BT-Drucksache 18/12965

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 22. und 23. Juni 2017 in Brüssel und zum G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg

Vom 27. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12965
18. Wahlperiode 27.06.2017
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Eva Bulling-Schröter, Wolfgang Gehrcke,
Caren Lay, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether
Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Dr. Petra Sitte, Alexander Ulrich und
der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 22. und 23. Juni 2017 in Brüssel und
zum G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der G20-Gipfel in Hamburg am 7. und 8. Juli 2017 findet in einer Zeit wachsender
internationaler Spannungen statt. Die G20-Länder sind die größten Volkswirtschaften
der Erde. Ihr Hunger nach Rohstoffen, ihr Streben nach Kapitalexport, ihr Bedarf an
sicheren Handelswegen sind mitverantwortlich für viele Konflikte, die in den Ländern
ausgetragen werden, die nicht am G20-Gipfel teilnehmen. In Syrien und Jemen finden
grausame Kriege statt, in die Teilnehmer des Gipfels involviert sind und in denen Tau-
sende Menschen sterben. In Ostasien verschärfen sich Konflikte mit globaler Trag-
weite im Südchinesischen Meer und auf der Koreanischen Halbinsel. In Afghanistan
herrschen auch im 16. Jahr des NATO-Einsatzes mit Beteiligung der Bundeswehr
Krieg und Zerstörung. In Afrika, von Mali bis Somalia, können immer neue internati-
onale Einsätze die Gefahr des islamistischen Terrors nicht eindämmen. Im Gegenteil
wächst diese Gefahr und bedroht immer mehr Menschen, auch in Europa. Über 60
Millionen Menschen befinden sich weltweit auf der Flucht vor Krieg und Terror, Ar-
mut und Hunger.
An allen Kriegen verdient auch die deutsche Rüstungsindustrie mit. Sie lieferte in den
vergangenen Jahren mit Genehmigung durch die Bundesregierung Rüstungsgüter in
Länder, die an kriegerischen Konflikten beteiligt sind, wie Saudi-Arabien und die Tür-
kei.
Reichtum und Macht waren noch nie so ungleich verteilt wie heute. Die entwicklungs-
politische Organisation Oxfam spricht davon, dass acht Milliardäre so viel Vermögen
besitzen wie die ärmere Hälfte der Menschheit, also 3,7 Mrd. Menschen, zusammen.

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Auch in den G20-Staaten wächst die soziale Ungleichheit und breiten sich Armut und
Perspektivlosigkeit aus.
Die G20 hat sich einst zusammengefunden, um Schieflagen auf dem Weltfinanzmarkt,
die Ende der 90er Jahre zur Finanzkrise in Asien und von 2008 an in die Weltfinanz-
marktkrise führten, zu korrigieren. Doch sind die Beschlüsse der bisherigen Gipfel
völlig unzureichend, um die Probleme an der Wurzel zu packen. Trotz des aufsehen-
erregenden Panama-Skandals wurden keine Initiativen ergriffen, um Steuerflucht, die
insbesondere in Ländern des Südens verheerende Auswirkungen hat, wirksam zu be-
kämpfen.
Mit der Aushandlung von sogenannten Freihandelsabkommen wollen G20-Regierun-
gen für ihre Konzerne Märkte öffnen, den Zugang zu Rohstoffen sichern und Investi-
tionsfelder erschließen. Das Abkommen zwischen EU und USA (TTIP), das zunächst
am Widerstand der Bevölkerungen gescheitert war, soll möglicherweise doch weiter-
verhandelt werden. Das Abkommen zwischen EU und Kanada (CETA) wird derzeit
ratifiziert und ist bereits vorläufig in Kraft. Derzeit laufen Verhandlungen der EU mit
Japan über ein Freihandelsabkommen (JEFTA). An den Verhandlungen über die Libe-
ralisierung des Dienstleistungssektors (TiSA) sind viele G20-Staaten beteiligt. Diese
Konzernschutzabkommen stellen die Interessen der Konzerne über die Interessen von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern in
den beteiligten Ländern. Sie richten sich auch gegen die Interessen unbeteiligter Län-
der, insbesondere im Süden, indem sie diese von ihren Märkten ausschließen.
Von den Folgen der Erderwärmung sind schon heute einige Regionen der Erde direkt
betroffen, in naher Zukunft werden mit ihnen Mensch und Natur weltweit zu kämpfen
haben. Am härtesten wird es jene Länder treffen, die bislang kaum zum Klimawandel
beigetragen haben und gleichzeitig für dessen Auswirkungen am empfindlichsten sind
– die Staaten des Südens. Gleichwohl leugnet US-Präsident Donald Trump den Kli-
mawandel und hat den Rückzug seines Landes aus dem Pariser Klimaabkommen an-
gekündigt. Im Vorbereitungsprozess des G20-Gipfels wurden, insbesondere auf Druck
der neuen US-Administration, sämtliche Bezüge zum Klimaschutz aus zentralen Do-
kumenten gestrichen. So etwa beim Treffen der Finanzminister der G20 im März 2017
in Baden-Baden. Auch Deutschland ist kein Vorreiter beim Klimaschutz mehr, son-
dern verschleppt Kohleausstieg, Mobilitäts- und Wärmewende. Ob das beim Klima-
gipfel von Paris 2015 verabredete Ziel von maximal 2 Grad Erderwärmung erreicht
werden kann, ist völlig ungewiss.
Die Wahl von Donald Trump in den USA, hohe Wahlergebnisse rechter Parteien in
einigen europäischen Ländern und der Ausgang des Referendums in der Türkei zu-
gunsten einer weiteren Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten Recep
Tayyip Erdoğan zeigen: Rückwärtsgewandte Kräfte profitieren von wachsender Ver-
unsicherung in den G20-Staaten, von der Zuspitzung sozialer Konflikte und von einem
neoliberalen Kulturwechsel hin zu mehr Wettbewerb statt Solidarität.
Zugleich begehren aber auch immer mehr Menschen gegen die globale Ungleichheit,
gegen den Klimawandel und gegen Kriege auf, auch in den G20-Staaten. In den USA
hat die Wahl des Präsidenten Trump zu einer Politisierung vieler junger Menschen
geführt, die für soziale und demokratische Rechte auf die Straße gehen. In Spanien
und Frankreich sind große linke Bewegungen entstanden, die auf der Straße und in
Wahlen Erfolge erzielen konnten. In Brasilien und Argentinien entsteht eine breite Be-
wegung gegen den massiven Sozialabbau der rechten Regierungen. Auch in Deutsch-
land bringen anlässlich des G20-Gipfels viele Menschen ihren Unmut auf die Straße
und demonstrieren für globale Umverteilung, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Kli-
maschutz.
Bereits im Vorfeld versucht der Hamburger Senat, Proteste zu erschweren und zu un-
terbinden: So wurde eine 38 km² große Zone eingerichtet, in der keine politischen Ver-
sammlungen erlaubt sind; das Heiliggeistfeld wird für Versammlungen gesperrt; ein

