BT-Drucksache 18/12108

Die Zeit ist reif für den Kohleausstieg

Vom 26. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12108
18. Wahlperiode 26.04.2017
Antrag
der Abgeordneten Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel Höhn,
Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald,
Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Kai Gehring, Stephan Kühn
(Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Dr. Valerie
Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Zeit ist reif für den Kohleausstieg

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die globale Klimakrise erfordert es, die Energieversorgung grundlegend neu aufzu-
stellen. Klimabedingte Katastrophen wie Dürren, Überschwemmungen, Stürme und
Hitzewellen nehmen weltweit zu – das drängt zum entschlossenen Handeln. Dies ha-
ben die Staaten der Erde im Pariser Klimaabkommen im Dezember 2015 bestätigt und
verbindlich vereinbart, die globale Erhitzung auf deutlich unter 2° C zu begrenzen.
Deutschland selbst hat 2015 im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft die Dekarbonisie-
rung – und damit das Ziel einer kohlenstofffreien Wirtschaft – verankert.
Deutschland jedoch droht, sein eigenes Klimaziel für 2020 zu verpassen, zumal 2016
die Treibhausgasemissionen sogar wieder angestiegen sind. Das nationale Klima-
schutzziel sowie die Verpflichtung aus dem Pariser Klimaabkommen können nur er-
reicht werden, wenn jetzt ein schrittweiser und planvoller Ausstieg aus der Kohlever-
stromung eingeleitet wird. Wenn jetzt nichts getan wird, hat Deutschland bereits 2025
das zur Verfügung stehende CO2-Budget (rund 4 Gt im Stromsektor bei 10 Gt insge-
samt) aufgebraucht. Gerade die in den heutigen Kohleregionen wohnenden Menschen,
die Unternehmen und deren Beschäftigten brauchen vor allem eins: Planungssicher-
heit.
Die Kohlenutzung war nach dem Zweiten Weltkrieg der Motor für wirtschaftliches
Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Doch bereits seit Jahrzehnten nimmt
diese Bedeutung kontinuierlich ab: von 650.000 Beschäftigten zu Beginn der 1960er
Jahre sind heute noch knapp 30.000 in Stein- und Braunkohle übrig. Mit dem Auslau-
fen der Steinkohleförderung wird sich diese Zahl 2018 noch einmal um ein Viertel
reduzieren. Der anstehende Abschied von der Kohleverstromung ist insofern der letzte
Baustein eines langen Prozesses.
Energiewirtschaftlich gehören Kohlekraftwerke zu den Überresten aus der alten Ener-
giewelt. Sie sind unflexibel, klimaschädlich und gefährden die Gesundheit der Men-
schen. In einem modernen, auf Umweltschutz und erneuerbaren Energien basierenden

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Stromsystem ist kein Platz für die Kohle. Das zeigt sich vor allem darin, dass die Ener-
giewirtschaft selbst ihre Zukunft inzwischen ohne Kohlekraftwerke plant. Zugleich
gilt es, die massiven Überkapazitäten im deutschen Strommarkt zu reduzieren.
Der Kohleausstieg braucht einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Dies soll und kann
durch den Dialog mit Gewerkschaften, Industrie, Energiewirtschaft, Umweltverbän-
den und anderen gesellschaftlichen Gruppen erreicht werden. Darüber hinaus bedarf
es der Unterstützung der betroffenen Regionen. Im Rheinischen Revier haben sich
neue Unternehmen außerhalb des Kohlesektors etabliert. In der Lausitz gründen sich
Netzwerke, um eine Zukunft ohne Kohle vorzubereiten. Diese Ansätze sollten gezielt
gefördert werden, um die Reviere zu Modellregionen für den Kohleausstieg zu ma-
chen.
Der Rückzug aus der Kohle aus Klimaschutzgründen ist weltweit zu beobachten. Er-
neuerbare Energien boomen weltweit. Die Investitionen haben sich innerhalb von zehn
Jahren auf weltweit 350 Mio. US-Dollar versiebenfacht; zudem sind die Investitionen
in Erneuerbare-Energien-Anlagen inzwischen höher als jene in fossile Anlagen.
Gleichzeitig kehren immer mehr Regierungen der Kohle den Rücken. Großbritannien
hat den Kohleausstieg bis 2025 angekündigt. Die Niederlande haben vor einigen Mo-
naten den Kohleausstieg beschlossen, Frankreich will schon 2023 das letzte Kohle-
kraftwerk abschalten. Zuletzt sank der weltweite Kohleverbrauch. Der größte Kohle-
verbraucher weltweit, China, will bis 2020 die Kohleförderung um ein Drittel zurück-
führen. Zudem wurde dort ein Baustopp für 30 Kohlekraftwerke verhängt.
Deutschland kann nicht gleichzeitig Energiewendeland sein und Kohleland bleiben.
Es sollte sich vielmehr an die Spitze der globalen Entwicklung setzen und endlich den
Strukturwandel in der Energiewirtschaft weg von der klimaschädlichen Kohle ver-
bindlich einleiten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

