BT-Drucksache 18/13074

Rheinmetall und andere Rüstungsunternehmen in der Türkei und den Golfstaaten und die Internationalisierung des Rüstungsgeschäfts

Vom 29. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13074
18. Wahlperiode 29.06.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko,
Susanna Karawanskij und der Fraktion DIE LINKE.

Rheinmetall und andere Rüstungsunternehmen in der Türkei und den Golfstaaten
und die Internationalisierung des Rüstungsgeschäfts

Der saudische Vize-Wirtschaftsminister el Tarajri wies in einem „Spiegel“-In-
terview darauf hin, dass Saudi-Arabien bald keine Waffen mehr aus Deutschland
brauche: „Wir versuchen, hier eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen, natür-
lich mit dem Know-how ausländischer Firmen. Daran kann sich jeder beteiligen,
auch Deutschland, aber wir werden niemanden zwingen“ (www.spiegel.de/
politik/ausland/angela-merkel-in-saudi-arabien-interview-mit-saudischem-vize-
wirtschaftsminister-a-1145485.html). Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
sagte mit Verweis auf das während ihres Besuchs in Saudi-Arabien am 30. April
2017 geschlossene Abkommen der Verteidigungsministerien für die Ausbildung
saudischer Militärkräfte in Deutschland: „Wir können nicht überall auf der Welt
deutsche Soldaten haben, aber wir können sehr wohl unser Know-how weiterge-
ben.“ Deutschland unterstütze, dass Länder zunehmend selber „den Kampf auch
durchführen können.“
Deutschland beteiligt sich bereits an diesem Know-how-Transfer. Abgesehen von
der G36-Fabrik errichtete Saudi Arabien erst 2016 gemeinsam mit dem südafri-
kanischen Unternehmen Rheinmetall Denel Munition (Pty) Ltd, welches zu
51 Prozent dem Düsseldorfer Konzern Rheinmetall AG gehört, eine Munitions-
fabrik im Wert von 240 Mio. US-Dollar. Dort können seither täglich bis zu 300 Ar-
tilleriegranaten oder 600 Mörsergranaten hergestellt werden – ohne in die deutsche
Rüstungsexportstatistik einzufließen (www.welt.de/wirtschaft/article164153317/
Ueber-Umwege-kommt-Saudi-Arabien-weiter-an-deutsche-Waffen.html). Seit
Jahren weitet die Rheinmetall AG ihre Geschäfte international aus. Die Rheinme-
tall AG hat sich durch Tochter- und Gemeinschaftsunternehmen, die im Ausland
fertigen, umfassende Möglichkeiten geschaffen, Exportbeschränkungen zu um-
gehen. Ist die Lieferung aus Deutschland rechtlich nicht möglich, wird z. B. aus
Italien oder Österreich geliefert. Geht auch das nicht, weicht man auf Fabriken in
Südafrika aus, wo es deutlich leichter ist, an Genehmigungen zu kommen. Diese
als „Internationalisierung“ bezeichnete Strategie des Konzerns ist derzeit wirt-
schaftlich erfolgreich, aber politisch und ethisch mehr als fragwürdig (https://
urgewald.org/presse/rheinmetall-munitionsexporte-ohne-grenzen).
Beteiligt sind neben der deutschen Muttergesellschaft auch Tochterfirmen und
Beteiligungen in Südafrika (Rheinmetall Denel Munition (Pty) Ltd – RDM) oder
Italien (RWM Italia S.p.A.). RDM half bereits beim Aufbau von Munitionsfabri-
ken in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi-Arabien. Saudische
Sicherheitskräfte verfügen zudem über Granaten vom Typ HE-DP92. Dieser Typ
wird von RWM Arges GmbH hergestellt, einer österreichischen Tochter von
Rheinmetall. Ganz gleich, wo die Gewinne anfallen, sie fließen in die Kassen des

