BT-Drucksache 18/1374

Reform der sozialen Pflegeversicherung - Aufbau eines Pflegevorsorgefonds

Vom 7. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1374
18. Wahlperiode 07.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner,
Kai Gehring, Ulle Schauws, Tabea Rößner, Doris Wagner, Beate
Walter-Rosenheimer, Ekin Deligöz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reform der sozialen Pflegeversicherung –
Aufbau eines Pflegevorsorgefonds

Mit dem Referentenentwurf für das Fünfte Gesetz zur Änderung des Elften
Buches Sozialgesetzbuch (Fünftes SGB XI-Änderungsgesetz – 5. SGB XI-ÄndG)
vom 8. April 2014 ist dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD fol-
gend, vorgesehen, dass die Mittel aus 0,1 Prozent (jährlich ca. 1,2 Mrd. Euro)
der insgesamt um 0,3 Prozentpunkte geplanten Beitragssatzerhöhung in einen
„Pflegevorsorgefonds“ fließen sollen. Der Fonds soll von der Deutschen Bun-
desbank verwaltet werden. Laut Entwurf sollen dem Fonds vom Jahr 2015 bis
zum Jahr 2034 Mittel zugeführt werden, um sie dann ab dem Jahr 2035 über
20 Jahre hinweg abzurufen und dem Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversi-
cherung zuzuführen. Die Mittel des Fonds dürfen laut Entwurf „ausschließlich
zweckgebunden zur Stabilisierung des aufgrund der demografischen Entwick-
lung ansteigenden Beitragssatzes verwendet werden“.
Seit Bekanntwerden der Pläne erfährt das Konzept des Pflegevorsorgefonds
breite Kritik von Expertenseite oder auch von der für die Verwaltung des Fonds
vorgesehenen Deutschen Bundesbank (vgl. zum Beispiel Monatsbericht März
2014 der Deutschen Bundesbank). So stellt der Ökonom Prof. Dr. Heinz
Rothgang (Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen) den Pflegevorsorge-
fonds in Frage, indem er darauf hinweist, es gebe „keinen Berg, den man unter-
tunneln kann“ (Berliner Zeitung vom 3. Januar 2014, „Wenn die Babyboomer
alt werden“). Maßgeblich für die weitere Beitragssatzentwicklung sei nicht nur
die Zahl der Pflegebedürftigen, die ab Mitte der 2050er-Jahre tatsächlich sinken
werde, sondern ihr Verhältnis zu den Beitragszahlern, deren Zahl aber ebenfalls
zurückgehen werde. Infolgedessen werde der Beitragssatz bis Mitte der 2050er-
Jahre steigen, um danach auf einem hohen Niveau zu bleiben. Man habe es „also
mit einem Hochplateau zu tun […] Aber was soll ein Vorsorgefonds dann über-
haupt bewirken? […] Ich kann beim besten Willen den Sinn eines Fonds nicht
erkennen“ (ebd.).
Ähnlich argumentiert der ehemalige Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Prof.
Dr. Bert Rürup: „Der Minister gehe fälschlicherweise davon aus, dass die Bei-
tragsbelastung nur in den Jahren 2035 bis 2055 sehr hoch sei, weil dann die ge-
burtenstarken Jahrgänge hochbetagt sein würden und die Zahl der Pflegefälle
dann besonders groß sei. Tatsächlich aber verringere sich die Belastung auch in
der Zeit danach nicht, sondern bleibe dauerhaft hoch“ (DIE WELT vom 22. April
2014, „Schlechtes Zeugnis für Pflegereform“). Prof. Dr. Klaus Jacobs, Ge-

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schäftsführer des wissenschaftlichen Instituts der AOK, geht sogar davon aus,
„dass der Pflegefonds gerade dann leer ist, wenn 2055 die höchsten Beiträge er-
wartet würden“ (Berliner Zeitung vom 19. April 2014, „Pflege-Vorsorgefonds
entlastet Beitragszahler nicht“). Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Mitglied des Sach-
verständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, geht
in einem Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 23. April 2014 („Pflege-
vorsorgefonds greift zu kurz“) aufgrund eigener Berechnungen davon aus, dass
der Beitragssatz um das Jahr 2060 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, um
nach einer temporären Hochplateauphase dann weiter anzusteigen.
Auch das Bundesministerium für Gesundheit hat Berechnungen angestellt, nach
denen – je nach Zinsentwicklung – in der Ausschüttungsphase des Vorsorge-
fonds pro Jahr 1,7 bis 2,1 Mrd. Euro zur Verfügung stehen. Damit könnte der
Beitrag – nach heutigem Stand – um 0,14 bis 0,17 Prozentpunkte gesenkt wer-
den (vgl. Berliner Zeitung vom 19. April 2014, „Pflege-Vorsorgefonds entlastet
Beitragszahler nicht“). Das hält der Ökonom Prof. Dr. Heinz Rothgang (Zen-
trum für Sozialpolitik, Universität Bremen) noch für zu hoch gegriffen; er geht
von einer Beitragssenkung von maximal 0,1 Prozentpunkten aus (ebd.).
Aus dem Konzept des Pflegevorsorgefonds ergeben sich daher viele Fragestel-
lungen, auf die der Referentenentwurf nur teilweise oder keine Antworten gibt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. a) Wie wird sich nach Kenntnis bzw. Berechnung der Bundesregierung der

