BT-Drucksache 18/1877

zu der Beratung der Verordnung der Bundesregierung - Drucksachen 18/1280, 18/1379 (neu) Nr. 2.2, 18/1871 - Verordnung zur Änderung der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV)

Vom 24. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1877
18. Wahlperiode 24.06.2014

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Tabea Rößner,
Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, Harald Ebner, Christian Kühn
(Tübingen), Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, Steffi Lemke, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Friedrich
Ostendorff, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung der Verordnung der Bundesregierung
– Drucksachen 18/1280, 18/1379 (neu) Nr. 2.2, 18/1871 –

Verordnung zur Änderung der
Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Den meisten lärmgeplagten Menschen an vielbefahrenen Eisenbahnstrecken wird
durch die Neufassung der Verkehrslärmschutzverordnung nicht geholfen. Der ak-
tuelle Verordnungsentwurf zur „Schall 03“ soll die Berechnung der
Schallimissionen an Schienenwegen neu regeln, die vorgesehenen Änderungen der
Bundesregierung sind jedoch alleine nicht zielführend für die Betroffenen. Beson-
ders Güterzüge sind eine starke Lärmquelle, für die Anwohner von Bahntrassen
berechtigterweise Lärmschutz einfordern. Es ist bewiesen, dass Verkehrslärm be-
sonders gesundheitsschädlich für den Menschen ist. In Deutschland sind über elf
Millionen Menschen davon betroffen.1 Der Gesellschaft entstehen dadurch externe
Verkehrskosten, verursacht durch erhöhte Gesundheitskosten. Geschätzte 9,7 Mrd.
Euro externe Verkehrskosten werden durch Lärm verursacht.2 Durch zunehmenden
Verkehr, vor allem an Hauptstrecken, nehmen auch die Lärmbelastungen stetig zu,
vor allem in der Nacht.
Bisher wurden die Lärmquellen nur festgestellt, kartiert und Maßnahmenkataloge
festgeschrieben. Eine Umsetzung von Lärmminderungsmaßnahmen findet nur im
Rahmen eines freiwilligen Lärmsanierungsprogramms nach Kassenlage statt. An-

1 Vgl.: Heinrichs, E. et. al. (2011), Lärmbilanz 2010, Umweltbundesamt
2 Vgl.: Schleyer, C. et. al. (2007), „Externe Kosten des Verkehrs in Deutschland. Aufdatierung 2005“, S. 59

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wohner haben lediglich an Neubaustrecken einen rechtlichen Anspruch auf Lärm-
schutz.
Die vorliegende Verordnung der Bundesregierung soll zeitgleich mit dem Wegfall
des Schienenbonus am 1. Januar 2015 eingeführt werden. Dieser hatte Schienen-
wegen das Privileg zugeschrieben, den vom berechneten Beurteilungspegel gene-
rell 5 dB(A) abzuziehen („Schienenbonus“).
Die Verordnung sieht unter anderem vor, bei der Lärmberechnung die Weiterent-
wicklung der Eisenbahntechnik sowie neue Erkenntnisse in der Lärmprognose-
Berechnung mit einzubeziehen. Dafür soll die Berechnungsvorschrift angepasst
werden. Wie die Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
am 4. Juni 2014 gezeigt hat, würden diese Änderungen in der Verordnung den
Beschluss zum Wegfall des Schienenbonus aus 2013 praktisch aushebeln. Die
Anhörung hat außerdem gezeigt, dass eine Qualitätssicherung für die Umsetzung
der Berechnung der Schallausbreitung in der Praxis der Rechenprogramme fehlt.
Somit ist klar, dass sich die Bundesregierung eines Taschenspielertricks bedient,
die Lärmbelastung bei den Betroffenen bleibt trotz Wegfall des Schienenbonus
faktisch gleich hoch.
Die Umweltministerkonferenz der Länder hat am 9. Mai 2014 im Rahmen ihrer
Sitzung in Konstanz beschlossen, dass der Schutz gegen Verkehrslärm deutlich
verbessert werden soll. Außerdem sollen verkehrsträgerübergreifende Regelungen
für den Lärm an Straßen und Schienen geschaffen werden.3 Gerade hierzu versagt
die neue Verkehrslärmschutzverordnung auf ganzer Linie.
Viele Menschen, vor allem in Ballungsgebieten, leben nicht nur an einer Straße
oder an einer Bahnstrecke oder dem Einzugsgebiet eines Flughafens, sondern sind
oft von mehreren dieser Lärmquellen gleichzeitig betroffen.

