BT-Drucksache 18/1377

Aufarbeitung der Massaker von 1965/66 in Indonesien, der deutschen Rolle und deren Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen

Vom 6. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1377
18. Wahlperiode 06.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Sevim Dağdelen, Annette Groth,
Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

Aufarbeitung der Massaker von 1965/1966 in Indonesien, der deutschen Rolle und
deren Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen

Im Nachgang eines Putschversuches im September 1965 in Indonesien begingen
staatliche Sicherheitskräfte sowie Zivilisten unter deren Duldung zahlreiche
Massaker in weiten Teilen des Landes, denen nach verschiedenen Schätzungen
bis zu eine Million Menschen zum Opfer fielen. Die Verfolgten waren vor allem
Mitglieder und vermeintliche Mitglieder oder Sympathisanten der Kommunis-
tischen Partei Indonesiens (PKI), der fälschlicherweise die Verantwortung für
den Putschversuch zugeschrieben wurde, sowie die chinesische Minderheit in
Indonesien.
Bis heute wurden die Verantwortlichen für diese Verbrechen nicht strafrechtlich
belangt und viele von ihnen werden ganz im Gegenteil für ihre Taten als Helden
betrachtet. Viele Opfer und deren Angehörige leiden hingegen bis heute unter
der politischen Verfolgung. Erst im Jahr 2004 räumte das Verfassungsgericht
ehemaligen Mitgliedern der PKI das passive Wahlrecht ein und im Jahr 2006
entfernte die Regierung den Hinweis aus Ausweisdokumenten, der den Träger
als ehemaligen politischen Gefangenen identifizierte (The Jakarta Post, 23. Juli
2012).
Der ehemalige Nationalsozialist und erste Präsident des Bundesnachrichten-
dienstes (BND) bis 1968, Reinhard Gehlen, kommentierte im Jahr 1996 im
Fernsehmagazin „Monitor“ den Machtantritt des Diktators Haji Mohamed
Suharto mit den Worten „Der Erfolg der indonesischen Armee, die […] die Aus-
schaltung der gesamten kommunistischen Partei mit Konsequenz und Härte ver-
folgte, kann nach meiner Überzeugung in seiner Bedeutung gar nicht hoch ge-
nug eingeschätzt werden.“ (Zitat nach Rainer Werning: Der Archipel Suharto,
in: Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft 15/2008). Verschiedene
Berichte deuten auf die Verstrickung westlicher Geheimdienste, namentlich der
USA und Deutschlands hin. So berichtete „DER SPIEGEL“ im Jahr 1971, dass
der BND „Indonesiens militärischen Nachrichtendienst 1965 mit Maschinenpis-
tolen, Funkgeräten und Geld (Gesamtwert: 300 000 Mark) bei der Niederwer-
fung eines Links-Putsches in Djakarta“ unterstützte (DER SPIEGEL 11/1971).
Und im selben Jahr: „Ein Kommando von BND-Männern bildete in Indonesien
militärische Geheimdienster [sic] aus und löste die von der antiamerikanischen
Propaganda hart bedrängten Kollegen von der CIA ab. 1965 sollten die BND-
Ausbilder sogar in einen Bürgerkrieg eingreifen: durch Lieferung sowjetischer
Gewehre und finnischer Munition an Indonesiens Armee.“ (DER SPIEGEL 23/
1971). Mitarbeiter der US-Botschaft in Indonesien gaben Listen von Mit-
gliedern der PKI und deren Aufenthaltsorte an die indonesischen Behörden wei-
ter (http://history.state.gov/historicaldocuments/frus1964-68v26/d185).

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Im Jahr 2008, zehn Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur, begann die Na-
tionale Menschenrechtskommission (Komnas HAM) mit ersten Untersuchun-
gen der Massaker. Sie kam im Jahr 2012 zu dem Ergebnis, dass „ausreichende
Anfangsbeweise“ bestehen, zu glauben, dass eine Reihe von Verbrechen be-
gangen wurde, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Crimes against
Humanity) betrachtet werden können. Dazu gehören Tötungen, Vernichtungen,
Versklavung, Zwangsräumungen und Zwangsumsiedlungen, willkürliche Frei-
heitsberaubung, Folter, Vergewaltigung oder vergleichbare Formen sexueller
Gewalt, Verfolgung und Verschwindenlassen. Weil diese Verbrechen „weit ver-
breitet und systematisch“ stattgefunden haben und eine Folge der Politik der
Machthaber gewesen seien, handele es sich um Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit.
Gegenüber der Staatsanwaltschaft sprach sich die Komnas HAM dafür aus, die
genannten Verbrechen zu untersuchen, um die Verantwortlichen zu bestrafen.
Diese wies die Empfehlung jedoch mit der Begründung zurück, dass die Ergeb-
nisse der Kommission nicht ausreichend gewesen seien und die genannten Fälle
keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten (The Jakarta Post,
11. Dezember 2012). Von Seiten der Regierung waren die Reaktionen unter-
schiedlich. Der Präsident Susilo Bambang Yudhoyono forderte die Staatsanwalt-
schaft auf, den Bericht zu prüfen, während der Koordinierende Minister für
Politische, Juristische und Sicherheitsangelegenheiten, Djoko Suyanto, ihn zu-
rückwies und argumentierte, die Massentötungen seien gerechtfertigt gewesen,
weil sie dazu dienten, „das Land zu retten“ (The Jakarta Post, 1. Oktober 2012).
Aufgrund der ausbleibenden Aufarbeitung der Verbrechen in Indonesien planen
Menschenrechtsorganisationen für den 50. Jahrestag im Jahr 2015 eigene Initia-
tiven, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Bei einem „Inter-
nationalen Volkstribunal über Verbrechen gegen die Menschheit in Indonesien
1965“ in Den Haag wollen sie einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Aufarbeitung der

