BT-Drucksache 18/13187

Menschenrechtliche Situation von Beduinen im Negev/Naqab

Vom 20. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13187
18. Wahlperiode 20.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Inge Höger, Christine Buchholz, Annette Groth,
Andrej Hunko, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechtliche Situation von Beduinen im Negev/Naqab

Der „Wald der deutschen Länder“ ist eine Initiative zur Bepflanzung und Auf-
forstung der Wüste Negev/Naqab in Israel. Durch zahlreiche Spenden aus
Deutschland wurden im „Wald der deutschen Länder“ um die Stadt Be’er
Scheva seit 1991 bereits über 450 000 Bäume gepflanzt, die „sinnbildlich für die
Freundschaft zwischen Deutschland und Israel“ (http://brandenburg.de/cms/
detail.php/bb2.c.450095.de) stehen sollen. Der „Wald der deutschen Länder“ ist
wie auch der „SPD-Wald“ (www.jnf-kkl.de/d/spdwald.htm?neuer-spendenanlass-
490) Teil eines umfassenden „Aufforstungsprojektes“ von mittlerweile 240 Mil-
lionen Bäumen. Diese Projekte sind sowohl aus menschenrechtlicher als auch aus
ökologischer Sicht umstritten.
Die vom Jüdischen Nationalfonds (Jewish National Fund, JNF) betriebene Auf-
forstungsinitiative hat direkte und spürbare Auswirkungen auf das Leben tausen-
der Menschen in der Negev/Naqab-Wüste. Bei den dort lebenden palästinensi-
schen Israelis handelt es sich um Beduinen, die dort schon vor der Staatsgründung
Israels siedelten und über ein traditionelles System von kommunalem und indivi-
duellem Landbesitz verfügten. In der Zeit um 1948 wurde im Negev/Naqab der
Großteil der ursprünglichen Bevölkerung vertrieben und die im Land verbliebe-
nen Negev/Naqab-Palästinenser wurden unter Militärgerichtsbarkeit gestellt. Nur
19 von ursprünglich 95 Stämmen verblieben im Negev/Naqab (www.refworld.
org/pdfid/4ed61bdc2.pdf). Später zogen die israelischen Behörden das Land die-
ser Palästinenser auf der Grundlage der in den 1950er Jahren erlassenen israeli-
schen Landgesetze – vor allem des im Jahr 1953 erlassenen Land Acquisition
(Validation of Acts and Compensation) Acts – ein. Dem Land Acquisition Act
nach konnte der Staat Israel Land für sich reklamieren, wenn sich die Eigentümer
am 1. April 1952 nicht auf ihrem Besitz befanden. Zu diesem Zeitpunkt aber wa-
ren die Beduinen des Negev/Naqab bereits zwangsweise in das vom israelischen
Staat für sie vorgesehene Gebiet umgesiedelt worden. Somit wurden weite Berei-
che ihrer Ländereien als Staatsland registriert, während viele Eigentümer nicht
einmal davon erfuhren (vgl. Off the Map: Land and Housing Rights Violation in
Israel’s Unrecognized Villages, Human Rights Watch – 2008). Auch der „Wald
der deutschen Länder“ steht auf dem Land vertriebener Beduinen.
Begründet mit der angeblich notwendigen Aufforstung der Wüste Negev/Naqab
wird die Umsiedlung heute fortgesetzt. Bereits 2010 warf Amnesty International
Israel eine Zwangsvertreibung der Beduinen vor (www.amnesty.de/urgent-
action/ua-236-2010-3/neunte-raeumung-folge). Nach der Vertreibung der jewei-
ligen palästinensischen Bevölkerung wurde die rasche Aufforstung auf den Rui-
nen ihrer zerstörten Dörfer vorangetrieben.

