BT-Drucksache 18/12548

Globalabkommen mit Mexiko aussetzen

Vom 30. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12548
18. Wahlperiode 30.05.2017
Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke,
Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich,
Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Globalabkommen mit Mexiko aussetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit 1997 ist das so genannte Globalabkommen der Europäischen Union (EU) mit Me-
xiko in Kraft. Seine zentrale Säule ist ein Freihandelsabkommen, dessen Aktualisie-
rung seit 2015 verhandelt wird. Die unverändert hohe Armut, die systematische Aus-
beutung der Bevölkerung durch Großkonzerne und die enorme soziale Ungleichheit
sind Folgen der Freihandelspolitik. Die Vertiefung des Globalabkommens mit der EU,
insbesondere die Angleichung an CETA-Standards, drohen die wirtschaftliche und so-
ziale Situation in dem Land weiter zu verschlechtern.
Mexiko ist das Land mit den meisten Freihandelsabkommen weltweit. Entgegen den
Prognosen neoliberaler Ökonomen hat die Liberalisierungspolitik der Regierung für
das Land erhebliche negative Auswirkungen sowohl wirtschaftlicher als auch gesell-
schaftlicher Art gebracht und eine nachhaltige und soziale Entwicklung verhindert. In
den 20 Jahren seit Abschluss der Freihandelszone NAFTA mit den USA und Kanada
ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lediglich halb so schnell gewachsen wie im la-
teinamerikanischen Durchschnitt. Während im Rest Lateinamerikas die Armut halbiert
wurde, leben in Mexiko heute genauso viele Menschen in Armut wie vor 20 Jahren
(Weisbrot et. al. 2014: Did NAFTA Help Mexico?). Agrarinvestoren aus Nordamerika
vertrieben Millionen Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land. Heute beherrschen
Großkonzerne wie Bayer und Monsanto den Markt für Saatgut; sie können in Mexiko
mit hochgiftigen Pestiziden, die z. T. in der EU verboten sind, gute Profite einfahren.
Ein Tribunal über 20 Jahre NAFTA hat dazu eine umfassende Studie über die Auswir-
kungen zusammengestellt (s. http://mexicoviaberlin.org/wp-content/uploads/2014/02/
Gutachten_TPP_-CdJuarez_definitivo.pdf).
Durch NAFTA konnten die nordamerikanischen Konzerne ungehindert von dem nied-
rigen Lohnniveau und den schwachen Arbeitsschutzstandards in Mexiko profitieren.
Um auch an diesem Geschäft auf dem Rücken der mexikanischen Beschäftigten teil-
zuhaben, drängte der europäische Industrie- und Arbeitgeberverband die EU zum Ab-
schluss des Globalabkommens. Mit Erfolg: 1997 gewährte Mexiko den Europäern an-
nähernd die gleichen Präferenzen wie den USA und Kanada. Die Hoffnungen Mexi-

