BT-Drucksache 18/12112

Einführung der Speicherung von Fluggastdaten

Vom 25. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12112
18. Wahlperiode 25.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke,
Katrin Kunert, Martina Renner und der Fraktion DIE LINKE.

Einführung der Speicherung von Fluggastdaten

Am 13. März 2017 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf „über die Ver-
arbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681“
(FlugDaG) in den Deutschen Bundestag eingebracht. Mit dem Gesetzentwurf sol-
len die Fluggastdaten aller Flüge aus der und in die Bundesrepublik Deutschland
zentral gespeichert werden. Die hierfür in der Richtlinie ebenfalls vorgesehene
„Passenger Information Unit“ (PIU) soll durch das Bundesverwaltungsamt
(BVA) betrieben werden. Durch das Bundeskriminalamt (BKA) sollen die Daten
dann abgeglichen und analysiert werden. Der Datenabgleich findet mit den Fahn-
dungsdateien des Bundes sowie mit so genannten Mustern statt. Diese „Muster“
werden vom BKA selbst aus bekannten Details über Reisebewegungen von sol-
chen Personen generiert, die terroristischer oder anderer schwerer Straftaten ver-
dächtigt werden. „Treffer“ werden dann einer genaueren Analyse unterzogen und
müssen mit einer verschärften Kontrolle und Befragung bei der Einreise rechnen.
Die „Treffer“-Daten können außerdem an die deutschen Geheimdienste übermit-
telt werden. Es bestehen im Gesetzentwurf keinerlei Löschungsregelungen für
übermittelte „Treffer“, bei denen ein Terrorverdacht falsifiziert werden kann.
Auch die Daten ohne Treffer werden für einen Zeitraum von fünf Jahren gespei-
chert. Die Daten enthalten in 20 Kategorien umfassende Angaben zu den Flug-
reisenden, von Angaben zur Person, zu Zahlungsverbindungen über die Daten der
Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter im Reisebüro bis hin zu detaillierten An-
geben zu Mitreisenden oder zu den Reiseumständen unbegleiteter Minderjähri-
ger.
Es handelt sich bei diesem Vorhaben nach Ansicht der Fragesteller um die erste
polizeiliche Anwendung in Deutschland, bei der aus der Verarbeitung von auf
Vorrat gespeicherten Massendaten („Big Data“) eine Verdachtsgenerierung statt-
finden soll. Der Gesetzentwurf spricht in seiner Begründung von „verdachtsbe-
gründenden Prüfungsmerkmalen“ (S. 27), obwohl hier in einem strafprozessualen
Sinne von „Verdacht“ keine Rede sein kann. Dies ist nach Auffassung der Frage-
steller mit den Grundsätzen von Rechtsstaatlichkeit, bei denen die Sicherheitsor-
gane auf eine konkrete Gefahr oder auf Hinweise auf eine Straftat reagieren, nicht
vereinbar. Dass Personen allein aufgrund eines bestimmten Reiseverhaltens, das
ohne ihre Absicht oder eigenes Zutun zufällig ein identisches Muster wie das ver-
meintlicher Terroristen oder ihrer Unterstützer aufweist, in den Fokus der Sicher-
heitsorgane geraten und in der Folge Grundrechtseingriffe (Speicherung in Da-
teien, Befragungen, Kontrollen etc.) erdulden müssen, ist mit diesen rechtsstaat-
lichen Grundsätzen nicht vereinbar. Diese Art der Vorratsdatenspeicherung von
Bewegungsdaten solch einer Detailtiefe steht zudem offensichtlich in Wider-

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spruch zur höchstrichterlichen und europäischen Rechtsprechung zur Vorratsda-
tenspeicherung von Telekommunikationsdaten. Trotz dieser massiven Bedenken
hat die Mehrheit des Deutschen Bundestages weit vor Vorliegen dieses Gesetz-
entwurfs im November vergangenen Jahres mit dem Haushaltsgesetz bereits
123,5 Stellen für die Umsetzung dieses Vorhabens bei BVA und BKA bereitge-
stellt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Kosten sind bei Behörden des Bundes in Zusammenhang mit der

Einführung der Fluggastdatenspeicherung bereits entstanden
a) für die Vorbereitung der technischen Umsetzung (inklusive Beratungs-

leistungen u. Ä.),
b) für Maßnahmen der Personalwerbung,
c) durch bereits erfolgte Anstellungen oder Umsetzungen in Zusammenhang

mit dem erwarteten Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens?
2. Liegen der Bundesregierung Angaben zu den Kosten der Umsetzung des

FlugDaG bei den betroffenen Unternehmen vor, die von der Schätzung von
einmalig 3,96 Mio. Euro für die Einrichtung des Systems und 594 000 bis
3,7 Mio. Euro an jährlichen Kosten abweichen oder diese Berechnungen prä-
zisieren, und wenn ja, welche?

3. Hat die Bundesregierung für die Anschaffung der benötigten Hard- und Soft-
ware bereits eine Marktsichtung vorgenommen, und mit welchem Ergebnis?

