BT-Drucksache 18/1292

Lage im Asylsystem in Bulgarien

Vom 30. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1292
18. Wahlperiode 30.04.2014

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Sevim Dağdelen, Annette Groth,
Inge Höger, Andrej Hunko, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Lage im Asylsystem in Bulgarien

In verschiedenen Stellungnahmen haben sich Amnesty International und PRO
ASYL e. V. in diesem Jahr für einen Stopp von Überstellungen von Asylsuchen-
den nach Bulgarien im Rahmen der Asylzuständigkeitsregeln (Dublin-III-
Verordnung) ausgesprochen. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für
Flüchtlinge (UNHCR) hatte am 2. Januar 2014 einen Bericht veröffentlicht, der
die Situation im bulgarischen Aufnahmesystem schildert („UNHCR obser-
vations on the current asylum system in Bulgaria“, 2. Januar 2014, www.
unhcr.org). Der UNHCR kommt darin zu dem Schluss, dass für Asylsuchende
in Bulgarien eine tatsächliche Gefahr besteht, Opfer von unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung zu werden. Defizite bestehen in allen Bereichen:
Unterbringung in überfüllten Aufnahmeeinrichtungen, mangelhafte Verpfle-
gung, gesundheitsgefährdende hygienische Zustände, mangelnde medizinische
Versorgung, Inhaftierung von Personen, die beim unerlaubten Grenzübertritt
festgestellt werden, auch wenn sie einen Asylantrag stellen. All diese Schwie-
rigkeiten treffen auch Asylsuchende, die nach einer Weiterreise in die Bundes-
republik Deutschland nach Bulgarien zurückgeschoben werden. Bei ihnen
kommt noch hinzu, dass ihre Asylanträge als „zurückgenommen“ gelten und sie
bei einer Rückschiebung daher nur noch einen Asylfolgeantrag stellen können,
in dem sie allerdings neue Tatsachen vorbringen müssen. Es besteht also die Ge-
fahr, dass der Asylantrag dieser Schutzsuchenden aus formalen Gründen abge-
lehnt und zu keinem Zeitpunkt inhaltlich geprüft wird. Das trifft auch auf Asyl-
suchende zu, die aus der Bundesrepublik Deutschland nach Bulgarien zurückge-
schickt werden.
Das Europabüro des UNHCR veröffentlichte am 20. Januar 2014 ein „refugee
situation bulgaria external update“, in dem er die Bitte um Verzicht auf Überstel-
lungen nach Bulgarien aufrechterhielt, aber auch auf erste Fortschritte durch die
Intervention des UNHCR und des Europäischen Asylunterstützungsbüros hin-
wies. Allerdings enthielt dieses update noch einen weiteren, besorgniserregen-
den Hinweis: Die Zahl der Asylsuchenden, die neu nach Bulgarien kommen, ist
von Oktober/November 2013 mit wöchentlich 100 Neuregistrierungen auf 32 in
den ersten drei Wochen des Jahres 2014 zurückgegangen. 1 500 Polizeikräfte
sind seit November 2013 an die Grenze zur Türkei verlegt worden, ein 33 Kilo-
meter langer Zaun an einem Teilstück der 274 Kilometer langen Grenze zur Tür-
kei sollten demnach bis Februar 2014 fertiggestellt werden. Amnesty Interna-
tional befürchtet deshalb, dass der starke Rückgang der Asylbewerberzahlen
„Resultat von Grenzkontrollpraktiken ist, die jenen, die internationalen Schutz
brauchen, die Chance zur Einreise in das Land und das Stellen eines Asylantrags
verneint“ (Amnesty International, „Suspension of returns of asylum-seekers to
bulgaria must continue“, März 2014, S. 4).

Drucksache 18/1292 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu den aktuellen Entwicklun-

gen im bulgarischen Aufnahmesystem (bitte angeben für die Bereiche Un-
terkunft, Verpflegung, hygienische Bedingungen, Gesundheitsversorgung,
Lage besonders verletzlicher Personen)?

2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum Ablauf des Asylverfah-
rens bei Personen, die zunächst wegen „illegaler Einreise“ eine Ausweisung
erhalten und in Abschiebehaft genommen werden, insbesondere zur Dauer
der Inhaftierung?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Zahl der Asylsuchenden,
deren Asylantrag durch die zuständigen bulgarischen Behörden nicht entge-
gengenommen wurden und deren Aufenthalt im Land deshalb als „illegal“
gilt, und die deshalb trotz möglicher Schutzbedürftigkeit jederzeit in Haft
geraten können, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht
sie daraus?