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kos, die Abhängigkeit von den USA zu mindern und Absatzchancen in Europa zu er-
langen, erfüllten sich indes nicht: Das Außenhandelsdefizit Mexikos mit der EU und
der Anteil des US-Handels vergrößerten sich noch weiter (s. www.fdcl.org/wp-con-
tent/uploads/2017/05/FDCL_EUMEX_FTA_web.pdf).
Auch die Industrialisierung der Wirtschaft brachte dem Land keine Entwicklungsfort-
schritte. Denn heute arbeiten Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner unter prekä-
ren Bedingungen in Exportfabriken, den so genannten Maquiladoras, die als Zulieferer
für ausländische Auto- und Elektronikkonzerne fungieren. Dabei bedienen sie nur die
untersten Stufen der Wertschöpfungskette, die großen Gewinne fließen zollfrei zurück
in die Mutterländer der transnationalen Unternehmen. Das Lohnniveau ist in den letz-
ten zehn Jahren noch gesunken und liegt heute 42 Prozent unter dem Chinas. Die me-
xikanischen sogenannten „gelben Gewerkschaften“ setzen nur die Interessen der Un-
ternehmer durch, Beschäftigte wissen oft nicht einmal von ihrer formalen Mitglied-
schaft. Das erneuerte Globalabkommen wird es Mexiko weiter erschweren, die Miss-
stände bei den Arbeitsrechten zu beseitigen und die Situation der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zu verbessern.
Zwar enthält bereits das bisherige Abkommen ein Menschenrechts- und Nachhaltig-
keitskapitel mit Sozialklauseln. Diese sind allerdings vom allgemeinen Streitschlich-
tungsmechanismus ausgeklammert und es bestehen hierfür keine Sanktionsmechanis-
men. Eine verbindliche Klausel, die ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeitern ge-
genüber den Unternehmen zu ihrem Recht verhelfen würde, steht auch bei den mo-
mentanen Verhandlungen nicht auf der Tagesordnung. Auch Menschenrechtsverlet-
zungen im Zusammenhang mit Auslandsinvestitionen, wie z. B. Landvertreibung,
werden durch das Abkommen nicht sanktionierbar. Vielmehr würde das Abkommen
die Rechte der transnationalen Unternehmen weiter stärken.
Ebenso wenig konnte das Globalabkommen zu einer Verbesserung der Menschen-
rechtslage in Mexiko beitragen. Denn obwohl die mexikanischen Sicherheitskräfte in
politische Morde, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind,
wurde die entsprechende Klausel des Globalabkommens noch nie zur Anwendung ge-
bracht und hat somit nur dekorativen Wert. Trotz zehntausender Fälle von Verschwun-
denen hat die mexikanische Regierung bisher keine ausreichenden Maßnahmen zur
Aufklärung und Bekämpfung der gezielten Verschleppungen und mutmaßlichen
Morde ergriffen. Eine unabhängige Untersuchungskommission im Fall der 43 ver-
schwundenen Studenten von Ayotzinapa musste das Land verlassen. Die Täter werden
vielleicht nie vor Gericht stehen: Aufgrund fehlender Rechtsstaatlichkeit herrscht in
Mexiko eine Straflosigkeit von 98 Prozent (s. OHCHR-Bericht, www.ohchr.org/
EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx? NewsID=16578, www.oas.org/en/iachr/
reports/pdfs/mexico2016-en.pdf). Die Monitoring-Instanzen des Globalabkommens
beschränken ihre Arbeit auf Wirtschafts- und Handelsthemen, statt gesellschaftliche
Folgen des Handels oder Menschenrechtsverletzungen zu problematisieren. Den Han-
del mit Mexiko in dieser angespannten Lage zu vertiefen, ist der Verbesserung der
Menschenrechtslage nicht zuträglich.
Die Verhandlungen laufen aktuell im Kontext des CETA-Abkommens zwischen der
EU und Kanada. Da Kanada und Mexiko NAFTA-Partnerländer sind, soll das Global-
abkommen mit den CETA-Normen in Einklang gebracht werden. Textvorlagen bieten
auch die Verhandlungen mit den Philippinen und Indonesien. Dabei drängt die Euro-
päische Kommission, mit besonderer Unterstützung der Bundesregierung, auf die Ein-
richtung von Investor-Staat-Schiedsgerichten. Sollte die mexikanische Regierung
dann etwa ein Gesetz zum Schutz der Beschäftigten oder der Umwelt verabschieden,
könnten ausländische Investoren die nationale Justiz umgehen und vor einem Schieds-
gericht Schadensersatzforderungen einklagen. Von der Synchronisierung mit dem
CETA-Standard profitieren demnach vor allem große EU-Unternehmen, zumal zwi-
schen der EU und Mexiko vor allem Güter innerhalb von Konzernen gehandelt wer-
den. Für mittlere und kleine Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks sind keine

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12548
positiven Effekte zu erwarten, geschweige denn für die Zivilbevölkerung (s. hierzu das
Factsheet von Misereor, Brot für die Welt und FDCL vom 25.09.2015,
www.fdcl.org/wp-content/uploads/2015/09/Fact-Sheet-Handel-und-MR-Me-
xiko_web.pdf).
Die Vertiefung des Globalabkommens würde die verfehlten Entwicklungen in Mexiko
fortführen und das Land weiter von einer nachhaltigen, sozialen und wirtschaftlichen
Entwicklung entfernen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– auf ein Aussetzen der Verhandlungen zwischen der EU und Mexiko über eine
Aktualisierung des Globalabkommens zu drängen;

– eine menschenrechtliche Folgenabschätzung des bestehenden und des derzeit neu
verhandelten Globalabkommens von einem unabhängigen Institut in Zusammen-
arbeit mit Menschenrechtsorganisationen anfertigen zu lassen;

– auch das bestehende Globalabkommen auf negative menschenrechtliche, ökolo-
gische und soziale Auswirkungen hin zu prüfen und sich auf EU-Ebene für Ver-
handlungen mit der mexikanischen Regierung zur Behebung der Missstände ein-
zusetzen;

– von einer Vertiefung der Freihandelspolitik zwischen der EU und Mexiko abzu-
sehen und stattdessen ein entwicklungsförderliches Handelsmandat zu entwerfen;

– die EU-Kommission aufzufordern, im Einklang mit der Menschenrechtsklausel
des Abkommens bei der mexikanischen Regierung auf eine Verbesserung der
Menschenrechtslage und die Bekämpfung der Straflosigkeit zu drängen, etwa
durch die Einrichtung eines zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsbeirats bei der
mexikanischen Regierung und eine Beteiligung an der Internationalen Kommis-
sion gegen Straflosigkeit, und

– die strategische Partnerschaft mit Mexiko aufgrund der verbreiteten Straflosigkeit
und Unterwanderung staatlicher Institutionen durch die organisierte Kriminalität
zu beenden.

Berlin, den 30. Mai 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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