BT-Drucksache 18/1932

Auswertung der ohne Umweltprüfung und mit reduzierter Bürgerbeteiligung erstellten Baupläne für die Innenentwicklung von Städten

Vom 25. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1932
18. Wahlperiode 25.06.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald, Matthias Gastel,
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer,
Steffi Lemke, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auswertung der ohne Umweltprüfung und mit reduzierter Bürgerbeteiligung
erstellten Baupläne für die Innenentwicklung von Städten

Seit dem Jahr 2007 darf in Städten und Gemeinden eine Bebauung in einem er-
leichterten Verfahren geplant werden. Auf die Umweltprüfung wird in diesem
Verfahren weitgehend verzichtet und die Bürger werden in weit geringerem
Maße an dem Plan beteiligt, als üblich. Dies gilt laut § 13a des Baugesetzbuches
(BauGB) für die „Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung
oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung“. Betroffen sind nur Pläne für
Grundstücke bis zu einer bestimmten Größe. Damit soll „einem Bedarf an Inves-
titionen zur Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Ver-
sorgung der Bevölkerung mit Wohnraum oder zur Verwirklichung von Infra-
strukturvorhaben in der Abwägung in angemessener Weise Rechnung getragen
werden“ (§ 13a Absatz 2 Nummer 3 BauGB).
Zugleich war es ein Ziel der Gesetzgebung, den Flächenverbrauch insgesamt zu
reduzieren und aus Gründen des Umweltschutzes zu vermeiden, dass Flächen
im Außenbereich neu bebaut werden (Begründung des Gesetzentwurfs, Bundes-
tagsdrucksache 16/2496, S. 1).
Seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2007 wurde nicht überprüft, ob die be-
absichtigten Wirkungen eigentlich eingetroffen sind und die dazu abgesenkten
Umwelt- und Beteiligungsstandards erforderlich und zielführend waren. Auch
ist nicht klar, ob der Bundesregierung bekannt ist, wie häufig und in welcher
Form § 13a BauGB seit dem Jahr 2007 angewendet worden ist. Es verdichten
sich Hinweise, dass seine Anwendung vielerorts zur Regel geworden ist und
nicht, wie beabsichtigt, die Ausnahme für bestimmte Fallkonstellationen bleibt.
So kommen Siedentopp et al. in einer Studie (Stefan Siedentop/Katharina
Krause-Junk/Richard Junesch/Stefan Fina, Forschungsbericht BWPLUS, Nach-
haltige Innenentwicklung durch beschleunigte Planung? Analyse der Anwen-
dung von § 13a BauGB in baden-württembergischen Kommunen, 2010) zu dem
Schluss, dass Kommunen das vereinfachte Verfahren nach § 13a BauGB auf
einer Vielzahl von Flächen, vor allem unter dem Schwellenwert von 20 000 m2,
angewendet wird.
Vor dem Hintergrund schrumpfender Städte mit Problemen bei der Revitalisie-
rung ihrer Innenstädte einerseits, und wachsenden Städten mit einem hohen
Nutzungsdruck auf die Innenstädte und in der Folge von stark steigenden Immo-
bilienpreisen andererseits ist fraglich, ob die Regelung hier adäquat und mit
nachhaltiger Wirkung, auch hinsichtlich eines gewissen Ausgleichs dieser aus-
einander driftenden Entwicklung, greift.

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Ein Verfahren des Europäischen Gerichtshofs kam im Jahr 2013 zu dem Ergeb-
nis, dass der § 13a BauGB in Verbindung mit der Heilungsvorschrift in § 214
Absatz 2a Nummer 1 BauGB nicht mit europäischem Recht vereinbar ist (Urteil
des EuGH vom 18. April 2013 – Rs. C 463/11). Gemäß der Richtlinie 2001/42/
EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umwelt-
auswirkungen bestimmter Pläne und Programme, sei die Umweltprüfung näm-
lich vorzunehmen. Der strittige Bebauungsplan war, so das Urteil, in unzuläs-
siger Weise als vereinfachter Bebauungsplan der Innenentwicklung ohne Um-
weltprüfung aufgestellt worden, obwohl dazu gar nicht die Voraussetzungen
vorlagen. Durch die Heilungsvorschrift konnte er jedoch nicht beklagt werden.
Infolge des Urteils änderte die Bundesregierung im Rahmen der Baurechts-
novelle von 2013 zur Innenentwicklung nicht etwa den § 13a BauGB, sondern
löschte lediglich die Heilungsvorschrift in § 214 BauGB. In der war vorher ge-
regelt, dass Verfahrensverletzungen (wie unterlassene Umweltprüfung) unter
bestimmten Umständen unerheblich seien.
Wie oft unzulässigerweise von der Umweltprüfung im beschleunigten Verfahren
abgesehen wird, indem es sich um Pläne handelt, die gar nicht nach diesem Ver-
fahren aufgestellt werden dürften, ist nicht bekannt.
Im Gesetzgebungsverfahren 2007 zum vereinfachten Verfahren der Innen-
entwicklung hat die Bundesregierung ankündigt, die Wirkung der Neuregelung
zu überprüfen. Das ist bislang nicht erfolgt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit hat die Bundesregierung, wie im Gesetzgebungsverfahren 2007

angekündigt, die Anwendung des § 13a BauGB im Hinblick auf die Er-
reichung der gesetzgeberischen Ziele und im Hinblick auf die Art, Weise und
den Umfang der Anwendung der Regelung überprüft?

