BT-Drucksache 18/12661

Europäische Pläne für Grenzkontrollen im Süden Libyens

Vom 31. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12661
18. Wahlperiode 31.05.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Wolfgang Gehrcke,
Annette Groth, Inge Höger, Jan Korte, Niema Movassat, Alexander Ulrich und der
Fraktion DIE LINKE.

Europäische Pläne für Grenzkontrollen im Süden Libyens

Die Außenbeauftragte der Europäischen Union (EU), Federica Mogherini, unter-
stützt die deutsch-italienischen Anstrengungen für europäische Grenzkontrollen
im Süden Libyens (The Independent vom 16. Mai 2017, „EU to conduct border
patrols in Libya to stop migrants reaching Europe“). Einen entsprechenden Vor-
schlag hatten die Innenminister Deutschlands und Italiens zuvor an die Europäi-
sche Kommission gerichtet. Demnach solle die Europäische Union stärker an der
Grenze zum Niger präsent sein, um Geflüchtete schon dort an der Überfahrt über
das Mittelmeer zu hindern.
Möglicherweise würden die Grenzkontrollen im Rahmen einer Wiederaufnahme
der EU-Grenzüberwachungsmission EUBAM erfolgen. EUBAM hatte kürzlich
eine Bestandsaufnahme libyscher Grenzbehörden vorgelegt und ausgelotet, in-
wiefern die Mission an deren Strukturen anknüpfen könnte (Bundestagsdrucksa-
che 18/11954). Auch die Bundespolizei arbeitet in EUBAM mit. Die EU-An-
strengungen werden in einer „EU Liaison and Planning Cell“ koordiniert, an der
auch die Europäische Gendarmerie Force (EUROGENDFOR) teilnimmt. Zwei
weitere „Experten“ der EUROGENDFOR arbeiten bei EUBAM Libyen mit.
Außer der EU-Mission ist Italien mit einer eigenen Grenzmission in Libyen prä-
sent. Die Einheitsregierung in Libyen erhält zehn Patrouillenboote aus Italien (Li-
bya Herald vom 15. Mai 2017, „South Libya needs more help preventing illegal
migration insists Serraj in talks with Italy’s interior minister”). Laut dem italieni-
schen Innenminister wird die libysche Küstenwache dadurch zu „einer der wich-
tigsten in Afrika“. Nicht nur Libyen sondern auch Italien und die Europäische
Union stünden „fest“ hinter der Truppe.
Am 22. Februar 2017 hat die libysche Einheitsregierung eine „Bedarfsliste“ für
die weitere Ausstattung der libyschen Küstenwache bei der Europäischen Kom-
mission eingereicht (vgl. Antwort auf die Schriftliche Frage 15 des Abgeordneten
Andrej Hunko auf Bundestagsdrucksache 18/12322). Für Kontrollen auf See for-
dern die Behörden 80 bis 100 Meter lange Hochseepatrouillenboote, 30 bis
60 Meter lange mittelgroße Patrouillenboote, für die Hoheitsgewässer eine
„Großzahl“ an 7 bis 8 bzw. 10 bis 15 Meter langen Festrumpfschlauchbooten.
Außerdem verlangt die Küstenwache Landfahrzeuge, darunter Rettungswagen
und Radarwagen. Die Liste wird derzeit von der Europäischen Kommission, dem
Europäischen Auswärtigen Dienst, den EU-Mitgliedstaaten und der Bundesregie-
rung geprüft.

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Auch die NATO will sich verstärkt in Libyen engagieren (Libya Herald vom
29. April 2017, „NATO looks to rebuild Libyan defence ministry and intelligence
services“). Laut dem Generalsekretär Jens Stoltenberg entsendet die Organisation
ein Team zum Wiederaufbau des libyschen Sicherheitsapparates. So sollen ein
„modernes“ Verteidigungsministerium, ein Generalstab und Geheimdienste er-
richtet werden. Gespräche hierzu würden in den ersten Wochen des Mai 2017
beginnen und bis zum NATO-Gipfeltreffen am 25. Mai 2017 beendet sein. Die
NATO-Unterstützung wurde von der Einheitsregierung im Februar 2017 offiziell
beantragt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Details kann die Bundesregierung zur Infrastruktur für Hubschrau-

