BT-Drucksache 18/12109

Todesfalle Geisternetze - Artenvielfalt im Meer wirkungsvoll schützen

Vom 26. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12109
18. Wahlperiode 26.04.2017
Antrag
der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Peter Meiwald, Friedrich
Ostendorff, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver
Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Dr. Julia Verlinden, Harald
Ebner, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Nicole Maisch, Markus
Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Todesfalle Geisternetze – Artenvielfalt im Meer wirkungsvoll schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Ausmaß der Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll ist besorgniserregend.
Laut einer Studie des Umweltbundesamtes sammeln sich bis zu 10 Prozent der jährli-
chen Kunststoffproduktion in den Weltmeeren – 30 Millionen Tonnen Plastik, jedes
Jahr. Auch die Fischerei trägt massiv zu den Plastikstrudeln im Meer bei. Beinahe 10
Prozent des weltweiten Meeresmülls besteht aus verloren gegangenen Fanggeräten.1
Sowohl frei umhertreibende Fangnetze – auch Geisternetze genannt - als auch abge-
rissene Scheuerquasten aus Plastik (sogenannte Dolly Ropes), die die Netzenden der
Grundschleppnetze schützen sollen, werden zur Gefahr des Ökosystems Meer.
Seit etwa 40 Jahren bestehen die Fischernetze aus robustem Kunststoff. Sie zersetzen
sich sehr langsam zu Mikroplastik, der von den Meereslebewesen aufgenommen wird.
Das Plastik und die damit verbundenen Giftstoffe wie z. B. Weichmacher können
durch die Nahrungskette auch in den menschlichen Organismus gelangen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den gesetzlichen Rahmen anzupassen, um eine auch bezüglich des Materialein-
satzes nachhaltigere Fischerei zu ermöglichen und insbesondere den Einsatz von
sog. Scheuerquasten aus Plastik in der Grundschleppfischerei bis 2020 zu verbie-
ten;

2. die Forschung an alternativen Fischfanggeräten und Alternativen zu den Dolly
Ropes zu intensivieren;
1 Siehe auch die Kleine Anfrage von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu Geisternetzen im Meer http://dipbt.bun-

destag.de/doc/btd/18/086/1808678.pdf

Drucksache 18/12109 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. wirksame und sanktionsbewährte Kontrollmechanismen einzuführen, die eine

Umsetzung der bestehenden Regelungen gemäß der internationalen IMO-Regu-
larien (MARPOL) und der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 zur Bergung bzw.
Meldung von verloren gegangenem Fischfanggerät sicherstellen;

4. für eine angemessene Finanzierung und Personalausstattung bei den zuständigen
Kontrollbehörden zu sorgen;

5. Regelungen für die Markierung von Fischfanggeräten zu erlassen, die sicherstel-
len, dass eine Auffindbarkeit und Zuordnung der Fischfangeräte und Teile davon
jederzeit möglich sind und dem Verursacher bzw. Eigentümer zugeordnet werden
können;

6. ein Anreizsystem für Fischer zu entwickeln, das das fachgerechte Entsorgen alter
Fischernetze sowie das Recycling von Netzen fördert;

7. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass ein verbindliches Meldesystem für
verlorenes Fischereigerät eingeführt und öffentlich zugänglich gemacht wird;

8. eine regelmäßige Berichterstattung für die Gründe von verlorenem Fischereigerät
und die Bergung derselben einzuführen und die ergriffenen Maßnahmen regel-
mäßig auf Nachhaltigkeitskriterien hin zu bewerten;

9. Maßnahmen zur Auffindung und Bergung von gebrauchtem umhertreibendem
und noch ungekennzeichnetem Fischereigerät in den heimischen Gewässern zu
unterstützen;

10. dass sich die Bundesregierung auf EU- sowie internationaler Ebene dafür ein-
setzt, die Bergung von alten umhertreibenden Fischereigerät in besonders schüt-
zenswerten Gebieten deutlich zu intensivieren;

11. für Akteure der Fischereiwirtschaft sowie darüber hinaus bildungspolitische In-
strumente über die ökologischen Konsequenzen von Geisternetzen und deren
Entsorgungsmöglichkeiten zu entwickeln und zu unterstützen sowie über Alter-
nativen zu Dolly Ropes und besserem Netzdesign zu informieren.

