BT-Drucksache 18/1303

Einbindung der Entwicklungszusammenarbeit in politische Strategien in der Osteuropapolitik und Kontakte zu antidemokratischen Kräften in der Ukraine

Vom 2. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1303
18. Wahlperiode 02.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Inge Höger, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

Einbindung der Entwicklungszusammenarbeit in politische Strategien in der
Osteuropapolitik und Kontakte zu antidemokratischen Kräften in der Ukraine

Die Osterweiterung von EU und NATO ist in den vergangenen Jahren im Rah-
men mehrerer multinationaler Programme in einem immer stärkeren Maße ver-
folgt worden. Nach der im Jahr 2004 etablierten „Europäischen Nachbarschafts-
politik“, an der gegenwärtig 16 Länder teilnehmen, wird der Einfluss der EU vor
allem über die im Jahr 2009 komplementär geschaffene „Östliche Partnerschaft“
ausgedehnt. Parallel dazu baut die NATO ihre Kontakte aus und geht neue Ko-
operationen mit Mitgliedern der Staatengruppe zwischen der Ostgrenze der EU
und der Westgrenze Russlands ein.
Verstärkt wurde diese expansive Osteuropapolitik von EU und NATO durch die
andauernde Krise in der Ukraine. Hauptmittel dazu sind weiterhin zivile und
militärische Kooperations- und Assoziierungsabkommen sowie Freihandelsver-
träge. So wurde Mitte März 2014 ein Assoziierungsabkommen der EU mit der
De-facto-Regierung der Ukraine unterzeichnet. Mit Georgien sollen noch im
Juni 2014 statt, wie ursprünglich geplant, frühestens im August 2014 ein
Assoziierungsabkommen und ein Freihandelsabkommen unterzeichnet werden.
Ähnliche Pläne gibt es für weitere Länder des Kaukasus.
Vor allem die Kooperation mit der Ukraine ist unter demokratischen Gesichts-
punkten kritisch zu sehen. Die Führung in Kiew ist bislang nicht demokratisch
legitimiert. Zudem sind an der De-facto-Regierung extrem rechte Politiker der
Partei „Swoboda“ beteiligt, deren Mitglieder durch gewaltsame Übergriffe auf
Journalisten und Andersdenkende auf der Straße und im Parlament auffallen.
Dennoch waren deutsche Diplomaten der Botschaft in Kiew und Vertreter der
CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung nach Medienberichten mit „Swoboda“-
Vertretern in Kontakt und haben sie beraten (DER SPIEGEL, 17. März 2014,
Seite 29). Bei einem Treffen mit dem Fraktionsvorsitzenden der extrem rechten
Partei ,,Swoboda“, Oleg Tjagnibok, hat der deutsche Botschafter in Kiew am
29. April 2013 nach Angaben des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“
(ebd.) ,,auf die Achtung der Menschenwürde und die Einhaltung der Menschen-
rechte hingewiesen“. Dennoch kam es im Zuge der innenpolitischen Krise in der
Ukraine in den vergangenen Monaten zu Übergriffen des „Swoboda“-Abgeord-
neten Igor Miroschnitschenko auf den Chef der Nationalen Fernsehgesellschaft,
Alexander Pantelejmonow, in dessen Büro (http://tinyurl.com/mg4bjd7) sowie
zu Übergriffen von mehreren „Swoboda“-Vertretern auf den Vorsitzenden der
Kommunistischen Partei der Ukraine, Petro Simonenko, im Plenum der
Werchowna Rada (http://tinyurl.com/p9n8ppf).

