BT-Drucksache 18/12849

zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 18/8874 - Jung, queer, glücklich in die Zukunft - Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche stärken

Vom 21. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12849
18. Wahlperiode 21.06.2017

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle
Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 18/8874 –

Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbische, schwule, bisexuelle,
trans- und intergeschlechtliche Jugendliche stärken

A. Problem
In ihrem Antrag stellt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fest, dass die
Situation von queeren, das heiße lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und in-
tergeschlechtlichen Jugendlichen von Diskriminierungserfahrungen durch Aus-
grenzung, Pöbeleien und Gewalt geprägt sei. Besonders vernachlässigt würden
inter- und transsexuelle Jugendliche.

2005 habe die damalige rot-grüne Koalition die Bundesregierung aufgefordert,
eine Bestandsaufnahme zur Lebenssituation schwuler und lesbischer Jugendlicher
durchzuführen. Erst sieben Jahre später habe das Deutsche Jugendinstitut (DJI)
eine Pilotstudie zur Lebenssituation und zu Diskriminierungserfahrungen homo-
sexueller Jugendlicher in Deutschland vorgelegt, gefolgt von einer Studie zum
Thema „Coming-out und dann …?!“. In der Studie sei die hohe Alltagsrelevanz
der Diskriminierung von queeren Jugendlichen im Elternhaus, in der Schule und
in der Öffentlichkeit belegt.

Queeren Jugendlichen, insbesondere lesbischen Mädchen und Frauen, fehle es an
gesellschaftlichen Vorbildern. Im alltäglichen Leben sowie medial und in öffent-
lichen Ämtern und Führungsebenen seien sie zu wenig repräsentiert.

Queere Jugendliche hätten häufig mit erhöhten psychosozialen Belastungen zu
kämpfen. Das Suizidrisiko sei bei ihnen gegenüber heterosexuellen Altersgenos-
sen signifikant erhöht.

Zivilgesellschaftliche Initiativen hätten, unterstützt von einzelnen Bundesländern,
vorbildliche Projekte zur Verbesserung der Lebenssituation queerer Jugendlicher
aufgebaut. Diese Projekte müssten von der Bundesregierung aufgegriffen, ver-
stärkt und ausgebaut werden. Allen Jugendlichen ein diskriminierungsfreies Auf-
wachsen zu ermöglichen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu deren Ein-
haltung und Umsetzung sich auch Deutschland durch Unterzeichnung der UN-

Drucksache 18/12849 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Kinderrechtskonvention verpflichtet habe. Dieser Verpflichtung müsse sich die
Bundesregierung stellen.

B. Lösung
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN.

C. Alternativen
Annahme des Antrags.

D. Kosten
Kosten wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12849
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 18/8874 abzulehnen.

Berlin, den 21. Juni 2017

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Paul Lehrieder
Vorsitzender

Gudrun Zollner
Berichterstatterin

Sönke Rix
Berichterstatter

Norbert Müller (Potsdam)
Berichterstatter

Beate Walter-Rosenheimer
Berichterstatterin

Drucksache 18/12849 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten Gudrun Zollner, Sönke Rix, Norbert Müller (Potsdam) und
Beate Walter-Rosenheimer

I. Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 18/8874 wurde in der 179. Sitzung des Deutschen Bundestages am 23. Juni 2016
dem Ausschuss für Familie, Frauen, Senioren und Jugend zur federführenden Beratung und dem Innenausschuss,
dem Sportausschuss sowie dem Ausschuss für Gesundheit zur Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

In ihrem Antrag stellt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einleitend fest, dass die Situation von queeren,
das heiße lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Jugendlichen, immer noch schwierig
sei. Diskriminierungserfahrungen im Elternhaus, in der Schule und im öffentlichen Raum durch Ausgrenzung,
Pöbelei und Gewalt prägten ihren Alltag. Bislang gebe es über die genannte Gruppe in Deutschland keine aussa-
gekräftigen Daten. Besonders vernachlässigt würden inter- und transsexuelle Jugendliche, deren Leben praktisch
in einer Tabuzone stattfinde. Sie würden mit ihren Fragen und Problemen oft alleingelassen und ohne ihre Ein-
willigung unnötigen und irreversiblen medizinischen Maßnahmen unterzogen.