Massaker ab 1965 in Indonesien (im Folgenden: Massaker)?
2. Wie viele Verantwortliche für die Massaker wurden nach Kenntnis der

Bundesregierung juristisch belangt?
3. Wie viele Menschen fielen nach Kenntnis der Bundesregierung den Massa-

kern zum Opfer?
4. Hat die Bundesregierung der Regierung der Republik Indonesien ihre Unter-

stützung bei der Aufarbeitung der Massaker angeboten?
a) Wenn ja, wann hat sie dies in welcher Form getan, und wie hat die Regie-

rung Indonesiens auf dieses Angebot reagiert?
b) Wenn ja, welche konkrete Unterstützung hat sich aus dem Angebot er-

geben?
c) Wenn nein, warum nicht?

5. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass es sich bei den Massakern um
Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Crimes against Humanity) handelt
(bitte begründen)?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Massaker (bitte begründen)?
7. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der nach Auffassung

der Fragesteller mangelnden Aufarbeitung der Massaker für die Beziehungen
zur Republik Indonesien sowie für die militärische Kooperation?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1377
8. In welcher Form bestanden während der Massaker in den Jahren 1965/1966
diplomatische, militärische, sicherheits- oder geheimdienstliche Kontakte
der Bundesregierung zur Regierung Indonesiens?

9. Wie hat sich die Bundesregierung während der Massaker in den Jahren
1965/1966 auf diplomatischen Wegen gegenüber der Regierung Indone-
siens verhalten?

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die direkte oder indirekte
Unterstützung der Massaker durch ausländische Regierungen, Geheim-
dienste oder andere Organisationen?

11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die mögliche direkte
oder indirekte Unterstützung der Massaker durch deutsche Regierungen,
Geheimdienste oder andere der Bundesregierung unterstellte Organisatio-
nen?

12. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung bis heute unternommen,
um mögliche Verstrickungen deutscher Regierungen, Geheimdienste oder
anderer der Bundesregierung unterstellter Organisationen aufzuklären?

13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Rüstungsgüter, Geld und
andere Güter, die von Seiten deutscher Stellen oder privater Unternehmen
dem indonesischen Militär, der indonesischen Regierung, indonesischen
Geheimdiensten oder anderen indonesischen Organisationen, die direkt
oder indirekt an den Massakern beteiligt waren, in den Jahren von 1964 bis
1970 zur Verfügung gestellt wurden?

14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Informationen, die von
Seiten deutscher Stellen oder privater Unternehmen dem indonesischen
Militär, der indonesischen Regierung, indonesischen Geheimdiensten oder
anderen indonesischen Organisationen in den Jahren von 1964 bis 1970 zur
Verfügung gestellt wurden und die im Zusammenhang mit der Verfolgung
von Mitgliedern und Sympathisanten der PKI sowie der chinesischen
Minderheit in Indonesien hätten genutzt werden können?

15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Personal deutscher
Bundesbehörden, das sich zu Ausbildungs- oder Beratungszwecken zwi-
schen 1960 und 1998 in Indonesien aufhielt (bitte nach Jahr, Stelle, Funk-
tion und Kooperationspartner aufschlüsseln)?

16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Personal indonesischer
Behörden, das sich zu Ausbildungs- oder Beratungszwecken zwischen 1960
und 1998 in Deutschland aufhielt (bitte nach Jahr, Stelle, Funktion und zu-
ständiger Stelle in Deutschland aufschlüsseln)?

17. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Prabowo Subianto,
der Schwiegersohn des Exdiktators Haji Mohamed Suharto und ehemalige
General der indonesischen Armee, sich zu Ausbildungszwecken in
Deutschland aufhielt?
Wenn ja,
a) wann und wo fanden Ausbildungen statt,
b) welche Stellen waren in die Ausbildungen involviert,
c) welchen Inhalt hatten die Ausbildungen,
d) wer trug die Kosten für die Ausbildungen?

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18. Ist die Information korrekt, dass der BND in der deutschen Botschaft in
Jakarta eine „legale Residentur“ einrichten konnte (www.freitag.de/autoren/
der-freitag/nacht-der-langen-messer)?
Wenn ja,
a) von wann bis wann arbeitete sie,
b) wie viele Mitarbeiter hatte sie,
c) welche Aufgaben hatte sie?

19. Sind der Bundesregierung die Planungen zur Einrichtung eines „Internatio-
nalen Volkstribunals über Verbrechen gegen die Menschheit in Indonesien
1965“ bekannt, und wenn ja, inwieweit plant die Bundesregierung, dieses
„Volkstribunal“ bei der Aufarbeitung der Geschichte Indonesiens zu unter-
stützen?

Berlin, den 5. Mai 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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