BT-Drucksache 18/12382

Wege zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft

Vom 17. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12382
18. Wahlperiode 17.05.2017
Antrag
der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Steffi
Lemke, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Stephan Kühn (Dresden), Peter
Meiwald, Markus Tressel, Dr. Julia Verlinden, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wege zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Anwendungsmengen von Pestiziden sind in Deutschland immer noch gigantisch
hoch. Über 100.000 Tonnen Pestizide werden jährlich in Deutschland verkauft. Auf
deutschen Äckern werden 50 Prozent mehr Pestizide als 1995 eingesetzt, seit 1970 hat
sich die Giftmenge sogar mehr als verdoppelt, obwohl immer wirksamere und damit
oft auch toxischere Wirkstoffe eingesetzt werden. Trotz Teilverboten hat sich auch an
der Menge der eingesetzten Neonikotinoide – Insektengifte, die massenhaftes Bienen-
sterben verursachen – nichts geändert. Und das, obwohl die Menschen gesundes Essen
ohne Gift wollen und die Umweltauswirkungen drastisch sind. Denn das Geschäft mit
Pestiziden ist profitabel. Der Nettoinlandsumsatz der deutschen Pestizidhersteller be-
läuft sich auf satte 1,6 Mrd. Euro. Dem stehen massive Kosten und Schäden gegen-
über, für Menschen, Tiere und Umwelt.
Zivilgesellschaft und Umweltverbände protestieren deshalb zunehmend gegen den
massiven Pestizideinsatz und die Europäische Bürgerinitiative gegen Glyphosat (EBI
Glyphosat) hat innerhalb weniger Monate eine dreiviertel Million Unterschriften von
Bürgerinnen und Bürgern gesammelt, die eine Wiederzulassung von Glyphosat in der
EU nicht mitmachen wollen.
Denn Ackergifte treffen nicht nur die Lebewesen, gegen die sie eingesetzt werden. Sie
vernichten sowohl Wildkräuter als auch Insekten. Damit sägt die Landwirtschaft an
ihrem eigenen Ast. Denn eine Vielzahl von Kulturen und bis zu 80 Prozent der Nutz-
und Wildpflanzen sind ganz oder zum größten Teil auf die Bestäubung durch Insekten
angewiesen.
Für Glyphosat, aber auch für andere Stoffe, gibt es außerdem deutliche Hinweise da-
rauf, dass sie auch das Bodenleben schädigen und damit langfristig sogar die Grund-
lage für den Anbau unserer Lebensmittel entziehen.
Pestizide landen außerdem oftmals da, wo man sie gar nicht haben will: im Wasser,
im Boden, in Lebensmitteln.

Drucksache 18/12382 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Im Grund- und Oberflächenwasser sind Pestizidrückstände breit nachweisbar. Kläran-
lagen müssen für viel (öffentliches) Geld umgerüstet werden, um Rückstände zu fil-
tern, Mineralwasserquellen sind durch Grenzwertüberschreitungen bedroht.
Der letzte Bericht der UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung spricht
von 200.000 Todesfällen im Jahr weltweit als Folge von Vergiftungen mit Pestiziden,
v. a. bei der Anwendung.
Pestizide landen aber auch direkt auf dem Teller und damit in unseren Körpern. So
wurden Glyphosatrückstände bei verschiedenen Stichprobentests selbst im Urin von
Stadtbewohnern und Stadtbewohnerinnen nachgewiesen.
Eine Landwirtschaft der Zukunft arbeitet jedoch mit ihren natürlichen Grundlagen und
kommt ohne den Großeinsatz von Pestiziden aus. Dass es nicht ausreicht, auf che-
misch-synthetischen Pflanzenschutz zu setzen, zeigen auch resistente Superunkräuter,
zu dem sich beispielsweise der Fuchsschwanz in Norddeutschland zu entwickeln
droht.
Gerade angesichts solcher realen Bedrohungen sind die Anstrengungen der Bundesre-
gierung im Bereich des Einsatzes von Pestiziden und der Alternativen dazu im Rahmen
des „Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmit-
teln“ (NAP) erschreckend nachlässig. Dass die Bundesregierung sich in Brüssel dem
Verbot von Pestiziden auf ökologischen Vorrangflächen verweigert hat, ist ein weite-
rer Beleg dafür, dass sie den Pestizideinsatz gar nicht senken will.
Dabei zeigen Studien deutlich, dass in der Landwirtschaft bis zu 60 Prozent weniger
Pestizide eingesetzt werden könnten, ohne dass die Ernte dadurch in Ertrag oder Qua-
lität geringer ausfällt. Und der ökologische Landbau zeigt seit Jahren, dass Anbau auch
ganz ohne chemisch-synthetische Pestizide gelingt.
Die Basis für eine pestizidarme Landwirtschaft hat mehrere Stellschrauben, an denen
dringend gedreht werden muss.
Notwendig ist eine konsequente Ausrichtung der Forschung an einem Pflanzenschutz
jenseits von chemisch-synthetischen Pestiziden und eine deutliche Stärkung von Al-
ternativen, mit denen Pflanzen geschützt werden können (Entwicklung robuster Sor-
ten, vielseitige Fruchtfolgen oder die Förderung von Nützlingen und Nutzbarmachung
der Digitalisierung).
Damit werden Ernten und unsere Ernährung ebenso wie das Auskommen der Bäuerin-
nen und Bauern gesichert.
Zu einer umweltverträglicheren Landwirtschaft gehört auch ein sinkender Pestizidein-
satz. Andere Länder zeigen mit ihren Pestizidaktionsplänen, dass sich ordnungs- und
finanzpolitische Instrumente für Minderungsmaßnahmen (wie beispielsweise auch
eine Pestizidabgabe) mit Planungs- und Investitionssicherheit für LandwirtInnen und
GärtnerInnen verbinden lassen, wenn Kennzahlen und Zeitfenster klar kommuniziert
und durch Anreize ergänzt werden.
Damit die Erkenntnisse der Forschung auch in der Praxis ankommen und Bäuerinnen
und Bauern befähigt werden, ohne bzw. mit weniger Pestiziden zu arbeiten, darf die
Beratung der Betriebe nicht den Agrochemie-Unternehmen überlassen werden und
funktionierende Ansätze wie das Modellprojekte-Netzwerk müssen gestärkt werden.
Deutlichen Verbesserungsbedarf haben auch die Zulassungsverfahren. Denn regelmä-
ßig erweisen sich zugelassene Stoffe im Nachhinein als giftiger für Mensch, Umwelt
oder Natur, als die Zulassungsstudien ausweisen. Dazu müssen bestehende Lücken im
Zulassungssystem geschlossen und dieses muss unabhängiger und transparenter auf-
gestellt werden.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12382
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Mensch, Tier und Umwelt besser zu schützen, indem sie
a) den Einsatz von Pestiziden in Natur- und Trinkwasserschutzgebieten sowie