Drucksache 18/1303 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Zeitgleich zu diesen Ereignissen und ungeachtet der beschriebenen Trends wird
die deutsche Entwicklungshilfe stärker in (geo-)politische Strategien eingebun-
den. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Dr. Gerd Müller, bezeichnete es als eine der Aufgaben seines Ressorts, „Re-
formkräfte in der Ukraine zu stärken“ (DIE WELT, 2. März 2014: „Deutschland
will Hilfen für die Ukraine verdoppeln“, online unter: http://tinyurl.com/
ndotr68). Es ist nicht nur unklar, wer zu diesen Kräften gezählt wird. Auch wird
diese Unterordnung der Entwicklungshilfe unter politische Ziele von Fachorga-
nisationen kritisch bewertet, weil sie Entwicklungshelfer zu politischen Akteu-
ren macht und damit ins Visier von Konflikten rückt. Nach einem Bericht der
Tageszeitung ,,WELT am SONNTAG“ (Artikel vom 2. März 2014/Seite 7) will
das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) die Entwicklungshilfe für die Ukraine dessen ungeachtet und mit einer
explizit politischen Argumentation „um 20 Millionen Euro aufstocken und da-
mit im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppeln“. Die Entwicklungszusam-
menarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine findet derzeit vor allem im
agrarwirtschaftlichen Bereich statt, eine wichtige Rolle dabei spielt der Deutsch-
Ukrainische Agrarpolitische Dialog (http://tinyurl.com/m385tyu).
Als Konsequenz aus der andauernden Krise in der Ukraine will die Bundes-
regierung die Kooperation auch mit Georgien vertiefen und den Abschluss ge-
planter Abkommen beschleunigen, wobei es im Kern um das EU-Assoziie-
rungsabkommen (AA) und das EU-georgische Freihandelsabkommen (DCFTA)
geht; beide Verträge sollen im beschleunigten Verfahren noch im Juni dieses
Jahres abgeschlossen werden (http://tinyurl.com/lc95bqe). Der Parlamentari-
sche Staatssekretär im BMZ, Hans-Joachim Fuchtel, erachtet es laut eigener
Pressemitteilung von 21. März 2014 als wichtig, „dass die Bevölkerung Geor-
giens auch (die damit einhergehenden) Reformen mittrage (http://tinyurl.com/
oe8pgte).
Die entwicklungspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung in Georgien sind
in die sogenannte Kaukasus-Initiative der Bundesregierung eingebunden, die
sich auf Armenien, Aserbaidschan und Georgien erstreckt (http://tinyurl.com/
m65t8xs). Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
GmbH unterhält ein Büro in Tiflis und führt dort ein Programm mit der Bezeich-
nung „Staat und Demokratie“ durch. Derzeit finden in diesem Zusammenhang
drei Einzelprogramme zu öffentlichen Finanzen, Kommunalentwicklung und
Justizreformen statt (http://tinyurl.com/kj8kbkx). Diese Entwicklungszusam-
menarbeit weckt offenbar Hoffnungen auf eine exklusive politische Annäherung
an die EU. Auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Vilnius hatte der ge-
orgische Präsident Giorgi Margwelaschwili in Bezug auf die EU gesagt: „Wir
haben uns vom post-sowjetischen Paradigma abgewandt und nehmen Schritt für
Schritt den uns gebührenden Platz in der europäischen Nationenfamilie ein.“
(APA, 27. März 2014).
Einhergeht die politische, entwicklungspolitische und wirtschaftliche Annähe-
rung mit einer verstärkten militärischen Kooperation. Das georgische Parlament
hat unlängst beschlossen, 150 Soldaten für einen geplanten EU-Militäreinsatz in
der Zentralafrikanischen Republik zu entsenden (http://tinyurl.com/mghrtor).
Nach Darstellung der NATO trägt Georgien „aktiv zu NATO-geführten Opera-
tionen“ bei und arbeite „mit den Alliierten und anderen Partnerländern auf vie-
len Gebieten“ zusammen (http://tinyurl.com/k985xae). Zugleich hat Georgien
nach Angaben der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) enorme wirtschaft-
liche Probleme. Im Jahr 2011 verfügten 27 Prozent der Haushalte in dem Land
noch nicht einmal „über genügend Einkommen für Nahrungsmittel“, heißt es in
einem SWP-Papier (http://tinyurl.com/m3t7mkr). Zugleich verfügt das Land
über einen massiven Militäretat, der einen überdurchschnittlichen Anteil des
Staatshaushaltes beanspruchte (http://tinyurl.com/5fzd3b).

