BT-Drucksache 18/13169

Manipulation bei flexiblen Klimaschutzmechanismen und ihre Zukunft unter dem Pariser Abkommen

Vom 18. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13169
18. Wahlperiode 18.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Birgit Menz, Ralph Lenkert,
Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Manipulation bei flexiblen Klimaschutzmechanismen und ihre Zukunft
unter dem Pariser Abkommen

Zu den flexiblen Instrumenten des Kyoto-Protokolls und anschließender Abkom-
men im Rahmen des United Nations Framework Convention on Climate Change
(UNFCCC) gehören der „Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung“
(Clean Development Mechanism – CDM) und die „Gemeinsame Umsetzung“
(Joint Implementation – JI). Sie ermöglichen es privaten und staatlichen Investo-
ren aus Industriestaaten, für Klimaschutzinvestitionen in Entwicklungsländern
(CDM) oder in anderen Industriestaaten (JI) Emissionsgutschriften zu erhalten.
Diese Emissionszertifikate können mit eigenen Einsparverpflichtungen verrech-
net oder verkauft werden.
In der Vergangenheit haben mehrere Studien festgestellt, dass die vielfältigen
Manipulationsmöglichkeiten des CDM die Klimaschutzziele des Kyoto-Proto-
kolls und von nationalen bzw. regionalen Emissionshandelssystemen untergräbt
(etwa „Is the CDM fulfilling its environmental and sustainable development ob-
jectives? An evaluation of the CDM and options for improvement“, Studie des
Öko-Instituts e. V. im Auftrag des World Wide Fund for Nature – WWF). Zu
solchen Emissionshandelssystemen zählt das Europäische Emissionshandelssys-
tem (EU ETS). Viele CDM-Projekte verstoßen nach Auffassung der Fragesteller
gleichzeitig seit vielen Jahren gegen weitere Nachhaltigkeitskriterien und/oder in
der Umsetzung gegen Menschenrechte (vgl. u. a. Kill, „Ökonomische Bewertung
von Natur“, Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2015, www.rosalux.de, oder Witt/Moritz,
„CDM – saubere Entwicklung und dubiose Geschäfte“ in „Ablasshandel gegen
Klimawandel?“, VSA-Verlag 2004).
Durch Manipulationen von Projekten im Rahmen des CDM wurde und wird ein
erhebliches Volumen an so genannten faulen Emissionsgutschriften aus Entwick-
lungsländern in das Europäische Emissionshandelssystem transferiert. Diese
Emissionsrechte führen – werden sie genutzt – zu einem Mehrausstoß an Klima-
gasen in Europa, der nicht durch einen entsprechenden Minderausstoß in den Ent-
wicklungsländern gedeckt ist (ebenda). In der Summe führt dies zu einem globa-
len Mehrausstoß von Treibhausgasen.
Auch im Rahmen der JI-Projekte gab es erheblichen Missbrauch zu Lasten des
Klimaschutzes. Nach einer Studie des Stockholm Environment Institute: „Has
Joint Implementation reduced GHG emissions? Lessons learned for the design of
carbon market mechanisms“ (2015) www.sei-international.org, könnten die glo-
balen Treibhausgasemissionen durch mangelhafte JI-Projekte um etwa 600 Mil-
lionen Tonnen CO2 gestiegen sein. Das wäre mehr, als Großbritannien in einem
Jahr verursacht.

