BT-Drucksache 18/12918

zu dem Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/12089 - Neustart der Europäischen Union auf der Grundlage Sozialer Menschenrechte

Vom 27. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12918
18. Wahlperiode 27.06.2017

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(21. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/12089 –

Neustart der Europäischen Union auf der Grundlage Sozialer Menschenrechte

A. Problem
Die Antragsteller konstatieren, dass die vertraglichen Grundlagen der Europäi-
schen Union (EU) und die Statuten der Europäischen Zentralbank zusammen mit
der Rechtsprechung des EuGH den Rahmen für die systematische Festlegung der
Mitgliedstaaten auf einen als „neoliberal“ kritisierten wirtschaftspolitischen Kurs
bildeten, der die Verteidigung und Weiterentwicklung sozialer Rechte erheblich
behindere. Die reale Entwicklung der EU zeige, dass diese sich von ihren sozialen
Zielen zunehmend entferne. Die Armutsquote sei gestiegen, die Krisenpolitik der
EU bedrohe den Fortschritt, Wohlstand, soziale Rechte und die Demokratie.

Die im Rahmen des Diskussionsprozesses zur Wirtschafts- und Währungsunion
konzipierte „Europäische Säule sozialer Rechte“ sei nicht geeignet, die sozialen
Rechte zu stärken. Sie verleihe einer verfehlten Wirtschaftspolitik lediglich einen
sozialen Anstrich. Die strukturelle Unterordnung sozialer Belange unter die Inte-
ressen der Wirtschafts- und Finanzwelt werde nicht angetastet. Die von der Bun-
desregierung veröffentlichte Stellungnahme zur Europäischen Säule sozialer
Rechte blockiere jeden Versuch, die Legitimation der EU durch eine Stärkung der
sozialen Dimension zu verbessern. Weder die Bundesregierung noch die Europä-
ische Kommission wirkten auf eine bessere Durchsetzung oder Weiterentwick-
lung sozialer Rechte hin. Widersprüche zwischen den Rechtsvorschriften der EU
und den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Europäischen Sozialcharta,
der Europäischen Menschenrechtskonvention, des UN-Sozialpaktes und der ILO-
Konventionen würden nicht angesprochen.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, auf einen Paradigmenwechsel mit dem
Ziel einer Stärkung der sozialen Rechte und der sozialen Dimension der EU hin-
zuwirken, um einen grundlegenden demokratischen Neustart der EU zu ermögli-
chen.

Drucksache 18/12918 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

B. Lösung
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

C. Alternativen
Keine.

D. Kosten
Kosten wurden nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12918
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 18/12089 abzulehnen.

Berlin, den 21. Juni 2017

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Gunther Krichbaum
Vorsitzender

Dr. Martin Pätzold
Berichterstatter

Angelika Glöckner
Berichterstatterin

Andrej Hunko
Berichterstatter

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Berichterstatter

Drucksache 18/12918 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Dr. Martin Pätzold, Angelika Glöckner, Andrej Hunko und
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage auf Drucksache 18/12089 in seiner 231. Sitzung am 27. April 2017
beraten und an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur federführenden Beratung
sowie an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zur
Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Mit dem Antrag wird die Bundesregierung vom Deutschen Bundestag dazu aufgefordert, sich für eine Stärkung
der sozialen Rechte in der EU einzusetzen und die Voraussetzungen für eine bessere Verwirklichung Sozialer
Menschenrechte zu verbessern.

Die Forderungen beziehen sich insbesondere darauf,

– einer Ausrichtung der Europäischen Säule für soziale Rechte, die auf steigende Renteneintrittsalter und Fle-
xicurity setze und die bestehende Rechtsetzung zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu
schwächen drohe, entgegenzuwirken;

– die revidierte Europäische Sozialcharta als „soziale Verfassung Europas“ in die Säule zu integrieren;

– die EU-Verträge um ein soziales Fortschrittsprotokoll zu ergänzen;

– die Blockade des Beitrittsabkommens zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu überwinden;

– die Ausrichtung der gegenwärtigen EU-Krisenpolitik zu ändern und stattdessen für koordinierte EU-weite
Vermögenssteuern sowie Maßnahmen gegen Steuerwettbewerb, -vermeidung und -hinterziehung, eine ko-
ordinierte Investitions- und Industriepolitik und ein öffentliches Investitionsprogramm sowie für eine Über-
führung der Europäischen Zentralbank unter demokratische Kontrolle einzutreten. Die im Protokoll Nummer
12 bestimmten Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes seien grundlegend zu ändern;

