BT-Drucksache 18/1302

Entwicklungszusammenarbeit und Postkonflikt in Kolumbien

Vom 30. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1302
18. Wahlperiode 30.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Jan van Aken, Christine
Buchholz, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Entwicklungszusammenarbeit und Postkonflikt in Kolumbien

Am 17. Oktober 2012 begannen Friedensverhandlungen zwischen der kolum-
bianischen Regierung und der Guerilla-Organisation FARC-EP (Fuerzas Arma-
das Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo) unter Beteiligung der
Regierungen Kubas und Norwegens als Garanten und Venezuelas und Chiles als
Begleiter des Prozesses in Oslo (Norwegen). Seit November 2012 werden die
Verhandlungen in Havanna (Kuba) geführt.
Mit den Verhandlungen verbindet sich für die Menschen in Kolumbien die Hoff-
nung auf Frieden, auf soziale Gerechtigkeit, auf die Demokratisierung ihrer
Gesellschaft und auf eine politische Lösung des fast fünfzigjährigen internen
bewaffneten Konfliktes.
Im Vorfeld der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die im ersten Halbjahr
2014 stattfinden, warnen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen aller-
dings davor, dass der Fortlauf des Friedensprozesses von reaktionären gesell-
schaftlichen Kräften aufs Spiel gesetzt werden kann. Sie beharren darauf, dass
nur im Dialog und bei einer breiten Beteiligung der sozialen und Menschen-
rechts-Bewegungen eine Lösung für die schwerwiegenden politischen, öko-
nomischen und sozialökologischen Probleme in Kolumbien erreicht werden
kann.
In Kolumbien mehren sich die Proteste von Kleinbauern und indigenen Organi-
sationen gegen die Auswirkungen des Freihandelsabkommens zwischen der
Europäischen Union (EU), Kolumbien und Peru. Die Protestierenden wehren
sich gegen die Auswirkungen des Freihandelsabkommens und fordern eine
landwirtschaftliche Schutzzone gegen die Zerstörung von Saatgut, gegen
Lohndumping, Monokulturen und Vertreibung. Sie fordern, dass eine friedliche
und demokratische Entwicklung in Kolumbien auf einer sozialen und wirt-
schaftspolitischen Grundlage fußen muss, die den Menschen mehr Beteiligung
ermöglicht.
Laut Berichten des spanischsprachigen US-Nachrichtenkanals Univisión und
der kolumbianischen Wochenzeitschrift Semana werden im Zusammenhang mit
den Friedensgesprächen in Havanna deutsche Medienvertreterinnen und -vertre-
ter, kolumbianische Journalistinnen und Journalisten, Mitglieder der Regie-
rungsdelegation und Politikerinnen und Politiker der Opposition von Kolumbiens
Geheimdienst überwacht (siehe www.noticias.univision.com/article/1844448/
2014-02-08/univision-investiga/hackers-militares-espiaron-conversaciones-
entre-las-farc-y-periodistas sowie www.semana.com/nacion/articulo/alguien-
espio-los-negociadores-de-la-habana/376076-3).

