BT-Drucksache 18/12052

Reform der Psychotherapierichtlinie und Vergütung psychotherapeutischer Leistungen

Vom 21. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12052
18. Wahlperiode 21.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg,
Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Kai Gehring,
Tabea Rößner, Ulle Schauws, Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reform der Psychotherapierichtlinie und Vergütung psychotherapeutischer
Leistungen

Seit Einführung des Psychotherapeutengesetzes im Jahr 1998 prozessieren Psy-
chotherapeutinnnen und Psychotherapeuten immer wieder bis vor das Bundesso-
zialgericht (BSG), um ein angemessenes Honorar zu erhalten. In seinem Urteil
vom 28. Januar 2004 hat das BSG (Az. B 6 KA 46/97 R) entschieden, dass es den
Psychotherapeuten jedenfalls im typischen Fall möglich sein muss, „bei größt-
möglichem persönlichem Einsatz des Praxisinhabers und optimaler Praxisauslas-
tung zumindest den Durchschnittsüberschuss vergleichbarer Arztgruppen zu er-
reichen“. Der Bewertungsausschuss nach § 87 Absatz 3 des Fünften Buches So-
zialgesetzbuch (SGB V), der den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) fest-
legt, hat nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer die BSG-Maßgabe
eines Mindesthonorars jedoch stets nur so umgesetzt, dass Psychotherapeutinnen
und Psychotherapeuten diese Mindesthonorare unter keinen Umständen über-
schreiten können.
Seit dem 1. April 2017 haben Patientinnen und Patienten durch die Einrichtung
einer psychotherapeutischen Sprechstunde einen besseren Zugang zur psychothe-
rapeutischen Versorgung. Hierdurch sollen sie früher erfahren können, ob sie psy-
chisch krank sind, und welches Behandlungsangebot für sie das richtige ist. Bei
der Akutbehandlung sollen insbesondere Menschen in Krisensituationen mit
akuten schweren Beeinträchtigungen kurzfristig versorgt werden. Die Akutbe-
handlung dient unter anderem der Verhinderung von Krankenhausbehandlungen.
Da die neuen Leistungen innerhalb der bestehenden Versorgungskapazitäten der
niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten angeboten wer-
den, ist zu befürchten, dass Menschen in Krisen noch länger als bisher auf einen
klassischen Therapieplatz warten müssen.
Im März 2017 hat der Erweiterte Bewertungsausschuss die Höhe der Vergütung
für die neuen psychotherapeutischen Leistungen – Sprechstunde und Akutbe-
handlung – bestimmt. Danach werden die neuen Leistungen allerdings geringer
vergütet als die Richtlinienpsychotherapie. Grund dafür ist, dass die Zeiten für
die Vor- und Nachbereitung sowie die Dokumentation um 20 Prozent niedriger
eingeschätzt werden als bei der Richtlinientherapie. Psychotherapeutinnen und
Psychotherapeuten halten diese Einschätzung für fehlerhaft, da ihrer Meinung
nach der Aufwand für die neuen Leistungen noch größer sei als bei der Richtli-
nien-Therapie (vgl. Gemeinsame Pressemitteilung bvvp, DPtV, VAKJP vom
29. März 2017). Da die neuen psychotherapeutischen Leistungen der Sprech-
stunde und der Akutbehandlung, aber auch die probatorischen Sitzungen geringer

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vergütet werden als die genehmigungspflichtige Richtlinien-Psychotherapie,
kann es in der Summe zu Mindereinnahmen je Praxis kommen, in Abhängigkeit
davon, wie viele Termine die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten für
diese Leistungen anbieten.

Wir fragen die Bundesregierung:

Allgemein
1. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung das durchschnittliche Ein-

kommen vor Steuern (Praxisüberschuss) von Psychologischen Psychothera-
peutinnen und Psychotherapeuten, von Kinder- und Jugendlichenpsychothe-
rapeutinnen und -therapeuten, von ärztlichen Psychotherapeutinnen und Psy-
chotherapeuten, von Haus- sowie von Fachärztinnen und Fachärzten (aufge-
schlüsselt nach exemplarischen Facharztgruppen) in den einzelnen Bundes-
ländern seit 2010 jährlich?

2. Inwieweit hat nach Ansicht der Bundesregierung die gemeinsame Selbstver-
waltung von Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Vergütung psy-
chotherapeutischer Leistungen korrekt bzw. nicht korrekt umgesetzt, und wie
begründet die Bundesregierung ihre Einschätzung?

3. a) Wie hat sich nach Einschätzung der Bundesregierung die in § 87 Ab-
satz 2c Satz 6 SGB V normierte Regelung zur Sicherstellung einer ange-
messenen Vergütung psychotherapeutischer Leistungen je Zeiteinheit seit
ihrer Einführung im Jahr 2007 auf die Honorare für psychotherapeutische
Leistungen ausgewirkt?

b) Ist nach Einschätzung der Bundesregierung das Ziel dieser gesetzlichen
Regelung, eine angemessene Vergütung psychotherapeutischer Leistun-
gen je Zeiteinheit sicherzustellen, erreicht?

4. a) Hält die Bundesregierung es für notwendig, dem Bewertungsausschuss
präzisere gesetzliche Vorgaben für die Vereinbarung einer angemessenen
Vergütung der zeitgebundenen psychotherapeutischen Leistungen zu ma-
chen?

b) Wenn ja, warum, und in welcher Form, und wenn nein, warum nicht?
c) Sollte nach Ansicht der Bundesregierung eindeutig festgelegt werden,

wann und nach welchen Kriterien der Bewertungsausschuss die Entwick-
lungen der psychotherapeutischen Honorare überprüfen und anpassen
muss, und wenn nein, warum nicht?

