BT-Drucksache 18/1465

Keine Bad Bank für Atom - Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichem Fonds sicherstellen

Vom 21. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1465
18. Wahlperiode 21.05.2014

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock,
Bärbel Höhn, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald,
Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden),
Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Bad Bank für Atom – Rückstellungen der Atomwirtschaft in
öffentlich-rechtlichem Fonds sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Geschichte der deutschen Atomkraftnutzung ist voller Beispiele dafür, dass
Gewinne privatisiert und Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt wurden und dass
die Atomwirtschaft von systematischer staatlicher Kostenübernahme immens profi-
tiert hat. So stammen rund 40 Prozent des Atommülls im Endlager Morsleben aus
westdeutschen Atomkraftwerken (AKW), deren Betreiber jedoch nur für 4 Prozent
der geschätzten Morsleben-Kosten von rund 2,5 Mrd. Euro aufkommen müssen.
Weitere Beispiele sind die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, der Thorium-
Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop, der Allgemeine Versuchsreaktor Jülich
und das marode Atommülllager Asse. Allein die Asse wird den Bund schätzungs-
weise 4 Mrd. Euro kosten, obwohl über 80 Prozent der Asse-Radioaktivität auf
Anlagen der Atomwirtschaft zurückgehen.

Nachdem die AKW-Betreiber in der Vergangenheit schon viel zu oft Nutznießer
staatlicher Beihilfe in Form immenser Kostenübernahme für strahlende Altlasten
waren, ist es umso wichtiger, dass künftig das – theoretisch – eindeutig geltende
Verursacherprinzip praktisch durchgesetzt und dauerhaft eingehalten wird.

In Deutschland sind die Betreiber von Atomkraftwerken verpflichtet, für den
Rückbau ihrer Atomkraftwerke und die Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle
Rückstellungen zu bilden. Ende 2013 betrug die Summe dieser Rückstellungen laut
Bundesregierung rund 36 Mrd. Euro (vgl. Bundestagsdrucksache 18/1041, Antwort
zu Frage 4).Während kritische Experten, Umweltschutzverbände, Anti-Atom-
Initiativen und die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schon länger
auf ein reales Ausfallrisiko und damit verbundene Milliardengefahren für die Steu-
erzahlerinnen und Steuerzahler hinweisen, wollten die AKW-Betreiber und die
Bundesregierung das System bislang nicht ändern. Seit dem 11. Mai 2014 hat sich
jedoch die Sachlage drastisch geändert. Nach einem Bericht des Magazins „DER
SPIEGEL“ und weiterer Medien gibt es Überlegungen der Energiekonzerne RWE,
E.ON und EnBW, ihre noch laufenden und abgeschalteten Atomkraftwerke nebst
Atommüll und Rückstellungen komplett in eine Art staatliche „AKW-Bad-Bank“

Drucksache 18/1465 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

bzw. Stiftung zu übertragen, um sich auf einen Schlag von allen weiteren Pflichten
zu befreien. Im Gegenzug wollen die Konzerne auf Schadensersatzklagen gegen
den Atomausstieg verzichten.

Ein solches Ansinnen lehnt der Deutsche Bundestag strikt ab. Der Staat darf die
AKW-Betreiber nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Vielmehr muss er alles
dafür tun, dass sie ihr dauerhaft nachkommen. Der inakzeptable Vorstoß zeigt
immerhin: Die Konzerne sehen selbst, dass Änderungsbedarf am bisherigen Sys-
tem besteht, und sie haben die grundsätzliche Machbarkeit eines Rückstellungs-
fonds bestätigt. Der Vorstoß der drei Konzerne lässt vermuten, dass sie nicht da-
von ausgehen, dass die Rückstellungen in Höhe von 36 Mrd. Euro in den Bilanzen
ausreichen, um Rückbau der Atomkraftwerke und Entsorgung des Atommülls zu
finanzieren.

Die Energiekonzerne haben seit einiger Zeit mit erheblichen wirtschaftlichen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Beispiel RWE: Erstmals seit Jahrzehnten schreibt der
Konzern rote Zahlen. Den etwa 10 Mrd. Euro Rückstellungen für den AKW-
Rückbau stehen Schulden in Höhe von etwa 30 Mrd. Euro gegenüber. Hinzu
kommt ein fehlendes Geschäftsmodell für die Zukunft einschließlich fehlender
Finanzmittel für dringend notwendige Zukunftsinvestitionen.

