BT-Drucksache 18/12163

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/11241, 18/11622, 18/11822 Nr. 6 - Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung

Vom 26. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12163

18. Wahlperiode 26.04.2017

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Oliver
Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Dr. Julia
Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/11241, 18/11622, 18/11822 Nr. 6, 18/12151 –

Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der

schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung
ionisierender Strahlung, kurz Strahlenschutzgesetz, wird die Grundnormen-Richtlinie
2013/59/EURATOM vom 5. Dezember 2013 in deutsches Recht umgesetzt. Grund-
sätzlich ist es sehr begrüßenswert, dass es in Deutschland für den Strahlenschutz nun-
mehr ein eigenes Gesetz geben wird.

Bedauerlicherweise geht die Bundesregierung bei der Umsetzung jedoch inkonsequent
vor und nutzt die Möglichkeit, über die Maßgaben der Richtlinie hinauszugehen, nur
an einzelnen Stellen. In weiten Teilen setzt ihr Gesetzentwurf die Richtlinie dagegen
selbst dann eins zu eins um, wenn deren Vorgaben um Jahre hinter den Stand der deut-
schen Fachdebatte zurückfallen – gerade auch an entscheidenden Stellen. Dies führt
dazu, dass das Gesetz dem wesentlichen Ziel eines möglichst guten Strahlenschutzes
nicht gerecht wird.

Insbesondere ist unverständlich, wieso dem Gesetzentwurf abermals die Fehlannahme
zugrunde gelegt wurde, dass niedrige Langzeit-Strahlenexposition weniger schädlich
sei als kurzzeitige höhere Exposition. Diese Fehlannahme wurde vor Jahrzehnten im
sogenannten Dosis- und Dosisleistungs-Effektivitätsfaktor (DDREF) abgebildet und
führt zu fachlich nicht haltbaren, zu hohen Dosis-Grenzwerten. Sowohl das Bundesamt
für Strahlenschutz als auch die Strahlenschutz-Kommission plädieren schon seit eini-
gen Jahren für die Korrektur der o. g. Fehlannahme durch Abschaffung des DDREF
oder seine Absenkung auf den Wert 1. Dies würde in der Regel zu einer Halbierung
von Dosis-Grenzwerten führen. Darüber hinaus existieren von Fachleuten weitere For-
derungen, mit denen sich die Bundesregierung mehr als bisher auseinander setzen
muss.

Drucksache 18/12163 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Für beruflich strahlenexponierte Personen, also die Bevölkerungsgruppe, die in der
Regel den höchsten Dosen ausgesetzt ist, muss der Strahlenschutz neben einer Grenz-
werte-Halbierung unter anderem durch eine Erweiterung des Strahlenschutz-Registers
gestärkt werden. Würden dort auch die Orte und Tätigkeiten erfasst, an bzw. bei denen
die betroffene Person ihre Dosis konkret erlangt hat, wäre es möglich, Auffälligkeiten
wie besonders hohe Dosen lokalisieren zu können und zielgenaue Abhilfe und Ver-
besserungen zu schaffen. Neben regulatorischen Verbesserungen sollte bei dieser Per-
sonengruppe angesichts der im Vergleich zur Normalbevölkerung bereits erhöhten
Dosisbelastung auch das Risiko von Erfassungslücken in der Praxis evaluiert werden,
um etwaige tatsächliche Zusatzbelastungen, die bislang unerkannt sind, identifizieren
und abstellen zu können.

Für die Bevölkerung muss der Strahlenschutz neben verstärkter Aufklärung über
Strahlenbelastungen im Alltag gerade in Notfallsituationen gestärkt werden. Hierzu ist
die Maßnahmen-Planung nicht wie im Gesetzentwurf vorgesehen am oberen, sondern
am unteren Ende der von der Internationalen Strahlschutzkommission ICRP im Jahr
2007 empfohlenen Referenzwert-Bandbreite von 20 bis 100 Millisievert zu orientie-
ren. Je anspruchsvoller und besser die Vorbereitung auf einen radiologischen Notfall
angelegt sein muss, umso eher ist es im Ernstfall möglich, die tatsächliche Strahlenbe-
lastung möglichst gering zu halten. In diesem Sinne müssen auch die Anstrengungen
zu einer praxistauglichen Umsetzung der neuen Vorgaben für den hiesigen AKW-Ka-
tastrophenschutz und die Diskussion zu den betreffenden Vorgaben unserer Nachbar-
staaten mit AKW verstärkt werden.

