BT-Drucksache 18/12937

Östliche Partnerschaft für Frieden und Zusammenarbeit in ganz Europa nutzen

Vom 27. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12937
18. Wahlperiode 27.06.2017
Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander
S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Östliche Partnerschaft für Frieden und Zusammenarbeit in ganz Europa
nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Östliche Partnerschaft (ÖP) als Teil der EU-Nachbarschaftspolitik war am 7. Mai
2009 ins Leben gerufen worden, um die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Weiß-
russland, Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Georgien aus dem Einflussbereich
der Russischen Föderation zu lösen und ihnen eine Perspektive zur Annäherung an die
Europäische Union (EU) zu eröffnen. Die Länder sollten bei politischen Reformen
unterstützt und wirtschaftlich an den EU-Binnenmarkt herangeführt werden. Ausdruck
dieser politischen Agenda sind die Assoziierungsabkommen, die die EU mit der Uk-
raine, Moldau und Georgien abschließen konnte.
In den Assoziierungsabkommen verpflichten sich die Vertragspartner, ihre Zölle ab-
zusenken bzw. abzuschaffen, Dienstleistungen zu liberalisieren und die öffentlichen
Beschaffungsmärkte zu öffnen. Die neoliberale marktwirtschaftliche Ordnung der EU
wurde in den Assoziierungsabkommen als Leitbild für die Reformierung der Volks-
wirtschaften in den ÖP-Ländern angelegt, ungeachtet der wirtschaftlichen und sozialen
Verwerfungen in der EU infolge der Finanzmarktkrise. Marktöffnung und marktradi-
kale Reformen führten jedoch bereits zuvor zu einer weitgehenden Zerstörung indust-
rieller Produktionskapazitäten. Die Transformation ging einher mit Korruption und
Schattenwirtschaft sowie der Herausbildung politisch-ökonomischer Elitenetzwerke.
Vor allem in der Ukraine und in der Republik Moldau kam es zu einer regelrechten
Oligarchisierung von Politik und Wirtschaft.
Die Abkommen verschärften die Spannung mit der Russischen Föderation und befeu-
ern die aktuellen und eingefrorenen Konflikte in Osteuropa. Die Ukraine, die Republik
Moldau und Georgien sind wirtschaftlich unterschiedlich stark mit den Ländern der
Eurasischen Wirtschaftsunion (Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Russland und Weiß-
russland) verbunden. Mit der Errichtung der Integration in den EU-Binnenmarkt wer-
den die Wirtschaftssektoren, die vom Export in die Eurasische Wirtschaftsunion ab-
hängen, vor große Probleme gestellt. Die jahrzehntelange tiefe wirtschaftliche Verbin-
dung zwischen den ÖP-Ländern und Russland zu zerschlagen, ist kein Beitrag zu einer