Drucksache 18/13187 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Mindestens zwei Drittel der JNF-finanzierten Aufforstungsprojekte überdecken
die Spuren der gewaltsamen Vertreibung der palästinensischen Bewohner, so die
israelische Menschenrechtsorganisation Zochrot (www.zochrot.org/en/article/
55963). Mit jedem Baum, der auf dem Gebiet gepflanzt wird, schwindet somit
die Hoffnung der Beduinen, ihr Land jemals zurückzubekommen. Seit Gründung
des JNF gilt das erklärte Prinzip, dass Land, welches der JNF sich durch Kauf
oder anderweitig angeeignet hat, ausschließlich dem Staat Israel oder seinen
jüdischen Bürgerinnen und Bürgern (www.kkl-jnf.org/about-kkl-jnf/kkl-jnf-id/
jewish-people-land/) und jüdischen Neueinwanderern zur Nutzung vorbehalten
ist (www.buypropertyinisrael.com/article/types-of-land-in-israel). Während die
israelische Regierung nichtpalästinensischen Staatsbürgern, insbesondere neu
eingewanderten, Anreize gewährt, sich in der Negev/Naqab-Wüste anzusiedeln
(https://int.icej.org/news/headlines/israeli-government-offers-fresh-incentives-
settle-negev-galilee), ist sie bestrebt, die Beduinen aus dem Negev/Naqab in neue
Sammelstädte umzusiedeln (www.maannews.com/Content.aspx?id=772389).
Diese Politik beachtet nicht die Bedürfnisse und Rechte der beduinischen Bevöl-
kerung, ihre Kultur und ihre traditionelle Lebensweise (www.adalah.org/
uploads/oldfiles/Public/files/English/International_Advocacy/UN/HRC-ICCPR/
Adalah-NCF%20Report-HRC-Bedouin-Sep-2014.pdf). Auch das Menschen-
rechtskomitee des Zivilpakts der Vereinten Nationen hat sich in seinen abschlie-
ßenden Bemerkungen zur Umsetzung des Zivilpakts in Israel am 29. Juli 2010
mit Sorge zu der gewaltsamen Räumung von Beduinendörfern im Negev/Naqab
geäußert und von der israelischen Regierung gefordert, das Recht der Beduinen
auf das Land ihrer Vorfahren und auf staatliche Infrastruktur sowie ihre traditio-
nellen landwirtschaftlichen Lebensgrundlagen anzuerkennen. Nichtregierungsor-
ganisationen (NGOs) sehen hinter der Zerstörung von Beduinendörfern das
„Ziel, das Land für die Aufforstung zu räumen“, wie es in einem Bericht
der israelischen NGO Adalah an die UN vom 11. Februar 2013 heißt
(www.sueddeutsche.de/politik/umsiedelung-arabischer-beduinen-baum-der-
vertreibung-1.3431901).
Auch Human Rights Watch beklagt diese Bevölkerungspolitik für die
Negev/Naqab-Wüste als systematisch diskriminierend und warnt seit Jahren
vor Massenvertreibungen von Beduinen von ihrem Land durch israelische Behör-
den und die Aktivitäten des JNF (www.hrw.org/news/2013/08/30/israel-bedouin-
facing-mass-evictions-their-land). Noch rund 80 000 bis 90 000 Beduinen leben
in Dörfern (www.adalah.org/en/content/view/9049), die der israelische Staat
nicht anerkennt. Die Bewohner dieser „nicht anerkannten“ Dörfer leben in stän-
diger Angst vor Räumung und Zerstörung. Israelische Menschenrechtsorganisa-
tionen fürchten aktuell eine neue Welle der Zerstörung dieser Dörfer. Demnächst
soll beispielsweise Umm Al-Hiran im Negev/Naqab (mit etwa 1 000 Einwoh-
nern) abgerissen werden, um einer geplanten Siedlung mit dem Namen Hiran
Platz zu machen (www.adalah.org/uploads/Adalah-Summary-Umm-el-Hieran-
Case-12-May-2015.pdf).
Auch aus ökologischen Gründen steht die „Begrünungspolitik“ des JNF im
Negev/Naqab unter Kritik von Umweltexperten. Im Gegensatz zur beduinischen
Bevölkerung, die das Land entsprechend den klimatischen Bedingungen nutze,
pflanze der JNF in erster Linie nichteinheimische Pflanzen an, die viel mehr Was-
ser benötigten und ernsthafte und unwiderrufliche Schäden an Natur und Umwelt
hervorriefen. So kommen Wissenschaftler der Society for the Protection of Na-
ture in Israel in einer Studie von 2014 zu dem Ergebnis, dass die Vielfalt der
Wüstenvegetation deutlich verringert worden sei, seit der JNF dort großflächig
fremde Arten wie den Eukalyptus- oder Nadelbaum gepflanzt habe, die beide
nicht Teil der ursprünglich in der Region vorhandenen Vegetation sind und zu-
dem das Risiko von Waldbränden enorm erhöhen. Säugetiere, Reptilien und Vö-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13187

gel seien verdrängt, Ökosysteme in Gegenden, die nie zuvor bewaldet waren, be-
sonders schwer geschädigt worden (www.teva.org.il/GetFile.asp?CategoryID=
1698&ArticleID=19415&ID=7679).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf die Aussa-

gen von NGOs und den Vereinten Nationen, dass die Landrechte der Bedui-
nen am Negev/Naqab durch die Projekte des JNF und die Politik der israeli-
schen Regierung verletzt werden?

2. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf die Forde-
rung u. a. der Rabbiner für Menschenrechte und auch der Goldberg-
Kommission nach Anerkennung der traditionellen Rechte der Beduinen auf
das Land, auf dem sie leben (www.truah.org/wp-content/uploads/2017/01/
BedouinFactSheet.pdf)?

3. Wie erheblich ist nach Ansicht der Bundesregierung der Beitrag des JNF zum
Umweltschutz und zur Herstellung bzw. zum Erhalt von Biodiversität im
Negev/Naqab vor dem Hintergrund der Kritik durch israelische Naturschutz-
organisationen und der Beschleunigung der Verbreitung von Waldbränden?

4. Wie erheblich ist nach Einschätzung der Bundesregierung der Beitrag des
JNF zu der Vertreibung von und der Zerstörung der Lebensgrundlagen der
Beduinen im Negev/Naqab?

5. Welche Rolle spielt nach Informationen der Bundesregierung der JNF bei
der andauernden Aneignung von Land im Interesse des israelischen Staates?

6. Hat die Bundesregierung Initiativen ergriffen, um das Vorgehen der israeli-
schen Regierung gegen die Ansiedlungen der Beduinen im Negev/Naqab zu
thematisieren und ggf. zu beenden?
a) Welche Initiativen waren das?
b) Welche Ergebnisse gingen aus den Initiativen hervor?

7. Welche Informationen und Zahlen liegen der Bundesregierung bezüglich der
seit 2003 in den „nicht anerkannten“ Dörfern zerstörten Häuser und über die
Situation ihrer Bewohner vor?
Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Kompensation
der Dorfbewohner im Falle von Häuserzerstörungen vor?

8. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf die Frage
einer möglichen Verletzung der Menschenrechte der beduinischen Bevölke-
rung aus den „nicht anerkannten“ Dörfern im Negev/Naqab auf Gleichbe-
handlung, angemessenes Wohnen, sauberes Trinkwasser, Gesundheit und
Ausbildung, und inwieweit teilt sie die Forderung der israelischen Assozia-
tion für Menschenrechte nach einer Anerkennung der Siedlungen der Bedu-
inen (www.acri.org.il/en/category/arab-citizens-of-israel/negev-bedouins-
and-unrecognized-villages/)?

9. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Kritik der
israelischen Assoziation für Menschenrechte (www.acri.org.il/en/2015/11/
22/are-only-jews-allowed-to-live-in-settlements-in-the-negev/) an der israe-
lischen Praxis, auf den Ruinen abgerissener beduinischer oder palästinensi-
scher Ansiedlungen in Israel jüdisch-israelische Siedlungen zu errichten?

10. Welche konkreten Informationen und Zahlen liegen der Bundesregierung
über die Unterstützung der vom JNF betriebenen Aufforstungsprojekte durch
Spenden deutscher Politikerinnen und Politiker, Parteien, Kirchengemein-
den, Städte und Landkreise oder auch staatlicherseits vor (bitte auflisten nach
Spendern und unter Angabe der Summen)?

Drucksache 18/13187 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

11. In welcher Höhe wird oder wurde die Arbeit des JNF in Deutschland steuer-

lich oder anderweitig begünstigt (bitte aufschlüsseln nach Art und Zeit-
raum)?

12. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich einer mögli-
chen Diskriminierung der palästinensischen Urbevölkerung des Negev/
Naqab im Vergleich zu den sich neu ansiedelnden israelischen Bürgern
(https://972mag.com/new-jewish-settlements-planned-on-top-of-bedouin-
villages/114104/)?

13. Welche Auswirkungen hat die israelische Siedlungspolitik im Negev nach
Kenntnis der Bundesregierung, ob in Form des sog. Prawer-Plans oder des
neuen Fünfjahresplanes für die Umsiedlung der Beduinen (www.haaretz.
com/opinion/.premium-1.765893) oder auch dem Blue Print Negev (www.
jnf.org/work-we-do/blueprint-negev/blueprint-negev-update-flyer.pdf) auf
die beduinische Bevölkerung des Negev/Naqab, und welche Rolle spielt der
JNF in diesem Rahmen?

14. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf das völker-
rechtlich in der UN-Resolution 194 verbriefte Recht auf Rückkehr der wäh-
rend und nach der israelischen Staatsgründung vertriebenen Palästinenser
insgesamt und auch im Falle der Beduinen des Negev?

Berlin, den 19. Juli 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.