BT-Drucksache 18/12173

Haltung der Bundesregierung zur Asylpolitik Ungarns

Vom 27. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12173
18. Wahlperiode 27.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette Groth,
Inge Höger, Andrej Hunko, Katja Kipping, Jan Korte, Petra Pau, Martina Renner,
Kersten Steinke, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Haltung der Bundesregierung zur Asylpolitik Ungarns

In der Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 8. März
2017 befragte die Fraktion DIE LINKE. die Bundesregierung beim Tagesord-
nungspunkt 7 (Evaluierung der bei der Anwendung des Schengen-Besitzstands
im Bereich des Außengrenzmanagements durch Ungarn festgestellten Mängel)
zum wiederholten Male zu ihren Initiativen innerhalb der EU-Gremien in Bezug
auf vielfach dokumentierte Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen
von Schutzsuchenden an der ungarischen EU-Außengrenze (vgl. z. B.: Pro Asyl,
„Gänzlich unerwünscht“, Juli 2016: https://www.proasyl.de/news/fluechtlinge-
gaenzlich-unerwuenscht-neuer-bericht-zur-situation-in-ungarn/, Amnesty Interna-
tional, „Stranded hope“, September 2016: https://www.amnesty.org/en/documents/
eur27/4864/2016/en/). Schließlich heißt es im Schengener Grenzkodex (Arti-
kel 4): „Bei der Anwendung dieser Verordnung handeln die Mitgliedstaaten unter
umfassender Einhaltung … der Charta der Grundrechte der Europäischen Union …
und des einschlägigen Völkerrechts, darunter auch [der Genfer Flüchtlingskon-
vention], und der Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Zugang zu inter-
nationalem Schutz, insbesondere des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, so-
wie der Grundrechte“. Auch die tags zuvor vom ungarischen Parlament beschlos-
sene faktische Inhaftierung aller Asylsuchenden für die Dauer des Verfahrens so-
wie das ungarische Grenzverfahren und Rückschiebungen ohne Asylprüfung nach
Serbien wurden thematisiert.
Der Vertreter des Bundesministeriums des Innern erklärte, die scharfe Kritik
an Ungarn sei nicht gerechtfertigt, denn ein Verfahren in Transitzonen sehe
Artikel 43 der EU-Verfahrensrichtlinie ausdrücklich vor. Er sah auch keinen Ver-
stoß gegen das Refoulement-Verbot bei Rückschiebungen nach Serbien, denn
dort drohe keine Verfolgung. Die Bundesregierung werde an Dublin-Überstellun-
gen nach Ungarn festhalten. Auf Misshandlungen an den Grenzen ging er nicht
ein.
Einen Tag nach der Sitzung des Innenausschusses beklagte die medizinische Hilfs-
organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF), dass die ungarischen Grenzbehörden
„immer gewalttätiger gegen Asylsuchende“ vorgingen (dpa vom 9. März 2017:
„Behörden in Ungarn misshandeln Flüchtlinge“). Es komme bei Rückschiebun-
gen nach Serbien „regelmäßig“ zu Misshandlungen. Von Januar 2016 bis Februar
2017 registrierten die medizinischen Teams von MSF 106 Verwundungen durch
vorsätzliche Gewalt, von einer beträchtlichen Dunkelziffer sei auszugehen. In
54 Fällen gingen diese auf Schläge, in 24 Fällen auf Hundebisse und in 15 Fällen
auf Reizungen durch Tränengas und Pfefferspray zurück. „Es ist eine Art rituali-
sierte Brutalität an der EU-Außengrenze, die die Menschen davon abhalten soll,