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Konzerns zurück (www.zeit.de/2016/45/rheinmetall-ruestungskonzern-internatio-
nalisierung-export-kontrollen).
Die Rheinmetall Defence Türkei (RDT), eine 100-prozentige Tochter, dient als
Repräsentanz des Unternehmens in der Türkei. Als Tochter, mit einem Anteil von
90 Prozent, betreibt der Gesamtkonzern laut Geschäftsbericht dort bereits das Un-
ternehmen Rheinmetall Savunma Sanayi Anonim Şirketi in Ankara. Zudem ist
man mit 40 Prozent an Rheinmetall BMC Savunma Sanayi Ve Ticaret A.S.
(RBSS) beteiligt. BMC gehört zu den beiden Unternehmen, mit denen Rheinme-
tall in das Panzergeschäft einsteigen will. Die andere Firma, Etika Strategi, ist in
Malaysia ansässig (www.stern.de/wirtschaft/news/stern-exklusiv--rheinmetall-
beteiligt-sich-an-panzerproduktion-in-tuerkei-7357932.html). Eigentümer von BMC
ist der Geschäftsmann Ethem Sancak, ein enger Freund des türkischen Präsidenten
Recep Tayyip Erdoğan (www.stern.de/wirtschaft/news/rheinmetall-baut-panzer-
in-der-tuerkei---der-absolute-wahnsinn--7367184.html).
Durch diese Internationalisierung ist Saudi-Arabien auch ein großer Nutzer des
Eurofighter-Kampfjets, an dem wiederum deutsche Firmen maßgeblich beteiligt
sind. Die Bestellung über 72 Jets wurde über die britische Regierung abgewickelt,
ein Regierung-zu-Regierung-Geschäft. Diese Eurofighter werden auch in Groß-
britannien zusammengebaut, mit Lieferungen aus Deutschland und dem Endkun-
den Saudi-Arabien. Im Jahr 2015 entfiel ein Großteil des Saudi-Arabien-Export-
wertes auf die Lieferung von Fahrgestellen für unbewaffnete Transportfahrzeuge
nach Frankreich – die anschließend mit französischer Ausfuhrgenehmigung
nach Saudi-Arabien ausgeführt werden (www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/
article164160683/Lieferung-auf-Umwegen.html).
Ziel der Internationalisierung ist nicht zuletzt, statt nur mit auch ohne Genehmi-
gung der Bundesregierung zu profitieren sowie eine Diskussion über Exporte in kont-
roverse Staaten zu umgehen (www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/rheinmetall-
tuerkei-ruestung-panzer-fabrik-exporte/seite-2). So bleibt die Waffenproduktion
ein lukratives Geschäft und die Bundesregierung muss nicht zwischen „Moral“
und „Wirtschaftsinteressen“ schwanken (www.deutschlandfunk.de/kaum-gebremst-
deutsche-waffen-fuer-nahost.862.de.html?dram:article_id=381431).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchem Wert wurden Kriegswaffen jeweils in die Türkei in den Jahren

2015, 2016 und 2017 (bis zum 30. April 2017) tatsächlich ausgeführt (bitte
nach Jahr und Ausfuhrlistennummer und unter Angabe der genaueren Be-
zeichnung der Waffen und dem jeweiligen Gesamtwert je Ausfuhrlistennum-
mer aufschlüsseln)?

2. In welchem Wert wurden sonstige Rüstungsgüter in die Türkei in den Jahren
2015, 2016 und 2017 (bis zum 30. April 2017) tatsächlich ausgeführt (bitte
nach Jahr und Ausfuhrlistennummer und unter Angabe der genaueren Be-
zeichnung der Waffen und dem jeweiligen Gesamtwert je Ausfuhrlistennum-
mer aufschlüsseln)?

3. Für den Export welcher Rüstungsgüter hat der Bundessicherheitsrat und der
Vorbereitende Ausschuss in den Jahren 2012 bis 2017 abschließende Geneh-
migungsentscheidungen bezogen auf
a) die Türkei,
b) Saudi-Arabien,
c) die Vereinigten Arabischen Emirate,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13074
d) Katar und
e) Bahrein
getroffen (bitte entsprechend der Jahre unter Angabe der Art des Exportgu-
tes, der Anzahl, der Antragsteller und des Gesamtvolumens in Euro auflis-
ten)?