Bereits 2005 habe die damalige rot-grüne Koalition die Bundesregierung aufgefordert, eine Bestandsaufnahme
zur Lebenssituation schwuler und lesbischer Jugendlicher in Auftrag zu geben. Erst sieben Jahre später habe das
Deutsche Jugendinstitut (DJI) eine Pilotstudie zur Lebenssituation und zu Diskriminierungserfahrungen homose-
xueller Jugendlicher in Deutschland vorgelegt, gefolgt von einer Studie zum Thema „Coming-out und dann…?!“.
In der Studie sei die hohe Alltagsrelevanz der Diskriminierung von queeren Jugendlichen belegt. Die Diskrimi-
nierung finde häufig in der Öffentlichkeit, beispielsweise im Nahverkehr, auf der Straße, in Fußgängerzonen oder
im Freizeitbereich statt. Weitere relevante Orte seien das Internet, Behörden, medizinische Bereiche aber auch
die eigene Familie.

Queeren Jugendlichen fehle es häufig an gesellschaftlichen Vorbildern. Das gelte besonders für lesbische Mäd-
chen und Frauen. Im alltäglichen Leben sowie medial und in öffentlichen Ämtern und Führungsebenen seien sie
zu wenig repräsentiert. Queere Jugendliche hätten auch mit erhöhten psychosozialen Belastungen zu kämpfen.
Darüber hinaus sei das Suizidrisiko bei ihnen gegenüber ihren heterosexuellen Altersgenossen signifikant erhöht.

Zivilgesellschaftliche Initiativen hätten, unterstützt von einzelnen Bundesländern, vorbildliche Projekte zur Ver-
besserung der Lebenssituation queerer Jugendlicher aufgebaut. Diese Projekte müssten von der Bundesregierung
aufgegriffen, verstärkt und ausgebaut werden. Allen Jugendlichen ein diskriminierungsfreies Aufwachsen zu er-
möglichen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu deren Einhaltung und Umsetzung sich auch Deutschland
durch Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet habe.

Der Deutsche Bundestag solle die Bundesregierung daher auffordern,

1. Aufklärungskampagne

Eine bundesweite Aufklärungskampagne speziell für die Zielgruppe der Jugendlichen zu starten, die in ju-
gendgerechter Form über die Vielfalt sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten informiere sowie
bezüglich Homo- und Transphobie sensibilisiere.

2. Aktionspläne

a) Einen bundesweiten Aktionsplan für Respekt und Vielfalt, der Maßnahmen gegen Homophobie und
Transphobie vorsehe, vorzulegen.

b) Auf die Bundesländer einzuwirken, Aktionspläne gegen Homophobie und Transphobie auf Landes-
ebene aufzustellen, die die Belange junger Menschen angemessen berücksichtigten, sofern dies in den
einzelnen Ländern noch nicht geschehen sei.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/12849

c) Auf die Bundesländer einzuwirken, geschlechtliche Vielfalt und Diversity in den Lehr- und Bildungs-
plänen für Schulen und die frühkindliche Bildung fest zu verankern – falls noch nicht geschehen – und
die heteronormative Ausrichtung der Schulbücher zu beenden (vgl. Melanie Bittner: Geschlechterkon-
struktionen und die Darstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* (LSBTI) in
Schulbüchern, 2012).