allgemeine Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung unter Einbezie-
hung der für diese Wahlperiode vorgesehenen Leistungsausweitungen und
eventuellen Mehrausgaben für den so genannten neuen Pflegebedürftig-
keitsbegriff (Ausgaben und Beitragssatzwirkungen bitte im Einzelnen
kenntlich machen) bis zum Jahr 2020, 2030, 2040, 2050 und 2060 ent-
wickeln, zum einen in einer Berechnung ohne den geplanten Aufbau eines
Pflegevorsorgefonds, zum anderen unter Berücksichtigung des Aufbaus
des Fonds, und welcher konkrete Effekt im Sinne der beabsichtigten Bei-
tragssatzstabilisierung wird dabei ab dem Jahr 2035 auf den geplanten
Pflegevorsorgefonds zurückzuführen sein?

b) Welche Annahmen legt die Bundesregierung für die Entwicklung der An-
zahl der Pflegebedürftigen hinsichtlich der Lebenserwartung und des Al-
ters bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit zugrunde, und wie wird sich nach
der Berechnung der Bundesregierung in den genannten Zeiträumen die
Zahl der Pflegebedürftigen entwickeln?

c) Wie werden sich die Ausgaben (hinsichtlich Inanspruchnahme von Leis-
tungen der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufen bzw. Pflege-
graden, Geld-, Sach- und Kombinationsleistungen) der sozialen Pflege-
versicherung in den genannten Zeiträumen entwickeln?

d) Welche Annahmen trifft die Bundesregierung in Bezug auf die Entwick-
lung der Anzahl der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und ihrer bei-
tragspflichtigen Einnahmen (bitte getrennt nach Erwerbspersonen, Rent-
nerinnen und Rentnern angeben), und wie werden sich nach der Berech-
nung der Bundesregierung in den genannten Zeiträumen die Einnahmen
der sozialen Pflegeversicherung entwickeln?

e) Welche Annahmen zur weiteren Dynamisierung der Leistungen nach § 30
SGB XI legt die Bundesregierung bei diesen Berechnungen zugrunde,
welche Beitragssatzwirkungen gehen davon in den genannten Zeiträumen
aus, und auf welcher Grundlage beruht die im Gesetzentwurf vorgesehene
Dynamisierung der Pflegeversicherungsleistungen von etwa 4 Prozent?

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2. a) Aus welchen Gründen ist eine temporäre, also auf insgesamt etwa 40 Jahre
befristete Einrichtung des Fonds beabsichtigt, und wie wird sich nach
Kenntnis bzw. Berechnung der Bundesregierung der Beitragssatz zur
sozialen Pflegeversicherung zum einen unmittelbar nach Auflösung des
Sondervermögens, zum anderen in den Folgejahren bis 2070 und bis 2080
entwickeln, und welche Annahmen liegen dem zugrunde?

b) Wie wird sich in diesen Zeiträumen nach Kenntnis bzw. Berechnung der
Bundesregierung die Zahl der Pflegebedürftigen und der Beitragszahlerin-
nen und Beitragszahler entwickeln, und welche Annahmen liegen dem zu-
grunde?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung dabei aus der Kri-
tik beispielsweise des Ökonomen Prof. Dr. Heinz Rothgang (Zentrum für
Sozialpolitik, Universität Bremen) in der „Berliner Zeitung“ vom 3. Ja-
nuar 2014 („Wenn die Babyboomer alt werden“, siehe Vorbemerkung der
Fragesteller) sowie der für die Verwaltung des Fonds vorgesehenen Deut-
schen Bundesbank, dass nach „dem Verzehr der Finanzreserven […] das
höhere Ausgabenniveau dann aber durch laufend höhere Beiträge gedeckt
werden muss“ (Monatsbericht März 2014, S. 10), und mittels welcher Ar-
gumente, Erkenntnisse und Daten kann die Bundesregierung diese Kritik
entkräften?

