BT-Drucksache 18/1712

Aufwuchs der Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen um weitere polizeiliche Datensammlungen

Vom 6. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1712
18. Wahlperiode 06.06.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Heike Hänsel, Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE.

Aufwuchs der Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von
IT-Großsystemen um weitere polizeiliche Datensammlungen

Am 1. Dezember 2012 hatte die Europäische Kommission die Europäische
Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen gestartet (Verord-
nung (EU) Nr. 1077/2011). Unter dem Kürzel „eu-LISA” sollten zunächst drei
polizeiliche Informationssysteme administriert werden. Das Visa-Informations-
system (VIS) und die Fingerabdruckdatenbank Eurodac wurden sofort ange-
schlossen. Die Verwaltung des Schengener Informationssystems (SIS) musste
hingegen einige Monate verzögert werden, bis die seit Jahren geplante Mi-
gration zum „SIS der zweiten Generation“ (SIS II) vollzogen war (Telepolis,
21. Februar 2013). Offiziell ist Tallinn der Sitz von eu-LISA. Die eigentliche
(technische) Arbeit wird allerdings in Strasbourg verrichtet, wo auch das SIS II
angesiedelt ist. Frankreich und Estland hatten sich zuvor beide für den Sitz von
eu-LISA beworben. Wie das SIS II bleibt auch das VIS in einem französischen
Rechenzentrum. Eurodac wird weiter in Räumlichkeiten der Europäischen
Kommission in Luxemburg und Brüssel betrieben, aber über eine „Fernverwal-
tungsverbindung“ ebenfalls aus Frankreich administriert. Auch Eurodac soll
endgültig nach Strasbourg migrieren. Um die Datenbanken auch bei einem Aus-
fall verfügbar zu halten, wurde ein Back-up-System in den Alpen bei Salzburg
installiert. Wieder dürfte das SIS II Pate gestanden haben, dessen redundante
Strukturen wie beim Visa-Informationssystem in einem Tunnel in Sankt Johann
im Pongau gepflegt werden. Später soll auch Eurodac hinzukommen. Die Stand-
orte in Estland, Frankreich und Österreich sind über eine gesicherte private
Kommunikationsinfrastruktur und eine Breitbandverbindung vernetzt.
Zunächst hatte eu-LISA die Anstrengungen darauf gerichtet, ihre Arbeit zu kon-
solidieren: Neben der Installation der erforderlichen Ausrüstung musste eine
Verwaltungsstruktur aufgebaut und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefunden
werden, die über Erfahrungen im „Management von Zentraleinheiten von IT-
Systemen” verfügen (eu-LISA Tätigkeitsbericht 2012). Mittlerweile hat sich
eu-LISA zum Backbone der europäischen Migrationskontrolle gemausert: So ist
auch offiziell die Rede davon, dass die Agentur die Politiken der Europäischen
Union und ihrer Mitgliedstaaten in den Bereichen „Asyl, Migration, Einwande-
rung, Grenzschutz“ unterstützen soll (eu-LISA Tätigkeitsbericht 2013).
Eine Befürchtung, eu-LISA könnte zu einer Art „Superdatenbank“ mutieren,
scheint sich nun zu bestätigen: Das Bundesministerium des Innern drängt die
Europäische Kommission zur Einrichtung eines „Ein-/Ausreisesystems“, das
alle Übertritte der EU-Außengrenzen protokollieren soll. Unabhängig von der
Herkunft der Reisenden und Zweck ihres Grenzübertritts sollen alle zehn Fin-
gerabdrücke abgenommen werden. „Vielreisende“ können ihre biometrischen