auf artenreichem Grünland zügig beendet; dies gilt auch für ökologisch sen-
sible Bereiche und deren Pufferflächen in Vogelschutz- und FFH-Gebieten;

b) Rand- und Pufferstreifen entsprechend vorgibt, um die Abdrift und Ab-
schwemmung von Pestiziden auf andere Flächen oder in Gewässer zu ver-
hindern;

c) ökologische Rückzugsflächen für Flora und Fauna einrichtet und den Ein-
satz von Pestiziden auf ökologischen Vorrangflächen verbietet;

d) den Einsatz von Pestiziden in blühenden Beständen und vor der Ernte ver-
bietet;

e) ein repräsentatives Monitoring aufbaut, das die Belastung von Menschen,
Luft, Böden und Gewässern misst;

2. den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide deutlich zurückzufahren durch
a) klare Reduktionsziele mit Kennzahlen und Zeitfenstern, wie es Frankreich

und Dänemark schon heute vormachen;
b) eine verbindliche und rechtssichere Definition dessen, was die Leitlinien der

„guten fachlichen Praxis“ sind und was dem „integrierten Pflanzenschutz“
entspricht;

c) Anreize für eine deutliche Senkung des Einsatzes. Dazu gehört auch eine
Abgabe auf die Produktion von Pestiziden, um dem Verursacherprinzip
Rechnung zu tragen;

d) Stärkung der öffentlichen Beratung und Ausbildung, die Bäuerinnen und
Bauern befähigt, ohne bzw. mit weniger Pestiziden zu arbeiten;

3. den Einsatz besonders problematischer Stoffe wie der Totalherbizide Glyphosat
und Glufosinat und der bienengefährdenden Neonikotinoide zu beenden. Damit
Hormongifte wirklich verbannt werden, müssen die Cut-off-Kriterien für endo-
krine Disruptoren konsequent weiter gelten;

4. den alternative Pflanzenschutz zu stärken und dementsprechend
a) die Forschung zu integriertem Pflanzenschutz deutlich auszubauen;
b) mindestens 20 Prozent der Forschungsmittel im Agrarbereich in den Öko-

landbau zu investieren. Das kommt in gleichem Maß auch der konventionel-
len Landwirtschaft, die nachhaltiger werden will, zu Gute;

c) die Mittel für die Erforschung robuster Sorten deutlich aufzustocken;
d) die Fortschritte der Digitalisierung für den Pflanzenschutz nutzbar machen;

5. die Zulassung zu verbessern und dazu
a) dem Vorsorgeprinzip Priorität einzuräumen;
b) Lücken zu schließen und die Risikoabschätzung weiterzuentwickeln. Stär-

ker zu berücksichtigen sind: Wechselwirkungen zwischen Wirkstoffen, die
Folgen einer langfristigen Exposition, die Wirkung der Beistoffe von markt-
fähigen Produkten und so genannte off-target-Effekte;

c) die Verfahren unabhängig zu machen von den Einflüssen der herstellenden
Konzerne und Interessenskonflikte auszuschließen.

Berlin, den 16. Mai 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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