BT-Drucksache 18/13285

Ausweitung von DNA-Analysen in kriminalpolizeilichen Ermittlungen

Vom 26. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13285
18. Wahlperiode 26.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Petra Pau und der Fraktion
DIE LINKE.

Ausweitung von DNA-Analysen in kriminalpolizeilichen Ermittlungen

Drei derzeit geplante Gesetzesanträge würden zusammen zu tiefgreifenden Än-
derungen in der Strafprozessordnung (StPO), vor allem in § 81 StPO, führen. Alle
drei haben mit der Erhebung, Speicherung und Verwendung von DNA-Spuren
bzw. -Proben zu tun.
Hierbei geht es erstens um die Suche nach „Beinahetreffern“ in polizeilichen
DNA-Datenbanken (Entwurf eines Gesetzes zur effektiven und praxistauglichen
Ausgestaltung des Strafverfahrens, Bundestagsdrucksache 18/11277).
Zweitens geht es um die Bestimmung von äußeren Merkmalen und der sog. bio-
geografischen Herkunft (Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung des Umfangs
der Untersuchungen von DNA-fähigem Material, Bundesratsdrucksache 117/1/17).
Drittens geht es um eine erhebliche Ausweitung der Datenbasis der DNA-Ana-
lyse-Datei (DAD) des Bundeskriminalamtes (BKA), in der die DNA-Identifizie-
rungsmuster (STR-Profile) gespeichert werden. Die Erhebung und Verwendung
des sog. genetischen Fingerabdrucks soll der des daktyloskopischen Fingerab-
drucks auch erkennungsdienstlich angeglichen und auf alle Deliktarten ausge-
dehnt werden. Zudem sollen der Richtervorbehalt sowie die Informations- und
Begründungspflicht für eine DNA-Entnahme entfallen (Entwurf eines Gesetzes
zur Angleichung von genetischem und daktyloskopischem Fingerabdruck im
Strafverfahren, Bundesratsdrucksache 231/17).
Die Initiative zur Einführung der erweiterten DNA-Analysen soll laut Medienbe-
richten als Gemeinschaftsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des
Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) geplant und
ausgestaltet werden. Das BMJV veranstaltete am 21. März 2017 ein interdiszip-
linär besetztes Symposium, in dem etliche Sachverständige aus wissenschaftli-
cher, rechtlicher und praktischer Sicht große Bedenken an den Gesetzesänderun-
gen geäußert haben.
Sollten alle drei Änderungen dennoch beschlossen werden, würde die Gesetzes-
lage den Ermittlern weitgehend freie Hand bei der Erhebung und Handhabung
von DNA-Proben und -Daten gewähren. DNA-Daten würden dann nicht nur zur
Aufklärung von Verbrechen verwendet, sondern auch präventiv zur Gefahrenab-
wehr. Deutsche Ermittler bräuchten diesen Zugriff weder mit unabhängigen wis-
senschaftlichen noch mit rechtlichen Instanzen abzustimmen. Das Recht auf in-
formationelle Selbstbestimmung aller Bürger und Besucher Deutschlands – ge-
rade auch derjenigen ohne Verbindung zu Straftaten – würde damit stark einge-
schränkt.

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Jede der drei Gesetzesänderungen ist aus Sicht der Fragesteller für sich genom-
men problematisch; aber gerade in ihrem Zusammenwirken bei der Änderung des
§ 81 StPO erscheinen sie hoch problematisch. Im Folgenden konzentriert sich
diese Anfrage hauptsächlich auf die erweiterten DNA-Analyseverfahren, wenn-
gleich vor dem Hintergrund der befürchteten Synergien. Zentrale wissenschaftli-
che, rechtliche und ethische Probleme der Technologien sowie ihrer Anwendung
in polizeilichen Ermittlungen sind zudem derzeit nicht geklärt (vgl. hierzu u. a.
Nature: Staubach F et al. (2017), Note limitations of DNA legislation (www.
nature.com/nature/journal/v545/n7652/full/545030c.html?foxtrotcallback=true).
In befürwortenden Darstellungen werden die Möglichkeiten der neuen Ermitt-
lungsinstrumente weit überschätzt und zugleich die negativen Nebeneffekte
marginalisiert oder ganz verschwiegen. Bereits 2008 ergab eine Stichprobenun-
tersuchung des Datenschutzbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, dass
42 Prozent der in der DAD des BKA gespeicherten Datensätze nicht den Spei-
cherungskriterien des Gesetzes entsprachen (s. Klingbeil 2011: 5 ff., http://
fingerwegvonmeinerdna.blogsport.eu/files/2011/01/GID_204kl.pdf).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Einträge befinden sich aktuell in der DAD des BKA, und wie hat