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Daten auf Wunsch auf einer Chipkarte hinterlegen, um dann automatische Kon-
trollgates zu nutzen. Gemeinsam bilden beide Systeme das Paket „Intelligente
Grenzen“. Der frühere Bundesminister des Innern Dr. Hans-Peter Friedrich
(CSU) hatte das Thema gleich zweimal auf die Tagesordnung der informellen
G6-Treffen gesetzt, wo sich die Innenminister der sechs einwohnerstärksten EU-
Mitglieder mit den US-Ministern für Heimatschutz und Justiz organisieren
(Bundestagsdrucksache 17/14833). Nun wird festgelegt, wo die von Deutsch-
land gewünschte Superdatensammlung angesiedelt werden könnte. Es zeichnet
sich ab, dass trotz aller Kritiken eu-LISA in die engere Wahl kommt. Dadurch
erhielte die ohnehin bereits zentralisierte Datenbank-Architektur eine Art Mo-
nopol für migrationspolitische Informationssysteme.
Gegenwärtig wird die „Fortentwicklung“ von eu-LISA im Rahmen einer Mach-
barkeitsstudie analysiert (Antwort auf die Schriftliche Frage 28 auf Bundestags-
drucksache 18/1434). Ein Ergebnis soll im September 2014 vorliegen. Dabei
geht es bei weitem nicht nur um die zusätzliche Verwaltung des neuen Pakets
„Intelligente Grenzen“. So werde laut der Bundesregierung auch die „Unterstüt-
zung der Verwaltung dezentraler Verfahren“ geprüft. Gemeint sind Vereinbarun-
gen zum Datenaustausch in nichtzentralisierten Informationssystemen. Hierzu
gehört beispielsweise der „Vertrag von Prüm“, der den Austausch von Fingerab-
druck- und DNA-Daten unter einzelnen EU-Mitgliedstaaten regelt. Untersucht
wird auch, wie weitere „Lücken in den bestehenden polizeilichen Informations-
austauschsystemen geschlossen werden können“.
So entwickelt sich die ursprünglich für drei überschaubare Datensammlungen
eingerichtete Agentur zu einem „zentralen IT-Dienstleister“ mit dem Privileg,
weitere neue EU-Vorratsdatenspeicherungen zu verwalten. Umso mehr muss
sichergestellt werden, dass eu-LISA nicht auch die polizeilichen Abfragen ver-
einheitlicht: So wäre es möglich, dass im Rahmen von Überprüfungen bei
Grenzübertritten alle bei eu-LISA angesiedelten Datenbanken abgefragt wür-
den. Dies könnte die Bedingungen des Datenschutzes für die Betroffenen deut-
lich verschlechtern.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wo sind das VIS, die Fingerabdruckdatenbank Eurodac sowie das SIS II nach

Kenntnis der Bundesregierung technisch und administrativ angesiedelt, und
welche Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten werden dort jeweils über-
nommen?

2. Wo sind die Back-up-Systeme von VIS, Eurodac und SIS II nach Kenntnis
der Bundesregierung technisch und administrativ angesiedelt, und welche
Firmen sind hierfür für welche Leistungen unter Vertrag genommen worden?

3. Welche Firmen sind nach Kenntnis der Bundesregierung für den Betrieb von
VIS, Eurodac und SIS II für welche Leistungen unter Vertrag genommen
worden?
a) Inwiefern ist der geplante Umzug von Eurodac von Räumlichkeiten der

Europäischen Kommission in Luxemburg und Brüssel nach Strasbourg
mittlerweile umgesetzt, bzw. welche weiteren Schritte sind der Bundes-
regierung hierzu bekannt?

b) Worin bestand bzw. besteht die „Fernverwaltungsverbindung“ für Euro-
dac, und welche Firma hatte diese nach Kenntnis der Bundesregierung er-
richtet und/oder betrieben?

4. Wie hatte sich die Bundesregierung zur Bewerbung von Frankreich und Est-
land positioniert, und welche Haltung vertrat sie zum gemeinsamen Betrieb
von eu-LISA durch die beiden Länder?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1712
5. Auf welche Weise werden die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für
eu-LISA nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen den Standorten Tal-
linn, Strasbourg und Sankt Johann im Pongau verteilt?

6. Welche Firmen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung für die Errich-
tung und den Betrieb einer gesicherten privaten Kommunikationsinfrastruk-
tur und eine Breitbandverbindung zwischen Estland, Frankreich und Öster-
reich unter Vertrag genommen?