Drucksache 18/1302 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Spezialisten des kolumbianischen Militärgeheimdienstes CITEC haben
demnach im großen Stil namhafte Journalisten, Zeitungen und Nachrichten-
agenturen aus dem In- und Ausland ausspioniert. Unter den abgehörten Nach-
richtenagenturen „AP“ (USA), „Reuters“ (USA/GB), „Notimex“ (Mexiko),
„Prensa Latina“ (Kuba), „ EFE“ (Spanien) und „AFP“ (Frankreich) wird auch
die deutsche „dpa“ aufgelistet. Neben der heimischen Tageszeitung „El
Tiempo“, dem kolumbianischen Radioverbund „Radio Caracol“, den TV-Sen-
dern „TVE“ (Spanien), „RTL“ (Luxemburg) ist auch der Mailverkehr „unter
anderem der deutschen Blätter Süddeutsche Zeitung und junge Welt“ mit-
gelesen worden (siehe http://noticias.univision.com/article/1846556/2014-02-
10/univision-investiga/la-lista-de-periodistas-y-medios-afectados-por-la-
interceptacion-militar-en-colombia).
Für die kolumbianische Regierung wurde im Jahre 2013 eine Machbarkeits-
studie zum Aufbau „eines demokratisch legitimierten und kontrollierten Nach-
richtendienstes“ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (BMZ) erstellt (www.noz.de/deutschland-welt/
politik/artikel/1834/niebel-markt-fur-entwicklungszusammenarbeit). Die Nach-
folgeorganisation der D.A.S (Departamento Administrativo de Seguridad)
wurde im Jahr 2012 durch die ANIC (Agencia Nacional de Inteligencia de
Colombia) ersetzt und damit der Versuch unternommen, die Geheimdienststruk-
tur- und Aufgaben zu reformieren (www.taz.de/Geheimdienste-in-Kolumbien/
!81061/).
Das TZ-Vorhaben ProFis IV (Unterstützung der Transitionsjustiz in Kolumbien)
hat zur Aufgabe, die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft, die Ombuds-
behörde und die Richter des Obersten Gerichtshofes bei der juristischen Anwen-
dung des Gesetzes „Gerechtigkeit und Frieden“ zu beraten und bei der Ermitt-
lung von Tausenden von Straftaten unter Einbeziehung Hunderttausenden Opfer
unterstützend zu wirken. Trotzdem ist es der kolumbianischen Regierung bis-
lang nicht gelungen, die früheren und jetzigen paramilitärischen Strukturen
grundlegend aufzuklären und aufzulösen und die Verantwortlichen zu bestrafen
sowie das Recht der Opfer auf Entschädigung, Wahrheit und Gerechtigkeit zu
erfüllen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Liegt dem BMZ die für die kolumbianische Regierung angefertigte Mach-

barkeitsstudie zum Aufbau „eines demokratisch legitimierten und kon-
trollierten Nachrichtendienstes“ vor (www.noz.de/deutschland-welt/politik/
artikel/1834/niebel-markt-fur-entwicklungszusammenarbeit)?
a) Wie hoch waren die Kosten für die Studie, wer hat sie durchgeführt,

wer hat die Studie finanziert, und aus welchem Etat?
b) Zu welchen Ergebnissen und Handlungsvorschlägen kommt die Studie,

und welche Schlüsse zieht das BMZ daraus?
c) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem erneuten

Abhörskandal durch den Militärgeheimdienst CITEC (http://noticias.
univision.com/article/1844448/2014-02-08/univision-investiga/hackers-
militares-espiaron-conversaciones-entre-las-farc-y-periodistas)?

d) Ist der bestehende Geheimdienst ANIC (Agencia Nacional de Inteligencia
Colombiana) im Sinne der Machbarkeitsstudie nach dem Vorbild „eines
demokratisch legitimierten und kontrollierten Nachrichtendienstes“ ge-
staltet (bitte begründen)?

2. Was versteht die Bundesregierung unter „demokratisch legitimierten und
kontrollierten Nachrichtendiensten“ im Allgemeinen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1302
3. Kann nach Ansicht der Bundesregierung der Aufbau eines Geheimdienstes
Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit sein?

4. Wie stuft die Bundesregierung das Abfangen der E-Mails von internationa-
len Medien und „dpa“, „Süddeutsche Zeitung“ und „junge Welt“ aus
Deutschland durch den kolumbianischen Militärgeheimdienst CITEC
(www.jungewelt. de/2014/02-12/060.php) ein?

5. Welche Schritte wird sie unternehmen bzw. hat sie unternommen, um die
journalistische Informationsfreiheit bzw. Pressefreiheit in diesem Falle zu
garantieren und zu schützen?
a) Wie hat die kolumbianische Regierung auf diese Schritte reagiert?
b) Wie hat die kolumbianische Regierung die jüngsten Abhörmaßnahmen

erklärt?
c) Welche über Presseberichte hinausgehenden Erkenntnisse hat die

Bundesregierung zu diesen Abhörmaßnahmen?
d) Welche Maßnahmen sieht die Machbarkeitsstudie vor, um die Einschrän-

kung der Pressefreiheit in Zukunft zu verhindern bzw. die journalistische
Arbeit nicht zu behindern?

6. Wie sehen die Einzelmaßnahmen zur Heranführung kolumbianischer
Sicherheitskräfte an OECD-Standards (OECD = Organisation für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) aus, die sich aus der vom
BMZ zwischen dem 6. Februar 2012 und 30. März 2012 erfolgten Prüfung
des genannten Vorhabens ergeben haben, und wie viel Geld wird aus dem
SFF-Kolumbien zur Finanzierung der Einzelmaßnahme zur Verfügung ge-
stellt (Ausschussdrucksache 17(19)427 vom 6. Dezember 2012)?