4. Trifft nach Kenntnis der Bundesregierung die Darstellung des Amnesty-In-
ternational-Berichts zu, dass die Grenzpolizei bei einem unerlaubten Grenz-
übertritt asylsuchende Personen nicht an die Staatliche Agentur für Flücht-
linge meldet, sondern zunächst in das geschlossene Zentrum in Elhovo
transferiert, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie
daraus?

5. Welche Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende bestehen derzeit mit je-
weils wie vielen Plätzen, wie sind die Bedingungen für den Aufenthalt in
diesen Einrichtungen bezogen auf die Möglichkeit der untergebrachten Per-
sonen, sich außerhalb dieser Einrichtungen zu bewegen?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum Umgang mit rücküber-
stellten Asylbewerbern in Bulgarien, insbesondere zur Wiederaufnahme des
Asylverfahrens, zu Unterbringung und Ingewahrsamnahme?

7. Welche Regeln gelten nach Kenntnis der Bundesregierung in Bulgarien für
die Ingewahrsamnahme bzw. Inhaftierung von Asylsuchenden gemäß der
EU-Aufnahmerichtlinie, und welche Rechtsmittel stehen den Betroffenen
gegen eine Ingewahrsamnahme bzw. Inhaftierung zur Verfügung?

8. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Einschätzung des UNHCR, in Bulgarien bestünden systemische
Mängel im Asylsystem und Überstellungen hätten dementsprechend zu un-
terbleiben?

9. Welche anderen Dublin-Staaten haben bereits einen Überstellungsstopp
nach Bulgarien angekündigt oder vollzogen, welche Dublin-Staaten neh-
men de facto keine Überstellungen nach Bulgarien vor?

10. Für wie viele Asylsuchende hat das Bundesamt für Migration und Flücht-
linge (BAMF) im Jahr 2013 und im 1. Quartal 2014 ein Überstellungsersu-
chen an Bulgarien gestellt, in wie vielen Fällen wurde der Überstellung zu-
gestimmt, und wie viele Asylsuchende sind tatsächlich überstellt worden?

11. In wie vielen Fällen hat das BAMF in diesem Zeitraum von seinem Selbst-
eintrittsrecht Gebrauch gemacht?

12. In welchem Umfang hat Bulgarien im vergangenen Jahr nach Kenntnis der
Bundesregierung EU-Mittel oder andere Unterstützung vonseiten der Euro-
päischen Union oder einzelner Mitgliedstaaten erhalten
a) zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen für neu ankommende Asyl-

suchende,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1292

b) zur Verbesserung der Asylverfahren und des Rechtsschutzes gegen asyl-
und aufenthaltsrechtliche Entscheidungen,

c) zum Auf- und Ausbau von Einrichtungen und Maßnahmen zur Grenz-
sicherung gegen unerlaubte Einreise?

13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von der Ausdehnung der
FRONTEX-Operation „Poseidon Land“ von der griechisch-türkischen
Landgrenze auf die bulgarisch-türkische Landgrenze, insbesondere zum
Umfang der eingesetzten Einsatzkräfte, des Einsatzmaterials und zu den ge-
nauen Aufgaben des im Rahmen der FRONTEX-Operation eingesetzten
Personals?

14. Sind Beamte des Bundes an dieser Operation beteiligt, und wenn ja, mit
welchen Aufgaben?

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den Ursachen der stark
abgesunkenen Zahl von Einreisen von Asylsuchenden über die bulgarisch-
türkische Landgrenze?

16. Welche Erkenntnisse und Einschätzungen hat die Bundesregierung, in wie
weit die teilweise faktische Abriegelung der türkisch-bulgarischen Grenze
zur Verlagerung der Flüchtlingsroute geführt hat, insbesondere zu einer hö-
heren Auslastung der Route durch das mittlere Mittelmeer (von Ägypten
und Libyen nach Italien)?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie aus dieser mögli-
chen Verlagerung der Fluchtrouten auch vor dem Hintergrund, dass der Weg
über das Mittelmeer regelmäßig gefährlicher ist als über Land und Schleu-
ser auf dieser Route deutlich höhere Profite erzielen?

17. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung vom Umfang und den Aufga-
ben des in Bulgarien eingesetzten Personals des Europäischen Asylunter-
stützungsbüros (European Asylum Support Office, EASO)?

18. Sind Bedienstete des Bundes an dieser Unterstützungsmaßnahme beteiligt,
und wenn ja, mit welchen Aufgaben?

19. Inwieweit fließen die Entwicklungen an den bulgarischen EU-Außengren-
zen in die Entscheidung der Bundesregierung zu ihrer Haltung zur Vollmit-
gliedschaft Bulgariens im Schengenraum ein?

Berlin, den 30. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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