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1303
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Hinweise hat die Bundesregierung darauf, dass sich der erwähnte

Appell des deutschen Botschafters an den Vorsitzenden der Partei
„Swoboda“ auf das Vorgehen dieser extrem rechten Gruppierung positiv
ausgewirkt hat?

2. Welche Folgen haben die zitierten Belege politischer Gewaltbereitschaft
seitens der „Swoboda“ gegen Andersdenkende für die deutsche Ukraine-
Politik im Allgemeinen und die Haltung zur Partei „Swoboda“ im Speziel-
len?

3. Über welche weiterführenden Informationen verfügt die Bundesregierung
in Bezug auf eine Veranstaltung der GIZ, an der laut dem genannten Bericht
des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ Vertreter der Partei „Swoboda“
teilgenommen haben (bitte auch Namen der übrigen Teilnehmer auflisten)?

4. An welchen weiteren Veranstaltungen der GIZ haben Vertreter der Partei
,,Swoboda“ und/oder anderer extrem rechter Kräfte teilgenommen (bitte
Veranstaltungen auflisten)?

5. Zu welchen anderen Parteien und Organisationen in der Ukraine pflegt die
GIZ Kontakte?

6. Will die Bundesregierung eine Förderung von Vertretern der Partei ,,Swo-
boda“ durch Gelder des BMZ und/oder der GIZ künftig verhindern?
Wenn ja, wie?

7. Welche deutschen parteinahen Stiftungen sind nach Kenntnis der Bundes-
regierung in der Ukraine aktiv, und inwieweit stehen Bundesregierung,
Bundesministerien und/oder die GIZ mit ihnen in Kontakt?

8. An welche EZ/TZ-Ziele werden die um 20 Mio. Euro aufgestockten Gelder
des BMZ geknüpft?
a) Welche konkreten Maßnahmen werden derzeit in der Ukraine durchge-

führt?
b) Welche neuen Maßnahmen sind im Zuge der aktuellen politischen und

wirtschaftlichen Krise der Ukraine neu hinzugekommen?
9. Wen zählt die Bundesregierung zu diesen Reformkräften, und zu welchen

Organisationen, Institutionen hält das BMZ Kontakt (bitte auflisten)?
10. Mit welchen konkreten Maßnahmen will das BMZ diese „Reformkräfte“ in

der Ukraine stärken?
11. Wer sind die Partner für das gemeinsam mit dem Ostausschuss der deut-

schen Wirtschaft geplante Stipendienprogramm (DIE WELT, Artikel vom
2. März 2014/Ausgabe 9/Seite 7, online unter: http://tinyurl.com/pbfd83n),
was sind die Ziele, und wie wird die Auswahl der Stipendiaten getroffen?

12. Welche konkreten Maßnahmen sind im Zusammenhang mit dem Aufbau
einer „bürgernahen Verwaltung“ in der Region Lugansk durch das BMZ ge-
plant?

13. Werden die BMZ-Maßnahmen in der Region Lugansk oder anderen Regio-
nen des Landes ausschließlich mit staatlichen Stellen umgesetzt, oder sind
zivilgesellschaftliche Organisationen Teil des Engagements?
Wenn ja, welche (bitte auflisten)?

14. Inwieweit wird die entwicklungspolitische Kooperation zwischen Deutsch-
land und der Ukraine durch den Umstand behindert, dass der „Agrarminister“
der De-facto-Regierung in Kiew, Igor Schwajka, der extrem rechten Partei
„Swoboda“ angehört?

Drucksache 18/1303 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
15. Haben die GIZ, die Bundesregierung und/oder andere Regierungsinstitu-
tionen mit „Agrarminister“ Igor Schwajka bereits Gespräche geführt, und
wenn ja, mit welchem Inhalt?
Sind weitere konkrete Gespräche geplant, und wenn ja, mit welchem Inhalt?

16. Welche Unternehmen sind vor Ort vertreten, und wie bilanziert die Bundes-
regierung in diesem Zusammenhang die seit dem Jahr 2006 laufende Arbeit
des „Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs“, der unter anderem
die Industrialisierung der ukrainischen Landwirtschaft befördern (http://
tinyurl.com/kuclvyf) will?

