BT-Drucksache 18/13172

Diskussion über die Umbenennung der Lent-Kaserne in Rotenburg und weiterer Kasernen der Bundeswehr (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/12353)

Vom 18. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13172
18. Wahlperiode 18.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger,
Andrej Hunko, Niema Movassat, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Diskussion über die Umbenennung der Lent-Kaserne in Rotenburg und weiterer
Kasernen der Bundeswehr
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf
Bundestagsdrucksache 18/12353)

In der Diskussion um die Namensgebung der Lent-Kaserne in Rotenburg haben
sich die Bundeswehrsoldaten gegen eine Umbenennung ausgesprochen. „Die
Soldaten haben mehrheitlich für die Beibehaltung des Namens gestimmt“, wird
Presseoffizier Marco Meyer zitiert (Weserkurier vom 15. Mai 2017). Der Na-
mensgeber, Wehrmachts-Oberst Helmut Lent, hatte zu den am höchsten dekorier-
ten Offizieren des Nazireiches gehört. Während – wenige – andere Offiziere der
Wehrmacht jedenfalls in der Endphase des Regimes auf Abstand zu diesem gin-
gen oder sich vereinzelt an Widerstandsplanungen beteiligten, äußerte Helmut
Lent bis zuletzt Durchhalteparolen. Die Entscheidung, einen solchen Offizier, der
alles für eine Verlängerung des Naziregimes gab, als Namensgeber beizubehal-
ten, offenbart ein bedenkliches Geschichtsbild. Es steht zu befürchten, dass dies
rechtsextremen Einstellungen in der Truppe weiter Auftrieb verleiht.
Die Fragestellerinnen und Fragesteller schließen aus den bisherigen Darlegungen
der Bundesregierung (insbesondere auf Bundestagsdrucksachen 18/12353 und
18/12736), dass das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) die Entschei-
dung der Soldaten in Rotenburg nicht ohne weiteres akzeptiert. Zum Zeitpunkt
der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundes-
tagsdrucksache 18/12353 hat der Diskussionsprozess in Rotenburg nach Angaben
der Bundesregierung noch angedauert (vgl. Antwort der Bundesregierung zu
Frage 2); offenbar gab es hier eine zeitliche Überschneidung, denn am 15. Mai
2017 meldete der „Weserkurier“ bereits die für Helmut Lent votierende Entschei-
dung.
Nahezu zeitgleich plädierte die Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula
von der Leyen allerdings öffentlich dafür, zumindest drei Namensgeber der
Wehrmacht abzuschaffen, darunter neben Hans-Joachim Marseille und Erwin
Rommel auch Helmut Lent (vgl. NDR, 14. Mai 2017: „Weg mit der Wehrmacht:
Neue Namen für Kasernen“).
Auf Bundestagsdrucksache 18/12736 (Antwort zu Frage 16) teilte die Bundesre-
gierung Mitte Juni 2017 mit, man habe entschieden, den Prozess der Meinungs-
bildung zum Thema Kasernenbenennungen „überall dort erneut anzustoßen, wo
Kasernen nach Personen oder anderweitig benannt sind, die nicht im Einklang
mit dem heutigen Traditionsverständnis der Bundeswehr stehen könnten.“ Es

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gelte, „bei den Bundeswehrangehörigen einen offenen Meinungsbildungsprozess
anzustoßen und gemeinsam mit den Vertretern der Kommunen in einen entspre-
chenden Dialog zu treten. Der Prozess soll noch im laufenden Jahr abgeschlossen
sein.“
Die Fragestellerinnen und Fragesteller finden das Vorgehen, so lange Meinungs-
bildungsprozesse anzustoßen, bis die aus Sicht des Bundesministeriums „rich-
tige“ Entscheidung herauskommt, befremdlich, zumal aus ihrer Sicht keine neuen
Umstände aufgetreten sind, die eine Neubewertung der naziunterstützenden Hal-
tung Helmut Lents oder anderer Namensgeber aus Wehrmachtszeiten erfordern
würden. Wenn die an der Entscheidung beteiligten Soldaten der Bundeswehr
nicht von sich aus und freiwillig bereit sind, sich von solch einem schlechten Vor-
bild zu distanzieren, müsste das Bundesministerium entweder eine Namensände-
rung durchsetzen oder den alten Namen lassen und ihn als nach Ansicht der Fra-
gestellerinnen und Fragesteller authentischen Ausdruck der Wehrmachtsaffinität
und eines problematischen Geschichtsbildes in der Truppe stehen lassen. Die Öf-
fentlichkeit wüsste dann wenigstens, woran sie ist.
Zu fragen ist gleichwohl danach, welche strukturellen Ursachen dieser Zustand
hat und welche Schlussfolgerungen für die bundeswehrinterne Bildung sich dar-
aus ergeben.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie genau ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Entscheidung zur Bei-

behaltung des Kasernennamens am Standort Rotenburg getroffen worden?
a) Welche Gremien bzw. Einzelpersonen (Vertrauenspersonen, Dienststel-

lenleitung, Kommandeur, Personalvertretung usw.) haben jeweils welche
Entscheidung getroffen (bitte angeben, ob die Entscheidung bei Gremien
einstimmig verlief bzw. wie das Abstimmungsergebnis lautete, und wie
verfahren wurde, falls die Entscheidungen dieser Gremien bzw. Personen
nicht einhellig ausfielen)?

