BT-Drucksache 18/12954

Wahlrecht im Justizvollzug

Vom 27. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12954
18. Wahlperiode 27.06.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Kersten Steinke,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Wahlrecht im Justizvollzug

Die Wahlbeteiligung der Insassen von Justizvollzugsanstalten (JVA) an
Parlamentswahlen gilt generell als sehr gering (www.minilex.de/a/welche-
grundrechte-haben-gefangene). Die Ursachen dafür liegen nach Ansicht der Fra-
gesteller auch in den rechtlichen und tatsächlichen Einschränkungen begründet,
denen Strafgefangene bei der Ausübung ihrer politischen Rechte unterworfen
sind. Zwar unterliegt der Strafvollzug den Ländern, doch bei den Wahlen zum
Deutschen Bundestag handelt es sich um eine Bundesangelegenheit von hoher
Bedeutung, so dass nach Überzeugung der Fragesteller die grundsätzliche The-
matik des Wahlrechts im Justizvollzug ebenfalls von Bundesbedeutung ist.
Es besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit der Einrichtung eines beweglichen
Wahlvorstandes innerhalb einer JVA, doch in der Regel beschränkt sich die Mög-
lichkeit der Gefangenen, ihr Wahlrecht auszuüben, auf die Briefwahl (Bundes-
tagsdrucksache 18/386). Wie die Fragesteller von Strafgefangenen erfahren ha-
ben, ist schon die Notwendigkeit, das Anforderungsschreiben für die Briefwahl-
unterlagen mit Briefporto zu versehen für solche Gefangenen, die über nur sehr
geringe finanzielle Mittel verfügen, eine Hürde.
Während Parteien laut Grundgesetz die Funktion zukommt, an der politischen
Willensbildung mitzuwirken, ist dieser gerade im Wahlkampf wichtige Auftrag
im Strafvollzug erheblich eingeschränkt. So verlieren Personen, die aufgrund ei-
nes Verbrechens zu mindestens einem Jahr Haft verurteilt wurden, nach § 45 Ab-
satz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) für fünf Jahre ihr passives Wahlrecht sowie
nach § 10 Absatz 1 Satz 4 das Recht, einer Partei anzugehören oder beizutreten.
Letztere Regelung ist ein Relikt eines Ehrenstrafrechts, das die Aberkennung der
bürgerlichen Ehrenrechte noch kannte. Der dahinterstehende Gedanke lautete,
dass sich durch eine kriminelle Tat zugleich die politische Unwürdigkeit eines
Täters zeige und er damit nicht ehrbar genug etwa zur Ausübung politischer Äm-
ter oder der Mitgliedschaft in einer Partei sei (www.sueddeutsche.de/politik/
deutsches-strafrecht-wahlbuerger-hinter-gittern-1.1442183).
§ 45 Absatz 5 StGB sieht zudem die Möglichkeit vor, dass per Richterspruch bei
bestimmten politischen Straftaten das aktive Wahlrecht für eine Dauer von zwei
bis fünf Jahren aberkannt wird. Die Spannbreite der Straftaten, bei denen eine
solche Sanktionierung möglich ist, reicht von „Verunglimpfung des Bundesprä-
sidenten“ über Hoch- und Landesverrat bis zur „Vorbereitung eines Angriffskrie-
ges“. Dass diese Maßnahme jährlich nur noch in einem unteren einstelligen Be-
reich zum Tragen kommt, belegt nach Meinung von kritischen Juristen die Über-
flüssigkeit dieser Vorschriften (www.sueddeutsche.de/politik/deutsches-straf-
recht-wahlbuerger-hinter-gittern-1.1442183).

Drucksache 18/12954 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Statistiken oder Schätzungen über die Höhe der Wahlbeteiligung der
Insassen von Justizvollzugsanstalten an Bundestagswahlen – und nach
Kenntnis der Bundesregierung Kommunal- und Landtagswahlen – liegen der
Bundesregierung vor?

2. Was kann die Bundesregierung generell über die Wahlbeteiligung von Un-
tersuchungs- und Strafgefangenen sagen?
Welche Gründe für eine gegebenenfalls niedrige Wahlbeteiligung sind ihr
bekannt?

3. Inwieweit hält die Bundesregierung die Wahlbeteiligung von Strafgefange-
nen im Sinne der Resozialisierung für wünschenswert?

