BT-Drucksache 18/13301

Instrument des Bundeskriminalamtes zur Risikobewertung potentieller islamistischer Gewalttäter

Vom 9. August 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13301
18. Wahlperiode 09.08.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Martina Renner, Kersten Steinke
und der Fraktion DIE LINKE.

Instrument des Bundeskriminalamtes zur Risikobewertung potentieller
islamistischer Gewalttäter

Das Bundeskriminalamt (BKA) implementiert derzeit ein Instrument, das die Ri-
sikobewertung „potentiell gewaltbereiter Personen des militant-salafistischen
Spektrums“ ermöglichen soll. Das Instrument soll den Polizeibehörden ermögli-
chen, die von diesen Personen ausgehenden Gefährdungen in ein hohes, ein auf-
fälliges und moderates Risiko zu unterscheiden. Dies wiederum soll im Anschluss
„individuell passende Interventionsmaßnahmen“ ermöglichen (www.bka.de/
DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2017/Presse2017/170202_Radar.html).
Im Wesentlichen gründet die „regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter
zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer Terrorismus“ („RADAR-
iTE“) auf einer Auswertung biographischer Informationen, die sich „auf be-
obachtbares Verhalten“ beziehen sollen. Die Sachbearbeiter sollen „möglichst
viele Informationen zu Ereignissen aus dem Leben der Person heran[ziehen], die
zum besseren Gesamtverständnis einer aktuell bestehenden Problemsituation not-
wendig sind“.
Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Instruments hatte nach Medienbe-
richten der stellvertretende Leiter des Psychiatrischen Dienstes des Züricher Am-
tes für Justizvollzug, Jérȏme Endrass. In einem Interview vertritt er die These,
man müsse „nach Gewalt fragen, losgelöst von Extremismus oder Religion“ (Lu-
zerner Zeitung, 11. Juni 2017). Als entscheidenden Faktor bezeichnet Endrass
nicht Extremismus oder Religion, sondern individuelle Gewalterfahrungen. Um
das Risiko einzuschätzen, werte das System Informationen aus, die auf eine Ge-
waltbereitschaft hindeuten. Dazu zählt Endrass unter anderem etwaige Gewaltde-
likte, Gewalterfahrungen in der Kindheit oder während eines Krieges, sadistische
Neigungen oder eine Faszination für Waffen. „Wenn eines dieser Kriterien erfüllt
ist, genügt eine leichte Affinität zum religiösen Extremismus, damit das System
eine Person als extrem gefährlich einstuft“, wird Endrass paraphrasiert (www.
letemps.ch/monde/2017/06/11/lallemagne-utilise-un-systeme-suisse-detecter-
terroristes).
Die Fragestellerinnen und Fragesteller halten es für geboten, hierbei zu berück-
sichtigen, dass gerade bei Flüchtlingen aus Kriegsgebieten eine durchlebte Ge-
walterfahrung bzw. -traumatisierung eher die Regel als die Ausnahme ist. Das
RADAR-iTE-Instrument darf nicht dazu führen, dass die Opfer militärischer oder
polizeilicher Gewalt wegen dieser Gewaltanwendung von vornherein als terror-
affin eingestuft werden.

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Aus den Darstellungen des BKA geht nicht eindeutig hervor, wie bei RADAR-
iTE die Zusammenarbeit mit den Ländern gestaltet werden soll und inwiefern
auch Daten von in- oder ausländischen Geheimdiensten herangezogen werden
können. Problematisch erscheint aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller
auch, dass das Bewertungssystem von vornherein nur unterschiedliche Risikobe-
wertungen enthält, die Möglichkeit, dass eine überprüfte Person mit „kein Risiko“
bewertet wird, aber nicht vorsieht.
Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller wäre es darüber hinaus erforder-
lich, den Personenkreis, der mittels RADAR-iTE geprüft werden soll, genauer zu
definieren. Hierzu würde dann auch eine gesetzliche Definition des Begriffs „Ge-
fährder“ gehören, schon um Rechtssicherheit für Bürger und Behörden zu schaf-
fen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wer bestimmt, welcher Personenkreis und welche konkreten Einzelpersonen

