BT-Drucksache 18/13164

Bilanz des Aussteigerprogramms für Linksextremisten des Bundesamtes für Verfassungsschutz 2014 bis 2016

Vom 18. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13164
18. Wahlperiode 18.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Martina Renner, Dr. André Hahn und der Fraktion
DIE LINKE.

Bilanz des Aussteigerprogramms für Linksextremisten des Bundesamtes für
Verfassungsschutz 2014 bis 2016

Seit 2011 betreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein sogenanntes
Aussteigerprogramm für Linksextremisten. Der Arbeitsaufwand, den die dafür
zuständigen Nachrichtendienstmitarbeiter mit der umworbenen Klientel haben,
war in der Vergangenheit recht übersichtlich. Bis Anfang 2014 wurden lediglich
insgesamt 41 Kontaktaufnahmen über die Hotline verzeichnet (vgl. Bundestags-
drucksachen 17/11412 und 18/572). Davon ging allerdings fast die Hälfte unmit-
telbar nach Einrichtung des Aussteigertelefons ein, meist handelte es sich dabei
um Journalisten oder Off-Topic-Querulanten. Die Zahl der Anrufer sank 2012 auf
15 und 2013 auf 5.
In den ersten zweieinhalb Jahren seines Bestehens konnte das Aussteigerpro-
gramm in einem einzigen Fall vermelden, es habe zum Ausstieg einer Person aus
der autonomen Szene beigetragen, ohne dass die Art der behördlichen Beihilfe
hierzu umfangreich dargelegt wurde.
Die Fragestellerinnen und Fragesteller sehen sich durch diese Zahlen in ihrer be-
reits dargelegten Annahme bestätigt, dass Personen, die aus linken Organisatio-
nen aussteigen wollen, dies einfach tun. Dafür genügt es in der Regel, Gruppen-
plena zu vermeiden, woanders als in der „Volxküche“ zu speisen oder das „junge
Welt“-Abo zu kündigen – dies sind Handlungen, zu denen Personen, die in der
linken Szene aktiv waren, offenbar auch ohne Hilfe des Inlandsnachrichtendiens-
tes imstande sind. Wer sein Engagement in linken Zusammenhängen beenden
will, will offenbar auch nicht die Hilfe des Nachrichtendienstes beim Aufbau ei-
nes neuen Freundeskreises oder bei der Suche nach einem Arbeitsplatz in An-
spruch nehmen.
Wenn die Bundesregierung ausführt, es handele sich bei diesem Aussteigerpro-
gramm ohne Aussteiger „trotz der zahlenmäßig überschaubaren Anzahl von
ernsthaften Anrufern […] um eine sinnvolle Komponente einer mehrdimensiona-
len Bekämpfungsstrategie und zur Wiedereingliederung von ausstiegswilligen
Linksextremisten in die Mehrheitsgesellschaft“, interpretieren die Fragestellerin-
nen und Fragesteller dies als Wunschdenken. Für die Aufrechterhaltung des Pro-
gramms sind aus ihrer Sicht eher zwei andere Punkte wichtig: Zum einen das
Prinzip, am „extremismustheoretischen“ Ansatz festzuhalten, der eine Gleichbe-
handlung von islamistischem sowie neofaschistischem „Extremismus“ mit ver-
meintlichem „Linksextremismus“ auch dann vorgibt, wenn er offensichtlich kei-
nen konkreten Nutzen hat, zum anderen die Hoffnung, den einen oder anderen
V-Mann in der linken Szene anzuwerben.

Drucksache 18/13164 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

In der Annahme, dass angesichts geringer Fallzahlen der Arbeitsaufwand leicht
zu bewältigen sein wird, bitten die Fragestellerinnen und Fragesteller um eine
umfassende, vollständige und einzelfallbezogene Beantwortung der nachfolgen-
den Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Kontaktaufnahmen hat das Aussteigerprogramm seit Beantwor-

tung der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksa-
che 18/572 verzeichnet (bitte nach Jahren aufgliedern)?
a) Wie erfolgten diese Kontaktaufnahmen (bitte Medium angeben, ob tele-

fonisch oder per E-Mail oder anderweitig)?
b) Wie viele Kontaktaufnahmen erfolgten von Personen, bei denen eine Aus-

stiegsbereitschaft angenommen wurde, und wie viele von Angehörigen
solcher Personen (bitte für den Fall von Mehrfachtreffern angeben, um
wie viele ausstiegswillige Personen es sich bei sämtlichen Kontaktaufnah-
men insgesamt handelte)?

c) Wie viele Kontaktaufnahmen erfolgten aus anderen Gründen (Journalis-
tenanfragen, Off-Topic usw.)?