sich der Aufbau der DAD seit 1998 entwickelt (bitte jeweils nach Jahr, Per-
sonendatensätzen und Spurendatensätzen auflisten)?

2. Wie viele Spur-Spur-Treffer traten seit 1998 auf, und aus welchen Deliktbe-
reichen stammten sie jeweils (bitte nach Jahr, Anzahl und Deliktbereich auf-
führen)?

3. Wie viele Spur-Personen-Treffer traten seit 1998 auf, und aus welchen De-
liktbereichen stammten sie jeweils (bitte nach Jahr, Anzahl und Deliktbe-
reich aufführen)?

4. Wie viele Personendatensätze von Personen, die aufgrund eines Verdachtes
auf Beleidigung eine DNA-Probe abgeben mussten, befinden sich aktuell in
der DAD?

5. In wie vielen Fällen wurde einer Speicherung in der DAD gemäß § 81g Ab-
satz 3 StPO durch einen Richtervorbehalt stattgegeben, und in wie vielen
Fällen wurde widersprochen?

6. Welche Konsequenzen hatte nach Kenntnis der Bundesregierung die Stich-
probenuntersuchung durch den Landesdatenschutzbeauftragten in Baden-
Württemberg, und wie wurde mit den festgestellten Fehlern in der DAD kon-
kret verfahren?

7. Sind seither weitere Stichprobenuntersuchungen und Kontrollen durchge-
führt worden, und wenn ja, von welcher Institution, und mit welchem jewei-
ligen Ergebnis?
Wenn nein, weshalb nicht?

8. Wie und von wem wurde und wird bezüglich der DAD die Einhaltung der in
§ 32 des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) vorgeschriebenen Löschfris-
ten von zehn Jahren bei Erwachsenen und fünf Jahren bei Jugendlichen kon-
trolliert?

9. Wie viele Daten wurden entsprechend in den letzten fünf Jahren in der DAD
gelöscht oder berichtigt (bitte nach Jahr, Art der Daten, Anzahl der Löschung
bzw. Berichtigung auflisten)?

10. Wie viele Spuren, die in der DAD gespeichert sind, wurden in den letzten
Jahren nach Überprüfung durch das BKA wieder gelöscht (bitte entspre-
chend nach Jahr und Anzahl aufführen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13285

11. Hätte nach Ansicht der Bundesregierung z. B. im Rahmen der Ermittlungen

nach dem Mord an Maria L. am 16. Oktober 2016 in Freiburg eine umfas-
sendere Auswertung von DNA-Spuren der Polizei bei der Tätersuche helfen
können?
Wenn ja, wie genau?
Wenn nein, warum nicht?

12. In welchen Fallkonstellationen wäre nach Ansicht der Bundesregierung ein
Einsatz der erweiterten DNA-Analysen überhaupt sinnvoll?

13. Was bedeutet es für die Einführung der Technologien, wenn sie nur in be-
sonderen Einzelfällen sinnvoll angewendet und dann nur mit hoher Sach-
kompetenz angemessen interpretiert werden können?