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einen erneuten Versuch zur Flucht in die EU zu starten“, erklärte der Geschäftsfüh-
rer von MSF-Belgien, Christopher Stokes, nach einem Besuch in Belgrad. Die EU-
Staats- und Regierungschefs dürften diese Gewalt „nicht weiter ignorieren“. Hans
Schodder, der Leiter des UNHCR (= Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten
Nationen) in Serbien, erklärte in einem Fernsehbericht, dass es glaubwürdige Be-
richte über Misshandlungen durch die ungarische Grenzpolizei gebe, dies geschehe
„momentan fast täglich“ (FRONTAL 21, „Geschlagen und erniedrigt“, https://
www.zdf.de/politik/frontal-21/wie-europa-fluechtlinge-abweist-100.html). Einer
Meldung von „dpa“ vom 12. März 2017 zufolge („Schläge, Tritte, Bisse –
Flüchtlinge werfen Ungarn Gewalt vor“) bestreitet Ungarn die Anwendung von
Gewalt gegenüber Flüchtlingen kategorisch, obwohl allein bei der Ermittlungs-
behörde in der Grenzstadt Szeged seit September 2015 44 Fälle von Misshand-
lungen durch Grenzorgane zur Anzeige gebracht wurden (31 Fälle wurden man-
gels Beweisen eingestellt, zwei Anklagen wurden erhoben).
Auch das Auswärtige Amt will von Misshandlungen Schutzsuchender an der un-
garischen Grenze keine Kenntnis haben. Auf die Schriftliche Frage 6 der Abge-
ordneten Katja Kipping, die im Rahmen einer Informationsreise vor Ort war (vgl.
https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5387707&s=Linke&SuchRahmen=Print/),
erklärte Staatsminister Michael Roth am 9. März 2017 (Bundestagsdrucksache
18/11553): „Der Bundesregierung sind keine Fälle gezielter Misshandlung von
Flüchtlingen an den ungarischen Grenzen bekannt. Seit dem 5. Juli 2016 werden
Personen, die sich innerhalb einer acht Kilometer langen Zone ab der ungarischen
Grenze befinden, zurück an die Grenze gebracht. Eine Registrierung der Flücht-
linge oder Entgegennahme von Asylanträgen erfolgt hierbei nicht. Die Personen
werden dabei auf ungarisches Staatsgebiet (einen ca. zwei bis drei Meter breiten
Korridor nach dem Grenzzaun, der zu Ungarn gehört) und nicht auf serbisches
Staatsgebiet gebracht. Ziel dieser Maßnahme ist laut ungarischer Regierung die
Verhinderung illegaler Grenzübertritte und die Beschränkung des Zugangs zum
ungarischen Asylsystem ausschließlich über das Asylverfahren in den sogenann-
ten Transitzonen. Die ungarische Grenzpolizei hat mitgeteilt, dass dabei keine
Zwangsmittel zum Einsatz kommen. Wegen der Kritik und Gewaltvorwürfen ge-
gen die ungarische Polizei erfolgten Videoaufzeichnungen. Die Aufnahmen wür-
den 30 Tage aufbewahrt.“ Damit wird in den Augen der Fragesteller die asyl- und
menschenrechtswidrige Praxis Ungarns legitimiert.
Am 14. März 2017 wurde Ungarn vom Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte (EGMR) wegen der Inhaftierung und Abschiebung von zwei Geflüchteten
nach Serbien verurteilt („Ilias und Ahmed gegen Ungarn“, vgl. dpa vom 14. März
2017). In dem Grenzort Röszke wurden sie im Herbst 2015 23 Tage lang in ei-
nem bewachten Transitzentrum untergebracht, der Gerichtshof wertete dies als
einen unzulässigen, faktischen Freiheitsentzug. Zudem wurde gerügt, dass die un-
garischen Behörden die Asylanträge nicht individuell geprüft und die Betroffenen
schematisch auf die Liste sicherer Drittstaaten verwiesen hätten. Warum Ungarn
Serbien seit Juli 2015 als sicher betrachte, habe die Regierung nicht überzeugend
erklärt. Das Asylverfahren habe die Kläger dem Risiko ausgesetzt, bis nach Grie-
chenland zurückgeschoben zu werden, wo ihnen „menschenverachtende und ent-
würdigende Aufnahmebedingungen“ drohten.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban griff den EGMR daraufhin an
(dpa vom 17. März 2017): „Die ganze Sache ist absurd und unfassbar“, sagte er
im staatlichen Rundfunk, „jenes Land wurde abgestraft, das sich an die Gesetze
hält“. Mit Blick auf das ungarische Helsinki-Komitee, das die beiden Geflüchte-
ten in Straßburg vertrat, erklärte Viktor Orban: „Ungarn angeklagt hat eine inter-
nationale Organisation, die auch von (dem US-Milliardär) George Soros finan-
ziert wird, und das Gericht gab ihr Recht“. Das Urteil sei „im Zusammenspiel von
Schleppern, Brüsseler Bürokraten und in Ungarn tätigen, mit ausländischem Geld
finanzierten Organisationen“ entstanden.

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Am 28. März 2017 trat in Ungarn eine neue Asylregelung in Kraft, die eine fak-
tische Inhaftierung aller Asylsuchenden ab dem Alter von 14 Jahren für die Dauer
des Asylverfahrens in 324 Wohncontainern in Röszke und Tompa vorsieht (vgl.
afp vom 28. März 2017). Ministerpräsident Viktor Orban verteidigte die Neure-
gelung, Ungarn schütze damit auch andere europäische Länder: „Die Österreicher
und die Deutschen können jetzt wieder ruhig schlafen“ (ebd.). Der EGMR ver-
hinderte am selben Tag mit einer einstweiligen Verfügung die Festsetzung von
acht unbegleiteten Flüchtlingskindern und einer traumatisierten schwangeren
Frau in den Transitzonen und forderte Ungarn auf, bis zum 10. April 2017 eine
Reihe von Fragen zu beantworten (ebd.).
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) forderte in einer
Stellungnahme (vgl. dpa vom 28. März 2017), dass EU-Gremien einschreiten:
„Die Europäische Kommission war in der Vergangenheit zögerlich, wenn es da-
rum ging, Ungarn für sein Vorgehen gegen Asylsuchende zur Verantwortung zu
ziehen“, hieß es darin. Dies habe dazu geführt, dass inzwischen auch andere EU-
Länder „die Vorgangsweise Ungarns kopieren“.
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hatte im September 2015 eine
Einladung an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban hingegen mit
den Worten gerechtfertigt: „Viele werden noch dankbar sein für das, was er an
den Grenzen macht“ (www.sueddeutsche.de/bayern/csu-werbung-fuer-den-harten-
kurs-1.2655888).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie ist die grundlegende Positionierung der Bundesregierung zur ungari-