3. Unterstützungsangebote

a) § 9 SGB VIII (Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen) dahinge-
hend zu ergänzen, dass die Kinder- und Jugendhilfe bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Er-
füllung der Aufgaben Kinder und Jugendliche auch bei der Entwicklung der sexuellen Orientierung und
Geschlechtsidentität unterstütze.

b) Die bundesweite Vernetzung von Schulaufklärungsprojekten über den Bundesjugendplan dauerhaft
strukturell zu verankern. Durch eine Koordinierungsstelle des Antidiskriminierungsnetzwerks „Schule
der Vielfalt“ könnten beispielsweise in möglichst vielen Bundesländern Best-Practice-Schulen geför-
dert werden und dadurch gegen Homo- und Transphobie sensibilisieren.

c) Die Pädagogik der Vielfalt in der zweiten Förderphase der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung stärker zu berücksichtigen.

d) Gemeinsam mit den Ländern die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften und Fachkräften der
Jugendhilfe um Kompetenzen zur aktiven Unterstützung von LSBTI-Jugendlichen und Antidiskrimi-
nierungsarbeit zu entwickeln, auszubauen und flächendeckend umzusetzen. Sexuelle Orientierung und
Geschlechtsidentität müssten in ihrer Vielfalt Teil der Ausbildung von pädagogischem und medizini-
schem Fachpersonal werden.

e) Eine Koordinierungsstelle für Projekte und Vernetzungsarbeit für lesbische und bisexuelle Mädchen
auf Bundesebene einzurichten, um deren speziellen Belange stärker in den Blick zu nehmen.

f) Pilotprojekte für obdachlose queere Jugendliche sowie Jugendliche, die in Krisensituationen Schutz-
räume suchten, zu initiieren.

g) Angebote zur Sensibilisierung von sportpädagogischem Personal im Umgang mit Jugendlichen im Co-
ming-Out zu entwickeln und verstärkt anzubieten.

4. Queer mit Migrationsgeschichte

a) Pilotprojekte für queere Jugendliche mit Migrationsgeschichte in den relevanten Fremdsprachen zu un-
terstützen.

b) In Zusammenarbeit mit Migrantenselbstorganisationen die Aufklärungsarbeit über Menschenrechte
und Vielfalt der sexuellen Identitäten auch in Migrations-Communities zu verstärken und in einem ers-
ten Schritt die Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die sich mit den Berei-
chen sexuelle Identität bei Jugendlichen beschäftigten, in den wichtigsten Migrationssprachen in
Deutschland zu veröffentlichen.

c) Die bundesweiten Integrationskurse verbindlich und strukturell durch Information und Aufklärung zu
Lebensweisen von LSBTI zu ergänzen.

5. Trans-Jugendliche

a) Das Transsexuellengesetz zu reformieren, indem die Änderung der Vornamen und die Berichtigung des
Personenstands beim Standesamt auf Antrag ohne erniedrigende „pseudowissenschaftliche“ Begutach-
tung ermöglicht würden und bei einem vorsätzlichen und beharrlichen Verstoß gegen das Offenba-
rungsverbot eine strafbewehrte Ordnungswidrigkeit verhängt werden könne.

b) Sich in den internationalen Gremien für die Entpathologisierung der Transsexualität einzusetzen.

c) Organisationen, die Trans-Menschen berieten und ihre Interessen verträten, finanziell zu unterstützen.

Drucksache 18/12849 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
6. Intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche

a) Sicherzustellen, dass geschlechtszuweisende und -anpassende Operationen an minderjährigen interse-
xuellen Menschen ohne deren ausdrückliche Einwilligung nicht mehr durchgeführt würden.

b) Dafür Sorge zu tragen, dass intergeschlechtliche Jugendliche über die an ihnen vorgenommenen medi-
zinischen Maßnahmen umfassend informiert würden und an der Wahl der Therapie beteiligt würden.

c) In Gesprächen mit Ländern und Kammern auf eine verbesserte Berücksichtigung der Belange interge-
schlechtlicher Menschen bei der medizinischen Aus- und Fortbildung hinzuwirken.

d) Ein digitales Vernetzungs- und Informationsportal/Wissensnetz für intersexuelle Menschen und deren
Angehörige aufzubauen.

e) Die bisher zum größten Teil auf ehrenamtlicher Basis arbeitenden Organisationen von intersexuellen
Menschen und deren Angehörige finanziell zu unterstützen.

