BT-Drucksache 18/1987

Historische Aufarbeitung der Akten im Bundeskanzleramt

Vom 2. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1987
18. Wahlperiode 02.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Petra Pau,
Kersten Steinke, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Historische Aufarbeitung der Akten im Bundeskanzleramt

Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Bundesministerien und Behörden
der Bundesrepublik Deutschland ist auch 69 Jahre nach dem Ende des NS-
Faschismus in Deutschland nicht abgeschlossen. Erst in den letzten Jahren hat
es eine breitere Initiative zur Aufarbeitung der NS-Bezüge in einer Reihe von
Bundesministerien und Behörden des Bundes gegeben, die zum Teil spektaku-
läre Ergebnisse zu Tage gefördert haben. So wurde im Rahmen der Unabhängi-
gen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundesnach-
richtendienstes (BND) bekannt, dass sich bereits im Jahr 1950 eine geheime Ar-
mee unter maßgeblicher Beteiligung ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS
und der Wehrmacht im Umfeld der Organisation Gehlen und damit des Vor-
läufers des BND gründete. Kenntnis über diese illegale militärische Struktur
muss laut einer aktuellen Studie (Agilolf Keßelring: „Die Organisation Gehlen
und die Verteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militär-
strukturen, 1949–1953“) auch das Bundeskanzleramt gehabt haben.
Auch in anderen Zusammenhängen der Geschichtsaufarbeitung stößt man im-
mer wieder auf die Frage, inwieweit die exekutive Schaltzentrale, das Bundes-
kanzleramt, von den einzelnen Vorgängen Kenntnis hatte, so bei der Indienst-
nahme hochrangiger NS-Täter durch die Organisation Gehlen bzw. den BND
oder beim Umgang mit der Suche nach Adolf Eichmann.
Zu einer vollständigen Aufarbeitung der personellen und inhaltlichen Verbin-
dungslinien bundesdeutscher Regierungspolitik nach dem Jahr 1949 gehört
sicherlich auch in diesem Zusammenhang eine Aufarbeitung der Rolle des Bun-
deskanzleramtes. Anders als für die meisten Bundesministerien gibt es für das
Bundeskanzleramt keine Aufarbeitung seiner historischen Rolle und auch kei-
nen Zugang der Wissenschaft zu entsprechenden Akten aus dieser Zeit.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat es jemals eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung der Rolle

des Bundeskanzleramtes im Zusammenhang des Umgangs mit der NS-Ver-
gangenheit gegeben?
Wenn ja, wann, und durch wen?
Wenn nein, plant die Bundesregierung eine solche Aufarbeitung?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die bereits abgeschlossenen und die
laufenden wissenschaftlichen Untersuchungen zur NS-Vergangenheit einzel-
ner Bundesministerien und Behörden des Bundes, und sieht sie es nicht auch
als eine logische Schlussfolgerung dieser Aufarbeitung an, dass die exekutive
Zentrale der Bundesrepublik Deutschland, das Bundeskanzleramt, in eine
solche Aufarbeitung mit einzubeziehen ist?

Drucksache 18/1987 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. Wie gestaltet sich der Umgang mit dem Aktenbestand des Bundeskanzler-
amtes generell?
Nach welchen Kriterien findet hier eine Archivierung statt, wem sind die
Akten zugänglich, und welche Möglichkeit hat die Wissenschaft, diese
Akten zu nutzen?

4. In welchen Abständen werden Akten des Bundeskanzleramtes dem Bundes-
archiv übergeben, findet eine vollständige Übergabe der jeweiligen Jahr-
gänge statt, oder nach welchen Kriterien werden Akten vor der Übergabe
ans Bundesarchiv zurückgehalten?

5. Wie viele Akten mit Bezug zu Tatbeständen, die personelle und/oder inhalt-
liche Bezüge zur NS-Vergangenheit aufweisen, befinden sich noch im Bun-
deskanzleramt (bitte nach Jahrgang und laufenden Metern angeben)?

6. Sind diese Akten für die Wissenschaft und interessierte Öffentlichkeit zu-
gänglich, und wenn nein, wie begründet die Bundesregierung die Zurück-
haltung dieser Akten?

7. Wie viele Akten mit Bezug zu Tatbeständen, die personelle und/oder inhalt-
liche Bezüge zur NS-Vergangenheit aufweisen, wurden ans Bundesarchiv
abgegeben und mit einem Sperrvermerk versehen (bitte nach Jahrgang und
laufenden Metern angeben)?

8. Wie begründet sich gegebenenfalls ein solcher Sperrvermerk, und für
welche Dauer besitzt er eine Gültigkeit?

9. Finden sich nach Kenntnis der Bundesregierung im Bundeskanzleramt noch
Akten zum Vorgang der Gründung einer „Geheimarmee“, wie sie in einer
Einzelstudie der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der
Geschichte des BND der Historiker Agilolf Keßelring vorgelegt hat?
Wenn ja, wie viele, und wurden oder werden sie der Historikerkommission
zugänglich gemacht?

10. Finden sich nach Kenntnis der Bundesregierung im Bundeskanzleramt noch
Akten zum Vorgang der Suche nach Adolf Eichmann?
Wenn ja, wie viele sind dies, und wurden oder werden sie der Historiker-
kommission zugänglich gemacht?

11. Finden sich nach Kenntnis der Bundesregierung im Bundeskanzleramt noch
Akten zu Vorgängen im Zusammenhang der Zusammenarbeit des BND mit
NS-Tätern?
Wenn ja, wie viele, und wurden oder werden sie der Historikerkommission
zugänglich gemacht?

12. Finden sich nach Kenntnis der Bundesregierung im Bundeskanzleramt noch
Akten zu Vorgängen im Zusammenhang der Zusammenarbeit anderer deut-
scher Sicherheitsbehörden mit NS-Tätern?
Wenn ja, wie viele, und wurden oder werden sie z. B. der Historikerkom-
mission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz oder anderen Historikern zugänglich gemacht?

Berlin, den 1. Juli 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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