II. II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. beim Berechnungsverfahren für die Schallausbreitung keine von der ISO
9613-2 abweichende Sonderregelung festzulegen (dies betrifft insbesondere
die Regelungen zum C2-Wert);

2. zur Überprüfung der praxisgerechten Machbarkeit der Umsetzung des Be-
rechnungsverfahrens (insbesondere in der Berechnungssoftware) zur Schall-
ausbreitung Vergleichsrechnungen durchzuführen;

3. die Zuständigkeiten des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) zur Festlegung akus-
tischer Kennwerte in einem Gesetz neu zu regeln, sodass das EBA bei Ent-
scheidungen zu Kennwerten für bundeseigene sowie für sonstige Bahnen
gleichermaßen befasst wird;

4. zur deutlichen Reduktion von Verkehrslärm dem Bundestag bis Dezember
2014 Regelungen für verkehrsträgerübergreifenden Lärmschutz vorzulegen
sowie sicherzustellen, dass darin ein Anspruch auf Durchführung einer Lärm-
sanierung bei Überschreitung eines Gesamtlärmpegels von 65 dB(A) (tags-
über) bzw. 55 dB(A) (nachts) für Wohngebiete festgeschrieben wird;

5. bei der Europäischen Union darauf hinzuwirken, dass im Zuge der EU-
Umgebungslärmrichtlinie Lärmschutzmaßnahmen auch verpflichtend umge-
setzt werden;

6. das bei der Europäischen Union in Bearbeitung befindliche Verfahren zur
einheitlichen und verkehrsträgerübergreifenden Berechnung der Lärmmes-
sung (EU-CNOSSOS) in die neue „Schall 03“ mit einzubeziehen;

3 Vgl.: www.umweltministerkonferenz.de/documents/82UMK_Ergebnisprotokoll_endg_20140526.pdf; TOP 13 „Verkehrsübergreifender
Lärmschutz“

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1877

7. dafür zu sorgen, dass der Zeitplan für das Förderprogramm des Bundes zur
Umrüstung von Güterwagen mit besonders leisen Bremssohlen (K-/LL-Sohle)
mit der Umrüstung von 50 Prozent der Güterwagen bis 2016 und 100 Prozent
der rund 180 000 Güterwagen bis 2020 eingehalten wird;

8. dem Bundestag bis Dezember 2014 einen Bericht vorzulegen, der Instrumente
beinhaltet, mit denen die externen Kosten von Lärm (u. a. Gesundheitsfolgen,
verfrühte Todesfälle) berechnet werden können;

9. dem Bundestag bis Dezember 2014 einen Vorschlag für eine Maximalpegel-
begrenzung des Schienenverkehrslärms vorzulegen.