14. Weshalb enthielt die Beschlussvorlage der 206. Innenministerkonferenz
(IMK) (www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/
2017-06-14_12/beschluesse.pdf?__blob=publicationFile&v=2) dann kei-
nerlei Anhaltspunkte aus dem interdisziplinär besetzen BMJV-Sympo-
sium, wo zahlreiche offene Fragen und Problematiken diskutiert wurden,
sondern stützt sich allein auf ein Konzeptpapier aus dem BKA (www.
innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2017-06-14_12/
anlage-zu-top-27.pdf?__blob=publicationFile&v=2), in dem trotz der wis-
senschaftlichen Komplexität der Thematik gerade mal auf eine wissenschaft-
liche Publikation Bezug genommen wird?

15. Wer wird die DNA-Analysen in der Praxis durchführen, und aus welchem
Budget werden die Kosten dafür jeweils gedeckt?

16. Ist ein Straftatenkatalog für den Einsatz erweiterter DNA-Analysen vorgese-
hen, und wenn nein, was würde ein massenhafter Einsatz für das zu berück-
sichtigende Spurenaufkommen, für die einzusetzenden Ressourcen und die
Durchführung der DNA-Analysen bedeuten?

17. Wie viel Prozent der in Deutschland verübten Morde und Vergewaltigungen
bleiben unaufgeklärt?
Wie ist die Aufklärungsrate bei Verbrechen, für die die erweiterte DNA-
Analyse zum Einsatz kommen soll (bitte entsprechend aufschlüsseln)?

18. Von wie vielen Fällen, in denen erweiterte DNA-Analysen zum Einsatz kom-
men werden, geht die Bundesregierung gegenwärtig pro Jahr aus?

19. Welche Aufwendungen entstehen nach Kenntnis der Bundesregierung jen-
seits der Kosten für die rein technischen Vorgänge – etwa für Schulungen
und für die notwendigen Regulierungsinstitutionen (bitte entsprechend auf-
schlüsseln)?

20. Welche Sachverständigengutachten hat die Bundesregierung zur Auswei-
tung der DNA-Analyse in Auftrag gegeben, und zu welchem Ergebnis sind
die Gutachten jeweils gekommen?
Welche Kosten sind dadurch entstanden?

21. Auf welche wissenschaftliche Expertise stützen sich nach Kenntnis der Bun-
desregierung die in dem Gesetzesantrag der Länder Baden-Württemberg und
Bayern (Bundesratsdrucksache 117/1/17) angeführten Vorhersagegenauig-
keiten, und welche wissenschaftliche Definition von ,,biogeografischer Her-
kunft“ liegt dem Gesetzesantrag zugrunde?

22. Wurde in den Sachverständigengutachten das im Einzelfall durchzuführende
Verfahren der statistischen Ermittlung der „posterior odds“ als notwendig
angeführt oder empfohlen?

Drucksache 18/13285 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

23. Auf Patente und Technologieanwendungen welcher Unternehmen sollen

deutsche Ermittlungsbehörden nach Kenntnis der Bundesregierung für er-
weiterte DNA-Analysen zurückgreifen?
Durch welche Wissenschaftler werden diese beraten, bzw. welche Wissen-
schaftler sind an diesen Unternehmen beteiligt?

24. Sieht die Bundesregierung Interessenskonflikte, falls Wissenschaftler, die
das BKA und andere Sicherheitsbehörden beraten, Patente und Rechte an
Technologieanwendungen für erweiterte DNA-Analysen besitzen und/oder
an Unternehmen beteiligt sind, die künftig erweiterte DNA-Analysen durch-
führen würden (bitte begründen)?

25. Welche öffentlich geförderten Forschungsprojekte zu erweiterten DNA-
Analysen laufen derzeit in Deutschland bzw. unter Beteiligung von Wissen-
schaftlern, wissenschaftlichen Einrichtungen und Ermittlungsbehörden in
Deutschland (bitte jeweils nach Titel, Beteiligten, Laufzeit und Kosten des
Forschungsprojekts aufführen)?

