BT-Drucksache 18/1511

15 Jahre Bologna-Prozess

Vom 21. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1511
18. Wahlperiode 21.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, Özcan Mutlu,
Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Ulle Schauws, Doris Wagner,
Maria Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Kordula
Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

15 Jahre Bologna-Prozess

Die am 19. Juni 1999 von 29 europäischen Staaten unterzeichnete Bologna-
Erklärung gab den Anstoß zu einer der weitreichendsten Hochschulreformen der
letzten Jahrzehnte. Der Bologna-Prozess hat die deutsche Hochschullandschaft
und Studienstruktur tiefgreifend verändert, Impulse zur Internationalisierung
der Universitäten und Fachhochschulen und für einen europäischen Hochschul-
raum gesetzt.
In den 15 Jahren der Umsetzung der Bologna-Reform wurden jedoch auch
Probleme und unerwünschte Nebeneffekte offensichtlich. Immer wieder wurde
Kritik u. a. an den starren Studienstrukturen („Verschulung“), der Stagnation der
Mobilität der Studierenden, der mangelhaften Anerkennungspraxis, den büro-
kratischen Akkreditierungsverfahren sowie der unzureichenden sozialen Öff-
nung laut.
Eineinhalb Jahrzehnte „Bologna“ sind ein wichtiger Anlass für eine umfassende
hochschulpolitische Bestandsaufnahme und Zwischenbilanz des Reform- und
Umsetzungsprozesses. 15 Jahre Bologna verweisen auf die Aufgabe, die Um-
stellung auf Bachelor und Master in einem kontinuierlichen Verbesserungs-
prozess doch noch zu einem Erfolg und einer echten Studienqualitätsreform zu
führen. Es ist u. a. dem Drängen der parlamentarischen Opposition, engagierten
Studierenden und den Protestierenden des Bildungsstreiks im Jahr 2009 zu ver-
danken, dass einige Probleme des Bologna-Prozesses in der Vergangenheit auf
die politische Agenda gesetzt und zumindest in Teilen gelöst wurden („Reform
der Reform“).
Mit Blick auf den 15. Jahrestag der Bologna-Erklärung häufen sich abermals
kritische Stimmen aus den Hochschulen und der Wissenschaft. So bestehen
unter anderem Zweifel an der Bereitstellung der notwendigen Anzahl von Mas-
terstudienplätzen, an der Mobilitätsfreundlichkeit sechssemestriger Bachelor-
studiengänge und an der angestrebten sozialen Öffnung der Hochschulen. Die
Phase zwischen Bachelor- und Masterstudium ist für viele Studierende zudem
eine Phase der beruflichen und finanziellen Unsicherheit. Darüber hinaus fehlt
an einigen Stellen die empirische Basis zur Bewertung der Reformergebnisse.
Nach 15 Jahren Bologna-Prozess sind zahlreiche Fragen noch immer offen.

Drucksache 18/1511 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welches Fazit zieht die Bundesregierung für die im Rahmen des Bologna-

Prozesses angestoßene Umstellung auf das gestufte Studiensystem, und in-
wieweit sieht sie in einzelnen Bereichen (wie u. a. der Erhöhung der Stu-
dienerfolgsquote und der Verkürzung der Studiendauer) gegebenenfalls noch
Handlungsbedarf?

2. Wirbt die Bundesregierung aktuell bei Ländern und Hochschulen darum,
dass das gestufte Abschlusssystem auch in den Lehramtsstudiengängen, der
Rechtswissenschaft und der Medizin zur Regel wird?
Wie verläuft nach Kenntnissen der Bundesregierung die Debatte darüber der-
zeit in den einschlägigen Gremien?

3. Welches Fazit zieht die Bundesregierung für die im Rahmen des Bologna-
Prozesses angeregte Umstellung auf studienzentriertes Lernen an den Hoch-
schulen?

4. Welche Meinung vertritt die Bundesregierung zur Idee der Hochschulrekto-
renkonferenz (HRK), die klassische Notengebung in den ersten Semestern
des Bachelorstudiums durch so genannte Lernportfolios abzulösen?

5. Welches Fazit zieht die Bundesregierung für die im Rahmen des Bologna-
Prozesses angeregte Verbesserung der internationalen und nationalen Mobi-
lität von Studierenden und wissenschaftlichem Personal?

6. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die nach der
20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks e. V. aktuell stagnierende
internationale Mobilität von Studierenden, insbesondere im Bachelorbereich,
zu erhöhen?
Plant die Bundesregierung zusätzliche Maßnahmen, um das von ihr ausgege-
bene Ziel der Auslandsmobilitätsquote von deutschen Studierenden auf
50 Prozent zu erreichen?
Falls ja, welche?
Falls nein, warum nicht?

7. Plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass laut der 20. Sozial-
erhebung des Deutschen Studentenwerks e. V. 66 Prozent der Studierenden
ohne Auslandsstudium in der finanziellen Mehrbelastung ein starkes Hinder-
nis für ein Studium im Ausland sehen (S. 179), Aktivitäten, um die Finanzie-
rung von Auslandsaufenthalten auszuweiten oder zu erleichtern?
Falls ja, welche?
Falls nein, warum nicht?

8. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
daraus, dass laut der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks e. V.
die Auslandsmobilitätsquote von Studierenden mit niedriger Bildungsher-
kunft mit 9 Prozent besonders gering ist, und in einem klaren Gegensatz zu
einer Auslandsmobilitätsquote von 21 Prozent bei Studierenden mit hoher
Bildungsherkunft steht (S. 173)?
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, und welche Maßnahmen
will sie ergreifen, um die Mobilität von Studierenden mit niedriger und mitt-
lerer Bildungsherkunft besonders zu fördern?

9. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zum Anlaufen des Mobili-
tätsprogramms PROMOS an den Hochschulen vor?
Wie viele Studierende haben von dem Programm bisher profitiert (bitte nach
Jahren und Programmlinien aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1511
10. Welches Fazit zieht die Bundesregierung für die im Rahmen des Bologna-
Prozesses angeregte Sicherung von Qualitätsstandards auf nationaler und
europäischer Ebene?

11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Fortgang der Umstel-
lung von Programmakkreditierungen auf Systemakkreditierungen an den
deutschen Hochschulen?
Inwiefern teilt die Bundesregierung zuletzt etwa in der „Frankfurter All-
gemeine Zeitung“ (23. April 2014) geäußerte Befürchtungen, die Hoch-
schulen würden durch die neue Akkreditierungsform Kompetenzen für Stu-
diengänge noch stärker bei den Hochschulleitungen zentralisieren?

12. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung die vom Wissenschaftsrat vor-
geschlagene „Experimentierklausel“, welche vorsieht, in Ausnahmefällen
mögliche andere Varianten der externen Qualitätssicherung in Deutschland
zu erproben?
Welche anderen Formen externer Qualitätssicherung kämen dazu nach Auf-
fassung der Bundesregierung infrage?

13. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zur Rechtmäßigkeit der
Akkreditierungspflicht, wie sie in den Landeshochschulgesetzen geregelt
ist?
Kollidiert die Akkreditierungspflicht nach Rechtsauffassung der Bundes-
regierung mit der in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes geschützten
Lehrfreiheit?

14. Welches Fazit zieht die Bundesregierung für die im Rahmen des Bologna-
Prozesses angeregte verbesserte Anerkennungspraxis von Abschlüssen und
Studienabschnitten?

15. Teilt die Bundesregierung die von der HRK geäußerte Sorge, dass die Lis-
sabon-Konvention auch sieben Jahre nach der Ratifizierung durch die Bun-
desregierung an vielen deutschen Hochschulen unbekannt ist?
Welche Aktivitäten plant die Bundesregierung, um Grundsätze der Lissa-
bon-Konvention, wie die Beweislastumkehr bei Anerkennung von Qualifi-
kationen an den Hochschulen, bekannter zu machen?

16. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der HRK, dass die ländergemein-
samen Strukturvorgaben der Kultusministerkonferenz (KMK) flexibilisiert
und die landesspezifischen Strukturvorgaben abgeschafft werden sollten?

17. Wird die Bundesregierung das Projekt „nexus – Konzepte und gute Praxis
für Studium und Lehre“ der HRK auch über das Haushaltsjahr 2014 hinaus
fördern?
Falls ja, in welchem Umfang?
Falls nein, warum nicht?

18. Mit welchen Aktivitäten treibt die Bundesregierung die von ihr selbst im
Vierten Bericht über die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland
angeregte diversitätsgerechte Weiterentwicklung des Studienangebots und
der Studienorganisation voran?

19. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung das zahlenmäßige Verhält-
nis zwischen Männern und Frauen beim Übergang vom Bachelor zum Mas-
ter entwickelt (bitte nach Jahren und Fächergruppen aufschlüsseln)?

20. Inwiefern liegen der Bundesregierung aktuelle Zahlen dazu vor, wie viele
Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen an ihr Erststudium direkt
ein Masterstudium anschließen (bitte nach Jahren und Fächergruppen auf-
schlüsseln)?

Drucksache 18/1511 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
21. Wie viele Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen nehmen nach
Kenntnis der Bundesregierung erst nach mehreren Monaten oder Jahren ein
Masterstudium auf (bitte nach Jahren, Zeitraum zwischen Bachelor-
abschluss und Masterstudienaufnahme – weniger als ein Jahr, zwischen
einem und fünf Jahren, mehr als fünf Jahre –, Verbleib zwischen Bachelor-
abschluss und Masterstudienaufnahme – sozialversicherungspflichtig be-
schäftigt, arbeitslos gemeldet, Familienphase, Auslandsaufenthalt etc. – und
Fächergruppe für Bachelor und für Master aufschlüsseln)?