Drucksache 18/13169 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Eine jüngst veröffentlichte Studie des Öko-Instituts, Stockholm Environment In-
stitute und der INFRAS AG unter dem Titel „How additional is the Clean Deve-
lopment Mechanism? (siehe https://ec.europa.eu)“, beauftragt von der DG
CLIMA der Europäischen Kommission, hat nun erneut die ökologische Integrität
der Projekte des Clean Development Mechanism (CDM) untersucht. Die Autoren
schätzen darin, dass 85 Prozent der Projekte und 73 Prozent der Gutschriften-
menge (Certified Emission Reduction – CER) zwischen 2013 und 2020 eine ge-
ringe Wahrscheinlichkeit haben, die Umweltintegrität zu gewährleisten. Diese
Projekte führen zu keinem oder lediglich zu einem geringen zusätzlichen Klima-
schutznutzen, den es ohne die Projekte nicht gegeben hätte. Dagegen hätten nur
2 Prozent der Projekte und 7 Prozent der Gutschriftenmenge eine hohe Wahr-
scheinlichkeit, die Umweltintegrität zu gewährleisten.
Hauptbotschaft der Studie ist es also, dass für quasi alle Typen von Projekten, mit
Ausnahme von Industriegasprojekten (die wiederum nach anderen Veröffentli-
chungen gravierende Probleme in Form von so genannten perversen Anreizen
hatten, siehe Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit, „Industriegasprojekte in CDM und JI – Wie geht es weiter in Zeiten der
Krise?“, www.carbon-mechanisms.de), schwer nachweisbar sei, dass sie das Kri-
terium der so genannten Zusätzlichkeit (Additionality) erfüllen. Ein solches Er-
gebnis ist eine verheerende Bilanz auch hinsichtlich des CDM-Zertifizierungs-
und Monitoring-Systems der Vereinten Nationen unter dem UNFCCC, denn die-
ses Kriterium beschreibt die Zusätzlichkeit von Emissionsreduktionen als Vo-
raussetzung für die Anerkennung von CDM-Projekten.
Nach dem Übereinkommen von Paris, der Klimarahmenkonvention der Verein-
ten Nationen vom 12. Dezember 2015 (Pariser Klima-Abkommen) als Nachfol-
ger des Kyoto-Protokolls, soll es in Bezug auf Kohlenstoffmärkte künftig sowohl
„Cooperative Approaches“ nach den Artikeln 6.2 und 6.3 als auch einen
„Sustainable Development Mechanism“ (SDM) nach den Artikeln 6.4 bis 6.7 ge-
ben. Eine weitere Kooperationsform nach den Artikeln 6.8 und 6.9 wird nicht als
Marktmechanismus beschrieben.
Die maltesische EU-Ratspräsidentschaft und die Europäische Kommission neh-
men in ihrem am 21. März 2017 verabschiedeten Standpunkt zu Leitlinien und
Umsetzungen des Artikels 6 des Pariser Klima-Abkommens die Position ein, dass
mit der Etablierung eines „Sustainable Developement Mechanism“ nach Arti-
kel 6.4 des Pariser Abkommens die Kyoto Mechanismen nach der zweiten Kyoto-
Verpflichtungsperiode nicht mehr weitergeführt werden sollten.
Im Oktober 2016 hat die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) einen
marktbasierten Mechanismus zum Klimaschutz namens „Carbon Offsetting and
Reduction Scheme for International Aviation“ (CORSIA) verabschiedet. Danach
soll das Wachstum des internationalen Flugverkehrs ab 2020 „CO2-neutral“ er-
folgen. Allerdings soll das Herstellen dieser Neutralität im Wesentlichen auf
Kompensationsmechanismen basieren. Dafür in Frage kämen u. a. Emissionsgut-
schriften aus CDM oder SDM. Daraufhin hat die Europäische Kommission vor-
geschlagen, das EU ETS auf Flüge zwischen den europäischen Mitgliedstaaten
zu begrenzen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Kann die Bundesregierung die Hauptergebnisse der Studie „How additional

is the Clean Development Mechanism?“ nachvollziehen?
Wenn nicht, welche Ergebnisse der Studie kann sie nicht nachvollziehen, und
warum?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13169
2. Unterstützt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des mehrfach in Stu-
dien nachgewiesenen Potentials des CDM, die ökologische Integrität von
Emissionshandelssystemen zu untergraben, die Entwicklung eines CDM-
ähnlichen Instruments unter den Artikeln 6.4 bis 6.7 des Pariser Klima-Ab-
kommens in Form eines sogenannten Sustainable Development Mechanism
(SDM)?

3. Worin sollen sich der bisherige CDM und der angedachte SDM unterschei-
den
a) nach Kenntnis der Bundesregierung über den internationalen Verhand-

lungsstand,
b) nach Auffassung der Bundesregierung über die künftige Ausgestaltung

des SDM bzw. des Artikels 6 des Pariser Klima-Abkommens?
4. Welche Position hat die Bundesregierung zur Ausgestaltung der „Coopera-

tive Approaches“ nach den Artikeln 6.2 und 6.3 des Pariser Klima-Abkom-
mens?

5. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung zu weiteren möglichen
neuen flexiblen Mechanismen unter Artikel 6 des Pariser Klima-Abkom-
mens?

6. Plant die Bundesregierung, die Ergebnisse der aktuellen, im Auftrag der Eu-
ropäischen Kommission erstellten Studie von Öko-Institut, Stockholm En-
vironment Institute und INFRAS in die jetzigen Verhandlungen zu Artikel 6
des Pariser Klima-Abkommens einfließen zu lassen?

7. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass das Kriterium der Zusätz-
lichkeit in neuen flexiblen Mechanismen unter Artikel 6 des Pariser Klima-
Abkommens gesichert wird, insbesondere beim angedachten SDM?

8. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass das Kriterium der ökologi-
schen und sozialen Nachhaltigkeit in neuen flexiblen Mechanismen unter Ar-
tikel 6 des Pariser Klima-Abkommens gesichert wird?

9. Beabsichtigt die Bundesregierung, anstatt Treibhausgasemissionen vollstän-
dig in Deutschland zu mindern, Minderungen auch durch Mechanismen nach
Artikel 6 des Pariser Klima-Abkommens abzurechnen, um nationale Klima-
schutzziele oder internationale Verpflichtungen zu erfüllen?

10. Welche Rolle soll nach Auffassung der Bundesregierung Artikel 6 des Pari-
ser Klimaschutz-Abkommens in der Dekarbonisierung des Europäischen
und internationalen Luftverkehrssektors spielen?

11. Hält die Bundesregierung den CDM bzw. den SDM für geeignete Kompen-
sationsmechanismen für die CORSIA?

Berlin, den 30. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.