7. Forschung

a) Dem Deutschen Bundestag alle vier Jahre eine Studie zur Lebenssituation lesbischer, schwuler, bisexu-
eller, trans- und intergeschlechtlicher Jugendlicher vorzulegen. In diesem Rahmen werde ein regelmä-
ßiges Monitoring der Lebenssituation ermöglicht, das auch die besondere Situation von Jugendlichen
mit Migrationshintergrund berücksichtige. Dadurch könnten zudem dauerhaft und regelmäßig unter-
schiedliche Themen, die die Situation von LSBTIQ-Jugendlichen beträfen, schwerpunktmäßig er-
forscht werden. Denkbar wären hier Fragen von Partnerschafts- wie Familienvorstellungen, psychische
Erkrankungen/Suizidalität, Freizeitverhalten und Wiederholungsbefragungen im Sinne von Längs-
schnittuntersuchungen, die Veränderungen in den Lebensbedingungen oder z. B. bezüglich Coming-
out/Diskriminierungserfahrungen sichtbar machten.

b) Den Forschungsstand über die Verankerung queerer Inhalte in Schulbüchern zu verbessern und eine
entsprechende Studie in Auftrag zu geben.

c) Eine Studie zu Obdachlosigkeit unter queeren Jugendlichen bis Ende 2017 vorzulegen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Innenausschuss hat in seiner Sitzung am 21. Juni 2017 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des An-
trags empfohlen.

Der Sportausschuss hat in seiner Sitzung am 21. Juni 2017 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des An-
trags empfohlen.

Der Ausschuss für Gesundheit hat in seiner Sitzung am 21. Juni 2017 mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ab-
lehnung des Antrags empfohlen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die
Ablehnung des Antrags.

Der Ausschuss hat die Vorlage in seiner 95. Sitzung am 21. Juni 2017 beraten.

In der Beratung betonte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass der Anspruch auf gleiches Recht und
gleiche Würde auch für queere Jugendliche gelte. Hintergrund des Antrages sei die vom Deutschen Jugendinstitut

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/12849
2015 vorgelegte Studie „Coming-out und dann..?!“. Schon 2005 habe der Deutsche Bundestag die damalige Bun-
desregierung aufgefordert, eine Bestandsaufnahme zur Situation queerer Jugendlicher erstellen zu lassen. Es habe
aber sieben Jahre gedauert, bis das Deutsche Jugendinstitut eine erste Pilotstudie zu dem Thema vorgelegt habe.
Dadurch sei wichtige Zeit zum Handeln verloren gegangen.

„Coming-out und dann ..?!“ sei die erste bundesweite Studie zur Situation queerer Jugendlicher. Sie zeige auf,
dass die genannte Gruppe mit Ausgrenzungserfahrungen konfrontiert werde, mit denen nur schwer umzugehen
sei. Die damit einhergehende Belastung führe dazu, dass die Suizidrate bei lesbischen, schwulen und transsexu-
ellen Jugendlichen vier- bis sechsmal so hoch liege wie bei heterosexuellen Jugendlichen. Insgesamt seien im
Rahmen der Studie 5000 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 27 Jahren befragt worden. 82 Prozent von ihnen
hätten über Diskriminierungen geklagt, bei transsexuellen Jugendlichen sogar 96 Prozent. Nach der Studie gebe
es auch immer mehr Übergriffe in der Öffentlichkeit gegen die genannten Jugendlichen, beispielsweise in Fuß-
gängerzonen, vor Klubs und Bars sowie im medizinischen Bereich. Betroffen seien auch die Schulen als zentraler
Lebensmittelpunkt von Jugendlichen. Sexistische Schimpfwörter seien dort an der Tagesordnung, dem müsse
entgegengewirkt werden. Hinzu komme, dass nach Studien aus Kanada und Großbritannien viele queere Jugend-
liche obdachlos seien, weil sie im Elternhaus nicht bleiben könnten und von dort auch nicht unterstützt würden.
Man gehe davon aus, dass das in Deutschland ähnlich sei.