Eine trotz ihrer radiologischen Bedeutung öffentlich verhältnismäßig wenig beachtete
Strahlenbelastung ist die des natürlichen Gases Radon. Es ist nach dem Rauchen die
zweithäufigste Ursache von Lungenkrebs. Das Bundesamt für Strahlenschutz plädiert
aus gesundheitlichen Gründen schon seit längerem dafür, für die Radonkonzentration
in Aufenthaltsräumen einen Referenzwert von 100 Becquerel pro Kubikmeter festzu-
legen. Der im Gesetzentwurf definierte Wert liegt jedoch um ein Dreifaches höher.

In Bezug auf den Bereich des Rückbaus von Atomkraftwerken (AKW) gibt es sowohl
hinsichtlich der Risiken für die Bevölkerung als auch für das Personal im AKW Ver-
besserungsbedarf. So ist das 10-Mikrosievert-Konzept zur Freigabe von Rückbau-Ma-
terial insbesondere vor dem Hintergrund der überfälligen DDREF-Abschaffung ent-
sprechend neu zu regeln. Ferner sollte die eingeschränkte Freigabe künftig nicht mehr
an Deponien der Klasse I erfolgen dürfen. Dass der Großteil des betreffenden Rück-
bau-Materials in den letzten Jahren auf Deponien der Klassen II oder III verbracht
wurde, zeigt, dass diese Verschärfung in der Praxis problemlos möglich ist. Für den
Strahlenschutz beim AKW-Rückbau existieren von Umweltverbänden und BürgerIn-
nen-Initiativen weitere Forderungen, das Thema ist in der Öffentlichkeit umstritten.
Die bisherigen Verfahren schaffen kein Vertrauen. Die Bundesregierung muss gerade
vor dem Hintergrund der durch den Atomausstieg zunehmenden AKW-Rückbau-Vor-
haben den Dialog mit der Bevölkerung suchen. Außerdem sollten gute Ansätze ein-
zelner Bundesländer identifiziert und zum deutschlandweiten Maßstab gemacht wer-
den.

Das gilt gerade auch in Bezug auf den Strahlenschutz für das Personal im AKW. Für
diesen sollte unter anderem dem Beispiel Baden-Württembergs gefolgt werden, in
Rückbau-Genehmigungen den fortschreitenden Stand von Wissenschaft und Technik
zur Maßgabe zu machen. Es kann nicht sein, dass in einem Hochtechnologieland wie
Deutschland Dekontaminationsmaßnahmen zum Teil wie noch vor Jahrzehnten von
Hand durchgeführt werden – mit entsprechend höherer Strahlenbelastung für das Per-
sonal als bei automatisierten Verfahren.

Schließlich gibt es zu vielen Herausforderungen des Strahlenschutzes und ungeklärten
Fragen der gesundheitsschädlichen Wirkung ionisierender Strahlung weiterhin erheb-
lichen Forschungsbedarf. Es ist unvernünftig und inakzeptabel, als Atomausstiegsland
weiterhin öffentliche Gelder für die Erforschung von Kernfusion, Transmutation und

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12163

Reaktoren der IV. Generation einzustellen. Dies muss endlich beendet werden. Die
dann erheblichen freiwerdenden Mittel können unter anderem für eine Aufstockung
des Etats für die Strahlenschutz-Forschung verwendet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

 das Strahlenschutzgesetz konsequent am Ziel des Gesundheitsschutzes und Prin-
zip der Vorsorge auszurichten und hierzu insbesondere über die Regelungen der
Grundnormen-Richtlinie hinauszugehen, wenn entsprechende Erkenntnisse bzw.
Positionen hiesiger Fachkreise vorliegen. Unmittelbar müssen daher vor allem der
Dosis- und Dosisleistungs-Effektivitätsfaktor (DDREF) abgeschafft oder auf den
Wert 1 gesenkt und alle damit verbundenen Grenz- und Referenzwerte entspre-
chend abgesenkt werden. Ferner sollte die Bundesregierung in einen öffentlichen
Fachdialog treten, um sinnvolle weitere Verschärfungen zu identifizieren. Dabei
muss auch der Frage nachgegangen werden, wie radiologischer Reformbedarf zü-
giger umgesetzt werden kann. Dass es in Deutschland schon seit mehr als einem
Jahrzehnt erhebliche Zweifel am DDREF gibt, dieser sich aber trotzdem unverän-
dert im aktuellen Gesetzentwurf niederschlägt, zeigt, wie schwerfällig Verbesse-
rungen im Strahlenschutz bislang stattfinden;