7. Inwieweit haben auch deutsche Behörden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
zur eu-LISA entsandt, woher stammen diese, und über welche Qualifika-
tionen verfügen sie?

8. Welche Haltung vertrat die Bundesregierung zur Frage, inwiefern eu-LISA
weitere Datenbanken verwalten könnte, und um welche hätte es sich dabei
handeln können?
a) Welche eigenen Überlegungen hatte die Bundesregierung zur „Fortent-

wicklung“ von eu-LISA angestellt?
b) Welche Defizite sieht die Bundesregierung in der Verwaltung polizei-

licher Datenbanken auf EU-Ebene, und wieso hat sie schließlich für die
Erstellung einer entsprechenden Machbarkeitsstudie für entsprechende
Lösungen votiert?

9. Wer ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit der Erstellung der Studie
beauftragt, und welche Kosten entstehen dafür?
a) Welche weiteren Firmen, Behörden oder sonstigen Institutionen sind als

Unterauftragnehmer an der Studie beteiligt?
b) Welche Behörden welcher Mitgliedstaaten sowie Firmen, Behörden oder

sonstige Institutionen werden hierzu um Beiträge gebeten?
10. Welche Haltung vertrat die Bundesregierung zur Frage, inwiefern auch das

anvisierte neue Paket „Intelligente Grenzen“ durch eu-LISA verwaltet wer-
den könnte?
a) Welcher Mehrwert soll dadurch erzielt werden?
b) Welche Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung hierzu von der

Machbarkeitsstudie?
11. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich des „Ein-/Ausrei-

sesystems“ hinsichtlich von Überprüfungen beim Grenzübertritt?
a) Inwiefern trifft es zu, dass die deutsche Delegation darauf besteht, hier-

für die gleichen Maßstäbe wie beim Visa-Verfahren anzulegen (http://
tinyurl.com/ohu7mug)?

b) Inwiefern würde dies aus Sicht der Bundesregierung bedeuten, dass auch
die „Antiterrordatei“ abgefragt werden könnte?

c) Mit welchen Datenbanken werden derzeit an den deutschen EU-Außen-
grenzen Einreisende aus visabefreiten Herkunftsstaaten abgeglichen?

d) Mit welchen Datenbanken werden derzeit an den deutschen EU-Au-
ßengrenzen Einreisende aus nichtvisabefreiten Herkunftsstaaten abge-
glichen?

e) In welchen Fällen werden beim Grenzübertritt welche Datenbanken des
Bundeskriminalamts abgefragt?

f) In welchen Fällen werden beim Grenzübertritt welche Datensammlun-
gen des SIS II abgefragt?

Drucksache 18/1712 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
12. Welche Defizite bei dezentralen Verfahren zum polizeilichen Datenaus-
tausch unter einzelnen oder mehreren EU-Mitgliedstaaten sieht die Bun-
desregierung derzeit?
a) Inwiefern könnten diese aus Sicht der Bundesregierung durch eine zen-

trale Verwaltung behoben werden?
b) Welche Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung hierzu von der

Machbarkeitsstudie?
13. Welche weiteren Lücken in den bestehenden polizeilichen Informations-

austauschsystemen sieht die Bundesregierung auf EU-Ebene?
a) Wie hat sie dies im Zusammenhang mit der Einrichtung von eu-LISA auf

EU-Ebene vorgetragen?
b) Welche Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung hierzu von der

Machbarkeitsstudie?
14. Welche Überlegungen hat die Bundesregierung angestellt, inwiefern ein von

der Europäischen Kommission geplantes Passagierdatenregister (EU-PNR)
ebenfalls von eu-LISA verwaltet werden könnte?
a) Welche Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung hierzu von der

Machbarkeitsstudie?
b) Welche Defizite könnten auf diese Weise überbrückt werden?
c) Welche Überlegungen oder Haltungen anderer EU-Mitgliedstaaten sind

der Bundesregierung hierzu bekannt?

Berlin, den 4. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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