Eine Strategie der Bundesregierung, diese Situation zu ändern, sei bisher nicht zu erkennen. Der „Aktionsplan
gegen Rassismus“ sei nach Auffassung des Lesben- und Schwulenverbandes, der Bundesvereinigung Trans sowie
des BVT eine bloße beschönigende Rückschau. Er marginalisiere LSBTIQ-Anliegen, beinhalte keine konkreten
Maßnahmen und bleibe unverbindlich. Deshalb fordere die Fraktion in ihrem Antrag konkrete Maßnahmen der
Bundesregierung, u. a. eine bundesweite Aufklärungskampagne, einen bundesweiten Aktionsplan für Respekt
und Vielfalt sowie eine Ergänzung des § 9 SGB VIII, wonach die Entwicklung der sexuellen Orientierung und
Geschlechtsidentität auch von der Kinder- und Jugendhilfe zu unterstützen sei.

Gustav Heinemann habe einmal gesagt, man erkenne den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit ihren
schwächsten Mitgliedern umgehe. Wer das ernst nehme, müsse den vorgelegten Antrag unterstützen.

Die Fraktion der CDU/CSU hob hervor, dass auch sie sich für Chancengleichheit aller Menschen, unabhängig
von Alter, Geschlecht, Religion, Herkunft und sexueller Orientierung einsetze und Anfeindungen, Beschimpfun-
gen und Gewalt gegen LGBTI-Jugendliche entschieden entgegentrete. Dazu habe man zahlreiche Maßnahmen
ergriffen. Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gebe es ein entsprechendes Fachrefe-
rat, das als koordinierender Ansprechpartner für Länder, Betroffenenorganisationen und Verbände fungiere. Ne-
ben Studien, Modellprojekten, Veranstaltungen und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld gebe es eine intermi-
nisterielle Arbeitsgruppe zur Situation von trans- und intergeschlechtlichen Menschen (IMAG), die Problembe-
reiche bewerte und gesetzgeberische Lösungen begleite. Dazu zählten auch Operationen an intergeschlechtlichen
Kindern. Das Ergebnispapier der IMAG dazu sei noch abzuwarten. Umfassende Informationen und zielgruppen-
spezifische Beratungsangebote seien bereits vorhanden und würden weiter ausgebaut. Darüber hinaus werde Auf-
klärungsarbeit durch die Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte über das Programm „Demokratie leben“ ge-
zielt unterstützt. Der am 14. Juni 2017 vom Kabinett beschlossene Aktionsplan sei um die Themen Homosexuel-
len- und Transfeindlichkeit ergänzt worden. Im Rahmen des Kinder- und Jugendplans würden verschiedene Leit-
ziele der Kinder- und Jugendhilfe vorgegeben. Viele der zuvor genannten Forderungen, wie zum Beispiel die
positive Darstellung der Vielfalt der Familienmodelle und Lebensweisen in Schulbüchern und Lehrplänen, seien
aber von den Bundesländern umzusetzen. Insoweit sei auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufgefor-
dert, daran mitzuwirken. Es bestehe Grundkonsens, dass das Thema weiter verfolgt werden müsse und Jugendli-
che weiterhin unterstützt werden müssten.

Dem vorgelegten Antrag könne man vor dem Hintergrund der bereits ergriffenen Maßnahmen und aufgrund der
Länderzuständigkeit nicht zustimmen.