aus dem Pariser Klimaabkommen, den Überkapazitäten im deutschen Strommarkt und
dem weltweit zu beobachtenden Strukturwandel in der Energieversorgung die logische
Konsequenz zu ziehen und jetzt die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für
einen verlässlichen Ausstieg aus der Kohleverstromung zu schaffen.
Dazu soll sie im Einzelnen
1. dem Deutschen Bundestag ein Kohleausstiegsgesetz vorlegen, in dem unter an-

derem folgende Sachverhalte geregelt werden:
• die Einführung von CO2-Budgets für alle fossilen Kraftwerke. Diese sollen

sich zunächst an der Jahresemission eines modernen Gaskraftwerks orientie-
ren und dazu führen, dass noch vor 2020 rund 20 besonders klimaschädliche
Kohlekraftwerksblöcke stillgelegt werden, was einer Einsparung von etwa
90 Mio. Tonnen CO2 entspricht,

• die Budgets bzw. die entsprechenden CO2-Minderungsziele sollen im Ver-
lauf entsprechend der im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaverpflich-
tungen dynamisch angepasst werden, begleitend dazu werden Überwa-
chungs- und Monitoringprozesse aufgesetzt,

• ein Verbot für die Errichtung neuer Kohlekraftwerke,
• ein Verbot für neue Tagebaue, Enteignungen und Umsiedlungen,
• die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds, in den die in den Unter-

nehmen vorhandenen Rückstellungen zur Haftung für Sanierung und Rekul-
tivierung im Braunkohletagebau übertragen werden;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12108
2. noch im laufenden Jahr eine pluralistisch zusammengesetzte Kohleausstiegskom-

mission einsetzen, die das Ausstiegskonzept gemäß der klimapolitischen Ver-
pflichtungen in einem breiten gesellschaftlichen Dialogprozess begleitet, die
Kernelemente des Ausstiegs diskutiert und konkretisiert;

3. die immissionsschutzrechtliche Privilegierung der Kohleverstromung aufheben,
die Einhaltung von strengen Emissionsgrenzwerten für krebserzeugende Stoffe
sicherstellen und einen Fahrplan zur Umsetzung der Minamata-Konvention zu
Quecksilber vorlegen;

4. einen vom Bund und den betroffenen Ländern betreuten regionalen Fonds ein-
richten, um die Strukturentwicklung in den Braunkohlerevieren zu stärken und
neue wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven zu schaffen;

5. einen nationalen CO2-Mindestpreis, möglichst in Zusammenarbeit mit anderen
EU-Staaten, einführen und sich auf EU-Ebene nachdrücklich dafür einsetzen, die
aktuell rund 2 Mrd. überschüssigen CO2-Zertifikate zu löschen und die im Zuge
des nationalen Kohleausstiegs freiwerdenden Zertifikate auf nationaler Ebene
ebenfalls zu löschen.