schen Asylpolitik vor dem Hintergrund, dass Ungarn als EU-Mitgliedstaat
den gemeinsamen Regeln der EU unterworfen ist und immer wieder betont
wird, dass die EU auch eine Wertegemeinschaft sei – heißt sie die ungarische
Politik der Abschreckung gut, nimmt sie diese hin oder sieht sie diese kritisch
oder verurteilt sie (bitte ausführen und begründen)?

2. Gibt es zwischen den maßgeblichen Bundesministerien (Auswärtiges Amt,
Bundesministerium des Innern) unterschiedliche Einschätzungen zur unga-
rischen Asylpolitik, und wenn ja, welche?

3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, es sei alleine Sache der Europäi-
schen Kommission, gegen mögliche Menschenrechts- oder Asylrechtsverlet-
zungen in bzw. durch Ungarn vorzugehen, oder ist es nicht vielmehr insbe-
sondere auch ihre Aufgabe, mögliche Rechtsverletzungen durch Ungarn oder
bedenkliche Entwicklung der ungarischen Asylpolitik intern und öffentlich
zu kritisieren, zumal Ungarns Ministerpräsident öffentlich vorgibt, im Inte-
resse anderer EU-Mitgliedstaaten und insbesondere auch Deutschlands zu
handeln (siehe Vorbemerkung der Fragesteller), und muss sie sich nicht um-
gekehrt die ungarische Asylpolitik zurechnen lassen, wenn sie dieser Be-
hauptung Viktor Orbans, er handele auch im Interesse Deutschlands, nicht
öffentlich klar widerspricht (bitte ausführlich und begründet antworten)?

4. Ist die Bundesregierung dem ungarischen Ministerpräsidenten dankbar da-
für, was er an den Grenzen macht (bitte ausführen)?

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5. Wie, wo, und wann wurde in den Gremien der EU über das von Ministerprä-
sident Viktor Orban für den 2. Oktober 2016 initiierte Referendum debattiert,
bei dem der Bevölkerung die Frage vorgelegt wurde: „Wollen Sie, dass die
Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende
Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben
kann?“ und das begleitet wurde von einer monatelangen flüchtlingsfeindli-
chen staatlichen Werbekampagne, die rund 40 Mio. Euro gekostet haben soll
(vgl. z. B. taz vom 2. Oktober 2016: „Abschottung wird gewinnen“, ZEIT-
ONLINE vom 2. Oktober 2016: www.zeit.de/politik/ausland/2016-10/ungarn-
referendum-fluechtlinge-orban-asyl), und wenn diese offene Infragestellung
eines rechtsgültigen EU-Beschlusses durch einen EU-Mitgliedstaat nicht
Thema in den EU-Gremien war, warum nicht (bitte ausführen)?

6. Hat die Bundesregierung in den EU-Gremien oder bilateral gegenüber Un-
garn thematisiert oder kritisiert (wann, wo, in welcher Form), dass der EU-
Mitgliedstaat Ungarn geltendes EU-Recht und rechtmäßig gefasste Beschlüsse
von EU-Gremien (die für Ungarn die Aufnahme von nicht einmal 1 300 Ge-
flüchteten zur Folge hätten; https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/
files/what-we-do/policies/european-agenda-migration/press-material/docs/
state_of_play_-_relocation_en.pdf) offen und mithilfe eines medienwirksam
inszenierten Referendums in Frage stellt, und wenn nein, warum nicht (bitte
ausführen)?

7. Wie hat die Europäische Kommission nach Kenntnis der Bundesregierung
auf den Vorgang des Referendums reagiert, wie wurde dieses Vorgehen Un-
garns durch die Kommission bewertet, wurde beispielsweise ein juristischer
Dienst der EU mit der Frage befasst, inwieweit das ungarische Vorgehen ge-
gen EU-Recht oder gemeinsame Werte der EU verstößt, welche Schlussfol-
gerungen oder Aktivitäten der Europäischen Kommission gab es in diesem
Zusammenhang?