4. Welche generellen Möglichkeiten haben Parteien nach Kenntnis der Bundes-
regierung, um auch innerhalb von Justizvollzugsanstalten gegenüber Unter-
suchungs- und Strafgefangenen sowie Sicherungsverwahrten ihrem grund-
gesetzlichen Auftrag der Mitwirkung an der politischen Willensbildung
nachzukommen sowie Wahlkampf zu betreiben?
a) Inwieweit und mit welchen möglichen rechtlichen Einschränkungen ha-

ben Untersuchungs- und Strafgefangene sowie Sicherungsverwahrte das
Recht, sich Informations- und Werbematerialien von politischen Parteien
ins Gefängnis schicken zu lassen?

b) Inwieweit und mit welchen möglichen rechtlichen Einschränkungen kön-
nen politische Parteien Informations- und Werbematerialien zur Vertei-
lung durch die JVA-Bediensteten an Untersuchungs- und Strafgefange-
nen sowie Sicherungsverwahrte schicken?

c) Inwieweit und mit welchen möglichen rechtlichen Einschränkungen be-
steht für politische Parteien die Möglichkeit, Informations- und Wahl-
kampfveranstaltungen für Untersuchungs- und Strafgefangenen sowie Si-
cherungsverwahrte innerhalb von JVAs durchzuführen?

d) Inwieweit und mit welchen möglichen rechtlichen Einschränkungen be-
stehen die in den Fragen 4a bis 4c erfragten Rechte auch für ausländische
politische Parteien gegenüber inhaftierten ausländischen Staatsbürgern,
etwa im Hinblick auf die Möglichkeit der Teilnahme an Referenden oder
Parlamentswahlen im jeweiligen Herkunftsland des Gefangenen?

5. Inwieweit und unter welchen Umständen befürwortet die Bundesregierung
grundsätzlich die Einrichtung mobiler Wahlvorstände und Urnen in JVAs,
um die Wahlbeteiligung von Strafgefangenen zu erleichtern?

6. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass das zur Anforde-
rung von Wahlunterlagen notwendige Briefporto für Gefangene mit äußerst
begrenzten finanziellen Mitteln eine Hürde zur Teilnahme an Wahlen dar-
stellen kann, und welche Alternativen gibt es?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12954
7. Inwieweit hält die Bundesregierung §10 Absatz 1 Satz 4 des Parteiengesetzes
(PartG) noch für zeitgemäß angesichts der Tatsache, dass das Ehrenstrafrecht
mit der großen Strafrechtsreform der 1950er- und 1960er-Jahre als resoziali-
sierungsfeindlich eingestuft wurde?
a) Wie begründet die Bundesregierung die aufgrund dieses Gesetzes beste-

hende Notwendigkeit, Personen bei einer Freiheitstrafe von mehr als ei-
nem Jahr das Recht auf Mitgliedschaft in einer Partei zu entziehen?

b) Hält die Bundesregierung an ihrer auf Bundestagsdrucksache 17/6203 in
der Antwort zu Frage 2 geäußerten Ansicht fest, wonach der Einfluss von
erheblich straffällig gewordenen Personen auf die politische Willensbil-
dung innerhalb einer Partei und durch eine Partei beschränkt werden
müsse?
Wenn ja, wie begründet sie ihre Ansicht?

c) Hält die Bundesregierung an ihrer in der Antwort zu Frage 1 auf Bundes-
tagsdrucksache 17/6203 geäußerten Ansicht fest, wonach §10 Absatz 1
Satz 4 PartG lediglich eine „gewisse Beschränkung“ des Einflusses einer
Person auf die politische Willensbildung darstelle?
Wenn ja, welche sonstigen Möglichkeiten der Einflussnahme auf die po-
litische Willensbildung hat eine erheblich straffällige Person nach Kennt-
nis der Bundesregierung außer der Mitwirkung in einer Partei?

d) Wie verträgt sich §10 Absatz 1 Satz 4 PartG mit dem in Artikel 9 des
Grundgesetzes garantierten Recht auf Vereinigungsfreiheit?

e) Wie ist §10 Absatz 1 Satz 4 PartG nach Ansicht der Bundesregierung
praktisch umzusetzen, und welche Probleme bei der Umsetzung – etwa
durch fehlende Kenntnis einer Partei über die Verurteilung ihres Mitglie-
des – ergeben sich nach Kenntnis der Bundesregierung?

8. In wie vielen Fällen und bei welchen Delikten, aufgeschlüsselt nach den ein-
zelnen Jahren, kam § 45 Absatz 5 StGB seit dem Jahr 1990 zur Anwendung?

9. Inwieweit hält die Bundesregierung angesichts der laut Bundestagsdrucksa-
chen 18/386 und 16/12622 sich in einem niedrigen einstelligen Bereich be-
wegenden Aberkennungen des aktiven Wahlrechts nach § 45 Absatz 5 StGB
diesen Paragraphen noch für sinnvoll und zeitgemäß?

10. Inwieweit besteht durch Bundes- oder, nach Kenntnis der Bundesregierung,
Landesgesetze ein Überwachungsverbot von Wahlpost eines Gefangenen
(Wahlbenachrichtigungen, Wahlscheinantrag, Wahlschein, Stimmzettel)?
Welchen gesetzgeberischen Bedarf sieht die Bundesregierung hier gegebe-
nenfalls?

Berlin, den 26. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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