mittels RADAR-iTE auf ihr Risikopotential überprüft werden, und welche
Kriterien werden hierbei zugrunde gelegt?
a) Beschränkt sich der Personenkreis auf solche, die von der Polizei als Ge-

fährder oder „Relevante“ Person eingestuft sind, oder schließt er jene ein,
die vom Bundesamt für Verfassungsschutz dem militant-salafistischen
Spektrum zugeordnet werden?

b) Welche Kriterien werden generell zugrunde gelegt?
2. Warum ist nicht vorgesehen, dass im Ergebnis einer Risikobewertung auch

der Befund „kein Risiko“ stehen kann?
3. Obliegen Durchführung der Analyse und Auswertung dem BKA oder den

jeweiligen Landeskriminalämtern, bzw. welche Arbeitsteilung wird hierbei
vorgenommen?
Inwiefern und wem gegenüber werden die Ergebnisse kommuniziert?
a) Welche Behörden sollen berechtigt sein, das Ergebnis der Risikobewer-

tung zur Kenntnis zu nehmen, und welche Regeln sollen hierfür gelten?
b) Ist die Einrichtung einer eigenen Datenbank beabsichtigt, auf der die un-

terschiedlichen Risikostufen der gefilterten Personen dargestellt werden,
und wenn ja, wie soll sie lauten?
Wenn nein, wie sollen diese dann für die berechtigten Behörden erkenn-
bar sein?

c) Sollen sämtliche Länder von den Ergebnissen der Auswertung unterrich-
tet werden, oder nur jene, in denen die gefilterten Personen gemeldet sind?

d) Wie soll sichergestellt werden, dass ein Land, in das eine gefilterte Person
zieht, rasch Kenntnis vom Ergebnis der Auswertung erhält?

e) Inwiefern soll das Ergebnis der Risikobewertung auch Nachrichtendiens-
ten und Polizeibehörden im In- und Ausland mitgeteilt werden (diese bitte
ggf. vollständig nennen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13301
4. Hat das BKA schon vor Beginn der Arbeit an RADAR-iTE die Prämisse von
Jérȏme Endrass geteilt, den Fokus der Analyse weniger auf Religion oder
„Extremismus“ zu legen, sondern mehr auf individuelle Gewalterfahrungen
bzw. Affinität zu Waffen, und teilt es diesen Ansatz jetzt, und wenn ja, wel-
cher Stellenwert kommt demzufolge der Religiosität in diesem Kontext zu,
und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Präventionsar-
beit?
a) Welche Arten von Gewalterfahrungen oder Gewaltaffinität sollen in die

Auswertung einfließen?
b) Welche praktische Bedeutung kommt dem Erleben ggf. traumatisierender

Gewalterfahrung in Krieg oder Bürgerkrieg zu, und inwiefern sieht die
Bundesregierung das Problem, dass dieses Kriterium für zahlreiche
Flüchtlinge zutrifft, die häufig gerade vor Gewaltereignissen in ihren Her-
kunftsländern fliehen bzw. auch auf ihrer Flucht vielfach Gewalt erleiden,
so dass die Aufnahme eines solchen Kriteriums den Kreis der Untersuch-
ten unverhältnismäßig ausweiten könnte?

5. Inwiefern ist RADAR-iTE so aufgebaut, dass bei Vorliegen auch nur eines
der Kriterien aus dem Bereich von Gewalterfahrungen eine „leichte Affinität
zum religiösen Extremismus ausreicht, damit das System die Person als ex-
trem gefährlich kategorisiert“, wie Jérȏme Endrass in Medienberichten zu-
sammengefasst wird (vgl. www.letemps.ch/monde/2017/06/11/lallemagne-
utilise-un-systeme-suisse-detecter-terroristes)?

