BT-Drucksache 18/1601

Konfliktvermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in der Republik Moldau

Vom 28. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1601
18. Wahlperiode 28.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Kunert, Annette Groth, Inge Höger, Michael Leutert,
Stefan Liebich und der Fraktion DIE LINKE.

Konfliktvermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa in der Republik Moldau

Nach Auflösung der UdSSR erhielt die Republik Moldau unter dem Einfluss
einer breiten (panrumänischen) Nationalbewegung eine starke ethnonationale
Prägung. Deshalb verfolgte anfangs die oghusisch-türkische Minderheit der
Gagausen wie die überwiegend russisch-sprachige Bevölkerung in der Region
Transnistrien (vornehmlich die Gebiete östlich des Flusses Dnjestr/Dnister) die
Trennung von Moldau. Der Konflikt mit der gagausischen Minderheit konnte im
Jahr 1994 mit der Bildung der Autonomen Territorialen Einheit Gagausien
(UTA Găgăuzia) innerhalb Moldaus vorläufig beigelegt werden.
Demgegenüber eskalierten im Jahr 1992 die Auseinandersetzungen um die
Region Transnistrien zu einem mehrmonatigen Krieg, der ca. 1 000 Menschen
das Leben kostete. Die Republik Moldau verlor faktisch die Kontrolle über das
Gebiet, dessen Bevölkerung zu jeweils einem Drittel aus Russen, Ukrainern und
Moldauern besteht. Unter der Selbstbezeichnung „Pridnestrowische Moldau-
ische Republik“ hat sich dort ein international nicht anerkanntes De-facto-
Regime etabliert. In völkerrechtlicher Hinsicht gehört Transnistrien weiterhin
zum Staatsgebiet Moldaus. Russland unterhält in der abtrünnigen Region eine
Sicherheitspräsenz von ca. 1 500 Soldaten. Teile der transnistrischen Bevölke-
rung wurden mit russischen Pässen ausgestattet.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist seit
dem Jahr 1993 als Vermittlerin im Transnistrienkonflikt aktiv. Aktuell gilt das
5+2-Verhandlungsformat, das neben den beiden Konfliktparteien Moldau und
Transnistrien noch die OSZE, die Ukraine und Russland sowie als Beobachte-
rinnen auch die USA und die EU umfasst.
Die Aussichten für eine Konfliktlösung verbesserten sich deutlich, nachdem die
im Jahr 2001 neu ins Amt gewählte moldauische Führung unter Staatspräsident
Vladimir Voronin anders als ihre Vorgängerinnen auch Bereitschaft für die Fö-
deralisierung des Landes zeigte (vgl. Claus Neukirch: Die OSZE-Mission in
Moldau, Zentrum für OSZE-Forschung Jahrbuch 2003, Hamburg 2003, S. 168).
Russland unterstützte zu diesem Zeitpunkt die Konfliktlösungsbemühungen der
OSZE aktiv, indem es den ersten Teil seiner auf dem Istanbuler OSZE-Gipfel im
Jahr 1999 eingegangenen Verpflichtungen erfüllte und sein in der Region sta-
tioniertes und unter den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa
(KSE-Vertrag) fallendes, schweres militärisches Gerät und Waffen zerstören bzw.
abtransportieren ließ (vgl. ebd., S. 174).
Nachdem die EU im Jahr 2003 Visasanktionen gegen Mitglieder der transnistri-
schen Führung verhängte, denen sich die USA sofort anschlossen, kühlte sich
die Bereitschaft Russlands zu einem Truppenabzug merklich ab. Infolgedessen

