BT-Drucksache 18/12787

Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den Weg bringen - Sohlerosion stoppen

Vom 21. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12787
18. Wahlperiode 21.06.2017
Antrag
der Abgeordneten Steffi Lemke, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie Wilms,
Peter Meiwald, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver
Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner,
Matthias Gastel, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den Weg bringen – Sohlerosion
stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Elbe ist einer der letzten verbliebenen naturnahen Flusslandschaften Mitteleuro-
pas. Die Elbauen zeigen sich vielfältig: Moore, Binnendünen, Geestkanten, Auenwäl-
der, Wiesenlandschaften und Altarme prägen die Landschaft. Diese außergewöhnliche
Naturlandschaft ist eine Achse der Biodiversität, Hotspot der Artenvielfalt, Heimat
unzähliger seltener Tier- und Pflanzenarten und von internationaler Bedeutung für die
Biodiversität. Über 400 Flusskilometer erstreckt sich hier das länderübergreifende U-
NESCO-Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“ und fast der gesamte Lauf der
deutschen Elbe steht als FFH-Gebiet unter Schutz. Natur und Landschaft locken eine
zunehmende Zahl von Touristen an. Damit entwickelte sich der Tourismus zu einem
wesentlichen Wirtschaftsmotor der Region. Rückläufig hingegen ist die Bedeutung der
Elbe für die Schifffahrt. Der naturnahe Fluss, mit beweglichem Sandbett und schwan-
kender Wasserführung, kann und konnte keine verlässliche Befahrbarkeit für immer
größere Schiffstypen gewährleisten. Mit dem Zusammenbruch der Schwerindustrie in
den neuen Bundesländern ging nach 1989 auch der Bedarf zurück. Im Jahr 2015 wur-
den nur 0,32 Millionen Tonnen transportiert, 2016 waren es 0,35 Millionen Tonnen.
Klimaveränderungen, Sohlerosion, Baumaßnahmen und Niedrigwasserstände bedro-
hen das wertvolle Ökosystem der Elbelandschaft. Besonders problematisch sind die
Ausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen an der Elbe. Eine tatsächliche Mindesttiefe
der Fahrrinne von durchgängig 1,60m wurde trotz großer baulicher Anstrengungen
und einem Mitteleinsatz von 392 Millionen Euro verfehlt. Schwankende Abflüsse und
insbesondere langanhaltende Niedrigwasser erlauben keine garantierten Tauchtiefen
und damit keinen planbaren Schiffsverkehr. Die Bedeutung der Elbe für den Transport
von Gütern geht deswegen kontinuierlich zurück. Statt die Schifffahrt zu befördern,
treiben die Ausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen die weitere Sohlerosion an. Seit
weit mehr als 100 Jahren tieft sich die Mittelelbe abschnittsweise pro Jahr um bis zu 2
cm ein. Durch die Erosion entfernt sich der Wasserspiegel des Flusses stetig von der
Aue, wodurch der Feuchtlebensraum Aue immer weiter trocken zu fallen droht. Dies