Deshalb gibt es Zweifel, ob die Rückstellungen nicht nur ausreichend sondern auch
werthaltig sind. Angesichts der Umbrüche im Energiemarkt ist nicht ausgeschlos-
sen, dass Assets – etwa Kraftwerke, Netze o. Ä. – in die die Rückstellungen inves-
tiert wurden und die noch vor kurzem erhebliche Werte darstellten, nun nicht mehr
werthaltig sind. Die Bundesregierung besitzt nach eigener Darstellung keinerlei
Informationen über die Werthaltigkeit und die Angemessenheit der Rückstellungen
und vertraut blind auf die Zusagen der Konzerne. Diese Intransparenz, die ein un-
kalkulierbares Kostenrisiko für die öffentliche Hand beinhaltet, kritisiert bereits im
Jahr 2011 der Bundesrechnungshof in deutlichen Worten (Bundestagsdrucksache
17/5350). Trotz der eindringlichen Warnungen hat die Bundesregierung bis heute
nichts unternommen, um Transparenz über die Entsorgungskosten der AKW und
die dafür erforderlichen Rückstellungen in den Bilanzen der Betreiber herzustellen.

Es gilt nun, die vorhandenen Rückstellungen für den AKW-Rückbau zu sichern
und vor (weiterem) Wertverlust zu schützen. Ein geeignetes Instrument dazu ist die
Einführung eines öffentlich-rechtlichen Fonds, in den die Rückstellungen überführt
werden – allerdings unter dauerhafter Beibehaltung des Verursacherprinzips, also
der finanziellen Verantwortung der AKW-Betreiber.

Öffentlich kontrollierte Stilllegungs- und Entsorgungsfonds existieren bereits in
der Schweiz und in Schweden. Soweit die dort vorgehaltenen Mittel noch nicht für
Rückbau und Entsorgung gebraucht werden, können sie angelegt werden. Ein öf-
fentlich kontrollierter Fonds, in dem die Rückstellungen der Atomwirtschaft für die
Entsorgung gebündelt werden, darf nach dem Beschluss über den Atomausstieg
Deutschlands aber nicht wieder in die Atomenergie investieren. Damit ergibt sich
eine zusätzliche Rolle für einen solchen Fonds als zentraler Baustein in einer Stra-
tegie für nachhaltiges Investment.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen öffentlich kontrollierten Fonds in der Organisationsform einer rechtsfä-
higen Stiftung des öffentlichen Rechts zu errichten. Die Energieversorgungs-
unternehmen werden verpflichtet, die für die Entsorgung bereits gebildeten
und künftig zu bildenden Rückstellungen in den Fonds einzuzahlen. Grundvo-
raussetzung für die Bewirtschaftung dieses Fonds ist, dass die Mittel im Ent-
sorgungsfall unverzüglich für die gebotenen Maßnahmen eingesetzt werden

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1465

können. Gleichzeitig muss sich der Fonds an ökologischen, sozialen und ethi-
schen Kriterien gemäß der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie orientieren;
unverzüglich zu klären, in welchem Zeitraum eine schnellstmögliche Überfüh-
rung der Rückstellungen möglich ist;
gesetzlich zu regeln, dass ab sofort für jede Atomanlage einzeln transparent
darzulegen ist, welcher Finanzbedarf über welchen Zeitraum für den Rückbau
der Anlage und die kurz- bis mittelfristige Zwischenlagerung des betreffenden
Atommülls besteht und in welchem Umfang für die noch nicht abschließend
prognostizierbaren langfristigen Zwischen- und Endlagerkosten auf Basis ers-
ter Schätzungen finanziell vorgesorgt wird;
darüber hinaus staatlichen Stellen wie den Finanzbehörden, dem Bundesamt
für Strahlenschutz und dem Bundesrechnungshof umfassende Auskunfts- und
Einsichtsrechte zu verschaffen, damit von staatlicher Seite eine angemessene
Höhe und tatsächliche Werthaltigkeit der Rückstellungen geprüft und die fakti-
sche Einhaltung des geltenden Verursacherprinzips gewährleistet werden kann.

Berlin, den 20. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.