 den Strahlenschutz für beruflich strahlenexponierte Personen zu verbessern.
Hierzu sind neben einer DDREF-bedingten Absenkung der Grenzwerte wie bei-
spielsweise der zulässigen Höchstdosen für das Jahr von 20 auf 10 Millisievert
und für das Berufsleben von 400 auf 200 Millisievert (§§ 77 und 78) weitere Maß-
nahmen zu ergreifen. Beispielsweise sind im Gesetz die im Strahlenschutzregister
gemäß § 170 zu erfassenden Daten um die Orte und Tätigkeiten zu ergänzen, an
bzw. bei denen die Person ihre jeweilige Monatsdosis erlangt hat, um Auffällig-
keiten und vordringlichen Verbesserungsbedarf identifizieren zu können. Ferner
muss die Bundesregierung eine Evaluation etwaiger Erfassungslücken hinsichtlich
der tatsächlichen Dosisaufnahme in der Praxis und ihrer Ursachen veranlassen;

 den Strahlenschutz für die Bevölkerung zu verbessern. Hierfür ist neben verstärk-
ter Information über Strahlenbelastungen im Alltag im Gesetz unter anderem für
die Planung von Schutzmaßnahmen bei Notfällen in § 93 ein Referenzwert von 20
Millisievert festzulegen, also die untere anstatt der oberen Grenze der Bandbreite
aus der zugrundeliegenden ICRP-Empfehlung 103 vom März 2007 heranzuzie-
hen. In Bezug auf den AKW-Katastrophenschutz sind die Anstrengungen zur Um-
setzung der aktuellen hiesigen Vorgaben und – angesichts erheblicher Defizite –
der Dialog mit unseren Nachbarstaaten mit Atomkraftwerken zu intensivieren. Im
Hinblick auf radioaktive Rückstände ist § 61 um eine Nachweisführung für die
zum Bevölkerungsschutz vorgeschriebenen Maßnahmen zu ergänzen wie auch um
die Pflicht, ein anstehendes Ausschöpfen des vorgegebenen Richtwerts von 1 Mil-
lisievert pro Jahr der zuständigen Behörde rechtzeitig vorab zu melden;

 den Radonschutz zu verbessern und hierzu neben verstärkter Information der Öf-
fentlichkeit im Gesetz insbesondere den Referenzwert für die Radon-Konzentra-
tion in Aufenthaltsräumen in den §§ 124 und 126 von 300 auf 100 Becquerel pro
Kubikmeter zu senken, also auf den vom Bundesamt für Strahlenschutz empfoh-
lenen Wert;

 den Strahlenschutz im Bereich des AKW-Rückbaus zu verbessern. Hierfür sollen
neben einer DDREF-bedingten Absenkung der betreffenden Grenzwerte bei-
spielsweise eingeschränkt freigegebene Materialen aus dem AKW-Rückbau künf-
tig nur noch auf Deponien der Klassen II und III verbracht werden dürfen. Ferner
soll die Bundesregierung mit Umweltschutzverbänden, Bürgerinitiativen und an-
deren beteiligten Akteuren in einen Dialog zu Reformforderungen treten sowie
gute Beispiele der Genehmigungs- und Aufsichtspraxis einzelner Bundesländer
zum bundesweiten Maßstab machen.

Drucksache 18/12163 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

 den Strahlenschutz durch eine Intensivierung der Forschung zu den Auswirkungen
ionisierender Strahlung auf den Menschen und seine Umwelt zu stärken. Hierfür
sollen insbesondere Mittel verwendet werden, die die Bundesregierung bisher für
die Erforschung von Kernfusion, Transmutation und Reaktoren der IV. Generation
zur Verfügung stellt.

Berlin, den 26. April 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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