b) Ist die in der Presse zitierte Äußerung des Presseoffiziers, die Soldaten
hätten „mehrheitlich für die Beibehaltung des Namens gestimmt“, so zu
verstehen, dass alle Soldaten des Standorts die Gelegenheit hatten, in ei-
ner freien und geheimen Abstimmung für oder gegen die Umbenennung
zu stimmen, und wenn ja, wie ging diese Abstimmung genau aus, wenn
nein, wie ist sie dann zu verstehen?

2. Wie bewertet die Bundesregierung dieses (ggf. vorläufige) Ergebnis der Dis-
kussion, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

3. Inwiefern ist aus Sicht der Bundesregierung ein erneuter Meinungsbildungs-
prozess am Standort Rotenburg erforderlich (bitte begründen und darlegen,
welche neuen Umstände aus Sicht der Bundesregierung hinzugetreten sind)?

4. Was will die Bundesregierung unternehmen oder hat sie bereits unternom-
men, um diesen Meinungsbildungsprozess zu unterstützen oder zu gestalten?
a) Wie soll ihrer Kenntnis nach der Meinungsbildungsprozess am Standort

Rotenburg gestaltet werden?
b) Welche Veranstaltungen und weiteren Maßnahmen sind diesbezüglich

geplant?
c) Wer soll am Standort letztlich das Ergebnis feststellen können (Komman-

deur, Personalvertretung, Dienststellenleitung, Vertrauenspersonen, im
Konsens oder nach Rangordnung, durch Abstimmung unter der ganzen
Belegschaft usw., bitte die Vorgehensweise erläutern)?

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5. Was unternimmt das Bundesministerium der Verteidigung, um seinen eige-
nen Meinungsbildungsprozess fortzuführen (vgl. Antwort zu Frage 11 auf
Bundestagsdrucksache 18/12353) (bitte einzelne Maßnahmen vollständig
anführen)?
Welcher Stellenwert kommt der Meinung des Bundesministeriums gegen-
über der Meinung am Standort Rotenburg letztlich zu?

6. Ist das von Helmut Lents Witwe im September 1945 herausgegebene soge-
nannte Erinnerungsbuch in die Diskussion am Standort Rotenburg sowie in
die Meinungsbildung des BMVg selbst eingeflossen, oder soll dies noch ge-
schehen?

7. Inwiefern betrachtet die Bundesregierung Helmut Lent oder ihrer Ansicht
nach von Helmut Lent verkörperte Eigenschaften als traditionsstiftend für
die Bundeswehr?

8. Welche Kasernen bzw. Namensgebungen sind im Einzelnen von der Ankün-
digung der Bundesregierung (vgl. Antwort zu Frage 16 auf Bundestags-
drucksache 18/12736), den Prozess der Meinungsbildung „überall dort er-
neut anzustoßen, wo Kasernen nach Personen oder anderweitig benannt sind,
die nicht im Einklang mit dem heutigen Traditionsverständnis der Bundes-
wehr stehen könnten“ betroffen (bitte vollständig auflisten), und wie begrün-
det die Bundesregierung in jedem Einzelfall die Möglichkeit, der jeweilige
Name könne mit dem Traditionsverständnis nicht im Einklang stehen?

9. Inwiefern ist zwischenzeitlich der Anstoß zu einer solchen Diskussion in al-
len betroffenen Kasernen sowie gegenüber den jeweiligen Kommunen tat-
sächlich erfolgt (bitte einzeln und vollständig auflisten und konkret darstel-
len, um welche Art Anstoß es sich handelt bzw. wie er formuliert war)?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie der Meinungs-
bildungsprozess in den betroffenen Standorten jeweils strukturiert werden
soll und welche einzelnen Schritte vorgesehen sind (Veranstaltungen, Bera-
tungen, Literaturstudium usw.)?
a) Inwiefern sollen nur bestimmte Gremien bzw. die Kommandeure in die-

sen Prozess eingebunden werden oder aber die ganze Belegschaft des
Standortes?

b) Inwiefern soll die Abstimmung mit der Kommunalpolitik gestaltet wer-
den?

11. Inwiefern will die Bundesregierung den Meinungsbildungsprozess an den
einzelnen betroffenen Standorten konkret unterstützen bzw. bei der Ausge-
staltung helfen (bitte vollständig auflisten)?

12. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass der Meinungsbildungspro-
zess tatsächlich in allen Fällen bis Jahresende abgeschlossen wird?

13. Was ist vorgesehen, falls an einzelnen Standorten bis Jahresende kein Ergeb-
nis zustande kommen wird?

14. Will die Bundesregierung das Ergebnis des Meinungsbildungsprozesses an
den Standorten in jedem Einzelfall akzeptieren und übernehmen, oder behält
sie sich vor, in einzelnen Fällen eine andere Entscheidung durchzusetzen?

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15. Wie begründet die Bundesregierung, dass nur die jeweils an einem Standort

stationierten Soldaten bzw. Beschäftigten über den jeweiligen Kasernenna-
men entscheiden sollen, und nicht alle Bundeswehrangehörigen, da es sich
bei Kasernen ja um unselbstständige Teile der Bundeswehr als Ganzes han-
delt?
Betreibt das BMVg auch eine eigene Meinungsbildung bezüglich möglicher
Umbenennungen, und wenn ja, in welchen Fällen, und in welchen Fällen hat
es bereits eine Meinung gebildet (bitte vollständig anführen und begründen)?
a) Welcher Stellenwert kommt einer allfällig schon gebildeten Meinung des

Bundesministeriums gegenüber einer Meinung am Standort zu?
b) Welches Verfahren ist für den Fall gegensätzlicher Meinungen vorgese-

hen?
16. Wie wird die Ankündigung der Bundesregierung, es sei in Hinsicht auf den

Traditionserlass der Bundeswehr „ein umfassender und breit angelegter Be-
teiligungsprozess angestoßen“ worden (Vorbemerkung der Bundesregierung
auf Bundestagsdrucksache 18/12736), umgesetzt?
Welche Formen der Beteiligung für welchen Kreis von Soldaten sind konkret
vorgesehen?
Welche Veranstaltungen sind geplant, inwiefern ist die Einbeziehung zivilen
Sachverstandes beabsichtigt?

17. Sind der Bundesregierung bei der Aufstellung der Namenslisten (Wehr-
machtsoffiziere) in der Antwort zu Frage 23 auf Bundestagsdrucksa-
che 18/12353 Fehler unterlaufen, insbesondere hinsichtlich der Zuordnung
Erwin Rommels zum militärischen Widerstand und der nicht erfolgten Zu-
ordnung General Hans Speidels zum militärischen Widerstand?
Inwiefern ist diese Liste vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwis-
senschaften der Bundeswehr (ZMSBw) bestätigt worden?

18. Wie erklärt sich die Bundesregierung, woran es liegt, dass es in den jeweili-
gen Standorten bislang keine Initiativen zu einer Diskussion über die Na-
mensgebung kam?

19. Welche Erklärungen hat die Bundesregierung über die aus Sicht der Frage-
stellerinnen und Fragesteller problematische Affinität zur Wehrmacht in der
Bundeswehr?

Was will sie unternehmen, um diesem Zustand entgegenzuwirken?
20. Hat die Bundesregierung jemals erwogen, den „Einsatzkurs“ der Bundes-

wehr in Hinsicht auf Auslandseinsätze zurückzunehmen und die Bundeswehr
wieder strikt auf die im Grundgesetz vorgesehene Landesverteidigung zu be-
schränken und zugleich entsprechend materiell und personell abzurüsten, um
sie für Neonazis und Wehrmachtsverherrlicher möglichst unattraktiv zu ma-
chen?

21. Welche Schlussfolgerungen für die politische Bildung innerhalb der Bundes-
wehr zieht die Bundesregierung aus der bisherigen Diskussion um militäri-
sche Tradition und Kasernenbenennungen?
Hält sie es weiterhin für angemessen, dass es während der ersten Monate zu
Beginn des Wehrdienstes nicht vorgeschrieben ist, sich mit den Verbrechen
der Wehrmacht zu beschäftigen (vgl. Antwort zu Frage 18 auf Bundestags-
drucksache 18/12736)?

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22. Welchen zeitlichen Rahmen nimmt bei den Fortbildungen für Offiziere und

Unteroffiziere Punkt 4 („Wehrmacht und Nationalsozialismus. Zwischen
Gefolgschaft und Widerstand; insbesondere der 20. Juli 1944“) des Unterthe-
mas „Nationalsozialismus/Zweiter Weltkrieg“ innerhalb der Kategorie „His-
torische Entwicklungen und Ereignisse“ ein, und wie viel davon ist nicht dem
Anschlag weniger Offiziere auf Adolf Hitler, sondern der Einordnung der
meisten Offiziere in den nationalsozialistischen Apparat gewidmet (bitte
möglichst in Stundenzahl angeben)?

Inwiefern hält die Bundesregierung hier Veränderungen für angebracht?

Berlin, den 18. Juli 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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