Berlin, den 23. Juni 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Zu 1.) Die Berechnungen zur Schallausbreitung führen nach der Rechenvorschrift der neuen „Schall 03“
durch den abweichend von der ISO 9613-2 festgelegten Wert für den Abschirmfaktor für Bahnstrecken von
C2=40 zu geringen Pegelwerten. Der Schallpegel verringert sich bei Anwendung des in der Verordnung vor-
gesehenen Wertes für den Abschirmfaktor C2=40 gegenüber dem normgerechten Wert nach ISO 9613-2 von
C2=20 zum Beispiel bei 1 000 Hz und einer 2-Meter-Lärmschutzwand bei einem Immissionsort von 25 Me-
tern Entfernung von der Gleisachse und 3,5 Metern über Schienenoberkante um 2,6 dB(A).4 Durch die vorge-
sehenen Änderungen würde der eigentlich im März 2013 abgeschaffte Schienenbonus von 5 dB(A) praktisch
teilweise wieder eingeführt. Das ist gerade für betroffene Anwohner von vielbefahrenen Eisenbahnstrecken
nicht hinnehmbar. Der Bundestag würde dadurch gegen seine bisherigen Beschlüsse handeln.
Dementsprechend muss die Änderung aufgenommen werden, damit die Regelung im Bereich aller Bahnen
Gültigkeit hat und die Verwaltung vereinfacht wird.
Zu 2.) Um ein Qualitätssicherungsverfahren für die Umsetzung des Berechnungsverfahrens sicherzustellen
sind Vergleichsrechnungen zwischen alter und neuer „Schall 03“ sowie Rechenbeispiele für die Umsetzung
der Berechnungsvorschrift der neuen „Schall 03“ mit den verschiedenen Rechenprogrammen zu ergänzen. Im
Rahmen der neuen Berechnungen zur „Schall 03“ ist geboten, die Änderungen möglichst transparent darzu-
stellen und die Rechnungen anhand von Beispielen konkret für die Öffentlichkeit und für Verkehrslärmexper-
ten nachvollziehbar darzustellen. Denn eine verständliche Verordnung lässt weniger Raum für Spekulationen
oder Interpretationen. Dadurch kann sichergestellt werden, dass Berechnungen von unterschiedlichen Ingeni-
eurbüros nicht unterschiedlich ausfallen.
Zu 3.) Im Entwurf zur Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV Artikel 1, § 5 Absatz 2 – ist geregelt,
dass für die Eisenbahnen des Bundes das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) und für sonstige Bahnen die jeweils
nach Landesrecht zuständige Behörde über die Festlegung akustischer Kennwerte auf Antrag entscheidet.
Diese Entscheidung soll nach Vorlage eines Gutachtens, welches durch eine anerkannte Messstelle erstellt
wurde, durchgeführt werden.
Um eine Zersplitterung in der Beurteilungspraxis zu vermeiden, sollte die Festlegung akustischer Kennwerte
durch das EBA für sämtliche Bahnen gelten.
Dementsprechend müssen die Zuständigkeiten des EBA gesetzlich angepasst werden.
Zu 4.) Eine Trennung der Verkehrslärmberechnung in Straße, Schiene und Luftfahrt ist nicht zielführend.
Entscheidend ist die Betrachtung der gesamten Lärmimmission beim Betroffenen, denn bei den Schallbe-
rechnungen kommt man durch unterschiedliche Berechnungsvorgaben noch immer auf unterschiedliche Er-
gebnisse. Verkehrsträgerübergreifende Regelungen sind auch deshalb wichtig, weil der Schall nicht isoliert