7. Welche staatlichen und welche privaten kolumbianische Sicherheitskräfte
werden oder würden bei der Heranführung an OECD-Standards berücksich-
tigt?

8. Was kann die Bundesregierung im Rahmen der zwischenstaatlichen Be-
ziehungen und regelmäßigen Regierungskonsultationen dazu beitragen,
dass die Rechte der Opfer des internen bewaffneten Konfliktes auf Wahr-
heit, Wiedergutmachung, Gerechtigkeit und Nichtwiederholung am Ende
eines Friedensabkommens beachtet werden und die Verbrechen gegen die
Menschlichkeit keine rückwirkende Amnestie erhalten?

9. Wie steht die Bundesregierung grundsätzlich zur Einrichtung einer so-
genannten Wahrheitskommission und/oder zum Ende des Friedens-
prozesses zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC
(www.eltiempo.com/politica/ARTICULO-WEB-
NEW_NOTA_INTERIOR-13754835.html)?

10. Welche Kriterien müssen nach Ansicht der Bundesregierung gelten, damit
sie die Unterstützung zur Einrichtung einer sogenannten Wahrheits-
kommission in Betracht zieht?
Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit der Einbeziehung der zivil-
gesellschaftlichen Akteure bei einer möglichen Einrichtung einer sogenann-
ten Wahrheitskommission (www.justiciaypazcolombia.com/Propuesta-
Comision-de-la-Verdad)?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die zehnjährige Erfahrung mit den
Friedenslaboren im Rahmen der EU-Entwicklungszusammenarbeit mit
Kolumbien?
a) Gibt es eine Evaluierung dieser Projekte (Friedenslabor)?

Drucksache 18/1302 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
b) Wenn ja, welche sind die Ergebnisse?
c) Sieht die Bundesregierung Korrekturbedarf, und wenn ja, welchen?

12. Wie bewertet die Bundesregierung den Verlauf und die bisherige Wirkung
des TZ-Vorhabens „Unterstützung der Transitionsjustiz in Kolumbien
(ProFis IV)“?
a) Ist der Bundesregierung die Tatsache bekannt, dass bislang nur in

20 Gerichtsentscheidungen 49 ehemaligen Paramilitärs verurteilt
wurden, trotz der dazu im Verhältnis stehenden hohen Anzahl von
3 854 Demobilisierten, die unter das Gesetz 975 fallen (siehe
www.giz.de/de/weltweit/13126.html und www.kolko.net/downloads/
fs_demobilisierung_digital.pdf)?

b) Was unternimmt die Bundesregierung, damit das TZ-Vorhaben
„ProFis IV“ zukünftig das Recht der Opfer von Paramilitarismus auf
Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung stärkt und die Gerichts-
barkeit effektiver wird?

13. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Erfahrungen aus der TZ-Maß-
nahme „Förderung von vertrauensbildenden Maßnahmen zur partizipativen
Umsetzung der Umweltordnung (AMEM) in der Region Macarena“,
SerMacarena, bei der Legalisierung des Landbesitzes und der Landrück-
gabe in Kolumbien nutzbar sind?
a) Wenn ja, weshalb?
b) Wenn nein, weshalb nicht?
c) Gibt es eine Evaluierung dieser TZ-Maßnahme?

14. Hat die Bundesregierung bereits Überlegungen angestellt, nach Beendigung
der Pilotphase der genannten TZ-Maßnahme, sie über das Jahr 2013 hinaus
weiterzuführen?
a) Wenn ja, wie lange, und mit wie viel Geld?
b) Könnte diese Maßnahme auf andere Regionen Kolumbiens ausgeweitet

werden?
15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass, um einen dauerhaften

Frieden in Kolumbien zu garantieren, die Einbeziehung aller nichtstaat-
licher Gewaltakteure in ein umfassendes Friedensabkommen notwendig ist?
a) Wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung dafür?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung die Bemühungen der zweitgrößten
Guerillagruppe Kolumbiens, der ELN (Ejército de Liberación Nacional),
an den Friedensverhandlungen mit der kolumbianischen Regierung beteiligt
zu werden?
a) Setzt sich die Bundesregierung für eine Einbeziehung ein?

Berlin, den 30. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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