BT-Drucksache 18/1545

Anstrengungen der Bundesregierung gegen weltweit größte Sauerstoffmangel-"Todeszonen" in der Ostsee

Vom 20. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1545
18. Wahlperiode 20.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch,
Dr. Kirsten Tackmann, Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Anstrengungen der Bundesregierung gegen weltweit größte Sauerstoffmangel-
„Todeszonen“ in der Ostsee

Die Ostsee ist nach Auffassung von Ökologen die größte Sauerstoffmangelzone
menschlichen Ursprungs der Erde. Verursacher dieser sog. Todeszonen sind
Düngemitteleintrag durch die Landwirtschaft und die globale Erwärmung durch
klimaschädliche Emissionen. Neue Forschungsergebnisse präsentierte zuletzt das
Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ in einem
wissenschaftlichen Text mit dem Titel: „Deoxygenation of the Baltic Sea during
the last century“ (www.pnas.org/content/early/2014/03/27/1323156111.full.pdf).
Auch in den Medien wurde über die Problematik berichtet (SPIEGEL ONLINE,
1. April 2014, www.spiegel.de/wissenschaft/natur/ostsee-sauerstoffmangel-
wegen-ueberduengung-und-waerme-a-961721.html). Dem Meeresschutz ver-
pflichtet sich der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD: „Die EU-
Meeresstrategierahmenrichtlinie wird umgesetzt und der gute Umweltzustand in
den deutschen Meeresgewässern bis spätestens 2020 erreicht werden“ (vgl.
Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und
SPD, 18. Legislaturperiode, 2013).
Die aktuelle Entwicklung in der Ostsee ist besorgniserregend. Der Langzeitstu-
die zufolge gingen die Sauerstoffmangelzonen im Binnenmeer von 1974 bis
1993 zunächst auf das Niveau von 1931 zurück, was mit einem verstärkten Was-
ser- und Sauerstoffaustausch zwischen Ostsee und Nordsee in Verbindung steht.
Seit dem Jahr 1993 aber sind die „Todeszonen“ der Studie zufolge auf ein his-
torisches Hoch angestiegen. Die Sauerstoffmangelzonen haben sich von einer
Fläche von 5 000 Quadratkilometern vor 110 Jahren auf derzeit 60 000 Quadrat-
kilometern verzehnfacht. Auch ist die Wassertemperatur in den untersuchten
Gebieten in den letzten 115 Jahren um 2 Grad Celsius gestiegen, was die Auf-
nahmefähigkeit von Sauerstoff durch das Wasser verringert.
Der Sauerstoffverlust der Meere in Küstennähe und auf dem offenen Meer ist ein
weltweites Problem. Sinkt der Sauerstoffgehalt im Tiefenwasser unter 2 Milli-
gramm pro Liter ab, wird es für Fische und die am oder im Meeresboden leben-
den Tiere (Makrozoobenthos) lebensbedrohlich, insbesondere dann, wenn diese
Bedingungen über einen längeren Zeitraum bestehen und sich infolge mikrobiel-
ler Prozesse (Sulfatreduktion) das Faulgas Schwefelwasserstoff (H2S) bildet. Für
sauerstoffatmende (aerobe) Tiere ist es ein äußerst starkes Zellgift, das zu einem
größeren Tiersterben am Meeresboden führen kann (vgl. Landesamt für Land-
wirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, 2012,
www.bsh.de/de/Meeresdaten/Beobachtungen/MURSYS-Umweltreportsystem/
PDF/LLUR_Sauerstoffbericht_Ostsee_2012.pdf).

Drucksache 18/1545 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Sind der Bundesregierung die beschriebenen wissenschaftlichen Erkennt-

nisse bekannt, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesen
international bzw. für deutsche Hoheitsgewässer, und sieht die Bundesregie-
rung im Hinblick auf Ökologie, Fischreichtum, Fischfang, Auswirkungen auf
den Tourismus und andere Aspekte besonderen Handlungsbedarf?

2. Hat die Bundesregierung Kenntnis über den Zusammenhang von Sauerstoff-
mangel und Fischsterben in der Ostsee, und wenn ja, wie groß ist nach Kennt-
nis der Bundesregierung der Fischbestand, der seit dem Jahr 1993 an den Fol-
gen von Sauerstoffmangel verendet ist (bitte nach Jahren, Fischarten in Ton-
nen und Gebieten aufschlüsseln)?

3. Besteht nach Kenntnis der Bundesregierung für durch Sauerstoffmangel-
zonen entstandene wirtschaftliche Schäden (Rückgang bei Fischfang, Touris-
musrückgang wegen Faulgasgeruch) die Möglichkeit einer Entschädigung
für Betroffene?
Wenn ja, in welcher Form?
Wenn nein, warum nicht, bzw. bestehen Planungen in dieser Richtung?

4. Hat die Bundesregierung Kenntnis von der räumlichen und zeitlichen Vertei-
lung von Nährstoffen (gelöster anorganischer Stickstoff DIN, Gesamtstick-
stoff TN, Orthophosphat DIP, Gesamtphosphor TP, Summe organischen
Kohlenstoffs TOC) und Sauerstoff in den Hoheitsgebieten der deutschen Ost-
see, und wenn ja, kann sie diese nach Gebieten, Jahr (ab 1993) und genannten
Nährstoffen (in Tonnen) aufschlüsseln?

5. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung zur Reduzierung
von Einträgen von Düngemitteln und anderen stickstoff- und phosphorhal-
tigen Stoffen (z. B. aus Punktquellen oder diffusen Quellen einschließlich
Landwirtschaft, Aquakultur und atmosphärische Deposition), u. a. im Rah-
men ihrer Verpflichtungen gemäß der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates, und welche Maßnahmen sind künf-
tig geplant?

6. Welche Definition des guten Umweltzustands der Ostsee, u. a. gemäß der
Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, legt die Bundesregierung ihrer Meeres-
schutzpolitik zugrunde, welche Ziele hat sie festgelegt, die den gewünschten
Gegebenheiten entsprechen, ausgeschlüsselt nach messbaren Zielen und
Nennung entsprechender Indikatoren, die eine Überwachung und Bewertung
ermöglichen, und welche operativen Ziele hat sie festgelegt, die sich auf kon-
krete Durchführungsmaßnahmen zur Erreichung der Ziele beziehen?

7. Ist die deutsche Ostsee laut Ansicht der Bundesregierung in einem guten Um-
weltzustand?
Wenn nein, warum nicht, und welche Maßnahmen ergreift die Bundesregie-
rung, um ihre Zielsetzung bis zum Jahr 2020 zu erreichen?

8. Welche Maßnahmen ergreift die Regierung im europäischen Rahmen, um die
Anteile der Ostseeanrainer an der Wasserverschmutzung zu verringern oder
zu stoppen?

9. Plant die Bundesregierung, die Problematik der Sauerstoffmangelzonen in
die internationalen Klimaschutzverhandlungen im Rahmen des UNFCCC
(Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen) einzubringen, und wenn
ja, in welcher Form?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1545
10. Welche Möglichkeiten betrachtet die Bundesregierung als geeignet, um
europäische Partner und Ostseeanrainer zu verstärkten Klimaschutzbemü-
hungen zu bewegen (Nennung von Initiativen und Ländern)?

11. Gibt es über die in dieser Kleinen Anfrage thematisierten Fragen hinaus Ini-
tiativen, welche die Bundesregierung zur Verbesserung des ökologischen
Zustandes der Ostsee ergreift, und wenn ja, welche?

Berlin, den 19. Mai 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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