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konnte die seit Kriegsende in verschiedenen Sicherheitszonen stationierte, trila-
terale Friedenstruppe – die russische, moldauische und transnistrische Soldaten
umfasst – bis heute nicht in eine Friedensmission der OSZE unter internationa-
lem Mandat umgewandelt werden.
Bereits seit einiger Zeit erschweren die verhärteten Standpunkte beider Kon-
fliktparteien in den Statusverhandlungen die Vermittlungsmission der OSZE.
Hinzu kommt die repressive Minderheitenpolitik der moldauischen Mitte-
Rechts-Regierung seit dem umstrittenen Machtwechsel im Jahr 2009 (vgl.
Towards Equality, Discrimination in Moldova, www.amnesty.org/en/library/
info/EUR59/006/2012/en).
Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise haben sich die Fronten im Transnistri-
enkonflikt deutlich verhärtet. Nachdem die ukrainische Übergangsregierung
Einreisesperren gegen russische Staatsangehörige verfügte, haben die Inhabe-
rinnen und Inhaber von russischen Pässen aus der Region Transnistrien offenbar
Schwierigkeiten, in die Ukraine zu gelangen (vgl. www.nzz.ch/aktuell/
international/auslandnachrichten/hoffen-auf-das-krim-szenario-1.18289105).
Die russischen Truppen in Transnistrien unternahmen wiederum Ende März
2014 großangelegte Militärmanöver (vgl. www.reuters.com/article/2014/03/25/
us-russia-military-exercises-idUSBREA2O1KB20140325). Das De-facto-Par-
lament in Tiraspol forderte zuletzt am 23. April 2014 Russland und die Vereinten
Nationen in einer einstimmigen Resolution auf, die Region künftig als „souve-
ränen und unabhängigen Staat“ anzuerkennen (vgl. www.zeit.de/politik/
ausland/2014-04/transnistrien-ukraine-un-unabhaengigkeit). Darüber hinaus
befürwortet schon seit einem Referendum im Jahr 2006 eine Bevölkerungs-
mehrheit ebenso den Anschluss der Region Transnistrien an die Russische
Föderation als mögliche Alternative.
Demgegenüber bekräftigten der Bundesminister des Auswärtigen Dr. Frank-
Walter Steinmeier und sein französischer Amtskollege Laurent Fabius bei einem
gemeinsamen Besuch in Chisinau am 23. April 2014 ihre Unterstützung für den
voraussichtlichen Abschluss eines EU-Assoziierungsabkommens mit der Repu-
blik Moldau noch im Sommer dieses Jahres (vgl. www.stern.de/politik/ausland/
deutschland-und-frankreich-versprechen-moldau-annaeherung-an-eu-2105376.
html). Zudem können moldauische Staatsangehörige seit kurzem visumfrei in
die EU reisen. Der intensivierte Annäherungsprozess Moldaus an die EU beein-
flusst laut Einschätzung der OSZE-Missionsleiterin auch die laufenden 5+2-Ge-
spräche (vgl. www.ukrinform.ua/deu/news/leiterin_der_osze_mission_in_
moldau_im_transnistrien_konflikt_volles_vertrauen_in_die_absichten_der_
ukraine_8377).
Angesichts dessen stellt sich die Frage nach der Bilanz der bisherigen Arbeit der
OSZE und den künftigen Rahmenbedingungen der OSZE-Konfliktvermittlung
in der Republik Moldau.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die konkreten Ausgaben

der OSZE seit Beginn der Mission in der Republik Moldau in den einzelnen
Bereichen entwickelt (bitte möglichst nach Einzelbereich und pro Jahr auf-
listen)?

2. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Personalausstattung der
OSZE-Mission in der Republik Moldau seit Missionsbeginn entwickelt (bitte
möglichst pro Jahr auflisten)?

3. Mit wie vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat sich Deutschland an
der Personalausstattung der OSZE-Mission in Moldau seit Missionsbeginn
beteiligt (bitte möglichst pro Jahr auflisten)?

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4. Wie sehen die konkreten Missionsbefugnisse der OSZE für den Transnis-
trienkonflikt aus, und über welche Mitentscheidungskompetenzen verfügen
die OSZE-Missionsteilnehmerinnen und -Missionsteilnehmer insbesondere
in Fragen der militärischen Sicherheit und bei der Mitarbeit in der trilatera-
len Gemeinsamen Kontrollkommission?