3. a) Wie hoch wird das maximale Kapitalvolumen sein, das der Pflegevorsor-
gefonds enthalten wird, und welche Annahmen und Berechnungen, etwa
über den zu erwartenden Zinssatz, legt die Bundesregierung dabei zu-
grunde?

b) Welche jährliche Beitragssatzentlastung ergibt sich daraus für die Jahre
2035 bis 2055, und auf welchen Annahmen beruht diese Beitragssatzent-
lastung?

c) Teilt die Bundesregierung dabei die Ansicht des gesundheitspolitischen
Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, dass Sozial-
versicherungen ihre Mittel „stärker in Aktien oder Unternehmensanleihen
[…] oder auch in ausländische Anlagen“ anlegen sollten und/oder, dass es
„auf Dauer sinnvoll“ sei, „auch in junge Gesellschaften in Asien oder Süd-
amerika zu investieren und damit höhere Renditen für unsere alternde Be-
völkerung zu erwirtschaften“ und dass es einer größeren „Flexibilität und
Renditeorientierung“ bedürfe (Berliner Zeitung vom 11. März 2014, „Si-
cher wie das Gold der Bundesbank“)?
Falls ja, warum?

4. Auf welchen genaueren wissenschaftlichen Erkenntnissen und Vorausbe-
rechnungen bzw. Daten beruhen die im Begründungsteil des Referenten-
entwurfs angeführten Behauptungen, wonach sich der Ansparzeitraum von
20 Jahren daraus ergebe, dass „die Geburtsjahrgänge 1959 bis 1967 mit
1,24 Mio. bis 1,36 Mio. Menschen deutlich stärker besetzt sind als die davor
und danach liegenden Jahrgänge“, dass im Jahr 2034 „der erste Jahrgang das
75. Lebensjahr [erreicht], nach dem die Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig
zu sein, deutlich“ ansteige und dass circa „20 Jahre später […] ein größerer
Teil dieses Personenkreises bereits verstorben und die erheblich schwächer
besetzten Jahrgänge nach 1967 […] in das Pflegealter“ vorrücke?

5. Können die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen gewährleisten,
dass die dem Pflegevorsorgefonds zugeführten Beitragsmittel sicher vor
zweckentfremdendem Zugriff sind, das heißt nur für solche Zwecke verwen-
det werden, wie sie im Entwurf von § 136 SGB XI neu vorgesehen sind?
Falls ja, warum, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
dabei aus den Bedenken zum einen der für die Verwaltung des Fonds vorge-

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sehenen Deutschen Bundesbank, dass „nicht zuletzt die aktuelle Erfahrung
zeigt, dass Rücklagen bei den Sozialversicherungen offenbar Begehrlich-
keiten entweder in Richtung höherer Leistungsausgaben oder auch zur Finan-
zierung von Projekten des Bundes wecken“ (Monatsbericht für März 2014,
S. 10) sowie zum anderen von Staatssekretär Karl-Josef Laumann, Beauf-
tragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten
und Bevollmächtigter für Pflege, dass bei „einer Rücklage […] immer das
Problem [sei], dass man sie nie sicher machen kann vor Politik. Politik kann
alles“ (ÄrzteZeitung vom 4. April 2014, „Es wird nicht nur Gewinner ge-
ben“)?
Falls nein, warum nicht, und aus welchen Gründen ist der Aufbau des Pfle-
gevorsorgefonds dann dennoch im Gesetzentwurf vorgesehen, bzw. welche
anderen, vor zweckentfremdendem Zugriff sicher schützenden Alternativ-
regelungen sind nach Ansicht der Bundesregierung möglich?

6. Wie steht die Bundesregierung zu der Aussage der letzten Großen Koalition:
„Im Gegensatz zur Krankenversicherung haben gesetzliche und private Pfle-
geversicherung einen einheitlichen Leistungsumfang. Die Kalkulations-
grundlagen für die Beiträge der Versicherten und die Risikostrukturen sind
jedoch unterschiedlich. Beide Versicherungssysteme sollen auch in Zukunft
die Pflegeversicherung anbieten. Zum Ausgleich der unterschiedlichen Risi-
kostrukturen wird ein Finanzausgleich zwischen gesetzlicher und privater
Pflegeversicherung eingeführt. […]“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU,
CSU und SPD von 2005)?
Welche Auswirkungen hätte ein solcher Finanzausgleich auf die Beitrags-
satzentwicklung in der sozialen Pflegeversicherung in den Jahren 2020,
2030, 2040, 2050 und 2060?

Berlin, den 7. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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