BT-Drucksache 18/12102

Entwicklung der Zahl per Haftbefehl gesuchter Neonazis bis Frühjahr 2017

Vom 25. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12102
18. Wahlperiode 25.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, Martina Renner,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entwicklung der Zahl per Haftbefehl gesuchter Neonazis bis Frühjahr 2017

Die Zahl von Neonazis, die per Haftbefehl gesucht werden, steigt seit Jahren kon-
tinuierlich an. Mit Stichtag 10. Oktober 2016 waren erneut mehr offene Haftbe-
fehle gegen polizeibekannte Rechtsextremisten erfasst als zuvor (vgl. Bundes-
tagdrucksache 18/10584). Es lagen 598 Haftbefehle zu insgesamt 454 Personen
vor.
Gestiegen ist auch die Zahl von Personen, die wegen eines spezifisch rechtsex-
trem motivierten Delikts gesucht werden (von 79 im März 2016 auf 92) oder we-
gen eines Gewaltdelikts (von 93 auf 108).
Die Fragesteller sind besorgt über die Tatsache, dass 263 der offenen Haftbefehle
aus den Jahren 2015 oder früher stammen. Ein relevanter Teil der gesuchten Nazis
entzieht sich damit über einen längeren Zeitraum der Festnahme, was die Frage
aufwirft, inwiefern diese gezielt untergetaucht sind. Diese Frage verdient, gründ-
lich untersucht zu werden.
Vor diesem Hintergrund sind die Fragesteller nicht beruhigt über die Information
der Bundesregierung (Antwort zu Frage 4 auf Bundestagdrucksache 18/10584)
zu den diesbezüglichen Besprechungen der AG Personenpotenziale im Gemein-
samen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ). Die AG hat sich
ausschließlich mit 36 Personen befasst, die aufgrund einer Terrorismus- oder Ge-
waltstraftat gesucht wurden und seit mindestens einem halben Jahr unauffindbar
waren, wohingegen zu Personen, die wegen weiterer Delikte mit oder ohne PMK-
Bezug gesucht wurden, keine Besprechungen stattfanden. Zudem gab es nur zwei
solcher Besprechungen von jeweils einer Stunde Dauer, was bedeutet, dass pro
flüchtigem, gewalttätigem Neonazi im Schnitt gerade einmal 3,3 Minuten gespro-
chen wurde.
Fragen nach der Sorgfalt der polizeilichen Ermittlungen wirft aus Sicht der Fra-
gesteller auch die Tatsache auf, dass von den insgesamt 108 Neonazis, die wegen
eines Gewaltdeliktes gesucht werden, nur ganze drei in der Gewalttäterdatei
„rechts“ erfasst sind.
Die Fragesteller bitten darum, die Antwort auf die Kleine Anfrage nach Auswer-
tung der dafür notwendigen Zahlenwerte zu übermitteln und sind insoweit mit
einer Verlängerung der Antwortfrist einverstanden.

Drucksache 18/12102 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Gegen wie viele Neonazis lagen zum Zeitpunkt der letzten Erfassung (bitte
Datum angeben) wie viele nicht vollstreckte Haftbefehle vor?
a) Gegen wie viele Personen lagen Haftbefehle wegen eines PMK-Deliktes

vor (Mehrfachnennungen bitte angeben)?
b) Gegen wie viele Personen lagen Haftbefehle wegen eines Gewaltdeliktes

vor, und bei wie vielen Personen handelte es sich um ein Gewaltdelikt aus
dem PMK-Bereich (Mehrfachnennungen bitte angeben)?

c) Wie untergliedern sich die Haftbefehle in solche zur Sicherung des Straf-
verfahrens, zur Strafvollstreckung und zur Durchführung asyl- oder auf-
enthaltsrechtlicher Bestimmungen?

d) Wie viele der gesuchten Personen halten sich nach Erkenntnissen der Si-
cherheitsbehörden mutmaßlich im Ausland auf?

e) Welche Delikte liegen den Haftbefehlen im Einzelnen zugrunde (bitte
vollständig auflisten und anmerken, ob das Delikt als PMK und/oder als
Gewaltdelikt aufgeführt wird)?

2. Wie viele Fälle werden nach Priorität I (Terrorismusdelikte), Priorität II (Ge-
waltdelikte) und Priorität III (sonstige) bewertet?