Drucksache 18/12937 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
auf Entspannung ausgerichteten Ostpolitik. Zumal die Abkommen neben der wirt-
schaftlichen und politischen Zusammenarbeit auch militärische Aspekte umfassen, die
darauf abzielen, die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien näher an die Außen-
und Sicherheitspolitik der EU und damit auch der NATO heranzuführen.
In der Ukraine hat die Auseinandersetzung um den Abschluss des Assoziierungsab-
kommens mit der EU den ohnehin vorhandenen Konflikt um die wirtschaftliche und
geopolitische Ausrichtung verschärft. Die Handelsliberalisierung als Kernelement des
Abkommens hat bestehende wirtschaftliche Verflechtungen vor allem im Osten der
Ukraine in Frage gestellt und so die bestehende Spaltung der ukrainischen Gesellschaft
befeuert. Der Sturz der Regierung Janukowitschs im Zuge der Maidan-Proteste und
der anschließende Bürgerkrieg im Osten der Ukraine wurzeln auch in diesem Konflikt.
Wäre die Annäherung der ÖP-Staaten an die EU ohne Beschädigung ihrer Beziehun-
gen zu Russland vonstattengegangen, hätte im Ergebnis des Prozesses ein gesamteu-
ropäischer Raum der Kooperation stehen können, der die EU, Russland und alle geo-
graphisch dazwischen liegenden Staaten umfasst hätte. Leider hat sich die EU für einen
anderen, einen konfrontativen Weg entschieden. Für viele Länder aus dem Bereich der
früheren Sowjetunion ist die Entscheidung zwischen EU und Russland als Partner je-
doch eine Zerreißprobe. Deutschland und die EU täten gut daran, die Partnerländer
nicht vor diese Entscheidung zu stellen. Vielmehr müssen gute wirtschaftliche und
außenpolitische Beziehungen in beide Richtungen möglich bleiben. Dies wäre im
Sinne einer neuen dauerhaften Friedensordnung in Europa.
Der nächste Gipfel der ÖP wird im November 2017 in Brüssel stattfinden. Für die EU
hat die Umsetzung der Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Georgien und der
Republik Moldau weiterhin hohe Priorität. Doch ist dieser Standpunkt nicht mehr re-
alitätstauglich. Das Abkommen mit der Ukraine konnte nach dem ablehnenden Refe-
rendum in den Niederlanden vom 6. April 2016 nur durch eine sogenannte rechtlich
verbindliche Erklärung (15. Dezember 2016) des Europäischen Rats gerettet werden,
die vorgibt, den im Referendum zum Ausdruck gekommenen Bedenken Rechnung zu
tragen. Dieses Vorgehen ignoriert ein weiteres Mal den demokratischen Willen der
Bevölkerung eines Mitgliedstaates.
Der Präsident der Republik Moldau, Igor Dodon, hat nach seiner Wahl im November
2016 die Assoziierung mit der EU offen in Frage gestellt und einen Kurswechsel an-
gekündigt. Viele Arbeitsmigranten aus Moldau arbeiten in Russland und versorgen mit
ihrem Lohn ihre Familien zuhause. Ihre Kaufkraft ist wesentlich für die wirtschaftliche
Entwicklung des Landes. Dazu kommen kulturelle und politische Bindungen zu Russ-
land in Teilen der Bevölkerung. Das Assoziierungsabkommen mit der EU ist deshalb
in der Bevölkerung umstritten.
Mit Armenien gestaltet sich selbst die Verhandlung eines Rahmenabkommens schwie-
rig, weil Armenien auf eine Vorrangklausel für die Bestimmungen der Eurasischen
Wirtschaftsunion bestand, in der ehemalige Sowjetrepubliken ihre wirtschaftlichen
Beziehungen mit Russland geregelt haben. Die EU war nicht bereit, einen solchen
Vorrang unter Berücksichtigung der engen Beziehungen zwischen Armenien und
Russland zuzulassen.
Weitere Assoziierungen sind seitens der EU aktuell nicht geplant. Stattdessen will die
EU die Partnerschaft mit Weißrussland und Aserbaidschan auf einige Bereiche be-
schränken, die in ihrem besonderen Interesse liegen. Mit dem öl- und gasreichen Aser-
baidschan soll ein Energieabkommen, ausgerechnet mit der bislang auch seitens der
EU als autoritär eingestuften Regierung von Weißrussland eine Migrationspartner-
schaft abgeschlossen werden. Die ÖP schraubt ihren Anspruch auf kurzfristige Inte-
ressenspolitik herunter.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12937
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich in der EU für eine neue strategische Ausrichtung der Östlichen Partnerschaft
einzusetzen, die die Entspannung mit Russland einschließt;

2. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die Assoziierungsabkommen mit der
Ukraine, Georgien und der Republik Moldau auf unbestimmte Zeit ausgesetzt
werden;