Falls es keine gab, ist es der Bundesregierung bekannt, warum nicht?
8. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand des von Ungarn ange-

strengten Verfahrens beim EuGH gegen die am 22. September 2015 vom Rat
beschlossene Umverteilung von Geflüchteten (Rechtssache C-647/15; gege-
benenfalls wird die Bundesregierung gebeten, sich entsprechende Kenntnisse
zu verschaffen), inwieweit hat sich die Bundesregierung mit Stellungnahmen
oder anderweitig in dieses Verfahren eingebracht (bitte genau darlegen, wel-
che Position dabei mit welchen Argumenten eingenommen wurde), und falls
sich die Bundesregierung in dieses nach Auffassung der Fragesteller poli-
tisch sehr wichtige EuGH-Verfahren nicht eingebracht hat, warum nicht?

9. Hat die ungarische Klage gegen den Umverteilungsbeschluss des EU-Rats
vom 22. September 2015 eine aufschiebende Wirkung, und wenn nicht, wel-
che Maßnahmen hat die Europäische Kommission nach Kenntnis der Bun-
desregierung ergriffen, um die bisherige Nichtumsetzung des Umvertei-
lungsbeschlusses zu sanktionieren, zumal alles darauf hindeutet, dass Ungarn
auch in der verbleibenden Zeit bis September 2017 keine Asylsuchenden im
Wege der Umverteilung aufnehmen wird (kna vom 25. März 2017, Außen-
minister Peter Szijjarto: „Ungarn hat keinerlei Flüchtlinge aufgenommen,
wir haben das auch nicht vor …“)?
Sind der Bundesregierung diesbezügliche Planungen der Europäischen
Kommission bekannt?

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10. Wie viele Asylsuchende, wie viele anerkannte, und wie viele abgelehnte

Flüchtlinge leben nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in Ungarn, und
was kann Näheres über ihre Staatsangehörigkeit und die Art und Weise ihrer
Unterbringung und Integration in die ungarische Gesellschaft gesagt wer-
den?

11. Inwieweit hat die Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragesteller
genannten Berichte über systematische Misshandlungen von Geflüchteten
zum Zwecke der Abschreckung (Ärzte ohne Grenzen: „ritualisierte Brutali-
tät“) bzw. über Menschenrechtsverletzungen in der ungarischen Asylpraxis
zum Anlass genommen,
a) diese Berichte und Hinweise in den entsprechenden EU-Gremien zu the-

matisieren (bitte mit Datum und Gremium auflisten);
b) diese Berichte und Hinweise bilateral gegenüber ungarischen Vertretern

anzusprechen (bitte mit Datum und Gesprächspartner auflisten);
c) diese Berichte und Hinweise auszuwerten und Konsequenzen insbeson-

dere in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit und Zumutbarkeit von Dub-
lin-Überstellungen nach Ungarn zu prüfen, und welche Änderungen für
die Prüf- oder Überstellungspraxis in Bezug auf Ungarn haben sich hie-
raus konkret ergeben (bitte im Detail auflisten und die aktuellen allgemei-
nen Vorgaben im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in
Bezug auf Dublin-Prüfungen und Überstellungen nach Ungarn darstellen,
insbesondere, in welchen Fallkonstellationen von Überstellungen nach
Ungarn abgesehen wird)?

d) Und falls es jeweils keine entsprechenden Initiativen gegeben hat, warum
nicht, und wie will sich die Bundesregierung in diesem Fall dem Vorwurf
erwehren, sie nehme eine womöglich menschenrechtswidrige Abschot-
tungspolitik Ungarns billigend in Kauf, um die Zahl der nach Deutschland
bzw. in die EU einreisenden Asylsuchenden zu begrenzen (bitte ausfüh-
ren)?

12. Wie schätzt die Bundesregierung die Glaubwürdigkeit der in der Vorbe-
merkung der Fragesteller genannten Berichte und Informationen über
Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen gegenüber Geflüchte-
ten in Ungarn bzw. insbesondere an der ungarischen Grenze ein, etwa von
Pro Asyl, amnesty international, Ärzte ohne Grenzen und dem UNHCR, und
wenn sie diese Berichte nicht für abwegig, unglaubwürdig oder unbegründet
hält, welche Maßnahmen zur Verifizierung der genannten Vorwürfe und dar-
über hinaus zur Beendigung der genannten Menschenrechtsverletzungen in
bzw. durch den EU-Mitgliedstaat Ungarn hat sie unternommen (bitte auflis-
ten), und wenn sie nichts unternommen hat, warum nicht?

13. Ist die Antwort des Staatsministers Michael Roth vom 9. März 2017 auf die
Schriftliche Frage 6 der Abgeordneten Katja Kipping (Bundestagsdrucksa-
che 18/11553, siehe Vorbemerkung der Fragesteller) so zu verstehen, dass
sie den Angaben der ungarischen Grenzpolizei Glauben schenkt, es kämen
keine Zwangsmittel gegen Geflüchtete zum Einsatz, obwohl Berichte meh-
rerer Nichtregierungsorganisationen über systematische Misshandlungen an
der Grenze vorliegen und entsprechende Verletzungen ärztlich dokumentiert
wurden (siehe Vorbemerkung der Fragesteller, bitte begründen), und ist die
Bundesregierung der Auffassung, dass besagte Videoaufnahmen ein wirksa-
mer Schutz gegen die berichteten Misshandlungen sind, und was kann sie
Genaueres über die Anfertigung der Videoaufnahmen sagen (wer filmt wann
was, wer entscheidet darüber, wann was gefilmt wird, wer wertet diese Auf-
nahmen aus und löscht sie gegebenenfalls usw.; bitte ausführen)?