4. Wurde bereits ein Ausschreibungsverfahren für die benötigte Hard- und
Software begonnen, in welchem Stadium befindet sich das Verfahren, und
wie wird es durchgeführt?

5. Welche Berichte, Evaluationen, wissenschaftliche Begleitforschung etc. pp.
liegen der Bundesregierung vor, die sich mit dem Erfolg von Fluggastdaten-
systemen befassen, und zu welchen Ergebnissen kommen diese Dokumente
jeweils?

6. Trifft es zu, dass von den Befürwortern von PNR-Systemen bereits die Iden-
tifizierung von Personen zur näheren Kontrolle und Befragung als „Erfolg“
des Systems gewertet wird, und welche Schlussfolgerung lässt sich daraus
für die „Effizienz“ von PNR-Systemen für Gefahrenabwehr und Strafverfol-
gung ziehen?

7. Mit welchen Zahlen von „Treffern“ i. S. d. § 4 Absatz 2 FlugDaG-E unter
den 170 Millionen Fluggästen bzw. den etwa 340 Millionen übermittelten
Fluggastdatensätzen jährlich, die voraussichtlich von den Fluggesellschaften
übermittelt werden, rechnet die Bundesregierung?

8. Welche Prozesse werden sich einem „Treffer“ i. S. d. § 4 Absatz 2 FlugDaG-E
anschließen?

9. Wie begründet die Bundesregierung, dass bereits die „Treffer“ i. S. d. § 4
Absatz 2 FlugDaG-E und ihre Verarbeitungsergebnisse nach § 6 Absatz 2
FlugDaG-E an die Verfassungsschutzbehörden, den Militärischen Ab-
schirmdienst und den Bundesnachrichtendienst übermittelt werden dürfen,
und zwar nach dem Wortlaut des Entwurfs selbst dann, wenn kein Verdachts-
fall generiert wurde?

10. In welchen Gremien auf EU-Ebene und international ist die Bundesregierung
in welcher Form vertreten, die sich mit Speicherung, Verarbeitung oder Aus-
wertung von Fluggastdaten, der Umsetzung von Vereinbarungen oder ge-
meinsam getroffener Regelungen zum Umgang mit Fluggastdaten oder an-
deren Thematiken in diesem Zusammenhang beschäftigen?

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11. Was ist im Rahmen der internationalen Debatte unter dem Begriff „PNR-

targeting“ zu verstehen?
12. Wann und zu welchen Gelegenheiten haben Mitarbeiter des Bundesministe-

riums des Innern (BMI) oder ihm nachgeordneter Behörden sich in welchen
anderen Staaten Funktions- und Arbeitsweise von PNR-Systemen vorführen
lassen?

13. Wann rechnet die Bundesregierung mit einer Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) im Verfahren zum Fluggastdatenübereinkommen zwi-
schen der EU und Kanada, und was ist nach Kenntnis der Bundesregierung
der Grund für die lange Zeitdauer seit Vorlage des Gutachtens des General-
anwalts beim EuGH?

14. Welche Gründe haben die Bundesregierung dazu veranlasst, noch vor der
ausstehenden Entscheidung des EuGH, einen Gesetzentwurf „über die Ver-
arbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681“
in den Deutschen Bundestag einzubringen?

15. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung in diesem Zusammenhang
dem Tele2-Urteil des EuGH bei, mit dem eine anlasslose Vorratsdatenspei-
cherung von Telekommunikationsdaten für unvereinbar mit der EU-Grund-
rechtecharta erklärt wurde?

16. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Antrag des Landes Brandenburg zum Entwurf eines Gesetzes über
die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU)
2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) (Bundesratsdrucksache 161/17),
in dem der Deutsche Bundestag gebeten wird, die EuGH-Entscheidung in
den parlamentarischen Beratungen zu berücksichtigen, um so zu verhindern,
dass ein europarechtswidriges Gesetz verabschiedet wird?

17. Wieso hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf nicht von der in Ar-
tikel 2 der PNR-Richtlinie enthaltenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, nur
Informationen von Flügen zu verarbeiten, die von Drittstaaten starten bzw.
diese ansteuern und keine innereuropäischen Daten zu speichern, und wieso
hat sie dies nicht bereits vor der Abstimmung im Europäischen Parlament
öffentlich erklärt?

18. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen Attentäter wäh-
rend der letzten zehn Jahre innerhalb Europas kurz vor ihrer Tat mit dem
Flugzeug gereist sind, und in welchen der betroffenen Staaten gab es zu die-
sem Zeitpunkt bereits ein PNR-System (bitte nach Datum, Anschlag, Täter,
Mitgliedstaat und Reiseroute auflisten)?

19. Wie viele und welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen an-
dere Mitgliedstaaten der EU, die bereits über ein PNR-System verfügen, auf-
grund der Erkenntnisse aus diesem System die Ein-, Aus- oder Durchreise
von mutmaßlichen dschihadistischen Kämpfern (foreign fighters) oder At-
tentätern verhindern konnten?

Berlin, den 24. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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