5. Wie viele Sicherheitszonen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in der
Region Transnistrien vorhanden, und wie viele Sicherheitskräfte/Militäran-
gehörige sind dort im Rahmen der trilateralen Gemeinsamen Kontrollkom-
mission jeweils stationiert (bitte möglichst nach Sicherheitszone, Personal-
stärke und Kontingentzugehörigkeit auflisten)?

6. Mit wie vielen Militärbeobachtern ist die Ukraine an der Gemischten Kon-
trollkommission aktuell beteiligt, und wie sieht der konkrete Auftrag aus?

7. Wie viele Militärangehörige Russlands halten sich nach Kenntnis der Bun-
desregierung darüber hinaus derzeit noch im Zusammenhang mit der Siche-
rung von alten Munitionsdepots in der Region Transnistrien auf?

8. In welchem Umfang sind nach Kenntnis der Bundesregierung noch Altbe-
stände an Waffen und Munition in der Region Transnistrien vorhanden, und
worum handelt es sich dabei konkret?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die von den Munitions-
depots ausgehenden Gefahren für die Umwelt und den Gesundheitsschutz
der Bevölkerung?

10. Wie ist der Zugang der OSZE-Beobachterinnen und -Beobachter zu den Si-
cherheitszonen im Konfliktgebiet geregelt, und inwieweit kann die OSZE
hierbei auch ohne Zustimmung moldauischer Behörden bzw. der De-facto-
Behörden Transnistriens vor Ort Inspektionsbesuche durchführen?

11. Wie viele Feldmissionen haben die OSZE-Beobachterinnen und -Beobach-
ter seit Missionsbeginn in der Region Transnistrien oder entlang der ad-
ministrativen Sicherheitsgrenze durchgeführt, und worum ging es dabei
zumeist?

12. Über welche eigenen, konventionellen Waffensysteme verfügen die De-
facto-Streitkräfte in der Region Transnistrien nach Kenntnis der Bundes-
regierung, und wie sieht ihre aktuelle Personalstärke aus?

13. Über welche konventionellen Waffensysteme verfügt die Republik Moldau
entlang der Sicherheitsgrenze zur Region Transnistrien nach Kenntnis der
Bundesregierung, und wie sieht die aktuelle Personalstärke der moldau-
ischen Armee aus?

14. Welche Rolle spielt das im Juni 2010 zwischen Deutschland und Russland
vereinbarte „Meseberger Memorandum“ über eine vertiefte Sicherheitszu-
sammenarbeit im Hinblick auf die Beilegung des Transnistrienkonflikts,
und inwieweit ist dieses für den 5+2-Verhandlungsprozess oder die OSZE-
Mission bislang von konkreter Bedeutung gewesen?

15. Wie sieht die aktuelle Position der Bundesregierung zur Fortführung der
„Meseberg-Initiative“ über eine vertiefte Sicherheitszusammenarbeit zwi-
schen Deutschland und Russland hinsichtlich der künftigen Bemühungen
für eine Beilegung des Transnistrienkonflikts aus?

16. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich der aktuellen Pas-
siermöglichkeiten im transnistrischen Abschnitt der moldauisch-ukraini-
schen Grenze für die Inhaberinnen und Inhaber von russischen Reisepäs-
sen?