6. In welchem Verhältnis bewertet RADAR-iTE Faktoren wie Gewalterfahrun-
gen (diese bitte möglichst untergliedern) und eine Affinität zum religiösen
Extremismus?
a) Wie wird der Begriff des „religiösen Extremismus“ bzw. eine Neigung

hierzu definiert?
b) Welche religiösen Richtungen, Strömungen oder Einstellungen fallen

hierunter bzw. sind für die Anwendung von RADAR-iTE von Belang
(bitte möglichst vollständig benennen)?

7. Welche Ereignisse aus dem Leben der jeweiligen Person sollen für die Be-
wertung herangezogen werden?
Inwiefern wird hier nach relevanten und irrelevanten Ereignissen unterschie-
den, und anhand welcher Kriterien wird eine solche Unterscheidung vorge-
nommen?

8. Aus welchen Quellen sollen die Daten stammen, die für die Risikobewertung
genutzt werden (bitte möglichst vollständig aufzählen)?
Welche gesetzlichen Grundlagen sollen für die Nutzung dieser Daten in An-
spruch genommen werden?
Richtet sich das BKA hierbei nach dem vom Bundesverfassungsgericht auf-
gestellten Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung (1 BvR 966/09)?
a) Inwiefern entspricht es den Zwecken der genutzten Dateien, Informatio-

nen über Gewalterfahrungen in Form erlittener Gewalt zu enthalten, In-
formationen über etwaige sadistische Neigungen, sofern sie nicht Gegen-
stand von Straf- oder Ermittlungsverfahren waren?

Drucksache 18/13301 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
b) Inwiefern wird erwogen, auch Informationen oder Dateien ausländischer
Polizeibehörden zu nutzen?

c) Inwiefern wird erwogen, auch Informationen oder Dateien von deutschen
Geheimdiensten zu nutzen?

d) Inwiefern wird erwogen, auch Informationen oder Dateien ausländischer
Geheimdienste zu nutzen?

9. Worin macht sich der spezifisch auf islamistischen Terrorismus fokussierte
Ansatz von RADAR-iTE fest?
a) Inwiefern bzw. mit welchen Einschränkungen ist das Analyseverfahren

auf andere Bereiche der politisch motivierten Kriminalität übertragbar
bzw. anwendbar, und welche Modifikationen müssten ggf. vorgenommen
werden?

b) Beabsichtigt die Bundesregierung, in Hinsicht auf rechtsextremen Terror
ein ähnliches Risikobewertungssystem zu entwickeln, und wenn ja, bis
wann?
Wenn nein, warum nicht?

10. Inwiefern sieht die Bundesregierung ein Problem darin, dass sie zwar nach
einheitlichen Kriterien für eine Risikobewertung und ein anschließendes Ri-
sikomanagement sucht, es aber noch keine gesetzlich definierte einheitliche
Regelung für die Einstufung von Gefährdern bzw. „Relevanten“ Personen
gibt?

11. Wie setzt sich der Risikobewertungsbogen zusammen?
a) Welche Fragen und Antwortkategorien sind darin enthalten?
b) Welche Merkmale gelten als risikosteigernd, welche als risikomindernd?
c) Nach welchem Prinzip wird im Ergebnis das Risiko bewertet?

12. Was bedeutet die Aussage, die Bewertung sei „transparent und nachvoll-
ziehbar“ (www.bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2017/
Presse2017/170202_Radar.html)?

Für wen soll sie dies sein?
Ist vorgesehen, die jeweiligen betroffenen Personen vom Ergebnis zu unter-
richten?

13. Wie genau verlief die empirische Untersuchung der wissenschaftlichen Güte
des Instruments, und ist die Bundesregierung bereit, die entsprechenden Do-
kumentationen dem Bundestag zugänglich zu machen (andernfalls bitte be-
gründen und zusammenfassen)?