Vergütung neuer Leistungen
5. Inwiefern ist aus Sicht der Bundesregierung der mit dem Beschluss des Er-

weiterten Bewertungsausschusses unterstellte zeitliche Minderbedarf bei der
Sprechstunde und der Akutbehandlung zutreffend sowie mit einer qualitäts-
gesicherten Versorgung vereinbar (Ansicht bitte begründen)?

6. Inwieweit schätzt die Bundesregierung die Kritik der psychotherapeutischen
Fachverbände und Kammern als zutreffend ein, dass die Annahme eines
Minderbedarfs durch den Erweiterten Bewertungsausschusses fehlerhaft sei,
weil bei einer Sprechstunde und Akutbehandlung mehr Zeit für die Vor- und
Nachbereitung sowie die Dokumentation notwendig sei als bei der Richtlini-
enpsychotherapie (Ansicht bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12052
7. Inwiefern entsprechen nach Einschätzung der Bundesregierung die seit 2012
geltenden Strukturzuschläge, die nur bei maximaler Praxisauslastung im
Umfang von 36 genehmigungspflichtigen Behandlungsstunden pro Woche
eine vollständige Finanzierung einer halben Praxiskraft ermöglichen, den
Vorgaben des Bundessozialgerichts?

8. a) Inwiefern hält die Bundesregierung die vom Erweiterten Bewertungsaus-
schuss getroffene Regelung für angemessen, dass probatorische Sitzungen
und andere zeitgebundene Gesprächsleistungen jenseits der genehmi-
gungspflichtigen Psychotherapie, der Sprechstunde und der Akutbehand-
lung weder bei der Kalkulation der Höhe der Zuschläge noch bei der Aus-
lösung der Zuschläge berücksichtigt werden?

b) Inwieweit wird der Beschluss nach Einschätzung der Bundesregierung
psychotherapeutische Praxen benachteiligen, die im Sinne einer nied-
rigschwelligen Versorgung vermehrt nicht genehmigungspflichtige Ge-
sprächsleistungen anbieten, und wenn nein, warum nicht?

c) Inwiefern steht der Beschluss nach Ansicht der Bundesregierung im Ein-
klang mit dem Ziel des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes, die Dauer
von Interventionen zu verkürzen?

9. a) Welche Gründe sind der Bundesregierung dafür bekannt, dass die Kas-
senärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband in An-
lage 28 des Bundesmantelvertrags vereinbart haben, dass die Terminser-
vicestellen Termine für die Sprechstunde und für die Akutbehandlung,
aber nicht für die Richtlinienpsychotherapie vermitteln sollen?

b) Hält die Bundesregierung diese Regelung für angemessen, und inwiefern
ist sie vereinbar mit dem Anliegen, Wartezeiten in der Psychotherapie zu
verkürzen (Ansicht bitte begründen)?

10. a) Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Krankenkassen seit
Einführung der neuen psychotherapeutischen Leistungen Anträge auf
Kostenerstattung nach § 13 Absatz 3 SGB V für eine Richtlinien-Psycho-
therapie pauschal mit der Begründung abgelehnt haben, diese sei im Ge-
gensatz zur neuen Akutversorgung keine unaufschiebbare Leistung?

b) Wenn ja, was hat die Bundesregierung gegen diese Praxis der Kranken-
kassen unternommen bzw. wird sie unternehmen?

c) Haben nach Ansicht der Bunderegierung GKV-Versicherte weiterhin An-
spruch auf eine zeitnahe Richtlinien-Psychotherapie im Rahmen der Kos-
tenerstattung auf Grundlage des § 13 Absatz 3 SGB V, wenn ihnen in der
vertragspsychotherapeutischen Versorgung in zumutbarer Zeit kein Be-
handlungsplatz zur Verfügung steht, und wenn ja, unter welchen Voraus-
setzungen, bzw. wenn nein, warum nicht?

Reform der Bedarfsplanung
11. Welche Schritte hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach Kennt-

nis der Bundesregierung bislang unternommen, um, wie gesetzlich vorge-
schrieben, die Bedarfsplanungsrichtlinie zu überarbeiten, und wie sieht der
Zeitplan bis zur Fertigstellung der überarbeiteten Richtlinie aus?

12. Wie schätzt die Bundesregierung die Verzögerung der Reform der Bedarfs-
planung für die Arztgruppe der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeu-
ten ein vor dem Hintergrund, dass sich die Wartezeiten auf eine Richtlinien-
psychotherapie durch die neuen psychotherapeutischen Leistungen wahr-
scheinlich noch verschärfen werden?

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13. Inwiefern befürwortet die Bundesregierung, die Reform der Bedarfsplanung

für die Arztgruppe der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten vorzu-
ziehen, um nicht die mit der Reform der Psychotherapierichtlinie erreichte
Verbesserung in der psychotherapeutischen Versorgung durch die unzu-
reichende Bedarfsplanung zu konterkarieren?

14. a) Was hat der G-BA nach Kenntnis der Bundesregierung bislang unternom-
men, um die Versorgungssituation in der Sonderregion Ruhrgebiet zu
überprüfen?

b) Liegt nach Kenntnis der Bundesregierung das Gutachten zur Versor-
gungssituation im Ruhrgebiet bereits vor, und wenn ja, zu welchen Ergeb-
nissen kommen die Gutachterinnen und Gutachter?

c) Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Gutachten?

Berlin, den 21. April 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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