BT-Drucksache 18/13427

Gesundheitliche Folgen von Dieselabgasen und Schlussfolgerungen aus dem sogenannten Dieselskandal

Vom 25. August 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13427
18. Wahlperiode 25.08.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Stephan Kühn (Dresden),
Kordula Schulz-Asche, Oliver Krischer, Dr. Valerie Wilms, Katja Keul,
Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner,
Kai Gehring, Ulle Schauws, Tabea Rößner, Doris Wagner,
Beate Walter-Rosenheimer, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gesundheitliche Folgen von Dieselabgasen und Schlussfolgerungen aus dem
sogenannten Dieselskandal

Stickoxide, welche in großer Menge durch Dieselfahrzeuge emittiert werden, ge-
hören zu einer der bedeutenden Ursachen für vorzeitige Todesfälle in Deutsch-
land. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur im Bericht zur Luftquali-
tät in Europa gingen im Jahr 2013 10 610 vorzeitige Todesfälle in Deutschland
auf eine zu hohe Stickoxidbelastung der Luft zurück (EEA Report No 28/2016,
Air quality in Europe – 2016 report, European Environment Agency, 2016). Nach
einer im Mai dieses Jahres von Vertreterinnen und Vertretern internationaler Ex-
pertengremien im Fachmagazin „nature“ veröffentlichten Studie gingen im Jahr
2015 107 600 frühzeitige Todesfälle weltweit auf Dieselstickoxidemissionen zu-
rück – davon allein 38 000 durch überhöhte Abgaswerte im Realbetrieb, also Ab-
weichungen zu den im Abgaslabor gemessenen Werten (Anenberg u. a., Impacts
and mitigation of excess diesel-related NOx emissions in 11 major vehicle mar-
kets , Nature Vol 545, S. 467 ff., Mai 2017).
Darüber hinaus reizt Stickstoffdioxid die Atemwege, beeinträchtigt langfristig die
Lungenfunktion und führt zu chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Dieselabgase bereits 2012 als „karzino-
gen für Menschen“ (Gruppe 1) nach der Skala der Internationalen Agentur für
Krebsforschung (IARC) und damit als bekanntermaßen krebserregend eingestuft
(The International Agency for Research on Cancer Monograph Working Group,
The Lancet Vol 13, S. 663 ff., Juli 2012). Eine besondere Gefahr stellen Stick-
oxide für vulnerable Personengruppen wie Kinder, Ältere oder Asthmatiker dar.
So beschreiben Studien eine ganze Reihe von spezifischen Folgen einer erhöhten
Stickoxidbelastung bei Kindern, wie u. a. ein verringertes Geburtsgewicht, ver-
mindertes Lungenwachstum in der Kindheit, mehr Infektionskrankheiten der
Atemwege, die Förderung der Asthmaentwicklung, die Verschlechterung des Ge-
sundheitszustands bei von Asthma betroffenen Kindern und die mögliche Verzö-
gerung der gesunden Hirnentwicklung bei höher belasteten Kindern.
In Ballungsgebieten ist der Straßenverkehr die bedeutendste Stickoxidquelle.
Laut dem Umweltbundesamt (UBA) sind Diesel-Pkw für 67 Prozent der direkten
NO2-Emissionen des Straßenverkehrs verantwortlich, nur 3 Prozent entfallen auf
sonstige Pkw (UBA, www.umweltbundesamt.de/themen/stickoxide-neue-

Drucksache 18/13427 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

umweltplakette-nur-fuer-saubere, zuletzt abgerufen am 14. August 2017). Neue-
ren Berechnungen des Umweltbundesamtes nach Bekanntwerden des Diesels-
kandals zufolge liegt der durchschnittliche reale Stickoxidausstoß von Diesel-
Pkw bei 767 mg NOx/km. Selbst bei Fahrzeugen der modernsten Euro-Norm 6
liegen die Werte im Schnitt 534 Prozent über dem gesetzlich zugelassenen Grenz-
wert von 80 mg NOx/km. Durch die von der Bundesregierung mit den deutschen
Autoherstellern beim sogenannten Dieselgipfel am 2. August 2017 vereinbarten
Software-Updates wird jedoch selbst durch den Verband der Automobilindustrie
(VDA) als optimistischstes Ziel lediglich eine Reduzierung des Stickoxidaussto-
ßes um 12 bis 14 Prozent angegeben (Handelsblatt vom 18. August 2017).
Die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit,
Dr. Barbara Hendricks, geht ihrerseits davon aus, dass die Minderung „klar unter
10 Prozent liegen“ wird (DER SPIEGEL vom 5. August 2017, Dieselgate – Die
dunkle Seite der Macht, S. 10 ff.). Die Deutsche Umwelthilfe geht nach eigenen
Berechnungen von einer Reduzierung der Stickoxidbelastung von weniger als
5 Prozent in den Sommermonaten und gar keiner Reduktion im kälteren Winter-
halbjahr aus (Handelsblatt vom 18. August 2017). Vor diesem Hintergrund ist es
aus Sicht der Fragesteller höchst fraglich, wie die Bundesregierung einen effekti-
ven Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor den gesundheitlichen Auswirkungen
von Stickoxidemissionen durch Dieselfahrzeuge gewährleisten will.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche für den menschlichen Organismus potenziell schädlichen Stoffe wer-

den beim Betrieb eines Diesel-Pkw nach Kenntnis der Bundesregierung
emittiert?