4 Vgl.: Jäcker-Cüppers/Arbeitsring Lärm der DEGA, „Stellungnahme des ALD zur Verordnung zur Änderung der Sechzehnten Verordnung zur
Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes“, Ausschussdrucksache 18(15)48-D, 30.05.2014, S. 5
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für jeden Verkehrssektor betrachtet werden kann. Ein verkehrsträgerübergreifendes Lärmschutzkonzept muss
daher von der Bundesregierung zügig vorgelegt und umgesetzt werden.
Das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt, in einem Stufenplan den Beurteilungspegel für das Auslösen der
Lärmaktionsplanung nach der EG-Umgebungslärmrichtlinie in einer ersten Stufe auf 65 dB(A) am Tag und
55 dB(A) in der Nacht festzulegen. Daran sollte sich eine gesetzliche Regelung zum Verkehrslärmschutz
orientieren.
Für einen fairen Interessenausgleich sollen deswegen bei Pegelüberschreitung Lärmsanierungsgebiete aus-
gewiesen werden, in denen eine dafür zuständige Behörde verbindliche Minderungsmaßnahmen vorschlagen
und nach einer Bürgerbeteiligung umsetzen soll. Je höher die Belastung und je größer die Anzahl der Betrof-
fenen, desto dringlicher soll saniert werden. Da davon auszugehen ist, dass der Sanierungsbedarf höher ist als
die zur Verfügung stehenden Mittel, müssen die Lärmsanierungsgebiete mit einer Kennzahl nachvollziehbar
priorisiert werden. Nach Ausweisung eines Lärmsanierungsgebietes muss die zuständige Behörde Vorschläge
zur Lärmminderung unterbreiten und ein Bürgerbeteiligungsverfahren eröffnen.
Um die Mittel möglichst effizient einzusetzen, sind Lösungen für gemeinsam auftretende Lärmquellen an
Verkehrswegen (Straßen- und Schienenstrecken) notwendig. Die Finanzierung der Lärmsanierung soll bei
mehreren Lärmquellen durch eine Kostenaufteilung entsprechend den energetischen Verursachungsbeiträgen
erfolgen. Die Lärmanteile von Straßen und Schienenstrecken in Verantwortung von Bund, Land oder Kom-
mune legen dabei den Finanzierungsbeitrag des jeweiligen Baulastträgers fest. Eine Methode hierzu wurde
im Gutachten „Bewältigung von (Gesamt-)Lärmbelastungen – Straße und Schiene: Ein Regelungskonzept“,
vorgelegt für das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg, vorgestellt. Hieran soll sich
eine Regelung orientieren.
Lärm wird heute unterschiedlich bewertet. Die in Lärmkartierungen verwendeten Rechenverfahren sind vor-
läufige Berechnungsverfahren auf Grundlage der EG-Umgebungslärmrichtlinie. Daher sollte ein Katalog mit
allgemein gültigen Qualitätskriterien für Eingangsdaten entwickelt werden. Neben als Mittelungspegel aus-
gedrückten Schutzzielen ist eine Festlegung von Maximalpegeln, die zu keiner Zeit überschritten werden
dürfen, notwendig (siehe auch 9.).
Zu 5.) Die in 2002 in erster Stufe umgesetzte EU-Umgebungslärmrichtlinie schreibt bisher eine Aufstellung
von Lärmkatastern und Maßnahmenkatalogen vor. Dies ist jedoch noch nicht ausreichend, da bisher die Um-
setzung von Lärmschutzmaßnahmen nicht verpflichtend vorgesehen ist. Die Bundesregierung muss darauf
hinwirken, dass die Umsetzung von Lärmschutzmaßnahmen (Lärmkarten, Lärmaktionspläne) nicht auf die
lange Bank geschoben wird und dafür bei der Europäischen Union verpflichtende Lösungen gefunden wer-
den.
Zu 6.) Derzeit wird bei der EU-Kommission das einheitliche verkehrsträgerübergreifende Berechnungsver-
fahren zur Ausbreitung von Verkehrslärm (CNOSSOS-EU) abschließend beraten. Dieses soll bereits ab Ende
2014 für alle Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Eine Einbeziehung im Rahmen der Änderungen der
„Schall 03“ ist daher zwingend notwendig und muss im Sinne einer zuverlässigen Schallberechnung ergänzt
werden.
Zu 7.) Durch wirksame Maßnahmen an der Entstehungsquelle können die Schallimissionen deutlich reduziert
werden. Vor allem die Umrüstung der Güterwagen mit neuen sog. LL-Bremssohlen („Flüsterbremse“) oder
K-Sohlen darf nicht auf die lange Bank geschoben werden. Die Deutsche Bahn AG und weitere Schienen-
bahnen werden aufgefordert, ihre Umrüstprogramme schneller durchzuführen, sodass das Ziel der Umrüstung
von 50 Prozent aller deutschen Güterwagen bis 2016 und 100 Prozent bis 2020 erreicht wird. Das bestehende
Förderprogramm des Bundes muss daher überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
Zu 8.) Lärm, insbesondere Verkehrslärm, gilt als Verursacher von schweren gesundheitlichen Schäden wie
Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dadurch entstehen dem Sozialsystem zusätzliche Kosten, die bisher die All-
gemeinheit zu tragen hat (externe Kosten). Diese Kosten werden derzeit weder ermittelt noch in die direkten
Kosten des Verkehrs einbezogen. Ziel muss es daher sein, für die Berechnung der externen Kosten des Lärms
Instrumente zu entwickeln. Dadurch können in einem späteren Schritt die sozialen Kosten direkt und verur-
sacherbezogen in die Kosten des Verkehrs eingepreist werden.
9.) Der Lärm durch Schienenfahrzeuge ist ähnlich wie im Luftverkehr durch einen plötzlichen Pegelanstieg
beim Herannahen eines Zuges geprägt. Damit besteht gerade in der Nacht die Gefahr eines Aufwachens aus
dem Schlaf. Dieser Aufwacheffekt kann nicht durch den nach der „Schall 03“ berechneten Mittelungspegel
abgedeckt werden. Hierzu ist dringend eine Lösung für eine Maximalpegelbegrenzung zu erarbeiten, zum
Beispiel anhand der Regelungen für den Fluglärmschutz.

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