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hat neben negativen Folgen für die Biodiversität auch für die Infrastruktur, die Land-
wirtschaft und den Tourismus sowie die Schifffahrt existentielle Auswirkungen. Ver-
schärft durch Ausbau, Begradigung, Vertiefung und Eindeichung und die Einengung
der Überschwemmungsgebiete kam es während der Hochwasser der Elbe von 1994,
2002, 2011 und 2013 zu historisch höchsten Wasserständen. Auch der schlechte Zu-
stand und die Zerstörung von Flussauen begünstigen gefährliche Hochwasserereig-
nisse. Dabei können Pegelstände durch ökologische Hochwasserschutzmaßnahmen
massiv gesenkt werden.
Der Elbe mehr Raum zu geben und die Erosion der Sohle zu stoppen und umzukehren,
ist für Erhalt der Naturlandschaft und den Hochwasserschutz notwendig, während
Ausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen hier entgegenstehen.
Die Ansprüche an die Elbe sind sehr verschieden – zwischen Erhalt der Natur, Hoch-
wasserschutz, Tourismus und dem Streben nach vermeintlich besserer Befahrbarkeit –
und Ursache für jahrzehntelange Diskussionen. Mit dem seit 2011 laufenden Prozess,
der im Januar 2017 im „Gesamtkonzept Elbe - Strategisches Konzept für die Entwick-
lung der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen“ mündete, versuchten das Bundesmi-
nisterium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, das Bundesministe-
rium für Verkehr und digitale Infrastruktur und angrenzende Bundesländer diese Inte-
ressen zu bündeln und miteinander in Einklang zu bringen. Diese Bemühungen um
einen Interessenausgleich zwischen den Interessen des Naturschutzes, des Tourismus,
der Wasserwirtschaft und der Schifffahrt sind begrüßenswert, jedoch liegen bislang
keine konkreten Lösungen vor. Das im „Eckpunkte für ein Gesamtkonzept Elbe des
Bundes und der Länder“ (Mai 2013) beschriebene Ziel, „die umweltverträgliche ver-
kehrliche Nutzung sowie die wasserwirtschaftlichen Notwendigkeiten mit der Erhal-
tung des wertvollen Naturraums in Einklang zu bringen“ erreicht das Gesamtkonzept
bisher nicht. Vielmehr stellt es einen Rahmen dar, in dem offene Fragen, Leerstellen
und Konflikte benannt werden. Der Prozess der Sohlenerosion wird als Hauptproblem
für die Flusslandschaft Elbe anerkannt, die Lösungsvorschläge für dieses Problem blei-
ben jedoch bisher vage bzw. sollen modellhaft erprobt werden. Der Zielkonflikt zwi-
schen dem beabsichtigten Stopp der Sohlerosion und dem fixierten Unterhaltungsziel
einer Mindestfahrrinnentiefe von 1,40m an 345 Tagen (unter Gleichwertiger Wasser-
stand (GlW) 2010) pro Jahr wird nicht aufgelöst.
Deshalb gilt es nun den vorgelegten Rahmen zu konkretisieren und mit Parametern,
Zeitplänen, Inhalten und Lösungsansätzen zu füllen, damit das Konzept nach seiner
Vervollständigung seinen Namen „Gesamtkonzept“ tatsächlich verdient.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

– das Bemühen um einen Ausgleich der Interessen an der Elbe, mit diesem seit
2013 laufenden Prozess, unter Einbeziehung verschiedener Interessengruppen;

– dass das Gesamtkonzept Elbe und alle Prozessbeteiligten das Problem der Sohle-
rosion an der Elbe anerkennen und keine Maßnahmen ergreifen wollen, die das
Flussbett weiter vertiefen;

– den vorgelegten Handlungsrahmen des Konzeptes, der offene Fragen und Kon-
flikte benennt.

III. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– unabhängig vom Gesamtkonzept Elbe schnellstmöglich Maßnahmen zu ergrei-
fen, die die Sohlerosion der Elbe stoppen und umkehren und keine Maßnahmen
umzusetzen, deren Auswirkungen auf die Sohlerosion nicht bekannt sind;

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– ein quantifizierbares Ziel zur Umkehr der Sohlerosion und anderer naturschutz-

relevanter Zielstellungen zu verabschieden und im Gesamtkonzept Elbe festzu-
schreiben. Weiterhin ist
o die Forschung zum Erhalt eines ökologisch intakten Flusses, insbesondere

zum Stopp und zur Umkehr der Sohlerosion zu stärken und
o das 2009 vom Bund und von den Ländern Sachsen und Sachsen-Anhalt er-

stellte Sohlstabilisierungskonzept Elbe mit seinem Pilotprojekt in Klöden um
das Ziel des Stopps und der Umkehr der Erosion zu erweitern und zügig um-
zusetzen,

o zeitnah eine deutliche Erhöhung der Geschiebezugabe zu prüfen und umzu-
setzen;