2. Welche Personengruppen sind nach Einschätzung der Bundesregierung be-
sonders gefährdet, durch Emissionen von Dieselkraftfahrzeugen Gesund-
heitsschäden zu erleiden?
Welche Erkenntnisse liegen hinsichtlich der besonderen gesundheitlichen
Gefährdung nach Einkommen und Wohnlage vor?
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu mit von Diesel-Pkw emit-
tierten Schadstoffen im Zusammenhang stehenden Gesundheitskosten in
Deutschland?

3. a) Welche Rechte können nach Auffassung der Bundesregierung Personen
zustehen, die infolge einer zu hohen Stickoxidkonzentration in der Atem-
luft gesundheitliche Schäden erleiden?

b) Was steht nach Einschätzung der Bundesregierung einer Geltendmachung
von Schadensersatzansprüchen aufgrund von Gesundheitsschäden auf-
grund einer Exposition mit Stickoxiden gegen Hersteller von Fahrzeugen
mit illegalen Abschalteinrichtungen entgegen, und welchen Handlungs-
bedarf sieht die Bundesregierung hier?

4. Welche Maßnahmen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor gesund-
heitlichen Folgen von Schadstoffemissionen von Dieselfahrzeugen hat die
Bundesregierung seit 2013 ergriffen?

5. Wie werden sich nach Einschätzung der Bundesregierung die beim Diesel-
gipfel am 2. August 2017 beschlossenen Software-Nachrüstungen für Die-
sel-Pkw
a) auf die Anzahl der Personen, die aufgrund zu hoher Stickoxidkonzentra-

tionen gesundheitliche Schäden erleiden und
b) auf die hiermit verbundenen Gesundheitskosten auswirken (bitte begrün-

den)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13427
6. Welche bundesrechtlichen Maßnahmen stehen nach Einschätzung der Bun-
desregierung den Kommunen, in denen der maximal zulässige Jahresmittel-
wert bei der Stickstoffoxidbelastung derzeit nicht eingehalten wird, zur Ver-
fügung, um Gesundheitsgefährdungen durch die genannten Stoffe zu mini-
mieren?

7. a) Wie und in welchem Umfang unterstützt die Bundesregierung For-
schungsarbeiten zur Erforschung der gesundheitlichen Folgen von Diesel-
abgas-Exposition?

b) Welche Ergebnisse aus den von der Bundesregierung geförderten Unter-
suchungen liegen ihr vor?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den ihr vorlie-
genden Forschungsergebnissen?

8. a) Wie und in welchem Umfang unterstützt die Bundesregierung For-
schungsarbeiten zur Erforschung der gesundheitlichen Folgen von Diesel-
abgas-Exposition auf besonders vulnerable Personengruppen (wie z. B.
Kinder, ältere Personen oder Menschen mit Erkrankungen der Atem-
wege)?

b) Welche Ergebnisse aus den von der Bundesregierung geförderten Unter-
suchungen liegen ihr vor?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den ihr vorlie-
genden Forschungsergebnissen?

9. Welche Maßnahmen wurden im Zuständigkeitsbereich des Bundesministe-
riums für Gesundheit ergriffen, um den Schutz besonders vulnerabler Perso-
nengruppen vor den Auswirkungen von Dieselabgas-Exposition zu gewähr-
leisten, und in welcher Form ist das Bundesministerium in die Verhandlun-
gen der Bundesregierung zu den Folgen des sog. Dieselskandals eingebun-
den?

10. In welcher Form wird der Schutz vor den Auswirkungen von Dieselabgas-
Exposition bei der Planung und Genehmigung von Gebäuden, in denen sich
vermehrt besonders vulnerable Personengruppen aufhalten (wie z. B. Schu-
len, Kindergärten, Spielplätze, Seniorenheime, Krankenhäuser, Arztzentren
etc.), rechtlich gewährleistet?

11. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der in Reaktion
auf den Abschlussbericht des 5. Untersuchungsausschusses des Deutschen
Bundestages zum Abgasskandal veröffentlichten Kurzstellungnahme von
Prof. Dr. Barbara Hoffmann (Uni Düsseldorf), Dr. Alexandra Schneider
(Helmholtz-Zentrum München) und Prof. Dr. Claudia Hornberg (Universität
Bielefeld), in welcher der von den Koalitionsfraktionen der CDU, CSU und
SPD formulierten Aussage des Abschlussberichts, dass epidemiologisch ein
Zusammenhang zwischen Todesfällen und bestimmten NO2-Expositionen
im Sinne einer adäquaten Kausalität nicht erwiesen sei, eine umfangreiche
Übersicht anderslautender Studienergebnisse entgegengehalten wird?

Drucksache 18/13427 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

12. a) Treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Berichte zu, wonach in der

WHO derzeit diskutiert wird oder in der Vergangenheit diskutiert wurde,
die Empfehlung für den Grenzwert der an Straßen zulässigen Stickoxid-
konzentration im Jahresmittelwert von 40 µg/m3 auf 20 µg/m3 zu verrin-
gern (vgl. www.mainpost.de/ueberregional/politik/zeitgeschehen/Wie-viel-
Stickoxid-ist-wirklich-gefaehrlich;art16698,9658706)?

b) Welche Position vertritt die Bundesregierung bei dieser Thematik?

Berlin, den 24. August 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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