2. Wie viele der ausstiegswilligen Personen, die Kontakt aufnahmen bzw. deren
Angehörige Kontakt aufnahmen, waren zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme
mit Ermittlungsverfahren konfrontiert oder befanden sich in Haft?

3. Welches sind „überzeugende Gründe“ für den Ausstieg aus der linken Szene
(vgl. Antwort zu Frage 1d der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf
Bundestagsdrucksache 17/11412), und wie ermitteln die Mitarbeiter des
BfV, ob diese Gründe vorliegen?

4. Welche Gründe haben die ausstiegswilligen Personen bzw. deren Angehö-
rige für die Kontaktaufnahme mit dem BfV angegeben?
Welchen konkreten Hilfsbedarf haben sie genannt?

5. Welche Angaben machten ausstiegswillige Personen – falls es sie gab –, wa-
rum sie nicht einfach aussteigen, sondern um Hilfestellung des BfV bitten?
a) Worin genau liegt bei diesen Anrufern die Hilfebedürftigkeit (bitte voll-

ständig aufzählen)?
b) Welche Angebote hat das BfV gemacht, praktische Hilfe zu leisten?
c) Inwiefern wurden diese Angebote in der Folge auch tatsächlich umgesetzt

(bitte Fallzahlen nennen und Art der Hilfestellung konkret darlegen)?
d) Welche Kosten sind dabei entstanden (inkl. Fahrtkostenerstattung für die

kontaktierenden Personen)?
e) Sofern keine praktische Umsetzung erfolgte, warum nicht?

6. Wie viele Erstkontaktaufnahmen führten zu Folgegesprächen?
7. Wie viele Personen sind letztlich – nach Einschätzung der Bundesregie-

rung – mit Hilfe des BfV aus der linken Szene ausgestiegen, und worin lag
in diesen Fällen die Rolle des Aussteigerprogramms?
a) Aus welchen Bundesländern stammen diese Personen, wie viele sind

weiblich oder männlich, und welche Angaben kann die Bundesregierung
zur Altersstruktur machen?

b) Wie viele dieser Personen waren zum Zeitpunkt ihrer Kontaktaufnahme
mit Ermittlungsverfahren konfrontiert bzw. in Haft (bitte Gründe angeben
und darlegen, inwiefern das Ermittlungsverfahren zu einer Strafe führte)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13164
c) In welchen Spektren waren diese Personen zuvor aktiv, und was ist deren
politisches Markenzeichen?

d) Welche Funktion hatten diese Personen in diesen Spektren?
e) Wie lange hatten sie diesen Spektren angehört?
f) Worin genau lag in diesen Fällen der Unterstützungsbedarf, inwiefern

wurde diesem entsprochen, und welche Kosten sind dabei entstanden
(bitte vollständig anführen)?

8. Ist der Bundesregierung bekannt geworden, dass es im Bereich der linken
Szene zu Fememorden oder Aufrufen dazu gegen Aussteiger kommt (bitte
ggf. darlegen)?

9. Konnten manche der Personen, die Kontakt aufnahmen, als V-Leute ange-
worben werden, und wenn ja, wie viele?

10. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der bisherigen
Arbeit des Aussteigerprogramms für dessen weitere Konzipierung bzw. Ar-
beit?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, dass laut Analysen des Bundeskriminal-
amtes ein hoher Anteil von Straftaten z. B. gegen Flüchtlingsunterkünfte von
Personen unternommen werden, die nicht pauschal dem rechtsextremisti-
schen Spektrum zuzuordnen sind?
Wie bewertet sie in diesem Zusammenhang Tendenzen zu Rassismus und
Gewaltbereitschaft in der sogenannten Mitte der Gesellschaft?

12. Erwägt die Bundesregierung, ein Aussteigerprogramm für Extremisten der
Mitte aufzulegen (bitte begründen)?

Berlin, den 18. Juli 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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