3. In welchen Jahren sind die aktuellen Haftbefehle jeweils ausgestellt worden
(dabei bitte Anzahl der gesuchten Personen nennen und zusätzlich angeben,
ob der Haftbefehl wegen eines PMK-Deliktes, eines Gewaltdeliktes bzw. ei-
nes PMK-Gewaltdeliktes ausgestellt wurde, und ob die jeweilige Person in
polizeilichen oder geheimdienstlichen Informationssystemen als gewaltbe-
reit eingestuft ist)?

4. Wie viele Fälle, bei denen der Haftbefehl seit mehr als einem halben Jahr
nicht vollstreckt worden ist, wurden seit 10. Oktober 2016 einer besonderen
Betrachtung im GETZ unterzogen?
a) Falls sich der Zeitrahmen von 3,3 Minuten pro gesuchtem gewalttätigem

Neonazi nicht wesentlich geändert hat (vgl. Bundestagdrucksache
18/10584), inwiefern hält die Bundesregierung diesen Zeitrahmen für
ausreichend?

b) Aus welchem Grund beschäftigt sich die AG Personenpotenziale nur mit
solchen Personen, die wegen Priorität I oder II (Terrorismus oder Gewalt-
straftat) gesucht werden, und nicht mit solchen, die wegen Priorität III
(sonstige Delikte mit oder ohne PMK-Bezug) gesucht werden, oder we-
nigstens mit jenen sonstigen Delikten, die einen PMK-Bezug aufweisen?

c) Inwiefern kann die Bundesregierung Angaben zum konkreten Nutzen die-
ser besonderen Betrachtungen machen?

d) In welchem Umfang wurde infolge der Besprechungen eine PMK-Ein-
schätzung in welcher Hinsicht geändert?

e) Welche Angaben kann die Bundesregierung zum spezifischen Beitrag der
Geheimdienste zur Auffindung gesuchter Neonazis machen?

5. Welches Ergebnis erbrachten die von der AG Personenpotenziale angestell-
ten Erörterungen, inwiefern sich die betroffenen Personen möglicherweise
gezielt der Vollstreckung eines Haftbefehls entziehen, und welche konkreten
Handlungsoptionen bestehen, dies zu verhindern?
Welche Erkenntnisse liegen den Sicherheitsbehörden (ggf. auch außerhalb
der AG Personenpotenziale und ggf. aufgrund von Einschätzungen nach er-
folgter Festnahme) vor, ob sich Straftäter gezielt ihrer Festnahme entzogen
hatten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12102
6. In welchen einschlägigen Datenbanken deutscher Sicherheitsbehörden sind
jeweils wie viele der mit offenem Haftbefehl gesuchten Neonazis gespeichert
(bitte auch die hierbei gespeicherten personengebundenen Hinweise ange-
ben)?
a) Wie viele jener Neonazis, die wegen eines Gewaltdeliktes gesucht wer-

den, sind in der Gewalttäterdatei „rechts“ erfasst?
b) Wie viele jener Neonazis, die wegen eines politisch motivierten Gewalt-

deliktes gesucht werden, sind in der Gewalttäterdatei „rechts“ erfasst?
c) An welche Behörden von EU- und Drittstaaten bzw. internationale Agen-

turen (bitte genau aufschlüsseln) wurden Datensätze über wie viele ge-
suchte Personen weitergegeben?

d) Wie viele der gesuchten Personen werden mit europäischem bzw. inter-
nationalem Haftbefehl gesucht?

e) Wie viele der gesuchten Personen sind im Schengener Informationssys-
tem ausgeschrieben?

7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass zum 10. Oktober 2016 nur drei von insgesamt 108 wegen eines Gewalt-
deliktes gesuchten Neonazis in der Gewalttäterdatei rechts erfasst waren, für
die Sorgfalt der zuständigen Landespolizeibehörden im Umgang mit dieser
Datei bzw. den Ermittlungen?
a) Welche Schlussfolgerungen zieht sie für die Relevanz der Gewalttäterda-

tei?
b) Wird über diese Frage ebenfalls im GETZ gesprochen, und wenn ja, wel-

che Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesen Bespre-
chungen?

8. Welche weiteren Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Ent-
wicklung der Zahl mit Haftbefehl gesuchter Neonazis und der Beschäftigung
der Sicherheitsbehörden mit der Problematik?

Berlin, den 24. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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