ber nigrischer Sicherheitskräfte mitteilen, deren Aufbau und „Verbesserung
der Infrastruktur auf den Flugplätzen“ von der Bundeswehr finanziell unter-
stützt wird (Bundestagsdrucksache 18/12451, Antwort zu Frage 13)?
a) Welche Abteilungen welcher „Sicherheitskräfte“ erhalten außerdem wel-

che Fahrzeuge von der Bundeswehr?
b) Wann und wo soll die ebenfalls vorgesehene Ausbildung von Offizieren

der G5-Sahel in neuen Lehrgängen erfolgen?
2. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche Staaten welche Typen

von Aufklärungsdrohnen im Niger stationieren, um damit unter anderem die
Grenzen des Landes zu überwachen (defense.gouv.fr vom 24. März 2017,
„Barkhane: arrivée de deux drones Reaper supplémentaires“, Zugriff am
23. Mai 2017)?

3. Was ist der Bundesregierung über die Verantwortlichen für den Angriff auf
die Luftwaffenbasis Brak El-Shati an der Grenze zum Niger bekannt, bei
dem mindestens 141 Menschen erschossen und teilweise exekutiert wurden,
und wofür Milizen verantwortlich gemacht werden, die der Einheitsregie-
rung gegenüber loyal sind (Human Rights Watch vom 21. Mai 2017, „Libya:
Mass Executions Alleged at Military Base”)?

4. Welchen Inhalt hat das Schreiben der Innenminister Deutschlands und Itali-
ens an die Europäische Kommission, in dem die Europäische Union zu einer
stärkeren Präsenz an der Grenze zum Niger aufgefordert wird, um Geflüch-
tete schon dort an der Überfahrt über das Mittelmeer zu hindern?
a) Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung hierzu für geeignet, und

welche dieser Maßnahmen werden derzeit auf Ebene der Europäischen
Union erörtert?

b) Inwiefern sollen die Grenzkontrollen aus Sicht der Bundesregierung im
Rahmen einer Wiederaufnahme der EU-Grenzüberwachungsmission
EUBAM erfolgen?

c) Welche weiteren Pläne zur Wiederaufnahme von EUBAM Libyen sind
der Bundesregierung bekannt?

5. Welche über die Beantwortung der Bundestagsdrucksache 18/11954 hinaus-
gehenden Anstrengungen der „EU Liaison and Planning Cell“ sind der Bun-
desregierung hinsichtlich neuer Maßnahmen in Libyen bekannt?

6. Mit welchen Aufgaben arbeiten die drei „Experten“ der Europäischen Gen-
darmerie Force in der „EU Liaison and Planning Cell“ und bei EUBAM Li-
byen mit?

7. Was ist der Bundesregierung über Fortschritte beim Aufbau einer Präsidial-
garde für die Einheitsregierung bekannt (bitte Umfang und Ausrüstung sowie
Ausbilder der Truppe mitteilen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12661
8. Mit welchem Ergebnis wurde das zweite Ausbildungsmodul der EU-Militär-
mission EUNAVFOR MED für die libysche Marine zu den Themenfeldern
„Boarding, maritimes Recht und Such- und Rettungsdienst“ abgeschlossen
(Bundestagsdrucksache 18/11329)?

9. Was ist der Bundesregierung zu Überlegungen der libyschen Einheitsregie-
rung bekannt, eine zuständige und verantwortliche Rettungsleitstelle (Rescue
Coordination Centre – RCC) zu benennen oder eine Erklärung abzugeben,
für welche konkreten Seenotrettungsgebiete (Maritime Search and Rescue
Regions) sie nach internationalem Recht zuständig sein will, um damit den
Anforderungen des Internationalen Übereinkommens über den Such- und
Rettungsdienst auf See von 1979 (SAR Convention 79), dem Libyen beitrat,
zu entsprechen (Bundestagsdrucksache 18/9262)?

10. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, auf welche Weise Italien die
libysche Einheitsregierung beim Aufbau eines RCC unterstützt, und wann
soll ein solches Zentrum zur Überwachung des Mittelmeers vor Libyen ein-
satzbereit sein?

11. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Einheitsregie-
rung in Libyen verstärkt in der 24-Meilen-Zone, der Wirtschaftszone und auf
Hoher See präsent sein will?

12. In welchen Küstenabschnitten werden nach Kenntnis der Bundesregierung
von der libyschen Küstenwache die ersten vier der von Italien geschenkten
zehn Patrouillenboote eingesetzt?

13. Wann wollen die Europäische Kommission und der Europäische Auswärtige
Dienst die Prüfung der von der libyschen Einheitsregierung eingereichten
„Bedarfsliste“ für die weitere Ausstattung der libyschen Küstenwache mit
Booten und Schiffen abschließen (vgl. Antwort auf die Schriftliche Frage 15
des Abgeordneten Andrej Hunko auf Bundestagsdrucksache 18/12322 und
die Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 18/12140)?
a) Über welche Funktionalitäten sollen die ebenfalls verlangten „Radarwa-

gen“ und „Kommunikationsmittel“ verfügen?
b) Welche Angaben enthält die Liste zu Spezifikationen der angeforderten

Hubschrauber?
c) Mit welchem Ergebnis hat auch die Bundesregierung die „Bedarfsliste“

geprüft, und wo hat sie ihre Schlussfolgerungen dazu eingebracht?
14. Welchen Inhalt haben die sieben Schulungsmaßnahmen, die von Mai bis Ok-

tober 2017 im Rahmen des EU-Netzwerks „Seepferdchen Mittelmeer“ vor-
gesehen sind und von italienischen sowie maltesischen Militärs und Grenz-
behörden durchgeführt werden (Bundestagsdrucksache 18/12459), und wer
nahm oder nimmt an diesen Maßnahmen teil?

15. Welche Sachverhalte sprechen dafür, dass das am 1. Mai 2017 vom deut-
schen Tender RHEIN im Rahmen von EUNAVFOR MED vor der libyschen
Küste durchsuchte Motorboot unter libyscher Flagge, bei dem Waffen und
Munition beschlagnahmt wurden, für die libysche Einheitsregierung unter-
wegs war (vgl. Antwort auf die Schriftliche Frage 2 des Abgeordneten
Andrej Hunko auf Bundestagsdrucksache 18/12502), und welche Mitteilung
hat die Bundeswehr diesbezüglich an den zuständigen Ausschuss gemeldet,
der nach der Resolution 1970 (2011) des Sicherheitsrats der Vereinten Nati-
onen eingerichtet wurde?

Drucksache 18/12661 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

16. Inwiefern kann das Bundesministerium der Verteidigung nach Sichtung von

Fotos und Videos herausfinden, ob die Einsätze von Waffengewalt am
10. Mai 2017 (http://gleft.de/1IY) und am 25. Mai 2017 (http://gleft.de/1IX)
durch Angehörige der libyschen Küstenwache von Einheiten erfolgte, die
durch die Bundeswehr ausgebildet wurden, und was ergaben diese Untersu-
chungen?
a) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, von welchen Häfen die do-

kumentierten Schiffe operieren?
b) Sofern die Bundesregierung weder die Einheiten noch die Schiffe zuord-

nen kann, welche Anstrengungen unternimmt sie, die Vorfälle, die auch
eine deutsche Rettungsorganisation betrafen, aufzuklären?

c) Inwiefern war die Bundesregierung mit ihren Bemühungen erfolgreich,
die in der auf Bundestagsdrucksache 18/10617 (Fragen 1 bis 6) gegen-
ständlichen Schusswaffeneinsätze und andere Repressalien der libyschen
Küstenwache gegenüber Rettungsorganisationen aufzuklären, wozu die
Bundesregierung die EU-Operation EUNAVFOR MED um Hilfe gebeten
hatte und die Küstenwache in einem der Fälle selbst eine Untersuchung
anordnete?

17. Wo wird das von FRONTEX seit März 2017 angemietete „Flugzeug zur See-
grenzüberwachung“ im zentralen Mittelmeer eingesetzt (Bundestagsdruck-
sache 18/12140)?

