drucksache 18/199 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

die erleichterte Bereitstellung von interoperablen Interventionskapazitä-
ten, zu verhindern;

11. dass der Einsatz von Militär zur Sicherung der Energieversorgung auf
nationaler und EU-Ebene sowie im Rahmen der NATO auszuschließen
ist und stattdessen auf eine friedliche, solidarische und auf Interessen-
ausgleich zielende Lösung von Energiefragen gesetzt wird. Die EU sollte
sich vermehrt für die Nutzung alternativer Energiequellen einsetzen.
Konflikte, die durch das Interesse an Rohstoffen befördert werden, kön-
nen so eingedämmt werden;

12. dass kein Krieg mehr von europäischem Boden aus geführt wird und
deshalb die US-Militärbasen in der EU zu schließen sind, da diese für
völkerrechtswidrige Kriege, extralegale Hinrichtungen mittels Drohnen-
angriffen und CIA-Folterflüge benutzt werden und einen Faktor ständi-
ger Unsicherheit darstellen;

13. dass das Ziel einer nichtmilitärischen partnerschaftlichen Kooperation
mit den USA befördert wird und entsprechend die militärische und ge-
heimdienstliche Zusammenarbeit beendet wird. Die NATO soll aufgelöst
und ein System kollektiver Sicherheit unter Einschluss Russlands vorbe-
reitet werden;

14. dass die EU endlich frei von Massenvernichtungswaffen wird. Dabei
geht es um einseitige Abrüstungsschritte der EU-Atomwaffenstaaten zur
Beseitigung ihrer atomaren Waffenkapazitäten, die Beendigung der nuk-
learen Teilhabe, den Abzug der US-Atomwaffen aus Staaten der EU und
den Verzicht auf das atomare Aufrüstungsprojekt eines NATO-Raketen-
schilds.

Berlin, den 17. Dezember 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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