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17. Welche eigenen Grenzsicherungsmaßnahmen haben nach Kenntnis der
Bundesregierung die ukrainischen Behörden in letzter Zeit entlang des
transnistrischen Abschnitts der moldauisch-ukrainischen Grenze durchge-
führt, und wie wird dadurch die Lebensmittelversorgung und wirtschaft-
liche Situation der Bevölkerung in der Region Transnistrien beeinflusst?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die aktuelle Situation
bei der Durchführung der European Union Border Assistance Mission to
Moldova (EUBAM) im transnistrischen Abschnitt der moldauisch-ukraini-
schen Grenze, und welche Probleme sind hierbei ggf. festzustellen?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Sicherheitslage in der Re-
gion Transnistrien, und wie viele sicherheitsrelevante Vorfälle hat es nach
Kenntnis der Bundesregierung seit Jahresbeginn in den Sicherheitszonen
gegeben (bitte mit Datum, Ortsangabe und Art des Vorfalls auflisten)?

20. Wie wirken sich nach Einschätzung der Bundesregierung die gegenwärtig
angespannten Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland auf den
laufenden 5+2-Verhandlungsprozess, die OSZE-Mission und die Zusam-
menarbeit in der Gemeinsamen Kontrollkommission aus?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung die Bedeutung des von der autonomen
Regierung Gagausiens ohne Zustimmung der moldauischen Zentralregie-
rung initiierten Referendums vom 2. Februar 2014, bei dem sich 98 Prozent
der gagausischen Bevölkerung für die künftige Zollunion mit Russland aus-
sprachen, vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen für ein EU-
Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau?

22. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Beziehungen zwi-
schen der gagausischen Autonomieregierung und der moldauischen Zen-
tralregierung seit dem politischen Machtwechsel in der Republik Moldau
im Jahr 2009 entwickelt?

23. Welchen Stellenwert besitzt nach Einschätzung der Bundesregierung der
Lösungsansatz einer stärkeren Föderalisierung der Republik Moldau in den
gegenwärtigen 5+2-Verhandlungen und den Vermittlungsbemühungen der
OSZE im Transnistrienkonflikt?

24. Welche aktuelle Position vertritt nach Kenntnis der Bundesregierung die
amtierende moldauische Regierung zum Lösungsansatz einer Föderalisie-
rung im Transnistrienkonflikt?

25. Wie wirken sich nach Einschätzung der Bundesregierung die aktuell ange-
spannten Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland auf die Fortfüh-
rung der Verhandlungen mit der Republik Moldau über den Abschluss eines
EU-Assoziierungsabkommens aus?

26. Welche Vorkehrungen gedenkt die Bundesregierung zu treffen, um zu ver-
hindern, dass die EU-Verhandlungen mit der Republik Moldau über den
Abschluss eines Assoziierungsabkommens angesichts der mehrheitlich ab-
lehnenden Haltung der transnistrischen und gagausischen Bevölkerung zur
weiteren Zuspitzung in den bereits bestehenden bzw. latent vorhandenen,
innerstaatlichen Konflikten beitragen oder den weiteren Verlauf der OSZE-
Mission nachteilig beeinflussen?

27. Sind der Bundesregierung über die bisherige Mission der OSZE hinausge-
hende Absichten der moldauischen Regierung bekannt, unabhängige Mili-
tärbeobachter aus OSZE-Staaten nach dem Wiener Dokument zur Unter-
suchung der aktuellen Sicherheitslage in den Sicherheitszonen anzufordern,
und falls ja, erwägt die Bundesregierung, sich daran zu beteiligen?

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28. Erwägt die Bundesregierung, unter anderem als mögliche Konsequenz aus
den Erfahrungen in der Ukraine-Krise, sich innerhalb der OSZE für die
künftige Erweiterung der konkreten Missionsbefugnisse der OSZE in der
Republik Moldau einzusetzen, und falls nein, weshalb nicht?

29. Wie positioniert sich die Bundesregierung grundsätzlich zu einer möglichen
Aufwertung der Rolle der OSZE als regionale Sicherheitsorganisation in
Europa in Anbetracht des Scheiterns bzw. der Stagnation der Konfliktbeile-
gungsprozesse in der Republik Moldau und in anderen osteuropäischen/
postsowjetischen Staaten?

Berlin, den 28. Mai 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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