3. sich auf EU-Ebene für eine Revision der derzeit verfolgten Marktöffnungs- und
Liberalisierungspolitik sowie stattdessen für die Formulierung kooperativer han-
dels- und wirtschaftspolitischer Partnerschaften mit den genannten drei Ländern
einzusetzen, die zum einen darauf ausgerichtet sind, die ökonomischen und sozi-
alen Asymmetrien zwischen diesen Ländern und der EU abzubauen, und die zum
anderen den drei Ländern eine sozial nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung er-
möglichen;

4. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass im Vorfeld des Gipfels in Brüssel der
Fokus auf eine stärkere Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure der EU sowie
ihrer östlichen Partnerländer – insbesondere in Fragen der Menschen- und Bür-
gerrechte, der sozialen Gerechtigkeit und der politischen Teilhabe – gelegt wird;

5. sich auf EU-Ebene für eine stärkere Einbeziehung der Parlamente der EU-Mit-
gliedstaaten und ihrer östlichen Partner in die Ausgestaltung der ÖP einzusetzen
und entsprechende Initiativen des Europäischen Parlaments zu unterstützen;

6. im Europäischen Rat darauf hinzuwirken, dass die Beziehungen der EU zu den
Ländern Ukraine, Georgien oder Moldau wie auch eine Intensivierung der Wirt-
schaftsbeziehungen mit diesen Ländern in eine Ostpolitik der EU eingebunden
sind, die ebenso gedeihliche Beziehungen der östlichen Nachbarn mit anderen
Staaten, insbesondere Russland, möglich macht;

7. an einer neuen Entspannungspolitik für Europa zu arbeiten. Dies beinhaltet u. a.,
– die Bundeswehr aus Litauen abzuziehen,
– bei allen Verhandlungen zwischen der EU und Staaten der ehemaligen Sow-

jetunion an der Grundlage festzuhalten, dass die NATO sich nicht weiter gen
Osten ausweitet, sondern die legitimen Sicherheitsinteressen aller Staaten
respektiert werden,

– in der EU darauf hinzuwirken, dass diese einen intensiven Beitrag zur fried-
lichen Beilegung offener bzw. so genannter „eingefrorener“ Konflikte in ih-
rer Nachbarschaft leistet, den weiteren Export von Rüstungsgütern und
Kriegswaffen in betreffende Konfliktregionen unterbindet und konkrete Ab-
rüstungsinitiativen und vertrauensbildende Maßnahmen initiiert bzw. unter-
stützt,

– eine neue Ostpolitik als Prozess der Verständigung und des Interessensaus-
gleichs zu begreifen, etwa durch Austausch- und Partnerschaftsprogramme,
zwischen Schulen, Universitäten oder anderen Organisationen der Zivilge-
sellschaft der jeweiligen Länder,

– der OSZE als Ort einer neuen Entspannungs- und Ostpolitik wieder einen
bedeutenderen Raum zu geben,

– andere internationale Organisationen wie die Eurasische Union zu respek-
tieren und mit ihnen in einen vernünftigen Dialog zu treten,

– im Europäischen Rat dafür einzutreten, dass die EU in einen Dialog mit den
Staaten Osteuropas einschließlich Russland tritt, in dem alle Beteiligten Si-
cherheits- und Bestandsgarantien für ihre jeweiligen Anrainer- und Nach-
barstaaten geben, die neben der territorialen Unverletzlichkeit auch die Un-
verletzlichkeit der innenpolitischen Ordnung anerkennen;

Drucksache 18/12937 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
8. die militärische Integration Moldaus, Georgiens und der Ukraine in die GSVP der

EU als Teil der Assoziierungsabkommen zu stoppen;
9. das Meseberg-Memorandum als Dialog-Instrumentarium wieder zu beleben und

damit eine konstruktive Lösung des Transnistrien-Konflikts zu befördern;
10. sich für eine atomwaffenfreie Zone in Mittelosteuropa einzusetzen.

Berlin, den 27. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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