18. Was ist der Bundesregierung über Planungen und Inhalte eines dritten Aus-
bildungsmoduls der EU-Militärmission EUNAVFOR MED für die libysche
Marine bekannt?

19. Was ist der Bundesregierung über den Umfang des Informationsaustauschs
zwischen der EU-Militärmission EUNAVFOR MED und dem US-Militär-
kommando AFRICOM in Stuttgart zu Vorgängen auf dem Mittelmeer be-
kannt (Bundestagsdrucksache 18/12459)?
a) Auf welche Weise will das AFRICOM auch die EU-Mission EUBAM

unterstützen (dvidshub.net vom 23. Mai 2017, „AFRICOM Commander
visits Libyan Prime Minister in Tripoli, Libya“)?

b) Welche weiteren Maßnahmen oder Angebote des AFRICOM an die Ein-
heitsregierung sind der Bundesregierung bekannt?

20. Auf welche Weise will die NATO nach Kenntnis der Bundesregierung die
Errichtung eines „modernen“ libyschen Verteidigungsministeriums, eines
Generalstabes und von Geheimdiensten unterstützen?
a) Mit welchen Ministerien, Behörden oder sonstigen Einrichtungen war die

NATO hierzu mit Libyen im Gespräch?
b) Welche Schlussfolgerungen wurden hierzu auf dem NATO-Gipfel verab-

redet, und welche weiteren Maßnahmen sollen nun erfolgen?
21. Was ist der Bundesregierung über den Streit einer zentralen libyschen

Ölagentur mit der in Kassel ansässigen Firma Wintershall bekannt, die Vor-
würfen zufolge der libyschen Gesellschaft Gelder vorenthält und mit der Ein-
heitsregierung dubiose Verträge abgeschlossen haben soll, die von einem
Gericht in Benghazi für nichtig erklärt wurden (The Guardian vom 17. Mai
2017, „German oil firm accused of withholding $900m from Libya“), und
welche Vorschläge zur Lösung dieses Konfliktes hat sie den Beteiligten ge-
macht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/12661

22. Welche „verstärkte Zusammenarbeit mit nordafrikanischen und arabischen

Ländern sowie dort aktiven EU Stellen“ wird bei Europol geprüft, wozu der
Bundesregierung Erwägungen zur Zusammenarbeit unter anderem über den
INTERPOL-Kanal, mit EU-Delegationen und GSVP-Missionen oder Bot-
schaften der Mitgliedstaaten bekannt sind (Bundestagsdrucksache 18/12459)?
a) Inwiefern wurden hierzu bereits erste konkrete Maßnahmen verabredet

oder erörtert?
b) Was ist der Bundesregierung über ein Europol-Projekt zur Ausweitung

der Zusammenarbeit gegen „Migrantenschmuggel“ bekannt, das nach
Kenntnis der Fragesteller den Namen PEDRA trägt, und wer nimmt daran
teil?

23. Inwiefern hat der „noch engere Austausch“ unter anderem der Regierungen
Italiens, Deutschlands, Tunesiens und Libyens bei der „Bekämpfung der il-
legalen Migration“ über die zentrale Mittelmeerroute inzwischen zu konkreten
oder verabredeten Maßnahmen geführt (Bundestagsdrucksachen 18/12459
und 18/12140)?
a) Welche weiteren Maßnahmen zur „Bekämpfung der Schleusungskrimi-

nalität, Verbesserung der Lebensbedingungen von Flüchtlingen, Verbes-
serung des Grenzschutzes, bei der Rückkehr und bei Informationskam-
pagnen“ hält die Bundesregierung für wünschenswert, und welche hat sie
selbst vorgeschlagen?

b) In welchen afrikanischen Herkunfts- und Transitstaaten sollen aus Sicht
der Bundesregierung „Informationskampagnen“ durchgeführt werden?

c) Wann und an welchem Ort in Tunis soll der „noch engere Austausch“ zur
Zusammenarbeit nordafrikanischer und europäischer Innenminister im
Juni 2017 stattfinden?

Berlin, den 29. Mai 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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