– sich weiterhin zum Ausbaumoratorium an der Elbe zu bekennen und
o anzuerkennen und zu verdeutlichen, dass Mindestfahrrinnentiefen der Elbe

angesichts von fortschreitenden Klimaveränderungen, Niedrigwasserjahren
und Sohlerosion angestrebt aber nicht garantiert werden können sowie

o in Gesprächen mit Vertretern Tschechiens deutlich zu machen, dass die Ziel-
stellung des Gesamtkonzepts Elbe nicht mit dem Bau weiterer Staustufen an
der bereits gestauten und verbauten Elbe in Tschechien kompatibel und dass
eine Angleichung der Befahrbarkeit unmöglich ist;

– das Gesamtkonzept Elbe zu vervollständigen und im Folgeprozess weiterzuent-
wickeln. Dafür ist
o mit den Elbeanrainer-Bundesländern ein verbindliches Zeit-, Handlungs-,

und Finanzkonzept für den Anschluss- und Umsetzungsprozess „Gesamtkon-
zept Elbe“ zu entwickeln und mit ausreichenden finanziellen und personellen
Mitteln, insbesondere die Umsetzung der ökologischen Maßnahmen, sicher-
zustellen und offene Fragen und Konflikte zügig zu lösen (offene Zukunfts-
fragen – Kapitel 5). Insbesondere müssen folgende Fragen schnellstmöglich
beantwortet werden: Stopp und Umkehr der Sohlerosion, Vereinbarkeit des
Unterhaltungsziels einer Mindestfahrrinnentiefe von 1,40 m (GIW 2010) mit
den Zielen des Stopps und der Umkehr der Sohlerosion und den Zielen der
FFH und WRRL, und umweltverträgliche Ausgestaltung des Elbe-Rege-
lungssystems,

o darauf hinzuwirken, dass auf Bundes- und Landesebene die bisherigen und
künftigen Ergebnisse des Prozesses Gesamtkonzept Elbe als Grundlage für
das Verwaltungshandeln dienen,

o sicherzustellen, dass die Verantwortung für den Folgeprozess weiterhin beim
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur liegt und die Län-
der hierin stark eingebunden sind,

o der Folgeprozess zum Gesamtkonzept Elbe transparent und partizipativ zu
gestalten. Die Menschen vor Ort und Interessenverbände sollen umfassend
und angemessen am Folgeprozess zum Gesamtkonzept Elbe teilhaben kön-
nen, wozu Ressourcen sicherzustellen sind,

o im Rahmen des Anschlussprozesses, die Zielstellung des Eckpunktepapiers
einer übergreifende Behandlung der Flussgebietseinheit Elbe umzusetzen,
statt der weiterhin sektoralen Abschnittsperspektive des vorliegenden Ge-
samtkonzeptes Elbe nach Erosionsstrecke und Reststrecke,

o sicherzustellen, dass nur Maßnahmen umgesetzt werden, die Synergieeffekte
zur Erreichung der Ziele von Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Richtlinie und
WRRL mit sich bringen,

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o darauf hinzuwirken, dass bei der Umsetzung Synergien mit dem Bundespro-
gramm Blaues Band genutzt werden,

o der Elbe-Seiten-Kanal insbesondere bei der Bedarfsplanung des Bundes und
im Umgang mit der im GKE definierten Reststrecke zu berücksichtigen,

o ein Monitoring für alle im Rahmen der Umsetzung des GKS durchgeführten
Maßnahmen zu betreiben und dafür ausreichende personelle und finanzielle
Ressourcen zur Verfügung stellen,

o der ökologischen Hochwasserschutz entlang der Elbe in Zusammenarbeit mit
den Ländern weiter voranzubringen,

o sich für die Entwicklung einer touristischen Marke „Elbe“ einzusetzen – mit
besonderem Augenmerk auf Radtourismus und nicht motorgetriebenen Was-
sersport .

Berlin, den 20. Juni 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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