2. Wenn ja, wurde das damals erklärte Ziel der Bundesregierung, die Flächen-
inanspruchnahme zu reduzieren, erreicht?
Wenn nein, warum nicht?

3. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung insbesondere eine Inanspruchnahme
von Flächen im Außenbereich seit dem Jahr 2007 im Vergleich zu den Vor-
jahren rückläufig, und inwiefern ist dies auf das beschleunigte Verfahren
nach § 13a BauGB zurückzuführen?

4. Inwiefern wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die im Gesetz aus-
geführten Zwecke, dass „einem Bedarf an Investitionen zur Erhaltung, Siche-
rung und Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Versorgung der Bevölkerung mit
Wohnraum oder zur Verwirklichung von Infrastrukturvorhaben in der Ab-
wägung in angemessener Weise Rechnung getragen werden“, erfüllt?

5. Wie stellt sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zweckerfüllung des
§ 13a BauGB angesichts der sich ungleich entwickelnden Städte und Ge-
meinden in Deutschland in wachsenden Regionen mit Wohnraummangel und
stark steigenden Preisen und einem hohen Maß an Investitionen einerseits
und schrumpfenden Regionen mit einem Überangebot an Wohnraum und
niedrigen Preisen und einem Mangel an Investitionen andererseits dar?

6. Welche Wirkung hat nach Kenntnis der Bundesregierung das erleichterte
Verfahren der Innenentwicklung bezüglich der sich ungleich entwickelnden
Städte und Gemeinden in Deutschland (wie in Frage 4 angesprochen) erzielt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1932
7. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der zu einer höheren Flächeninanspruchnahme führenden Entwicklung
der Rechtsprechung (vgl. z. B. BayVerfGH, Entscheidung vom 13. Juli
2009, Vf. 3-VII-09 durch eine sehr weite Auslegung des Begriffs „andere
Maßnahmen der Innenentwicklung“ (§ 13a Absatz 1 Satz 1 BauGB), nach
welcher unter den § 13a BauGB auch Arrondierungsmaßnahmen, Innen-
bereichsinseln und Flächen im sogenannten Außenbereich in den Innenbe-
reich fallen können?

8. Wie lässt sich diese Auslegung des §13a BauGB in der Praxis mit dem
erklärten Ziel eines reduzierten Flächenverbrauchs sowie mit dem inten-
dierten Ausnahmecharakter des § 13a BauGB vereinbaren?

9. Inwieweit haben sich nach Auffassung der Bundesregierung die von § 13a
BauGB eingesetzten Mittel der Zurücknahme der Umweltprüfung sowie der
Bürgerbeteiligung zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele als geeignet
erwiesen?

10. Inwieweit sind nach Auffassung der Bundesregierung die Anliegen des
Natur- und Umweltschutzes trotz der Verfahrenserleichterungen des § 13a
BauGB ausreichend berücksichtigt geblieben?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass § 13a BauGB allein
auf die Größe des zu bebauenden Gebiets abstellt, nicht aber auf seine
biologische Bedeutung und Sensibilität sowie auf die Auswirkungen einer
Bebauung auf Gebiete oder Landschaften, deren Status als national,
gemeinschaftlich oder international geschützt anerkannt ist (vgl. Richtlinie
2001/42/EG, Anhang II Nummer 2, 6. und 7. Spiegelstrich)?

12. Inwiefern ist die Bundesregierung der Auffassung, dass angesichts der
Herausforderungen der Stadtentwicklung, wie etwa der rasante demografi-
sche Wandel, die Anforderungen an den Umwelt- und Klimaschutz sowie
dem Erfordernis von lebenswerten Städten unter starken Wachstums- oder
Schrumpfungsbedingungen eine reduzierte Bürgerbeteiligung das richtige
Mittel für die Stadtplanung ist?

13. Inwiefern ist die Bundesregierung der Auffassung, dass angesichts der
genannten Herausforderungen der Stadtentwicklung (s. Frage 13), der Weg-
fall der Umweltprüfung als Basis für Umwelt- und Grünflächenschutz in
Innenstädten das richtige Mittel für die Stadtplanung ist?

14. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch das Weg-
fallen der Umweltprüfung bei Flächen, die kleiner sind als 20 000 m2 und
die nicht der UVP-Pflicht (UVP: Umweltverträglichkeitsprüfung) unter-
liegen, wie etwa Wohnbauflächen, im beschleunigten Verfahren der Innen-
entwicklung dort keine Überprüfung der Lärmschutzbelange erfolgt und
daher aufgrund fehlender Anhaltspunkte nicht adäquat vor Lärm geschützt
werden kann?

15. Welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung bezüglich der gesenkten
Umweltstandards bei der planerischen Innenentwicklung nach § 13a
BauGB angesichts des von der Bundesregierung geplanten Grünbuchs Na-
turschutz in Städten, das die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, in ihrer Grundsatzrede
zur Umweltpolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin im Mai 2014 an-
gekündigt hat?

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16. Mit welchen Maßnahmen können nach Auffassung der Bundesregierung die
reduzierten Umweltstandards bei der planerischen Innenentwicklung aus
umweltfachlicher und städtebaulicher Sicht an anderer Stelle aufgewogen
und verbessert werden, um den Natur- und Umweltschutz in den Städten zu
verbessern?

Berlin, den 23. Juni 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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