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14. Ist die genannte Antwort des Staatsministers Michael Roth vom 9. März

2017 ferner so zu verstehen, dass die Bundesregierung die in Ungarn seit Juli
2016 geltende Praxis und Rechtsgrundlage für rechtmäßig hält und als mit
der EU-Grundrechte-Charta, dem EU-Asylrecht, dem Refoulement-Verbot
der GFK und der EMRK und Artikel 4 des Grenzkodex für vereinbar ansieht
(bitte nach den einzelnen Rechtsgrundlagen differenziert und begründet ant-
worten), wonach Schutzsuchende nach unerlaubter Einreise und Aufgriff in
Ungarn ohne jede Asylprüfung zurück über die Grenze verbracht werden,
und zwar in der Weise, dass sie jenseits des ungarischen Grenzzauns ver-
bracht werden, auf einen zwei bis drei Meter breiten Grenzstreifen, der for-
mal noch zu Ungarn gehört, um von dort über die so genannten Transitzonen
einreisen zu müssen, wo jedoch nur ca. zehn Personen täglich einreisen dür-
fen, so dass Tausende verzweifelte Geflüchtete in Serbien unfreiwillig und
unter untragbaren Bedingungen auf eine Einreisemöglichkeit nach Ungarn
warten (vgl. z. B.: https://www.katja-kipping.de/de/article/1217.wir-sind-
menchen-wie-ihr-wir-haben-ein-recht-darauf-zu-lernen-und-zu-leben.html)?

15. Wie viele Schutzsuchende dürfen nach Kenntnis der Bundesregierung der-
zeit täglich über die Transitzonen nach Ungarn einreisen?
Kann sie bestätigen, dass vor allem Familien und nicht alleinstehende Män-
ner einreisen dürfen, und wie ist die zahlenmäßige Begrenzung der Einreise
von Schutzsuchenden damit vereinbar, dass das EU-Asylrecht keine Ober-
grenze kennt und die Verpflichtungen zur individuellen Prüfung aller Asyl-
begehren, inklusive einer gerichtlichen Überprüfung, und zum Verbot der
Abweisung Schutzsuchender ebenfalls nicht unter einem zahlenmäßigen
Vorbehalt stehen, sondern allgemeine Gültigkeit besitzen, zumal sich Un-
garn angesichts der sehr überschaubaren Zahl Asylsuchender auch nicht etwa
auf einen Notstand berufen könnte (was nach Ansicht der Fragesteller den-
noch keine Verletzung des Asylrechts begründen würde; bitte begründet aus-
führen)?

16. Inwieweit waren das oben geschilderte ungarische Transitverfahren, die be-
grenzte Einreisemöglichkeit für Schutzsuchende und die Rückverbringungs-
praxis über den ungarischen Grenzzaun ohne jede individuelle Prüfung und
ohne Zugang zu gerichtlichen Überprüfungsverfahren nach Kenntnis der
Bundesregierung Gegenstand von Beratungen innerhalb der EU, inwieweit
hat die Bundesregierung dieses Verfahren in den EU-Gremien oder bilateral
gegenüber Ungarn angesprochen oder kritisiert (bitte mit Datum auflisten,
wenn nein, warum nicht?), und welche Initiativen diesbezüglich hat die Eu-
ropäische Kommission nach Kenntnis der Bundesregierung ergriffen (bitte
auflisten, bei mangelnden Kenntnissen wird um eine entsprechende Rück-
frage an die Europäische Kommission gebeten)?

17. Inwieweit wurden Zurückweisungspraktiken gegenüber Schutzsuchenden
durch weitere EU-Mitgliedstaaten (vgl. den entsprechenden Bericht des eu-
ropäischen Flüchtlingsrats ECRE zu Bulgarien, Tschechien, Ungarn und Po-
len, www.proasyl.de/news/an-oestlichen-eu-aussengrenzen-immer-wieder-
rechtswidrige-zurueckweisungen-von-schutzsuchenden/) jemals in EU-Gre-
mien debattiert oder kritisiert, insbesondere auch durch die Bundesregierung
oder die Europäische Kommission (wenn nein, warum nicht), und inwieweit
hält die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Kritik der Menschen-
rechtsorganisation Human Rights Watch (vgl. dpa vom 28. März 2017) für
berechtigt: „Die Europäische Kommission war in der Vergangenheit zöger-
lich, wenn es darum ging, Ungarn für sein Vorgehen gegen Asylsuchende
zur Verantwortung zu ziehen“, dies habe dazu geführt, dass inzwischen auch
andere EU-Länder „die Vorgangsweise Ungarns kopieren“ (bitte begrün-
den)?