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Platz für ein Protestcamp ist bis jetzt verhindert worden. Damit werden die Grund-
rechte auf Bewegungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit unverhält-
nismäßig eingeschränkt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für Frieden und Entspannung einzusetzen und die Auslandseinsätze der Bun-
deswehr zu beenden,

2. Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen, auch indem sämtliche Waffenexporte so-
fort gestoppt werden,

3. sich der Politik des „Regime Change“, die der Anmaßung, vor allem westlicher
Länder, folgt, über die Regierung und Regierungsform in anderen Ländern zu
entscheiden, entgegenzustellen,

4. sich in der Europäischen Union (EU) dafür einzusetzen, dass die Verhandlungen
über ein Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) nicht wieder aufgenommen
und die Verhandlungen mit Japan (JEFTA) gestoppt werden, dass die vorläufige
Inkraftsetzung des Abkommens mit Kanada (CETA) aufgehoben wird und dass
die EU aus den Verhandlungen über ein globales Dienstleistungsabkommen
(TiSA) aussteigt,

5. sich dafür einzusetzen, dass die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) der
EU mit afrikanischen Staatengruppen außer Kraft gesetzt und Verhandlungen
über gerechte Handelsabkommen aufgenommen werden, die die Entwicklungs-
interessen der afrikanischen Partner in den Mittelpunkt stellen,

6. darauf zu verzichten, ein Bekenntnis zu offenen Märkten und Freihandel in der
G20-Abschlusserklärung zu verankern,

7. sich für eine Reform und Stärkung der Vereinten Nationen (VN), insbesondere
ihrer sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Kompetenzen, einzusetzen, etwa
indem die Welthandelsorganisation (WTO) unter ihr Dach gestellt und die Auf-
sicht über Weltbank und Weltwährungsfonds ihr übertragen wird, um Beratungs-
formate wie G20 und G7 zu überwinden,

8. zur Stärkung der VN auf die Vorschläge der Stiglitz-Kommission aus dem Jahr
2009 Bezug zu nehmen und sich für die Einrichtung einer globalen Wettbewerbs-
behörde, einer obersten Regulierungsbehörde für Finanzprodukte und einen Rat
für globale wirtschaftspolitische Koordination einzusetzen,

9. sich für ein verpflichtendes öffentliches Country-by-Country-Reporting für mul-
tinationale Konzerne einzusetzen, um Steuerfluchtpraktiken zu verhindern,

10. einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorzulegen
und sich im Rahmen der EU und der VN für die Einführung einer solchen Steuer
einzusetzen,

11. sich aktiv an den internationalen Verhandlungen, insbesondere in den VN, über
die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens zu beteiligen,

12. ungeachtet des angekündigten Rückzugs der USA aus dem Pariser Klimaabkom-
men darauf hinzuwirken, dass auf dem G20-Gipfel in Hamburg ein klares Signal
gesendet wird, dass von den Teilnehmerstaaten die Erfordernisse des Abkom-
mens verstanden und unterstützt werden und dass der UN-Prozess zur Minderung
der Treibhausgasemissionen, zur Anpassung an den bereits zu einem gewissen
Grade unvermeidbaren Klimawandel sowie zur Klimafinanzierung im Rahmen
des Übereinkommens von Paris gestärkt wird,

13. darauf hinzuwirken, dass innerhalb des UN-Prozesses die Transferzahlungen an
den globalen Süden zur Klimafinanzierung so ausgestaltet werden, dass tatsäch-

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lich zusätzliche öffentliche Mittel aus dem globalen Norden ab 2020 im verein-
barten Umfang von 100 Mrd. US-Dollar jährlich (bis dahin aufwachsend) und ab
2025 in einem deutlich höheren Volumen fließen, welche den anstehenden Auf-
gaben für Klimaschutz und Anpassung im globalen Süden angemessen sind, so-
wie darauf, dass die Mittel für Anpassungsmaßnahmen vorrangig jenen Gesell-
schaftsgruppen und Regionen zufließen, die besonders benachteiligt bzw. am
meisten verwundbar sind, und

14. dafür Sorge zu tragen, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit wie auch
die Bewegungsfreiheit für die Bürgerinnen und Bürger während des Gipfels ge-
währleistet werden.

Berlin, den 27. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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