22. Plant die Bundesregierung eine fallspezifische Untersuchung der Situation
derjenigen Studierenden, die an ihr Bachelorstudium nicht direkt ein Mas-
terstudium anschließen, z. B. zu deren Motivation, dem Verbleib auf dem
Arbeitsmarkt, der Häufigkeit von Praktika und Auslandsaufenthalten, deren
finanziellen Situation etc.?
Falls nein, warum nicht?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die aktuelle Arbeitsmarktsituation von
Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen?
Inwiefern sind der Bundesregierung Zahlen bekannt, wie viele der Ab-
solventinnen und Absolventen volladäquat zu ihrer Ausbildung beschäftigt
sind (bitte nach Universitäten und Fachhochschulen sowie Geschlecht auf-
schlüsseln)?

24. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, ob die im
Nationalen Bildungsbericht 2012 festgestellte Entwicklung sich fortsetzt,
dass Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen „öfter auf Posi-
tionen für qualifizierte Angestellte mit einer beruflichen Ausbildung oder in
unterqualifizierte Tätigkeiten“ (S. 138) beschäftigt werden?

25. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus Stimmen aus der Wirtschaft, Bachelorabsolventinnen und Bachelor-
absolventen seien „zu jung“, nachdem in den 90er-Jahren aus Reihen der
Wirtschaft beklagt wurde, deutsche Hochschulabsolventen seien „zu alt“?

26. Zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung im Rahmen der Über-
prüfung der Dienstrechtsreform des Jahres 2009 gekommen, was den Zu-
gang von Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen in Laufbahnen
des höheren Dienstes betrifft?
Teilt die Bundesregierung die Ansicht der HRK, die feststellt, dass es aus
Gründen der Akzeptanz des Bachelorabschlusses unerlässlich sei, dass
Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen auch die Laufbahnen im
höheren Dienst offenstehen?
Wenn ja, was wird sie tun, um dieses Ziel zu erreichen?
Wenn nein, welche Auswirkungen sieht die Bundesregierung für die Attrak-
tivität der entsprechenden Bachelorstudiengänge?

27. Wie viele Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen sind aktuell im
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingestellt?
Nach welcher Tarifgruppe werden diese bezahlt (bitte nach Anstellungsart
– verbeamtet/angestellt – befristet/unbefristet – und Geschlecht aufschlüs-
seln)?

28. Wie viele Masterstudienplätze wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
seit dem Jahr 2012 angeboten, darunter wie viele mit Zulassungsbeschrän-
kung (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1511
29. Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum Verhältnis von
Angebot und Nachfrage im Masterbereich?
Liegen der Bundesregierung Berichte über Studienplatzmangel im Master-
bereich in bestimmten Fächern und/oder Fächergruppen vor?
Wenn ja, in welchem Umfang?

30. Auf welche Quelle stützt sich die Aussage der Bundesregierung im Vierten
Bericht über die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland, es
stehe „rechnerisch für jeden interessierten Bachelor heute ein Masterstu-
dienplatz zur Verfügung“ (S. 4)?

31. Wie viele der Masterstudienplätze sind nach Kenntnis der Bundesregierung
seit dem Jahr 2012 unbesetzt geblieben (bitte nach Jahren aufschlüsseln und
danach, ob zulassungsbeschränkt oder nicht)?

32. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung der HRK nach der Er-
probung des Systems relativer Noten als ein Zulassungsaspekt beim Zugang
zu Masterstudiengängen?

33. Welchen Zeitplan verfolgt die Bundesregierung für die Novellierung des
Hochschulstatistikgesetzes?
Für wann ist nach der geplanten Beratung im Hochschulstatistikausschuss
des Statistischen Bundesamtes im November 2014 mit der Vorlage der Ge-
setzesnovelle im Deutschen Bundestag zu rechnen?

34. Setzt sich die Bundesregierung im Rahmen der Beratungen zur Novellie-
rung des Gesetzes über die Statistik für das Hochschulwesen (HStatG) für
die Einführung einer Verlaufsstatistik für Studierende ein, die unter anderem
dringend benötigte Rückschlüsse auf die tatsächliche Anzahl von Stu-
dienabbrecherinnen und Studienabbrechern sowie die Anzahl von Master-
studierenden erlauben würde?

35. Welche Rolle sieht die Bundesregierung in Zukunft für das E-Learning und
insbesondere für so genannte Massive Open Online Courses („MOOCs“) an
deutschen Hochschulen?

Berlin, den 21. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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