BT-Drucksache 18/13436

Unterschiede in den Bundesländern in der Asylentscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge

Vom 25. August 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13436
18. Wahlperiode 25.08.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, Dr. André Hahn,
Jan Korte, Martina Renner, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE.

Unterschiede in den Bundesländern in der Asylentscheidungspraxis des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge

In einem Artikel wiesen im März 2017 die Konstanzer Masterstudentin Lisa Rie-
del und der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerald Schneider auf unterschiedli-
che Anerkennungsquoten in den Bundesländern bei Entscheidungen über Asyl-
anträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hin
(www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen/
aktuelles/aktuelles/asyl-zentral-gesteuert-foederal-interpretiert/). Das ist insofern
überraschend als es um Entscheidungen einer Bundesbehörde geht, die auf iden-
tischer Rechtsgrundlage und nach bundeseinheitlichen internen Vorgaben (Her-
kunftsländerbeurteilungen und -leitsätze; Weisungsvorgaben zur Anwendung des
Rechts und zur Einzelfallprüfung usw.) getroffen werden. Als mögliche Erklä-
rungsfaktoren für unterschiedliche Anerkennungsquoten wurden in dem Artikel
„wahrgenommene Befindlichkeiten“ in den jeweiligen Bundesländern, die Ein-
wohnerzahl, Arbeitslosenquote, Schuldenlast und fremdenfeindliche Übergriffe
ausgemacht.
Das BAMF reagierte auf das Bekanntwerden dieser Studie noch am gleichen Tag
mit einer Pressemitteilung, in der betont wurde, dass die Chancen auf Asyl bun-
desweit einheitlich seien und im Einzelfall auf gleicher Rechtsgrundlage geprüft
würden (www.bamf.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/20170327-012-
pm-studie-anerkennungsquoten.html). Unterschiedliche Schutzquoten zwischen
den Bundesländern wurden dabei vor allem mit einer unterschiedlichen Zusam-
mensetzung der Herkunftsländer in den Bundesländern und einem unterschied-
lich hohen Anteil von Dublin-Fällen erklärt. In dem genannten Forschungsartikel
wurden allerdings auch unterschiedliche Anerkennungsquoten bei Asylsuchen-
den aus identischen Herkunftsländern festgestellt, eine vergleichende Betrach-
tung der bereinigten Schutzquoten würde zudem Verzerrungen infolge von Dub-
lin-Entscheidungen usw. ausschließen. Soweit das BAMF auf die Besonderheiten
individueller Einzelfälle hinweist, erklärt dies deutliche Unterschiede zwischen
den Bundesländern jedenfalls ab einer größeren Zahl Betroffener nicht, da sich
diese zufälligen Einzelfallumstände in einer größeren Gruppe statistisch ausglei-
chen müssten.
Vor diesem Hintergrund hat die Fraktion DIE LINKE. die Asylentscheidungspra-
xis des BAMF für das Jahr 2016 für jeweils identische Herkunftsländer (Syrien,
Afghanistan, Irak, Iran, Eritrea), differenziert nach Bundesländern, abgefragt
(vgl. Bundestagsdrucksache 18/12623, Frage 1c). Diese Daten lassen nach Auf-
fassung der Fragesteller einige signifikante, erklärungsbedürftige Abweichungen
zwischen den Schutzquoten in den einzelnen Bundesländern erkennen, die auf-
grund der in der Regel großen Fallzahlen auch nicht durch zufällige Anhäufungen