Berlin, den 25. April 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Drucksache 18/12108 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

Der Klimaschutz bietet enorme Chancen für die ökologische Transformation unserer Wirtschaft. Längst ist global
ein Wettbewerb um zukunftsfähige und klimaverträgliche Technologien ausgebrochen. Deutschland war mit dem
Atomausstieg und dem frühzeitigen Einstieg in die erneuerbaren Energien lange Zeit Vorreiter für eine globale
Energiewende. Doch diese Position geht mehr und mehr verloren, vor allem weil die Bundesregierung es ver-
säumt hat, den Anteil klimaschädlicher Kohle im Stromsektor deutlich zu verringern. Immer noch werden gut 40
Prozent des Stroms in Deutschland aus Kohle erzeugt. Der CO2-Ausstoß des Kraftwerkparks lag deshalb auch
2016 noch bei gut 300 Mio. Tonnen, das entspricht einem Drittel der nationalen CO2-Gesamtemission.
Diese energie- und klimapolitisch widersprüchliche Politik hat dazu geführt, dass sich unser Land zurzeit de facto
zwei Stromversorgungssysteme leistet. Zum einen die „Neue Stromwelt“ , die auf dem Finanzmechanismus des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) basiert und inzwischen rund 100.000 MW installierter Wind-, Solar- und
Biomasseleistung umfasst. Sie kann an verbrauchsarmen Tagen bereits annähernd genug Strom für alle erzeugen.
Zum anderen existiert parallel dazu weiterhin die „Alte Stromwelt“ mit ihrem Rest an Atomkraftwerken, gut 100
großer Stein- und Braunkohlekraftwerke sowie den ergänzenden Gaskraftwerken. Sie reicht mit ihrer Spitzenka-
pazität von fast 80.000 MW im Prinzip alleine aus, um Deutschland mit Strom zu versorgen.
Es ist ein Gebot der ökonomischen Vernunft, den Widerstreit der beiden Stromwelten zu überwinden. Denn beide
Systeme müssen sich über die Strompreise, also auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher, refinanzie-
ren. Schon um die Versorgung bezahlbar für alle zu halten, müssen wir möglichst bald beide Systeme zu einem
in sich konsistenten Energieversorgungsystem zusammenführen. Die Energiewende sollte sich folglich darauf
konzentrieren, das zu fördern, was wir für die neue Stromwelt brauchen. Das Erbe der alten Stromwelt sollte
dagegen Schritt für Schritt abgeschaltet werden. Das ist die nächste große energiepolitische Aufgabe, die vor uns
liegt.
Der Strukturwandel in der Energieversorgung und der Einzug neuer, oftmals digitaler Technologien bieten wach-
sende Möglichkeiten für eine sichere Stromversorgung ohne Großkraftwerke. So kann die schwankende Wind-
und Solarstromerzeugung künftig immer verlässlicher durch kleinere, effiziente und flexibel einsetzbare Gas-
und Biogas-Kraftwerke sowie zunehmend auch von Speichern abgesichert werden. Die vielen, dezentral einge-
setzten Anlagen werden über ein leistungsfähiges Stromnetz miteinander verbunden, das den Strom schnell und
effizient vom Erzeugungs- zum Verbrauchsort transportiert. Strombedarf und -erzeugung werden über eine in-
telligente Steuerung jederzeit und an jedem Ort zielsicher aufeinander abgestimmt.
In diesem umweltfreundlichen und flexiblen System gibt es keinen Platz für klimaschädliche Kohlekraftwerke.
Sie sind zu unflexibel, um auf den schnell wechselnden Strombedarf reagieren zu können. Der Ausstieg aus Atom
und Kohle ist folglich nicht nur umweltpolitisch richtig und machbar. Er stärkt zudem Deutschland als Innovati-
onsstandort für Technologien und Dienstleistungen im Energiesektor.
Ungeachtet der wirtschaftlichen und klimapolitischen Potenziale darf der Kohleausstieg kein politischer Allein-
gang werden. Daher ist von Beginn an auf Planbarkeit, Transparenz und einen breiten gesellschaftlichen Diskurs
zu achten. Besonderes Augenmerk ist auf die betroffenen Menschen in den Kohleregionen zu legen. Bund und
die betroffenen Länder sollten die Gestaltung des erforderlichen Strukturwandels als gemeinsame Zukunftsauf-
gabe verstehen und entsprechend über einen Fonds auch finanziell fördern.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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