Die Fraktion DIE LINKE. kündigte an, dem Antrag zuzustimmen. Was die Situation queerer Jugendlicher in
Deutschland kennzeichne, habe die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN richtig beschrieben und müsse nicht
wiederholt werden. Von besonderer Bedeutung sei die in Studien belegte vier- bis sechsmal so hohe Suizidrate
unter queeren Jugendlichen. Das habe etwas mit dem Umgang der Gesellschaft mit diesen Jugendlichen zu tun.
Das sei keine Bagatelle, über die man einfach hinweggehen könne.

Drucksache 18/12849 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wolle dem durch Empowerment und Antidiskriminierungsmaßnah-
men entgegenwirken, die sehr kleinteilig aufgeschlüsselt würden. Hervorzuheben sei die Tatsache, dass es unter
den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die nach Deutschland kämen, immer mehr homosexuelle und
queere Jugendliche gebe, die ihre Heimat verlassen müssten, weil sie dort existentiell bedroht würden. Dazu
müsse man mehr forschen, bevor man über sinnvolle Antidiskriminierungsmaßnahmen sprechen könne. Ein wei-
teres großes Problem habe man im Bereich der Geschlechtsnormierungen. So komme es bei intersexuellen Ju-
gendlichen nicht selten unter Ausübung von Druck auf die Eltern zu Geschlechtsanpassungen in der Hoffnung,
damit das Problem lösen zu können. Die Fraktion DIE LINKE. fordere insoweit, Geschlechtsnormierungen von
Kindern und Jugendlichen zu verbieten, um sie später selbst entscheiden zu lassen.

Insgesamt sei der vorgelegte Antrag gut. Ähnliche Bestrebungen habe es schon unter dem rot-roten Senat in Berlin
im Jahre 2009 gegeben und auch der neue rot-rot-grüne Senat werde ein entsprechendes Programm auflegen.
Damit würden auch Maßstäbe für andere Bundesländer gesetzt.

Um queeren Jugendlichen die Chance zu geben, wie ihre Altersgenossen aufwachsen zu können, brauche es mehr
gesellschaftliche Akzeptanz. Diese herzustellen diene der Antrag, deshalb werde man ihm zustimmen.

Die Fraktion der SPD begrüßte, dass die Thematik in dem Antrag aufgegriffen worden sei und dass detaillierte
Vorschläge vorgelegt worden seien. Der CDU/CSU-Fraktion sei darin zuzustimmen, dass viele Forderungen teil-
weise in anderer Form von der Koalition in der konkreten Arbeit bereits erfüllt würden, wenn auch nicht in einem
eigenen Aktionsplan und in einer eigenen Aufklärungskampagne. Mit einer pauschalen Kritik an der Arbeit des
Ministeriums solle man vorsichtig sein. Diese Kritik komme nämlich auch bei den geförderten Projekten an, die
jedoch eine gute Arbeit leisteten und somit dieser Arbeit nicht gerecht werde. Inhaltlich liege man in vielen Be-
reichen nicht weit auseinander.

Der Antrag enthalte einen großen Katalog, was mit den Ländern besprochen werden solle. Die Bundesministerin
führe viele solche Bund-Länder-Gespräche. In solche Runden könnten sich auch viele Landesministerinnen und
-minister einbringen. Es sei gar nicht notwendig, immer nur die Bundesregierung aufzufordern, zumal diese Ge-
spräche ja von Seiten des BMFSFJ geführt würden. Teile von dem, was gefordert werde, seien nicht Bestandteil
der derzeitigen Arbeit der Koalition. Das liege aber auch daran, dass man sich in der Koalition nicht in allen
Fragen einig sei. Hier arbeite man daran, den Koalitionspartner noch zu überzeugen. Auch wenn der Antrag in
der Tendenz viele positive Punkte enthalte, werde man ihn ablehnen.

Berlin, den 21. Juni 2017

Gudrun Zollner
Berichterstatterin

Sönke Rix
Berichterstatter

Norbert Müller (Potsdam)
Berichterstatter

Beate Walter-Rosenheimer
Berichterstatterin

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