26. Welche DNA-Reihenuntersuchungen wurden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung seit 1998 aus welchem Grund von wem durchgeführt, und wie viele
Personen nahmen daran teil (bitte entsprechend nach Jahr, Fall, durchführen-
der Behörde und Anzahl der Personen auflisten)?

27. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum Auftreten absichtlich
falsch gelegter DNA-Spuren?
In welchen Fällen wurden diese aus welchen Gründen bemerkt, und wie kann
und soll die Gefahr von bewusst gelegten falschen DNA-Spuren für die Er-
mittlungsarbeit ausgeschlossen werden?

28. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass DNA-Mischungen von bis zu
100 Personen im Internet bestellbar sind, und wenn ja, welche Schlussfolge-
rungen zieht sie daraus?

29. Welche unabhängige Institution wird die wichtige Aufgabe der Kontrolle
und Regulierung polizeilicher DNA-Datenerhebung und -nutzung in Zukunft
übernehmen und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der vielen,
noch nicht einmal von einem Verdacht betroffenen Menschen gewährleisten,
deren DNA-Daten künftig in forensischen und erkennungsdienstlichen Kon-
texten erhoben und gespeichert werden?

30. Wie gestaltet sich die molekulargenetische, statistische und rechtssoziologi-
sche Grundlagenausbildung von Ermittlern, Richtern, Staatsanwälten und
Verteidigern aktuell im Detail?
Sieht die Bundesregierung diesbezüglich Klärungs- und Nachbesserungsbe-
darf, und wenn ja, in welcher Form?

31. Welche Kontrollmechanismen gibt es bereits, und welche neuen Kontrollme-
chanismen müssten nach Auffassung der Bundesregierung mit einer Geset-
zesänderung eingeführt werden, um sicherzustellen, dass Voreingenommen-
heiten gegenüber Minderheiten nicht zu einseitigen Interpretationen und vor-
schnellen Festlegungen der Ermittler führen, wie dies im Fall des „Heilbron-
ner Phantoms“ (vgl. www.swr.de/swraktuell/bw/heilbronn/zehn-jahre-nach-
dem-polizistinnenmord-in-heilbronn-wattestaebchen-pleite/-/id=1562/did=
19388580/nid=1562/1mvh34n/index.html) geschah?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/13285

32. Hält die Bundesregierung eine gründliche Prüfung durch ein multidisziplinä-

res Expertengremium wie etwa in den Niederlanden oder England (vgl.
www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/erweiterte-dna-analyse-neuer-gesetz
entwurf-in-der-kritik-14942036.html) für nötig, um zu beurteilen, ob sich ein
Fall für den Einsatz der erweiterten DNA-Analysen eignet, wenn ja, wann,
und in welcher Form soll dieses Gremium gebildet werden, und was wären
seine Befugnisse?
Wenn nein, warum nicht?

33. Wie können nach Auffassung der Bundesregierung Ermittlungsmaßnahmen,
die auf erweiterte DNA-Analysen folgen – insbesondere DNA-Reihenunter-
suchungen und Öffentlichkeitsfahndungen –, so gestaltet werden, dass
dadurch Minderheiten nicht unter Generalverdacht geraten?

34. Welche Vorkehrungen in Bezug auf Öffentlichkeitsfahndung und Kriminal-
berichterstattung sind von der Bundesregierung vorgesehen, um sicherzustel-
len, dass Angehörige von Minderheiten im Rahmen erweiterter DNA-Ana-
lysen in der Öffentlichkeit nicht unter Generalverdacht geraten?

35. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, inwiefern in
Deutschland lebende Menschen Ängste und Bedenken gegenüber der Spei-
cherung ihrer DNA-Daten (in Forschungsdatenbanken, im Gesundheitswe-
sen, im Polizeiwesen) haben, und wie müsste diesen Bedenken im Rahmen
rechtlicher Regulierungen Rechnung getragen werden?

36. Wie soll möglichem zukünftigem Missbrauch der DNA-Daten(-banken) vor-
gebeugt werden?

Berlin, den 26. Juli 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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