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18. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die von Human

Rights Watch (HRW) beklagte zögerliche Haltung der Europäischen Kom-
mission gegenüber der ungarischen Asylpolitik damit erklärt werden kann,
dass die Europäische Kommission Ungarn möglicherweise bewusst gewäh-
ren lässt, weil die Ergebnisse einer solchen Politik der Abschreckung gegen-
über Schutzsuchenden im Grunde befürwortet werden, und inwieweit wird
sich die Bundesregierung gegebenenfalls in den EU-Gremien und öffentlich
gegen eine solche Strategie einsetzen, oder welche sonstigen Erklärungen hat
die Bundesregierung für die von HRW beklagte zögerliche Haltung der Eu-
ropäischen Kommission gegenüber der ungarischen Asylpolitik (bitte be-
gründen)?

19. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der genaue Stand der Vertrags-
verletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Ungarn in Bezug
des Asylrechts, gegen welche Regelungen und Bestimmungen konkret rich-
ten sich diese Verfahren, wann wurden die Verfahren eingeleitet, und warum
wurden gegebenenfalls keine weiteren Schritte oder neue Vertragsverlet-
zungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, obwohl die immer weiter ver-
schärfte Asylpolitik Ungarns nach Auffassung unabhängiger Nichtregie-
rungsorganisationen, die von jüngsten Urteilen des EGMR gestützt werden
(siehe Vorbemerkung der Fragesteller), gegen Asyl- und Menschenrechte
verstößt (bitte ausführen)?

20. Entspricht es der Auffassung der gesamten Bundesregierung, dass die seit
28. März 2017 geltende ungarische Asylrechtsregelung und Praxis der fakti-
schen Inhaftierung aller Asylsuchenden ab dem Alter von 14 Jahren für die
Dauer des Asylverfahrens vom EU-Asylrecht, insbesondere von Artikel 43
der EU-Asylverfahrens-Richtlinie (2013/32/EU) gedeckt ist, wie es der Ver-
treter des Bundesinnenministeriums in der Sitzung des Innenausschusses des
Deutschen Bundestages vom 8. März 2017 erklärt hat (bitte detailliert und
nachvollziehbar begründen), und inwieweit stehen die neue ungarische
Rechtslage und Praxis nach Auffassung der Bundesregierung überdies in
Übereinstimmung mit der EU-Aufnahme-Richtlinie (2013/33/EU vom
26. Juni 2013), insbesondere mit deren Artikeln 7 bis 11 (Regeln zu Inhaf-
tierungen), sowie mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der
EU-Grundrechte-Charta (bitte darlegen)?

21. Welche, gegebenenfalls gewandelte Auffassung zur Rechtmäßigkeit der neuen
ungarischen Asylregelung und Praxis hat die Bundesregierung nach der Ent-
scheidung des EGMR vom 28. März 2017, mit der die Verbringung von acht
unbegleiteten Minderjährigen und einer traumatisierten, schwangeren Frau
in die neuen Transitlager untersagt wurde (siehe Vorbemerkung der Frage-
steller), und welche Angaben kann die Bundesregierung dazu machen (gege-
benenfalls wird um entsprechende Informationsbeschaffung gebeten), wel-
che Fragen der ungarischen Regierung in diesem Zusammenhang gestellt
wurden und wie diese Fragen beantwortet wurden (bitte so genau wie mög-
lich auflisten), und welche Konsequenzen folgen hieraus für die Prüf- und
Überstellungspraxis des BAMF in Bezug auf Dublin-Ersuchen und Überstel-
lungen nach Ungarn (bitte darlegen)?

22. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung aus Deutschland im Rahmen
des Dublin-Systems rücküberstellte Asylsuchende in Ungarn entsprechend
der seit dem 28. März 2017 geltenden Regelung für die Dauer ihres Verfah-
rens in Ungarn faktisch inhaftiert, welche Konsequenzen zieht die Bundes-
regierung beziehungsweise zieht das BAMF hieraus in Bezug auf die Frage
der rechtlichen Zulässigkeit von Überstellungen nach Ungarn bzw. für die
Überstellungspraxis (bitte ausführen und begründen), und unter welchen
Umständen steht die Gefahr einer Inhaftierung während der Asylprüfung für
welche Dauer nach Auffassung der Bundesregierung einer Überstellung ent-
gegen?