17. Inwieweit zielt nach Kenntnis der Bundesregierung die Arbeit des Deutsch-
Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs darauf ab, den Zugang für ukraini-
sche Agrarprodukte auf den deutschen und/oder EU-Markt zu fördern und
damit zu nachhaltigen Konsolidierung der ukrainischen Landwirtschaft bei-
zutragen?

18. Inwieweit steht das derzeit verhandelte Assoziierungsabkommen zwischen
der EU und der Ukraine nach Kenntnis der Bundesregierung diesem Markt-
zugang entgegen?

19. Welche Konsultationen mit gesellschaftlich relevanten Organisationen, vor
allem Oppositionsparteien und Gewerkschaften, haben im Zuge des hier be-
schriebenen Verfahrens in Georgien nach Kenntnis der Bundesregierung
stattgefunden, und ist damit nach ihrer Ansicht die demokratische Teilhabe
aller relevanten Gruppen garantiert?

20. Mit welchen Maßnahmen begleiten BMZ und GIZ diese Annäherung
Georgiens an die EU?

21. Inwieweit reagieren BMZ und GIZ auf den beschleunigten Abschluss der
genannten Abkommen?

22. Inwieweit ist die sogenannte Kaukasus-Initiative, die im Zuge des Teil-
bereichs „Demokratie, Kommunalentwicklung und Rechtsstaat“ auch auf
die innenpolitische Entwicklung der genannten Staaten Bezug nimmt, Teil
des politischen Dialogs mit der russischen Regierung?

23. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der eingangs erwähn-
ten Einschätzung des georgischen Präsidenten Giorgi Margwelaschwili,
nach der Georgien sich ausschließlich der EU annähern sollte und demzu-
folge diese Annäherung im Widerspruch zur Einbindung in den postsowje-
tischen Raum stehe?

24. Ist eine Ausweitung des Programms „Staat und Demokratie“ des Tiflis-
Büros der GIZ in Georgien geplant, das in drei Einzelprogramme zu öffent-
lichen Finanzen, Kommunalentwicklung und Justizreformen unterteilt ist,
und, wenn ja, um welche Initiativen soll es erweitert werden?

25. Um welche Strategien geht es bei der Beratung, die nach Darstellung des
GIZ-Programms „Kommunalentwicklung im Südkaukasus“ (http://tinyurl.
com/n5qjvqx) in drei georgische Regionen geleistet wird?

26. Um welche Organisationen der „Zivilgesellschaft“ handelt es sich, die laut
Eigenbeschreibung des GIZ-Programms „Staat und Demokratie“ beraten
wurden (bitte auflisten)?

27. Welche deutschen parteinahen Stiftungen sind nach Kenntnis der Bundes-
regierung in Georgien aktiv, und inwieweit koordinieren sie ihre Arbeit mit
Programmen des BMZ und der GIZ (Programme und Aktivitäten bitte auf-
führen)?

28. Inwieweit wird die Bundesregierung, vor allem über das BMZ und die GIZ,
auf die jüngste politische Entwicklung in der Ukraine reagieren und ihre Re-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1303
gionalprogramme im osteuropäischen und kaukasischen Raum anpassen
bzw. sogar ausweiten?

29. Inwieweit ist die militärische Kooperation nach Kenntnis der Bundesregie-
rung Teil des Assoziierungsprozesses zwischen Tiflis und Brüssel?

30. Welche Auswirkungen hat nach Ansicht der Bundesregierung diese NATO-
Kooperation Georgiens – vor allem im Zusammenhang mit der EU-
Annäherung – auf das Verhältnis der Beteiligten zu Russland?

31. Sind die genannten militärischen Kooperationen Teil des EU-russischen
und/oder des deutsch-russischen Dialogs?

32. Wirkt die Bundesregierung und vor allem das BMZ im Rahmen des bilate-
ralen Dialogs auf eine Umwidmung des Militäretats und/oder auf stärkere
sozialpolitische Maßnahmen hin, und, wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

Berlin, den 30. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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