– die Diskussion um die Weiterentwicklung der Union auf einen Paradigmenwechsel für mehr soziale Rechte
zu fokussieren.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat die Vorlage auf Drucksache 18/12089 in seiner 155. Sit-
zung am 21. Juni 2017 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen, den An-
trag abzulehnen.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Vorlage auf Drucksache 18/12089 in seiner 125. Sitzung am
21. Juni 2017 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Frak-
tion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen, den Antrag abzu-
lehnen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat den Antrag auf Drucksache 18/12089 in
seiner 89. Sitzung am 21. Juni 2017 beraten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN, den Antrag abzulehnen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/12918
Die Fraktion DIE LINKE. führte aus, der Antrag enthalte eine Reihe von Vorschlägen, die nicht nur dem An-
schein nach soziale Rechte in Europa stärkten, sondern geeignet seien, eine echte Säule europäischer sozialer
Rechte zu errichten. Die Vorschläge beinhalteten beispielsweise die Aufwertung der Europäischen Sozialcharta,
ein soziales Fortschrittsprotokoll sowie den notwendigen Paradigmenwechsel in der EU-Krisenpolitik. Die Vor-
schläge dienten einem grundlegenden demokratischen Neustart der Europäischen Union auf der Grundlage sozi-
aler Menschenrechte. Um die sozialen Menschenrechte und die sozialen Dimension in der Europäischen Union
zu stärken, sei ein Paradigmenwechsel notwendig. Dabei komme dem Sozialgipfel des Rates am 17. November
2017 in Göteborg eine besondere Bedeutung zu.

Die Fraktion der CDU/CSU erklärte, es liege auf der Hand, dass die Fraktion dem Antrag in der vorliegenden
Form nicht zustimmen könne. Exemplarisch lasse sich dies an einem Satz des Antrages, der sich auf Seite 2
befinde, verdeutlichen: „Die Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Wäh-
rungsfonds trägt, wie auch die Bundesregierung, Verantwortung für die Verletzung Sozialer Menschenrechte in
den sogenannten Programmländern.“ Die Fraktion der CDU/CSU lehne diese Aussage ab. Dies sei ein Punkt
unter anderen, der dazu führe, dass es nicht zu einer inhaltlichen Übereinstimmung kommen werde. Die inhaltli-
che Kontroverse könne anschließend in der Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages vertieft geführt wer-
den. Die Fraktion der CDU/CSU werde den Antrag ablehnen.

Die Fraktion der SPD kritisierte, der Antrag fordere bereits in der Überschrift einen Neustart der Europäischen
Union und negiere somit die bereits erreichten sozialen Errungenschaften. Es sei die Aufgabe der Mitgliedstaaten
auf ein sozialeres Europa hinzuwirken und nicht – wie im Antrag vorgesehen – den Prozess abzubrechen, die
sozialen Errungenschaften Europas auf Null zu setzen und einen Neustart vorzunehmen. Nur auf mögliche Ver-
tragsänderungen zu setzen, sei verantwortungslos, schieße weit über das Ziel hinaus, schwäche die EU und sei
nicht geeignet, die anderen Mitgliedstaaten zu stärken. Hingegen gelte es, das Erreichte weiter zu festigen und die
in der laufenden Wahlperiode erreichten Fortschritte zu vertiefen und künftig weiter auszubauen. Deutschland
könne auf diese Weise in der EU als fester Anker gemeinsam mit anderen starken Mitgliedstaaten dafür Sorge
tragen, dass es auch schwächeren Mitgliedstaaten gelinge, Schritt für Schritt die sozialen Standards anzuheben.
Deshalb fordere die Fraktion der SPD für die Sozialunion die gleiche Verbindlichkeit wie für die Wirtschafts-
und Währungsunion. Soziale Fortschritte könnten durch einen stetigen Dialog, durch konkrete Maßnahmen zur
Bekämpfung von Sozialdumping und der Jugendarbeitslosigkeit sowie durch zielgerichtete Investitionen realisiert
werden. Dies sei der erfolgreichere Weg für Deutschland und die Menschen in Europa. Daher lehne die Fraktion
der SPD den Antrag ab.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärte, die Bundesregierung trete gegenwärtig im Rahmen der
Verhandlungen über die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa (Verord-
nung (EG) Nummer 883/2004) für eine Schwächung sozialer Rechte ein. Es vollziehe sich das Gegenteil dessen,
was im Antrag gefordert werde, der im Grundsatz die richtige Stoßrichtung habe. Ein Neustart sei jedoch nicht
erstrebenswert. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN teile einzelne Forderungen, wie ein soziales Fort-
schrittsprotokoll, die Stärkung der Europäischen Sozialcharta und die Abkehr von der derzeitigen Wirtschaftspo-
litik zugunsten einer stärker ökologisch und sozial ausgerichteten Politik. Andere Forderungen hingegen seien
abzulehnen. So dürfe es keinen Vorrang sozialer Rechte vor den wirtschaftlichen Freiheiten geben, vielmehr sei
ein Gleichgewicht notwendig. Insbesondere die Forderung, die Unabhängigkeit der Geldpolitik der Europäischen
Zentralbank zu beseitigen sowie weitergehende Forderungen in dieser Richtung lehne die Fraktion ab. Deshalb
werde sie mit Enthaltung stimmen.

Berlin, den 21. Juni 2017

Dr. Martin Pätzold
Berichterstatter

Angelika Glöckner
Berichterstatterin

Andrej Hunko
Berichterstatter

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Berichterstatter

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