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besonderer Einzelfälle in einzelnen Bundesländern erklärt werden können (die
Zahlen stützen auf den ersten Blick, aber auch nicht unbedingt, die oben genannte
Studie). Bei einem Vergleich der Schutzquoten für das Jahr 2016 mit denen des
ersten Halbjahrs 2017, jeweils differenziert nach Bundesländern, wird es weitere
Hinweise darauf geben, ob es sich um zufällige Abweichungen vom Bundes-
durchschnitt handelt, oder ob positive oder negative Abweichungen bei den glei-
chen Bundesländern erneut in der einen oder anderen Richtung auftreten.
Die vorliegenden Daten (Bundestagsdrucksache 18/12623, Antwort zu Frage 1c)
zeigen unter anderem, dass es bei der Frage, ob syrischen Asylsuchenden im Jahr
2016 ein Flüchtlings- oder nur subsidiärer Schutz gewährt wurde, deutliche Un-
terschiede zwischen den Bundesländern gibt: In Berlin beispielsweise gab es ver-
gleichsweise viele subsidiäre Schutzstatus (67,1 Prozent – bundesweit: 41,2 Pro-
zent) und wenige Flüchtlingsanerkennungen (29,6 Prozent – bundesweit:
56,2 Prozent), in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Bremen und dem Saar-
land war es genau anders herum – allerdings könnte diesbezüglich der unter-
schiedlich intensive Einsatz schriftlicher Anerkennungsverfahren der maßgebli-
che Erklärungsfaktor sein, weil subsidiäre Schutzstatus nur nach mündlicher An-
hörung erteilt werden können.
Berlin fällt bei allen anderen Herkunftsländern mit einem deutlich überdurch-
schnittlich hohen Anteil „sonstiger“ Verfahrenserledigungen (Dublin-Verfahren;
Einstellungen usw.) auf, bei irakischen Asylsuchenden betrug dieser Anteil sons-
tiger Erledigungen im Jahr 2016 beispielsweise 26,7 Prozent – im Bundesdurch-
schnitt waren es neun Prozent. Das ist erklärungsbedürftig: Warum sollte es in
Berlin mehr Dublin-Verfahren oder Verfahrenseinstellungen als anderswo geben,
oder gab es infolge der in Berlin besonders prekären Unterbringungs- und Auf-
nahmebedingungen besonders viele Verfahrenseinstellungen wegen Unerreich-
barkeit (aber warum liegt Berlin bei syrischen Asylsuchenden beim Anteil sons-
tiger Erledigungen dann wiederum im Bundesdurchschnitt)?
Feststellen lässt sich weiterhin, dass bei afghanischen Asylsuchenden im Jahr
2016 die Ablehnungsquoten (bei einem solchen Vergleich spielen formelle Erle-
digungen und die unterschiedlichen Schutzstatus keine Rolle), zwischen
21,2 Prozent im Saarland (bei allerdings nur 420 Entscheidungen), 23,9 Prozent
in Bremen und 43,3 Prozent in Sachsen schwanken (Bundesdurchschnitt:
36,4 Prozent).
Bei irakischen Asylsuchenden gibt es eine Schwankungsbreite bei den Ableh-
nungsquoten zwischen 11,9 Prozent in Niedersachsen (drei Bundesländer mit
kleinen Fallzahlen wurden nicht berücksichtigt) und 29 Prozent in Berlin (Bun-
desdurchschnitt: 20,8 Prozent).
Auch bei iranischen Asylsuchenden gibt es zum Teil deutliche Schwankungen,
die jeweiligen absoluten Fallzahlen in den einzelnen Bundesländern sind jedoch
deutlich geringer als bei den zuvor genannten Herkunftsländern.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie waren im ersten Halbjahr 2017 die Ergebnisse der Asylprüfung bei

Asylsuchenden aus den Herkunftsländern Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und
Eritrea, jeweils differenziert nach Bundesländern (bitte die unterschiedlichen
Schutzstatus, Ablehnungen und formelle Entscheidungen in Prozentangaben
und absoluten Zahlen nach Bundesländern und Herkunftsländern differen-
ziert darstellen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13436
2. Wie erklärt die Bundesregierung diese Werte für das erste Halbjahr 2017 im
Vergleich zu den Werten für das Jahr 2016 (vgl. Bundestagsdrucksache
18/12623, Antwort zu Frage 1c), insbesondere falls einzelne Bundesländer
bei identischen Herkunftsländern beim Anteil einzelner Schutzstatus, bei der
Ablehnungsquote oder bei sonstigen Verfahrenserledigungen wie bereits im
Jahr 2016 deutlich vom Bundesdurchschnitt erneut nach oben oder unten ab-
weichen (bitte ausführlich begründen)?

3. Wie erklärt die Bundesregierung bzw. wie erklären fachkundige Bundesbe-
dienstete des BAMF die feststellbaren unterschiedlichen Anerkennungs-,
Ablehnungs- bzw. Erledigungsquoten zwischen den einzelnen Bundeslän-
dern (bitte ausführen)?

4. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die vom BAMF
in der Pressemitteilung vom 27. März 2017 (www.bamf.de/SharedDocs/
Pressemitteilungen/DE/2017/20170327-012-pm-studie-anerkennungsquoten.
html) gegebene Erklärung, nicht in jedem Bundesland würde jedes Her-
kunftsland (gleich stark) bearbeitet, keine taugliche Erklärung für deutliche
Unterschiede in der Entscheidungspraxis zwischen den Bundesländern ist,
wenn nur Entscheidungen zu identischen Herkunftsländern miteinander ver-
glichen werden (wenn nein, bitte begründen)?

5. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die vom BAMF
in der Pressemitteilung vom 27. März 2017 (www.bamf.de/SharedDocs/
Pressemitteilungen/DE/2017/20170327-012-pm-studie-anerkennungsquoten.
html) gegebene Erklärung, bei Asylprüfungen handele es sich um Einzelfall-
prüfungen in unterschiedlichen Konstellationen, keine taugliche Erklärung
für deutliche Unterschiede in der Entscheidungspraxis zwischen den Bun-
desländern ist, wenn die absoluten Fallzahlen groß genug sind und damit die
Zufälligkeiten individueller Einzelfälle statistisch weitgehend ausgeglichen
werden (wenn nein, bitte begründen), und stimmt die Bundesregierung der
Einschätzung zu, dass die große Zahl der Entscheidungen im Jahr 2016, je-
denfalls für die drei stärksten Herkunftsländer, es eher ausschließt, dass eine
zufällige Ungleichverteilung von Einzelfällen für signifikante Unterschiede
in der Entscheidungspraxis des BAMF verantwortlich sein könnten (wenn
nein, bitte ausführen)?

6. Wie erklärt die Bundesregierung insbesondere den vergleichsweise deutlich
höheren Anteil von formellen Entscheidungen im Bundesland Berlin im Jahr
2016 und den Umstand, dass dies bei syrischen Asylsuchenden anders ist
(siehe Vorbemerkung der Fragesteller)?

7. Wie erklärt die Bundesregierung die zwischen den Bundesländern sehr un-
terschiedlichen Anteile gewährten Flüchtlings- bzw. subsidiären Schutzes
bei syrischen Asylsuchenden (siehe Vorbemerkung der Fragesteller), und
wie hoch war der Anteil von Entscheidungen im rein schriftlichen Verfahren
im Jahr 2016 (bitte nach Bundesländern differenziert angeben)?

8. Wie erklärt die Bundesregierung die zwischen den Bundesländern sehr un-
terschiedlichen Ablehnungsquoten bei afghanischen und irakischen Asylsu-
chenden im Jahr 2016 (siehe Vorbemerkung der Fragesteller), und wie er-
klärt sie etwaige Unterschiede für den Zeitraum des ersten Halbjahres 2017
(bitte ausführen)?

Drucksache 18/13436 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
9. Wie hoch waren in den einzelnen Bundesländern im Jahr 2016 bzw. im ersten
Halbjahr 2017 jeweils die Anteile von Entscheidungen, die in Ankunftszen-
tren, Entscheidungszentren, Außenstellen oder der Zentrale des BAMF ge-
troffen wurden (bitte für die Herkunftsstaaten Syrien, Afghanistan, Irak, Iran
und Eritrea jeweils getrennt und für alle Herkunftsstaaten angeben), und in-
wieweit sind diese unterschiedlichen Anteile nach Auffassung der Bundes-
regierung eine Erklärung für unterschiedliche Entscheidungsquoten zwi-
schen den Bundesländern bei identischen Herkunftsländern?

10. Wie lauten die bereinigten Schutzquoten für die zehn wichtigsten Asyl-Her-
kunftsländer (zusätzlich für die Länder Bosnien-Herzegowina, Albanien,
Serbien, Montenegro, Mazedonien, Kosovo, Tunesien, Algerien und Ma-
rokko), nach Bundesländern differenziert, im Jahr 2016 und im Vergleich
dazu im ersten Halbjahr 2017 (bitte auch jeweils die absolute Zahl der Ent-
scheidungen in den einzelnen Bundesländern und den jeweiligen Bundes-
durchschnitt nennen)?

11. Welche Bundesländer fallen im Jahr 2016 und im Jahr 2017 mit jeweils deut-
lich über- bzw. unterdurchschnittlichen bereinigten Schutzquoten bei identi-
schen Herkunftsländern auf, und wie erklärt sich die Bundesregierung dies
(bitte ausführen)?

12. Inwieweit und mit welcher Begründung kann die Bundesregierung vor dem
Hintergrund der vorliegenden Daten und der in der Vorbemerkung genann-
ten Studie der Universität Konstanz ausschließen, dass Faktoren wie Rück-
sichtnahmen auf „wahrgenommene Befindlichkeiten“ in den Bundesländern
oder die jeweilige Arbeitslosenquote oder die Zahl von rassistischen Über-
griffen eine Erklärung für unterschiedliche Entscheidungsquoten bei identi-
schen Herkunftsländern in den einzelnen Bundesländern sind (bitte darle-
gen)?

Berlin, den 25. August 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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