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23. Warum zieht die Bundesregierung aus der außerordentlich hohen Quote, zu

der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Überstellungen nach Ungarn
durch die Gerichte vorläufig gestoppt werden (bis November 2016 in 63 Pro-
zent aller entsprechenden Verfahren, vgl. Bundestagsdrucksache 18/11262,
Antwort zu Frage 11), nicht die Konsequenz, Überstellungen nach Ungarn
vorsorglich ganz einzustellen, weil es seitens der unabhängigen Gerichte of-
fenkundig erhebliche rechtliche Bedenken gegen Überstellungen nach Un-
garn gibt, insbesondere wegen der Gefahr willkürlicher Inhaftierung, auch
bei alleinstehenden Männern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
13. Oktober 2016 – 11 S 1596/16; bitte in Auseinandersetzung mit der dies-
bezüglichen Rechtsprechung begründen)?

24. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung bzw. zieht das BAMF aus
dem Urteil des OVG Saarland vom 9. März 2017 – 2 A 365/16 –, mit dem
Dublin-Überstellungen nach Ungarn unter Berücksichtigung der neuen
Rechtslage dort wegen systemischer Mängel und insbesondere wegen der
Gefahr willkürlicher Inhaftierung, der Gefahr rechtswidriger Kettenabschie-
bung und der Gefahr einer menschenrechtswidrigen Verelendung und Ob-
dachlosigkeit selbst für den Fall einer Flüchtlingsanerkennung in Ungarn als
unzulässig bewertet wurden, wobei sich das OVG Saarland unter anderem
auf die in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Berichte unabhän-
giger Nichtregierungsorganisationen gestützt hat (bitte ausführen, insbeson-
dere wenn die Bundesregierung weiterhin an Überstellungen nach Ungarn
festhalten will)?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Rechtmäßigkeit der ungarischen Asyl-
politik vor dem Hintergrund der Entscheidung des EGMR vom 14. März
2017 (siehe Vorbemerkung der Fragesteller), mit der die faktische Inhaftie-
rung von zwei Geflüchteten in Ungarn und deren Abschiebung nach Serbien
unter schematischem Hinweis auf die Liste sicherer Drittstaaten als men-
schenrechtswidrig verurteilt wurde?
a) Welche Konsequenzen zieht sie aus diesem Urteil in Hinblick auf die Be-

urteilung der ungarischen Asylpolitik im Allgemeinen, insbesondere aber
auch für die Prüf- und Überstellungspraxis in Bezug auf Ersuchen und
Überstellungen nach Ungarn (bitte darlegen)?

b) Teilt die Bundesregierung insbesondere das Argument des EGMR, dass
ein schematischer Verweis auf eine Liste sicherer Drittstaaten (hier: Ser-
bien) zur Abweisung Schutzsuchender nicht genügt und dass eine solche
Einstufung nachvollziehbar begründet werden und auch im Einzelfall
überprüfbar sein muss, wobei den Asylsuchenden keine zu hohe Beweis-
last aufgebürdet werden darf, und was sehen die entsprechenden Regelun-
gen des EU-Rechts diesbezüglich vor (bitte darlegen)?

c) Hält die Bundesregierung die Einschätzung Ungarns, Serbien sei ein
„sicherer Drittstaat“, für zulässig und ausreichend begründet, insbeson-
dere angesichts des Umstands, dass der EGMR unter Berufung auf den
UNHCR dem widersprochen hat und dass auch das OVG Saarland mit
Urteil vom 9. März 2017 – 2 A 365/16 – festgestellt hat, dass die Einstu-
fung Serbiens als „sicherer Drittstaat“ durch Ungarn gegen EU-Recht ver-
stößt (bitte in Auseinandersetzung mit diesen Urteilen begründen)?

d) Hält die Bundesregierung Serbien für einen „sicheren Drittstaat“ (bitte
begründen), und inwieweit ist nach ihrer Auffassung diese Frage bei
Rücküberstellungen nach Ungarn relevant, vor dem Hintergrund, dass
von Deutschland aus Rücküberstellten in Ungarn ein schematischer Ver-
weis auf den nach Auffassung Ungarns angeblich sicheren Drittstaat Ser-
bien und damit eine Kettenabschiebung droht (bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/12173
e) Werden von Deutschland nach Ungarn rücküberstellte Flüchtlinge, die
über Serbien nach Ungarn eingereist sind, von Ungarn nach Serbien als
vermeintlich sicherem Drittstaat geschickt, ohne eine individuelle Asylprü-
fung vorzunehmen, und wie ist die diesbezüglich Rechtslage und Praxis
in Ungarn?

f) Teilt die Bundesregierung das Argument des EGMR, dass der Hinweis
der ungarischen Regierung, die Asylsuchenden könnten die Transitzone
jederzeit in Richtung Serbien verlassen, nicht dazu führt, dass das Fest-
halten in den Transitzonen nicht als (unzulässige) Inhaftierung gewertet
werden muss, weil dies die Gefahr eines Refoulements bzw. den Verlust
des Asylrechts nach sich zöge (bitte begründen)?

g) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Entscheidung
des EGMR vom 14. März 2017, wonach der Verweis Asylsuchender auf
die Möglichkeit einer „freiwilligen“ Ausreise in einen Drittstaat nicht
dazu führt, dass ihre faktische Inhaftierung nicht als Freiheitsentziehung
im rechtlichen Sinne angesehen werden kann, wie es vom EGMR bereits
in seiner Entscheidung in der Sache „Amuur vs. Frankreich“ vom 25. Juni
1996 festgestellt wurde, in Bezug auf die Frage der Rechtmäßigkeit der
(faktischen) Inhaftierung im Rahmen des deutschen Flughafenasylverfah-
rens, da die diesbezügliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 14. Mai 1996 (BVerfGE 94, 166) beide Entscheidungen des EGMR
nicht berücksichtigen konnte (bitte ausführen)?

26. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Reaktion des un-
garischen Ministerpräsidenten auf das Urteil des EGMR vom 14. März 2017
(vgl. dpa vom 17. März 2017), „die ganze Sache“ sei „absurd und unfassbar“,
das Urteil sei „im Zusammenspiel von Schleppern, Brüsseler Bürokraten und
in Ungarn tätigen, mit ausländischem Geld finanzierten Organisationen“ ent-
standen, und welche Schlussfolgerungen lässt dies in Hinblick auf die
Rechtsstaatlichkeit der ungarischen Regierung zu (bitte ausführen)?

27. Inwieweit tritt die Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen zum Ge-
meinsamen Europäischen Asylsystem dem von einigen EU-Mitgliedstaaten
vertretenen Ansatz der so genannten effektiven oder flexiblen Solidarität ent-
gegen, der – statt eine solidarische und gerechte Aufnahme von Geflüchteten
durch alle Mitgliedstaaten der EU anzustreben – vorsieht, dass auch Maß-
nahmen zur „Sicherung der Außengrenzen der EU“ (Abschottung) als ein
„solidarischer“ Beitrag gewertet werden können sollen, um keine oder mög-
lichst wenige Flüchtlinge aufnehmen zu müssen – der ungarische Außenmi-
nister Peter Szijjarto (kna vom 25. März 2017) erklärte entsprechend, Ungarn
habe fast 1 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für den Schutz der Außen-
grenze ausgegeben, wo jetzt 8 000 Beamte im Einsatz seien: „Das ist unsere
Art, Solidarität zu zeigen“ (bitte ausführen)?

28. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Versuch des un-
garischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, Ungarn als Zufluchtsort für
Neurechte und Populisten darzustellen, weil Ungarn „wahre Flüchtlinge“ aus
westlichen Ländern der EU aufnehme, die vor „Liberalismus, politischer
Korrektheit und Gottlosigkeit“ fliehen müssten (vgl.: www.sueddeutsche.de/
politik/ungarn-orbn-heisst-die-neurechten-willkommen-1.3388304)?

29. Welche Angaben kann die Bundesregierung zur Zahl der nach Ungarn in den
Jahren 2015, 2016 und 2017 aus Deutschland überstellten Asylsuchenden
machen (bitte nach Monaten auflisten, nach wichtigsten Staatsangehörigkei-
ten differenzieren und soweit möglich Angaben zum Familienstand, Ge-
schlecht und Alter der Betroffenen machen)?

Drucksache 18/12173 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

30. Welche Angaben kann die Bundesregierung dazu machen, welche quantita-

tiven oder sonstigen Beschränkungen es bei der Rückübernahme von Asyl-
suchenden aus anderen Mitgliedstaaten der EU im Rahmen des Dublin-Sys-
tems gibt (z. B. wie viele Überstellungen akzeptiert Ungarn täglich)?

31. Welche Angaben kann die Bundesregierung (gegebenenfalls nach entspre-
chenden Rückfragen) machen zur Asylentscheidungspraxis in Ungarn, d. h.
wie viele Asylsuchende aus welchen Hauptherkunftsländern erhielten im
Jahr 2016 welchen Schutzstatus oder wurden abgelehnt oder auf Serbien als
angeblich sicheren Drittstaat verwiesen (bitte in absoluten und relativen Zah-
len angeben und so differenziert wie möglich antworten), und ist die Bun-
desregierung vor dem Hintergrund dieser Zahlen der Auffassung, dass Asyl-
suchende in Ungarn eine faire Asylprüfung erwarten können und Aussicht
auf effektiven Schutz haben (bitte begründen)?

32. Wie setzt die Bundesregierung die Empfehlung des UNHCR um (vgl. z. B.
Süddeutsche Zeitung vom 11. April 2017), wegen der neuen Rechtslage und
faktischen Inhaftierung Asylsuchender in Ungarn keine Asylsuchenden im
Rahmen des Dublin-Systems mehr nach Ungarn zu überstellen, und welche
Prüfmechanismen werden genutzt, um etwaige ungarische Zusicherungen,
Flüchtlinge gemäß den Normen der jeweiligen EU-Richtlinien unterzubrin-
gen, zu überprüfen (bitte so konkret wie möglich darstellen)?

Berlin, den 19. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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