Berlin, den 25. April 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12109
Begründung

Geisternetze aus der Fischerei sind frei umhertreibende Stell- und Schleppnetze, sie können jahrelang ohne Kon-
trolle „weiterfischen“, ohne dass die ungewollte Beute jemals eingeholt würde. Die Geisternetze werden so zur
Todesfalle für Fische, Schweinswale, Schildkröten und andere Meerestiere und sind zu einer wachsenden Bedro-
hung für den Fischbestand und der Artenvielfalt im Meer geworden. Allein für die Ostsee wird der „Fang“ der
Geisternetze, der nie auf den Tellern landen wird, laut einer Schätzung der internationalen Umwelt- und der
Landwirtschaftsorganisationen (FOA, UNEP) der Vereinten Nationen (UN) auf jährlich mehrere hundert Tonnen
Kabeljau geschätzt. Diese Mengen sind zusätzlich zu den erlaubten Fangquotenmengen, die bereits ein ökologi-
sches Maximum darstellen sollen. Das bedeutet, dass der reale Fang weit über die als nachhaltig festgeschriebe-
nen Fangmengen hinausgeht.
Mit einem erheblichen Anstieg von weltweiten Fischereitätigkeiten in den letzten Jahrzehnten ist auch eine
enorme Zunahme von frei umhertreibenden Stell- und Schleppnetzen sowie anderen Arbeitsgeräten aus der Fi-
scherei zu verzeichnen. Fast 700 000 Tonnen an Geisternetzen irren durch die Weltmeere. In Europa sollen jähr-
lich insgesamt etwa 25 000 Netze von circa 1 250 Kilometern Länge verloren gehen.2 In der heimischen Nordsee
und dem Nordostatlantik können ca. 12 Prozent des Plastikmülls auf in der Fischerei verlorene Netze und Leinen
zurückgeführt werden (Ökoinstitut 2012). In der südlichen Nordsee ist der Anteil von Fischereiequipment an
angespülten Meeresmüll sogar noch höher (OSPAR Spülsaummonitor, nach dem bestimmte Strandabschnitte
regelmäßig auf Meeresmüll untersucht werden).3
Es gibt in der Europäischen Union (EU) Regelungen, die den Umgang mit Geisternetzen beschreiben. Laut der
Kontrollverordnung der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik (EG) Nr. 1224/2009 sind ausschließlich
zugelassene Fanggeräte einzusetzen und verloren gegangene Geräte zu bergen. Sollte es den Besitzern von ver-
lorenem Fischereigerät nicht gelingen, diese zu bergen, müssen binnen 24 Stunden die zuständigen Behörden
über die Art des verlorenen Gerätes sowie den Verlustzeitpunkt und die genaue Position unterreichtet werden.4
Allerdings sind der Bundesregierung nur vereinzelt Meldungen zu Verlusten eingegangen. Diese stehen in kei-
nem Verhältnis zu der ermittelten tatsächlichen Anzahl an Geisternetzen in Nord- und Ostsee.5 Die Bundesre-
gierung sieht trotz dieser Diskrepanz zwischen der von ihr identifizierten ansteigenden Umweltbelastung durch
Geisternetze und der nur vereinzelten Meldung von verlorenem Fischereigerät „keine Notwendigkeit für weiter-
gehende Maßnahmen zur Identifizierung von verloren gegangenem Fanggerät“ (Drucksache 18/8678).
Neben den Geisternetzen werden dünne Plastikfäden, die sogenannten Dolly Ropes, die in der bodennahen Fi-
scherei eingesetzt werden, der Meeresumwelt zum Verhängnis. Sie bestehen aus vielen kleinen, verdrehten Seil-
stücken. Dolly Ropes werden verwendet, um das Netzende vor Steinen, grobem Sand oder Muschelbänken zu
schützen, wenn es über den Meeresboden gezogen wird. Als Scheuerschutz sind sie als Verschleißprodukt ge-
plant und reißen dadurch häufig ab bzw. es verfängt sich Sand und Kies in ihnen und sie müssen ausgetauscht
werden. Schätzungen zufolge werden in Europa jährlich über 100.000 kg Dolly Ropes eingesetzt. Die abgerisse-
nen Fäden und der oftmals auf offener See entsorgte Rest werden zur tödlichen Gefahr für Meerestiere. Sie ver-
fangen sich in den Seilresten oder verwechseln sie mit Nahrung – Seevögel benutzen sie als Nistmaterial. So zum
Beispiel die Basstölpel, die ihre Nester aus Treibgut bauen, das sie im Meer an der Oberfläche und im Spülsaum
einsammeln. Bei einer Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) zum Vorhandensein von Kunststoffen in
Nestern der einzigen deutschen Basstölpelkolonie auf Helgoland wurde in circa 98 Prozent der Nester Kunst-
stoffe und hierbei v. a. Netzreste (inkl. sog. Dolly Ropes) gefunden. Die Sterblichkeit adulter Tiere liegt auf
Grund von Strangulation durch die Plastikfäden zwei- bis fünfmal höher.
2 www.unep.org/regionalseas/marinelitter/publications/docs/marine_litter_abandoned_lost_fishing_gear.pdf
3 vgl. OSPAR Draft Beach Litter Intermediate Assessment 2017 vorgelegt bei OSPAR EIHA 2016).
4 www.ble.de/SharedDocs/Downloads/02_Kontrolle/ 02_Fischerei/05_Fischetikettierung/Verordnung-1224-2009.pdf?__blob= publicationFile
5 vergeliche Kleine Anfrage von Bündnis 90/ Die Grünen zu Geisternetze im Meer http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/086/1808678.pdf

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