4. Für den Export welcher Rüstungsgüter hat der Bundessicherheitsrat und der
Vorbereitende Ausschuss in den Jahren 2012 bis 2017 Genehmigungen be-
zogen auf
a) die Türkei,
b) Saudi-Arabien,
c) die Vereinigten Arabischen Emirate,
d) Katar und
e) Bahrein
abgelehnt (bitte entsprechend der Jahre unter Angabe der Art des Exportgu-
tes, der Anzahl, der Antragsteller und des Gesamtvolumens in Euro auflis-
ten)?

5. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass bei den unterhalb der Lei-
tungsebene aufgabenbedingten regelmäßigen dienstlichen Kontakten von
Vertretern des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zu Vertretern
von Rheinmetall, die strategischen Pläne Rheinmetalls sowohl zu der Rüs-
tungskooperation mit MKEK bezüglich von Munition und BMC bezüglich
von Panzern in der Türkei zur Sprache gekommen sind (Bundestagsdrucksa-
che 18/12307, Antwort zu Frage 25)?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung, dass BMC an der Ausschrei-
bung für die Produktion des türkischen Panzers Altay teilnehmen will bzw.
teilnimmt bzw. eine Interessensbekundung abgegeben hat (www.dailysabah.
com/defense/2017/06/17/commission-founded-for-altay-tank-tender-process)?

7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung, dass für BMC einer der Haupt-
gründe für die Kooperation mit Rheinmetall in der RBSS darin besteht, seine
Position als Produzent für Landsysteme durch das Know-how und einen
Know-how-Transfer von Rheinmetall zu stärken (http://eurasianews.de/blog/
rheinmetall-nutzt-tuerkischen-ruestungskonzern-fuer-mega-geschaeft-mit-
katar/)?

8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung, dass Rheinmetall wichtige Er-
fahrungen und Technologien für die gemeinsamen Fertigungs- und Entwick-
lungsprogramme zur Verfügung stellen wird (http://eurasianews.de/blog/
rheinmetall-nutzt-tuerkischen-ruestungskonzern-fuer-mega-geschaeft-mit-
katar/)?

9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum Stand der Gründung einer
Joint Venture Gesellschaft von Rheinmetall mit dem türkischen Rüstungsun-
ternehmen MKEK in der Türkei, deren Aufgabe die gemeinsame Entwick-
lung neuer zukunftsweisender Produkte auf dem Gebiet von Waffensystemen
und Munition sein soll (www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/rheinmetall-
tuerkei-ruestung-panzer-fabrik-exporte)?

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung, dass das staatseigene Unter-
nehmen MKEK für den türkischen Kampfpanzer Altay die 120 Millimeter
Glattrohrkanone zuliefern soll, die beim Leopard von Rheinmetall geliefert
wird (https://www.welt.de/wirtschaft/article157484615/Rheinmetall-moechte-
fuer-Erdogan-Panzer-bauen.html)?

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11. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass die südafrikanische Rhein-

metall Denel Munition (RDM), an der Rheinmetall 51 Prozent hält, beim
Aufbau einer Munitionsfabrik in Saudi-Arabien half (derstandard.at/
2000033813817/Suedafrika-und-Saudi-Arabien-bauen-Munitionsfabrik)?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche), ob die
Produktion in der Munitionsfabrik in Saudi-Arabien läuft, und wenn ja, hat
die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche), in welcher
Stückzahl Artilleriegeschosse mit welchem Kaliber sowie Bomben in den
Jahren 2016 oder 2017 dort hergestellt wurden (bitte entsprechend der Jahre
angeben)?

13. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass in der 240 Mio. US-Dollar teu-
ren Munitionsfabrik in Saudi-Arabien, pro Tag 300 Artilleriegranaten und
bzw. oder 600 Mörsergranaten produziert werden (www.welt.de/wirtschaft/
article164153317/Ueber-Umwege-kommt-Saudi-Arabien-weiter-an-deutsche-
Waffen.html)?

14. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass in der Munitions-
fabrik in Saudi-Arabien 60, 81 und 120 mm Mörsermunition, 105 und 155 mm
Artilleriemunition und Flugzeugbomben mit einem Gewicht von 500 bis
2 000 Pfund produziert werden soll (www.defenceweb.co.za/index.php?option=
com_content&view=article&id=42950:saudi-arabia-opens-munitions-factory-
built-by-rheinmetall-denel-munition&catid=7:Industry&Itemid=116)?

15. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass Rheinmetall Defence
den Großteil des Geschäfts in den NATO-Staaten und Rheinmetall Denel
Munition vor allem – neben Südafrika – in Asien, im Mittleren Osten und in
Südamerika abwickelt (https://netzfrauen.org/2017/05/06/saudiarabia/)?

16. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass
sie durch die Genehmigung der Lieferung von 41 644 sogenannten Artil-
leriemultifunktionszündern an Frankreich zum Einbau in Artillerie, die für
Saudi-Arabien bestimmt ist, mit in Verantwortung für die Toten im Jemen
zu nehmen ist, wo die Munition seitens der von Saudi-Arabien geführten
Militärkoalition eingesetzt wird (www.spiegel.de/politik/deutschland/
ruestungsexporte-bundesregierung-genehmigt-artilleriezuender-fuer-saudi-
arabien-a-1123858.html)?

17. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die an die Vereinigten Arabi-
schen Emirate (VAE) genehmigte Lieferung von mehr als 200 000 Zündern
von Rheinmetall für so genannte Infanteriepatronen im Kaliber 40 mm (ver-
mutlich vorgesehen für Granaten, die mit einem Zusatzgerät von Gewehren
verschossen werden) nicht im Jemen seitens der VAE im Zuge der von
Saudi-Arabien seit März 2015 angeführten Militäroperation zum Einsatz
kommen (http://augengeradeaus.net/2017/04/bundesregierung-genehmigt-
ruestungsexport-in-die-vereinigten-arabischen-emirate/)?

18. Die Lieferung von welchen Teilen und Komponenten für ein mobiles Ge-
fechtsübungszentrum der Rheinmetall AG an die VAE im Wert von
8,4 Mio. Euro sind vom Bundessicherheitsrat konkret genehmigt worden
(http://augengeradeaus.net/2016/11/ein-gefechtsuebungszentrum-fuer-die-
emirate-zumindest-zum-teil/)?

19. Sind Lieferungen von Teilen und Komponenten für ein mobiles Ge-
fechtsübungszentrum der Rheinmetall AG an die VAE vom Bundessicher-
heitsrat nicht genehmigt worden, und wenn ja, um welche Teile und Kom-
ponenten ging es konkret?

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20. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstli-

che), dass im Rahmen des im September 2013 von der Türkei und Saudi-
Arabien ratifizierten Abkommens zur intensiveren verteidigungsindustriel-
len Kooperation ein Rüstungsvertrag mit Saudi-Arabien vor dem Abschluss
steht, der der größte Exportvertrag für die türkische Industrie sein wird
(www.defensenews.com/articles/turkey-in-final-phase-of-secretive-saudi-
export-deal)?

21. Inwieweit sieht die Bundesregierung, dass im Transfer von moderner Rüs-
tungsproduktionstechnologie und entsprechendem Know-how, in Form z. B.
von Joint Ventures, Lizenzen zur Produktion und gemeinschaftlichen Ent-
wicklungen, nicht nur die Gefahr des Aufrüstens nationaler Rüstungsindus-
trien besteht, sondern dieser Transfer auch zu Lasten einer effektiven Rüs-
tungskontrolle geht?

Berlin, den 28. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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