14. Wie weit ist der Umsetzungsprozess von RADAR-iTE mittlerweile gedie-
hen?
a) Welche quantitativen und qualitativen Angaben kann die Bundesregie-

rung hierzu machen?
b) Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung diesbezüglich mit den Län-

dern gemacht, welche Schwierigkeiten haben sich gezeigt, und wie sollen
diese gelöst werden?

15. Soll mit RADAR-iTE nur eruiert werden, wie hoch das Risiko ist, dass die
betroffene Personen einen Anschlag in Deutschland verübt, oder auch, ob
von ihr ein hohes Risiko ausgeht, im Ausland eine schwere Straftat zu verü-
ben?

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16. Soll RADAR-iTE ausschließlich bei Personen angewandt werden, die in

Deutschland leben, oder auch bei solchen, die im Ausland leben, wenn die
Sicherheitsbehörden eine Wahrscheinlichkeit dafür sehen, dass sie einen An-
schlag in Deutschland plant?

17. In welchem Umfang wird bei RADAR-iTE mit ausländischen Behörden (Po-
lizeien und Geheimdiensten) zusammengearbeitet?
a) Inwiefern kann ausländischen Polizeien oder Geheimdiensten das Ergeb-

nis der Risikobewertung übermittelt werden?
b) Inwiefern soll deutschen Geheimdiensten das Ergebnis der Risikobewer-

tung übermittelt werden?
18. Wie kam die Entscheidung zur Entwicklung von RADAR-iTE zustande, und

welche anderen Modelle oder Optionen waren zuvor erwogen worden (bitte
darlegen, warum diese letztlich verworfen wurden)?

19. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung davon, inwiefern in anderen Staa-
ten ähnliche Prognose- bzw. Risikobewertungssysteme entwickelt worden
sind bzw. in der Entwicklung sind, worin sich diese von RADAR-iTE unter-
scheiden und inwiefern bereits eine Evaluation über sie vorliegt?

20. Wie weit ist mittlerweile die Implementierung des Systems fortgeschritten,
und welche Schwierigkeiten gibt es dabei?

21. Worum handelt es sich bei dem in der BKA-Präsentation genannten achtstu-
figen Prognosemodell, das Wahrscheinlichkeitsaussagen hinsichtlich eines
potentiellen Schadenseintritts erlauben soll (bitte die acht Stufen und die Kri-
terien für die jeweiligen Einstufungen nennen)?

22. Inwiefern soll angesichts der föderal aufgeteilten Zuständigkeiten der Polizei
ein bundesweit einheitliches Risikomanagement hergestellt werden?
Welche Schritte will die Bundesregierung diesbezüglich unternehmen, wel-
che Vereinbarungen mit den Ländern strebt sie an, und wie schätzt sie die
Bereitschaft der Länder ein, sich auf ein einheitliches Vorgehen einzulassen?

23. Wie soll die Entwicklung eines einheitlichen Maßnahmenkonzeptes für den
Umgang mit Hochrisikopersonen vorangetrieben werden, und welche legis-
lativen Maßnahmen auf Bundes- und Länderebene sind dazu erforderlich?
Wer ist auf Seiten der Länder hierfür Ansprechpartner des BKA, und welche
Gremien sind mit der Entwicklung betraut?

24. Welchen Entwicklungsstand hat das auf RADAR-iTE aufbauende Risiko-
Analyse-System RISKANT?
a) Auf welcher Funktionsweise und welchen Informationen basiert dieses

System?
b) Worin unterscheiden sich Struktur und Zielsetzung von RADAR-iTE und

RISKANT?
c) Wer hat sich diese Systembezeichnungen ausgedacht, und wurden erst die

vollen Bezeichnungen oder erst die Abkürzungen festgelegt?

Berlin, den 8. August 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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